Wie man Stereotypen durchbricht, indem man sie bestätigt

Die feministischen Perspektiven eines Sammelbandes erhellen die Geschlechterkonstruktionen der Fernsehserie „Mad Men“

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Mad Men“, die beliebte und in vielerlei Hinsicht gepriesene Fernseh-Serie um den in der Werbebranche der 1960er-Jahre tätigen Copywriter Don Draper, geht derzeit in die letzte Staffel. Ein Sammelband mit dem Titel „Mad Men and Working Women“ beleuchtet nun – vielleicht etwas vor der Zeit – ihre Geschlechterkonstruktionen. Zwar sind seine vier Autorinnen Erika Engstrom, Tracy Lucht, Jane Marcellus und Kimberly Wilmot Voss jeweils mit zwei Beiträgen vertreten. Doch gilt nicht etwa jeweils einer der beiden Texte dem einen und der andere dem anderen Geschlecht, wie man vielleicht erwarten könnte. Vielmehr konzentrieren sie sich alle weitgehend auf die weiblichen Figuren. Der Untertitel „Feminist Perspectives on Historical Power, Resistance, and Otherness“ gibt einen ersten Hinweis darauf, warum dies so sein könnte.

Die Autorinnen, die sich als Feministinnen „since the time we were children“ charakterisieren, machen in „Mad Men’s interwoven storylines a staggering array of feminist-related discourses“ aus. Ziel des vorliegenden Bandes ist, diese Diskurse zu erklären und zu zeigen, „how Mad Men becomes a means by which media make sense of the actions and experiences of career women working in ‚a men’s worldʻ as well as stay-at-home wives whose labour is domestic“. Vor dem Hintergrund ihrer These, dass Feminismus „has existed prior to the so-called second wave“, untersuchen die vier Autorinnen Möglichkeiten der Lebensplanung und -führung, die den weiblichen Figuren in der die ausgehenden 1950er- und 1960er-Jahre umfassenden Handlungszeit offenstanden.

Erika Engstrom eröffnet den Band mit einem Beitrag, der anhand einiger Episoden zeigt, wie die Serie „highly competent“ Expertinnen ihres Faches darstellt, deren Fähigkeiten über ihre stereotypisierten oder informellen Rollen hinausreichen. Dabei gelangt sie zu der Auffassung, dass die weiblichen Charaktere weit komplexer sind, als die KritikerInnen und Fans der Serie bisher bemerkten.

Jane Marcellus spannt hingegen einen größeren historischen Bogen und erkundet, „how secretarial culture emerged in the late 19th and early 20th centuries“. Zu diesem Zweck zeichnet sie nach, wie der ein rundes Jahrhundert andauernde Prozess vonstatten ging, in dessen Verlauf Hermann Melvilles wenig ambitionierte Titelfigur des Romans „Bartleby the Scrivener“ (1853), die es stets vorzog, lieber etwas nicht zu tun, statt Karrierechancen zu nutzen, durch Joan Holloway ersetzt wurde, die zwar „multitalented“, jedoch von ihren Vorgesetzten nur „as multi-purpose“ wahrgenommen und behandelt wird. Besonders aufschlussreich für diese Entwicklung sind die in der ersten Hälfte und zur Mitte des  20. Jahrhundert erschienenen Handbücher und Ratgeber für Sekretärinnen. Sie werden von der Autorin ausführlich gewürdigt.

Kimberly Wilmot Voss’ Beitrag „In Defense of Betty“ wiederum macht sich für die These stark, dass die von Kritik und Publikum gleichermaßen als Hausfrau und schlechte Mutter verachtete, wenn nicht gar verhasste Ehefrau zunächst Don Drapers und später Henry Frances’ „may well have been a role model for women of the 1960s“. In ihrem zweiten Text zeigt sie, dass es entgegen heutiger Annahmen in der Werbebranche der beginnenden 1960er-Jahre nicht unbedingt eine schockierende Vorstellung war, der Stimme einer Frau mehr Autorität zuzusprechen als der ihrer männlichen KollegInnen. „Mad Men“ zeichne sich zudem gegenüber anderen Erzeugnissen der „popular cultur“ dadurch aus, dass die Serie in der Beziehung zwischen Joan Holloway und Peggy Olson auf das in vergleichbaren Produktionen übliche „catfight framework“ oder eine „women-against-women presentation, which has marginalized the concept of feminism“ verzichtet.Die beiden Mitarbeiterinnen des fiktiven Werbeunternehmens Joan und Peggy mögen zwar in so mancher Angelegenheit verschiedener Auffassung sein oder mit sexueller Belästigung unterschiedlich umgehen, „but they have a bond based on gender“. So mache gerade „Joan and Peggy’s lack of catfighting“ ihre Beziehung für das Publikum so interessant.

Dem Verhältnis dieser beiden Figuren geht Tracy Lucht in dem Beitrage „Sisterhood in the ’60s“ weiter auf den Grund. Er ist einer der lesenswertesten Texte des Bandes. Lucht zufolge verkörpern die beiden für die Serie so zentralen Frauenfiguren zwei weibliche Emanzipationsdiskurse der Zeit. In Joan macht sie ein „Cosmo Girl“ aus, wie es von Helen Gurley Brown, der späteren Cosmopolitan-Herausgeberin in ihrem 1962 erschienenen Buch „Sex and the Single Girl“ propagiert wurde. Peggy wiederum sei die Personifizierung des von Betty Friedans Buch „The Feminine Mystique“ (1963) initiierten „libreral feminsm“. Beiden Konzepten wohnen der Autorin zufolge spezifische Mängel inne, die im Verhalten der beiden Figuren hervortreten: „Liberal feminism leaves the structure of the working place intact, including class distinction and professional hierarchies, while Cosmo Girl discourse remains problematically rooted in male chauvinism.“ Lucht analysiert das Verhältnis der beiden Figuren – und somit der Emanzipationskonzepte – als dialektisches, das schließlich in der Synthese der zweiten Frauenbewegung kulminiere. Auf eine dunkle und provozierende Weise mache die Fernsehserie so einen „evolutionary step forward on the exploration of feminist perspectives on television“.

Zwar erklärt Joan Marcellus, die Antwort auf die oft diskutierte Frage, „whether Mad Men’s depiction liberates women by raising consciouness or reinforces stereotypes“, hänge von „the viewer’s awareness“ ab, doch sind sich die vier Autorinnen darin einig, dass die Serie „a textual narrative“ präsentiert, „that one can read as breaking stereotypes even as it appears to reaffirm them“.

Titelbild

Erika Engstrom / Kimberly Wilmot Voss / Tracy Lucht / Jane Marcellus: Mad Men and Working Women. Feminist Perspectives on Historical Power, Resistance, and Otherness.
Peter Lang Verlag, New York, Washington DC, Frankfurt a. M. 2014.
195 Seiten, 74,00 EUR.
ISBN-13: 9781433124198

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