Die Deckfarbe Braun
Der 1933 emigrierte Kunstkritiker Paul Westheim versuchte mit seinem Fortsetzungsroman „Heil Kadlatz“ dem Naziregime auf satirische Weise beizukommen
Von Beat Mazenauer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseNach der Niederlage 1918 herrscht in Deutschland Depression. Das Land steckt im Umbruch, es fehlt das Vertrauen in jedwede Führung. Nur der Hausmeister bleibt, was er immer war: ein Tyrann über eine Handvoll Stockwerke. Kadlatz ist einer von ihnen: Eine joviale Berliner Schnauze mit anrüchiger Vergangenheit. Er versteht es, stets auf die Füße zu fallen und sich irgendwie erfolgreich duchzuwursteln. Die eigene Tochter verhökert er an eine Nackttanzbar, mit der er Kasse machen möchte. Seine Strategie zielt ganz auf Selbsterhalt, deshalb ist er strikt „überpolitisch“. Kadlatz hält sich ans Reelle, also an die Kohle. Was braucht es dafür Politik? „Det Reelle an die Politik ist bloß de Partei“, also sammelt er Parteibücher aller Couleur, um sich Optionen offen zu halten. Kurzum: Kadlatz ist der klassische Opportunist, dem jede schiefe Begründung zupass kommt, auch wenn er sie gar nicht versteht. Der Profit heiligt die Mittel. Legal handelt, wer nicht erwischt wird.
Noch gewiefter handelt sein Spezi Wicksberg. Während der Betrug mit einer Bauspargenossenschaft diesen nur in die Bredouille bringt, wandert Kadlatz dafür ins Kittchen. Als sie sich später wiedersehen, trägt Wicksberg alias Baldur Stolzenberg (nach dem nötigen Namenswechsel) eine Naziuniform: „Braun ist eine hervorragende Deckfarbe“, hat er schon in Naturkunde gelernt, was schließlich auch Kadlatz überzeugt.
Zu ihnen gesellt sich die Gemüserin Pelchau aus der Zietenstraße. Ihr Geschnorr verbreitet Nazihetze mit unverfrorener „Sag ick ja immer“-Naivität, dass es eine Frage der Zeit ist, bis sie zur Führerin der braunen „Grünkram-Front“ avanciert; sogar ihre Orangen wurzeln in deutschem Boden.
In Paul Westheims satirischem Sittenbild erwacht das spießige Berliner Milieu zu nationalem Größenwahn. Heil Kadlatz erschien 1935/36 als Fortsetzungsroman in der Emigrationszeitung „Pariser Tageblatt“. Diese Form der Publikation ist dem Buch anzumerken. Es lässt eine strenge Struktur vermissen, vielmehr reiht es Anekdoten aneinander, die mal zwingend, mal eher lückenhaft miteinander verbunden sind. Literarisch betrachtet ist der Roman kein überragendes Buch. Es enthält Längen in einzelnen Kapiteln und verheddert sich hin und wieder in seiner Detailfülle. Zudem wirkt es stellenweise etwas schnoddrig formuliert, was nicht allein der Berliner Schnauze geschuldet ist.
Das hat freilich Gründe: Der Autor kommt aus der Kunstwissenschaft, der Roman ist für ihn eher eine Sekundärtugend, der er sich umständehalber bedient. Ungeachtet der Mängel gelingt es ihm auf eindrückliche und zuweilen beklemmende Weise, einen bösartig gemütlichen Menschenschlag zu beschreiben, der Jovialität und Totschlagsgesinnung problemlos zu verknüpfen verseht. Als Jude wusste Westheim, wovon er schrieb. Schon 1928 war er von Alfred Rosenberg als maßgeblicher Vertreter der „jüdischen Moderne“ gebrandmarkt worden. Deshalb emigrierte er bereits im Sommer 1933 nach Paris, unter Hinterlassung seiner wertvollen Kunstsammlung, um von dort aus den publizistischen Kampf aufzunehmen. Er wollte den Kontakt mit Deutschland aufrecht erhalten, indem er sich über Briefkontakte und Zeitungen auf dem Laufenden hielt, und indem er Heil Kadlatz für das Pariser Tageblatt verfasste.
Satirisch zugespitzt versucht der Roman einen Sozialtypus zu beschreiben, dem die Nazis unbändige Möglichkeiten zum Aufstieg boten. Der gemeine Spießer und feige Mitläufer wurde auf einmal zum Motor einer Epoche, in der menschliche Werte trotz und wegen der sich bekämpfenden Ideologien nachhaltig zerfielen. Das Berlin, das Westheim schildert, ist voll von Schiebern, Schlaumeiern, Hochstaplern und Duckmäusern, die sich die Welt im Pulk der Mehrheit untertan machen. Die Gerüchteküche brodelt, jede dumme Idee findet seine Abnehmer, wie Stolzenberg wider Willen trefflich verrät: „Dummheit, die aus Rasse und Blut kommt, ist die einzig wahre.“ Tausende, Millionen folgten ihr, „teils war es Schwärmerei, teils Phrasenbesoffenheit, manchmal der nationale Geist, manchmal auch bloß der einfältige Geist.“
Westheim erzählt ein paar berückend krumme Argumentationsfiguren, in denen sich Kadlatz und seine Gefährten selbst verfangen, ohne dass sich jemand daran stören würde. Schuld sind die anderen: „‚Das verruchte System‘, diese ‚Schieberrepublik‘, die einen nicht mal in Frieden Schiebern ließ.“ In solch herrlichen, für sich selbst sprechenden Formulierungen schwingt eine bittere Ironie mit, mit der Westheim seine Ohnmacht und seinen Kummer bekundet. Vermutlich auch deshalb bringt er sich wiederholt selbst ins Spiel, andeutungsweise mit Wertungen und gegen Ende explizit als erzählendes Ich. Er bohrt nach, um ja nicht falsch verstanden zu werden ˗ und um gewisse Sachverhalte zu verdeutlichen.
Mit seiner bösen Satire auf die „Hitleriken“ und deren Nachplapperer porträtierte Paul Westheim ein aufgehetztes, heroisiertes Milieu, dem die Nazis ihren Erfolg verdankten. Vielleicht wollte er damit den Deutschen einen Spiegel vorhalten, vielleicht wollte er selbst diesen Erfolg verstehen können. Während Westheims Emigration 1939 von Paris weiter nach Mexiko führte, wo er ein Experte für altmexikanische und mittelamerikanische Kunst wurde, endet für Kadlatz (wie auch für Stolzenberg alias Wicksberg) die Glückssträhne auf tragikomische Weise.
Zum SA-Standartenführer ernannt, lässt sich Kadlatz seine Rassenreinheit amtlich bestätigen. Doch die Zeiten werden unerbittlich, und in diesem Punkt war Bestechung unmöglich. So kommt es wie es kommen muss: Im deutschen Kadlatz steckt ein jüdischer Katzenstein. Kadlatz wird ausgemustert und irrtümlich erschossen. Immerhin erhält er einen „ehrenvollen Nachruf“ aus dem Mund des Führer-Stellvertreters: „Bei allen soldatischen Meutereien hat es einen guten Sinn, dass jeden zehnten Mann, ohne Frage nach schuldig oder nicht schuldig, die Kugel trifft.“ Pech gehabt, Kadlatz, ausgerechnet er war dieser Zehnte.