Analyse eines Klagegesangs

Ein interdisziplinärer Tagungsband beschäftigt sich mit der Entstehung, Entwicklung und Zukunft der Kulturkritik

Von Sebastian MeißnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Meißner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu hektisch, zu oberflächlich, zu substanzlos, zu vergnügungssüchtig, zu naiv: Vor allem Intellektuelle beklagen seit jeher den Verfall von Sitte, Moral und Umgangsformen innerhalb der Gesellschaft. Es ist eine Klagetradition, ein „Früher war es besser“, das als „Kulturkritik“ so alt ist wie die Moderne selbst. Seit der Aufklärung hat sich die Sichtbarkeit des kulturkritischen Gestus „nicht nur in philosophischen, sondern auch in populärwissenschaftlichen Debatten“ erhöht, wie es im Vorwort heißt. So alt, so bekannt. Was jedoch neu ist, sind die Medien und die Inszenierung des Niedergangs. In „Formen der Kulturkritik“ widmen sich die Autoren den neuen Erscheinungsbildern dieses Denkmodells.

Insgesamt 13 Texte, aufgeteilt auf drei Kapitel („Geschichtsphilosophische Grundlagen“, „Affektlagen und Artikulationsmodelle“, „Künstlerische Praxis“) geben einen umfassenden Überblick über Entstehung, Entwicklung und Anwendung und Potenzial der Kulturkritik. Im ersten Teil des Bandes liefert Autor Ralf Konersmann mit seinem Beitrag „Das moralische Momentum der Kulturkritik“ eine umfassende kulturphilosophische Analyse. Beat Wyss vertritt in Auseinandersetzung mit den geschichtsphilosophischen Grundströmungen des Abendlandes mit seinem Beitrag „Säkulare Gnosis. Kritik der Kulturkritik“ die These, dass das traditionelle Leitmedium der Kulturkritik die Schrift sei, was einen inhärenten Selbstwiderspruch ergebe.

Im zweiten Teil des Buches werden vor allem die Affektlagen kulturkritischer Zeitdiagnostiken untersucht sowie die Artikulationsmodelle der kulturkritischen „Pathologiebefunde“ dargestellt. Vor allem die Texte von Norbert Schneider („Was bleibt von Adornos Kulturkritik?“, Wolfgang Ullrich („Kulturkritik als Konsumgut“) sowie Rainer Metzger („Merely interesting. Über Theorie und Theatralik“) sind lesenswert. Der letzte Teil befragt die künstlerische Praxis der Kulturkritik. Die Kunsthistorikerin Verena Krieger zeigt in ihrem Text („Kulturkritik nach der Kulturkritik. Stephan Hubers künstlerische Auseinandersetzung mit den globalen Umbrüchen der Gegenwart in alte Welt – Neue Welt (2009)“), wie die kritische Auseinandersetzung mittels bildender Kunst vor sich gehen kann. Torsten Meyer („Cultural Hacking als Kulturtechnik?“) beleuchtet aus medienwissenschaftlicher Perspektive die Bedeutungsverschiebungen innerhalb des kulturkritischen Diskursfeldes, die von den Digital Natives angetrieben werden. Gerade hier wird deutlich, dass die Veränderungen in diesem Bereich nicht nur technisch und medial, sondern auch ideologisch weitreichende Folgen haben.

Sämtliche Beiträge gehen auf eine interdisziplinäre Fachtagung zurück, die Mitte November 2012 in Karlsruhe veranstaltet wurde. Gerade die Vielfalt der Perspektiven und Anliegen machen diesen Band zu einer bunten und horizonterweiternden Lektüre und gibt Lesern neben vielen Antworten vor allem da Rüstzeug mit auf den Weg, eigene Fragen zu formulieren.

Titelbild

Daniel Hornuff / Sebastian Baden / Christian Bauer (Hg.): Formen der Kulturkritik.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2018.
238 Seiten, 69,00 EUR.
ISBN-13: 9783770555611

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