In „Lästige Liebe“ ist „Meine geniale Freundin“ bereits angelegt

Elena Ferrantes Debütroman von 1992 in einer Neuübersetzung von Karin Krieger

Von Claudia BambergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Claudia Bamberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1992 erschien im römischen Verlag edizioni e/o unter dem Titel L’amore molesto Elena Ferrantes erster Roman, der bereits zwei Jahre später ins Deutsche übersetzt wurde (von Stefan Wendt für den Fischer Verlag). Damals wurde von dem Buch hierzulande nicht allzu viel Notiz genommen. Erst jetzt, nach dem überwältigenden Erfolg von Ferrantes Neapel-Tetralogie, die von der Freundschaft zwischen Elena und Lila erzählt, wird ihrem Erstling, der nun in einer Neuübersetzung von Karin Krieger vorliegt, auch in Deutschland mehr Aufmerksamkeit zuteil.

Beim Lesen oder Hören zeigt sich schnell, dass in Lästige Liebe viele Themen und Motive der Tetralogie bereits angelegt sind. Alles dreht sich auch hier um die Beziehung zweier Frauen: die Beziehung von Delia, der Ich-Erzählerin, zu ihrer gerade verstorbenen (oder ermordeten?) Mutter Amalia. Delia versucht nun, nach deren mysteriösem Verschwinden, ihr Verhältnis aufzuarbeiten, durch Erinnerungen, Begegnungen und Nachforschungen, die sie durch Neapel, ihre Heimatstadt und Wohnort ihrer Mutter, treiben lassen. Vieles, was sie nun erfährt, ist aufwühlend, verstörend und irritierend; Delia muss feststellen, dass sie sich nicht mehr sicher sein kann, ob sie überhaupt wusste, wer ihre Mutter eigentlich war. Vor allem muss sie sich zunehmend fragen, wer sie selbst ist und wie viel von ihrer Mutter in ihr steckt, wo ihre Formen aufhören und die der Mutter beginnen – der Tausch und das Spiel mit Amalias Kleidungsstücken sind ein Beispiel für die fortlaufende Durchdringung der Identitäten, die die Ich-Erzählerin imaginiert und immer wieder bewusst-unbewusst selbst inszeniert. Dabei ist der Wunsch nach Abspaltung von der Mutter groß: So hatte sich Delia

im Laufe der Jahre aus Hass, aus Angst, gewünscht […], jede ihrer Wurzeln, auch die tiefsten, loszuwerden: ihre Gesten, ihren Tonfall, ihre Art, nach einem Glas zu greifen oder aus einer Tasse zu trinken, ihre Art, sich einen Rock anzuziehen oder ein Kleid, die Anordnung der Gegenstände in ihrer Küche, in ihren Schubfächern, die Art, wie sie sich ihre intimsten Körperteile wusch, ihre Vorlieben beim Essen, ihre Abneigungen, ihre Begeisterungen und dann auch ihre Sprache, ihre Stadt, ihren Atemrhythmus.

[…] Was für eine naive, gedankenlose Schönfärberei war der Versuch gewesen, diesen erzwungenen Austritt aus dem Körper einer Frau als ‚Ich‘ zu bezeichnen, obwohl ich so gut wie nichts mitgenommen hatte! Ich war überhaupt kein Ich. Und ich war irritiert.

Bei ihrer Suche nach der wahren Identität von Amalia und damit auch nach der eigenen – falls es sie überhaupt geben sollte – gerät Delia immer tiefer in den Strudel von Gewalt und männlichem Sexismus, der schon ihre Kindheit in Neapel und damit auch das Leben der Mutter geprägt hat, indem die Männer mit ihren sexuellen Gelüsten dieser den „Körper […] stehlen“ wollten. Sie stößt auf die große Armut und auf den vermeintlichen Liebhaber ihrer Mutter, Caserta, mit dem diese sich in der letzten Zeit wiederholt getroffen hatte. Verdrängte Erinnerungen steigen in Delia auf und verflüchtigen sich wieder, ebenso wie phantasierte, surreale Situationen; immer wieder treibt Delia die Frage um, was das alles mit ihr selbst, die inzwischen – sie ist Mitte 40 – als Comiczeichnerin in Rom lebt, zu tun hat, bis sie schließlich zu einem erschütternden Schluss kommen muss.

Das Verblüffende dabei ist, dass in Amalia schon deutlich Lila, die faszinierend-geniale Figur und das eigentliche Kraftzentrum der Neapel-Tetralogie, präfiguriert ist. Denn wie Lila sich fortlaufend den gewaltsamen Blicken und Zugriffen von außen entzieht, um ihr Eigenstes zu bewahren und vor Missbrauch zu behüten, wird auch Delia durch ihre Erinnerungsarbeit immer deutlicher, dass sich ihre schöne Mutter im Verlauf ihres Lebens dem Zugriff von außen – vor allem von Männern – immer stärker entzogen hat, um sich selbst vor deren gewaltsamen Projektionen und vor Fremdbestimmung zu schützen. Als ihr Ehemann beginnt, sie zu zeichnen und in schlecht gemachten, anzüglichen Bildern, die er vor allem an Männer verschachert, reproduzieren will, um sich so ihrer Person ganz zu bemächtigen, entzieht sich ihm Amalia mehr und mehr, bis sie sich schließlich von ihm trennt. Ihr lebensfrohes Wesen, das ihr Mann aus Eifersucht nicht ertragen kann und das er durch physische Gewalt sowie seine schlecht gemachten Zeichnungen zu bändigen versucht, hat sie so seinem Machtbereich entzogen. Dazu musste Amalia wie Lila aus den Konventionen ausbrechen, die eine Unterordnung und ein Sich-Fügen von ihr erwartet hätten.

Einige der zentralen Fragen, die Ferrante später in ihrer Tetralogie meisterhaft gestalten wird, sind damit bereits in Lästige Liebe zu finden: Wo sind die Grenzen meines Ich, wo die des anderen? Was haben die Formen und Konturen des anderen mit mir und den meinigen zu tun – was macht meine Identität aus und wie kann ich sie vor gewaltsamen Zugriffen von außen schützen? Kann ich überhaupt von einer solchen eigenen Identität sprechen – kann sie in der Zeit und unter anderen Menschen überhaupt Bestand haben? Dabei ist auch an das plötzliche, mysteriöse Verschwinden von Menschen zu denken, an ihre Auflösung, ihre Vergänglichkeit, und die verstörenden Spuren, die sie bei den Hinterbliebenen zurücklassen. Zudem erinnern die schonungslos brutalen Milieuschilderungen im armen Neapel schon deutlich an die Gewaltexzesse, an die ständige Bedrohung des eigenen physischen wie psychischen Ich, die den Alltag im Rione prägt, wo Elena und Lila aufwachsen – eine Bedrohung, die auch vor den kleinen Kindern keinen Halt macht und die besonders bei Lila eine existentielle Urangst auslöst.

Allerdings wirken all diese Motive in Lästige Liebe noch etwas unausgereift; man merkt dem Roman das Gemachte, zuweilen auch das Gewollte an – als wäre er eine Fingerübung. Vieles wirkt darum auch überzogen, ist zu psychologisierend, zu vorhersehbar. Anders gesagt: Bei aller psychologischer Raffinesse, die sich in Lästige Liebe bereits erkennen lässt, fehlt dem Roman doch genau das, was die meisterhafte Erzählkunst Ferrantes später ausmachen wird: Die große Komposition, der lange Atem und die überaus große Souveränität der Erzählerin, die Ferrantes Tetralogie zu einem Werk von weltliterarischem Rang macht. Auch ist in Ferrantes Debütroman das Kraftzentrum, wie Lila eines sein wird, noch nicht so gestaltet, dass es den Roman ganz tragen könnte: Amalia vermag noch nicht die zu enträtselnde, faszinierende Naturgewalt zu sein, die bis zum Schluss für die Sogwirkung der Erzählung verantwortlich ist. Und während das reichhaltige Figurenarsenal der Tetralogie aus dem prallen Leben schöpft und eine ganze Welt entstehen lässt, ein einzigartiges gesellschaftliches und menschliches Panorama, wie es alle großen Romane vermögen, bleiben die Figuren in Lästige Liebe berechenbar und vielleicht gerade dadurch nur Schatten oder Konturen – wobei sie indessen vielleicht genau dies (und nicht mehr) sein sollen. Die unermessliche Tiefe jedenfalls, die die vier Bände der Neapel-Tetralogie so unerschöpflich macht, muss man in Ferrantes Debüt noch vermissen.

Eva Mattes hat auch dieses Hörbuch wieder grandios eingelesen, mit der ihr eigenen Intensität und Spannung. Hat man Ferrantes Romane einmal mit ihrer Stimme gehört, kann man sich diese kaum mehr daraus wegdenken.

Titelbild

Elena Ferrante: Lästige Liebe.
Gelesen von Eva Mattes.
Übersetzt aus dem Intalienischen von Karin krieger.
Der Hörverlag, München 2018.
4 CDs, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783844531060

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Elena Ferrante: Lästige Liebe. Roman.
Übersetzt aus dem Italienischen von Karin Krieger.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018.
207 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783518428283

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