Westfalens Außerirdische

In seinem Band „Aliens welcome!“ stellt Walter Gödden Science-Fiction-Literatur mit regionalem Bezug vor

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Science-Fiction wird vermutlich überall auf der Welt geschrieben, ganz sicher aber in Westfalen. Den einschlägigen Erzeugnissen der Region hat Walter Gödden nun einen dickleibigen Band von mehr als 600 Seiten Umfang gewidmet. In sechzig Kapiteln stellt er Romane, Kurzgeschichten und andere Texte vor, die in den Jahren 1922 bis 2018 von „rund zwei Dutzend“ mit der Region verbundenen SchriftstellerInnen verfasst wurden. Unter ihnen „ganze drei“ Autorinnen. Denn „Science-Fiction in Westfalen war und ist eindeutig eine Männerdomäne“. Einigen der Herren sind gleich mehrere Kapitel gewidmet. Ulrich Horstmann beispielsweise drei, Heinrich Schirmbeck vier, Thomas R. P. Mielke fünf und Werner Zillig gar sieben. Mit der Heft-Serie Perry Rhodan befasst sich Gödden ebenfalls in mehreren Kapiteln. Es sind ihrer vier. Denn „[a]n Perry Rhodan führt kein Weg vorbei“. Zumal einige Westfalen für die Serie schreiben.

Um als AutorIn in Göddens Band aufgenommen zu werden, genügt allerdings auch schon eine losere Verbindung zu Westfalen, etwa dass der Erscheinungsort ihrer Bücher in der Region liegt. Die „geographische Fokussierung“ ergibt dem Autor zufolge „Sinn“, da „[r]egionale Literaturforschung […] genauer hinschauen“ und „ins Detail“ gehen könne. So lasse „[d]ie topografisch eingeschränkte Perspektive […] möglicherweise viele Zusammenhänge plastischer, nachvollziehbarer erscheinen“. Auch hätten „westfälische Autoren das Genre auf ihre Weise mit[geprägt]“. Die Intention seiner Veröffentlichung sei es, „auf solche Zusammenhänge hinzuweisen und der einen oder anderen Entdeckung Vorschub zu leisten“.

Während der Lektüre rufen die überaus langen Zitate und Textauszüge aus den vorgestellten Werken ein ums andere Mal Verwunderung hervor. Nicht selten nehmen sie in den jeweiligen Abschnitten mehr Raum ein als Göddens eigener Text. Nach ein paar dürftigen Vorbemerkungen zu Schirmbecks Essay Eros, Weltraum, Science Fiction (1964), die gerade einmal ein halbe Seite füllen, reiht er beispielweise über fast fünf Seiten hinweg kommentarlos Zitate aus Schirmbecks Text aneinander. Im Nachwort deklariert Gödden den auf der Rückseite des Titelblattes als „Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung im Literaturmuseum Nottenbeck“ ausgewiesenen Band dann beiläufig als „Materialienbuch[.]“. Es soll dies wohl die seitenlangen Wiedergaben von Auszügen aus den vorgestellten Texten rechtfertigen. Mehr Analyse und dafür kürzere Textauszüge und paraphrasierende Nacherzählungen wären dennoch wünschenswert gewesen.

Bestimmte Qualitätskriterien muss ein Werk nicht erfüllen, um von Gödden vorgestellt zu werden. Der Roman Flug in die Sterne (1929) des späteren „Paradeautor[s]“ und „Vorzeigeautor[s] der NS-Bewegung“ Walter Vollmer etwa wurde in den Band aufgenommen, obwohl es sich Gödden zufolge um „schlechte[n] Trash“ handelt, „der kein Klischee auslässt“ . Warum er dennoch vorgestellt und über etliche Seiten hinweg zitiert wird, erschließt sich nicht. Eberhard Seitz’ Hilfe aus Andromeda (1958) wiederum ist nichts weiter als eine lüsterne Männerphantasie, in der sich – wie so oft – Sexismus und Rassismus paaren, woran sich Gödden allerdings nicht sonderlich zu stören scheint. Das Buch sei „flott runtergeschrieben“ und lese sich „flüssig“. Zweifellos zu Recht lässt er hingegen kein gutes Haar an Hildegard Mayer-Trees’ Roman Sternsystem NCC 4565 10980 (1980), von dem er sich „mit politischen Meinungen [traktiert]“ fühlt, „wie der, dass der ‚böse’ Sozialismus besiegt und als Irrlehre entlarvt worden“ und „[a]uch die Zeit der Emanzipation der Frau […] zum Glück überwunden“ sei: „Jetzt“, so zitiert er aus dem Roman „war diese scheinbare Befreiung aus dem Joch des Schicksals, der Urbestimmung der Frau, längst wieder ins Lot gesetzt. Das beglückende Gefühl einen Beschützer zu haben, siegte über die Entgleisung der Gesetze.“ Angesicht der immer wirrer werdenden Handlung „bittet“ Gödden schließlich um Nachsicht dafür, dass er „etwa in der Mitte des Romans aus der Lektüre ausstieg“. Man kann es ihm nicht verübeln. Wieso aber malträtiert er dann die Lesenden über zehn Seiten hinweg mit dem offenbar ziemlich üblen Machwerk?

Neben derlei – es lässt sich nicht anders sagen – unerträglichem Zeug hat Gödden allerdings auch einige interessante Fundstücke entdeckt. So etwa Sabine Wedemeyer-Schwierschs „humoristische Erzählung“ Von der Schwierigkeit, vuliworpische Liebeslyrik zu übersetzen (1995). Eine „Dystopie reinsten Wassers“ scheint das satirische Stück allerdings nicht zu sein. Göddens Nacherzählung und die Zitate untermauern seinen Befund jedenfalls nicht. Eine ebenfalls schöne Entdeckung ist Thomas Krügers außergewöhnliches, da in Terzinen verfasstes SF-Gedicht Alarm auf Planet M (2004) mit seinem „Stil- und Genremix quer durch Zeit und Raum“.

Die Heft-Serie Perry-Rhodan stellt Gödden hingegen – vielleicht aufgrund mangelnder näherer Kenntnisse – allzu unkritisch vor. Das erste der ihr gewidmeten Kapitel befasst sich mit dem „Pilot“-Band der Serie. Er trägt den Titel Unternehmen Stardust (1961), der von Gödden allerdings nicht genannt wird. Das mag daran liegen, dass er nicht das Heft selbst zur Hand genommen hat, sondern einen gebundenen Nachdruck der sogenannten Silberband-Edition aus dem Jahr 1978, der unter dem Titel Die dritte Macht erschien und den Inhalt mehrerer Original-Hefte in gelegentlich leicht überarbeiteter Form bietet. Aufmerksam gelesen dürfte Gödden ihn nicht haben, sonst wäre ihm nicht entgangen, dass es sich bei der besagten Dritten Macht nicht um eine „Allzweckwaffe“ handelt, in deren „Besitz“ Rhodan gelangt ist, sondern um eine Macht, die Rhodan im Handlungsjahr 1971 neben den beiden Supermächten USA und UDSSR etabliert. Der Arkonide Crest wiederum ist nicht „de[r] wichtigste[.] Arkanoide überhaupt“, sondern einfach ein Wissenschaftler. Auch ansonsten ist Gödden mit der Serie wenig vertraut. So gehört Atlan nicht „im weitläufigsten Sinn dem Volk der Arkanoiden an“, sondern stammt aus einer arkonidischen Herrscherfamilie. Auch ist Rhodans spätere Unsterblichkeit nicht „übernatürlichen Kräften“ zu verdanken, sondern der Superintelligenz Es. Und die Dragon-Hefte sind kein „Ableger“ von Perry Rhodan, sondern eine überwiegend von Perry-Rhodan-Autoren verfasste Fantasy-Serie.

Für das Perry-Rhodan-Heft 2391 Die schwarze Zeit (2013), dessen Verfasser Wim Vandemaans er als „souveräne[n] Erzähler“ preist, ist Gödden voll des Lobes. Es sei nicht nur mit „viel erzählerische[r] Raffinesse“ geschrieben, sondern auch eine „mit praller Action gefüllte Geschichte“, in der es dem Autor „gelingt“, „plastische Einzelakzente zu setzen“, was er anhand zweier jeweils mehrere Seiten umfassender Zitate wenig überzeugend zu belegen versucht.

Gödden hat sein oft launig geschriebenes Buch chronologisch aufgebaut. Mit Hugo Wolfgang Philipps Erzählung Der Sonnenmotor stammt das erste aufgenommene SF-Buch westfälischer SF-AutorInnen zwar erst aus dem Jahr 1922. Der Untertitel des vorliegenden Bandes Science-Fiction-Literatur aus Westfalen 19042018 gründet jedoch darin, dass das in Minden ansässige Verlagshaus C.C. Bruns bereits 1904 Werke des Engländers H. G. Wells und des aus Danzig stammenden Literaten Paul Scheerbart verlegte.

Anspruch auf Vollständigkeit erhebt Göddens Buch ausdrücklich nicht. Dennoch fällt ins Auge, dass kein Werk aus der Zeit des Nationalsozialismus aufgenommen wurde. Warum das so ist, wird nicht erläutert. Möglicherweise hat der Autor keine einschlägigen Titel ausfindig machen können.

Jedenfalls räumt er freimütig ein, dass ihm das Genre ausgesprochen fremd war, bevor er sich für den vorliegenden Band mit ihm befasste. Man glaubt ihm das unbesehen, denn seine allgemein offenbar recht geringen Kenntnisse der Science Fiction machen sich immer wieder negativ bemerkbar. So etwa, wenn er meint, es liege „ in der Natur des Genres“, dass „viel technisches Brimborium herbeizitiert wird“. Ein Blick in die SF-Literatur von James Tiptree jr. und zahlreicher anderer herausragender SF-Autorinnen sowie nicht weniger Autoren hätte ihn da eines Besseren belehren können.

Wohl um seine geringen Kenntnisse des Genres auszugleichen, bedient er sich – allerdings ohne dies immer kenntlich zu machen – recht ungeniert bei anderen AutorInnen. So heißt es beispielsweise in dem Wikipedia-Artikel zur deutschen Fernsehserie Raumpatrouille – Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion über die aus der Serie hervorgegangene Romanreihe Raumschiff Orion: „Die Autoren stammten aus dem Umfeld der ‚Perry Rhodan‘-Serie, ein großer Teil der Romane wurde von Hanns Kneifel verfasst, der die ersten 41 Titel mit einer Ausnahme im Alleingang produzierte“ (abgerufen am 3. April 2020). Und Gödden formuliert allzu ähnlich: „Die Autoren stammten teilweise aus dem Perry-Rhodan-Umfeld, die überwiegende Zahl der Romane wurde aber von Hanns Kneifel verfasst, der die ersten 41 Raumpatrouille-Titel mit einer Ausnahme im Alleingang verfasste.“

Dabei führen zwei von Gödden eingefügte Wörter zu ebenso vielen Unschärfen, wenn nicht gar Fehlern. Zum einen ist das von ihm hinzugesetzte „aber“ fehl am Platz. Denn auch Kneifel schrieb über etliche Jahre hinweg für Perry-Rhodan. Zum anderen firmierte die Romanreihe nicht unter dem Titel Raumpatrouille, sondern als Raumschiff Orion.

Man muss Gödden zugutehalten, dass er völlig uneitel ein räumt, wenn er einmal „viele Zusammenhänge [ein]es Buches nicht ganz verstanden“ hat, wie im Falle von Zilligs Roman Die Parzelle (1984). Tiefe Analysen der vorgestellten Werke bietet er kaum einmal. Allenfalls dass er über die Erzählungen in Dietrich Wachlers Band Molekularisches (1990) sagt, sie „geben Rätsel auf und streifen Bereiche des Unterbewusstseins. Negativ konnotierte archetypische Bilder scheinen aus traumatischen Tiefen hervorzudringen.“ Noch seltener geht er auf stilistische Fragen ein. Tut er es doch einmal, hat er durchaus Erhellendes zu sagen. So etwa im Abschnitt über Zilligs Der neue Duft (1989), in dem er die Novelle verhältnismäßig ausführlich und vor allem plausibel als eine parodistische „Weiterdichtung“ von Thomas Manns Novelle Tod in Venedig interpretiert, die Manns „veredelte[n] und gelegentlich marinierte[n] Stil […] bis in die feinsten Verästelungen der Syntax imitiert, ja durch eine nochmalige Steigerung bis zur ornamentalen Gespreiztheit persifliert“.

Sollte man zu Walter Göddens Buch über die Science-Fiction-Literatur aus Westfalen greifen, was man durchaus tun kann, so empfiehlt es sich nicht, die sechzig Abschnitte des Bandes hintereinander herunterzulesen. Das wäre sehr ermüdend und würde den interessanteren der vorgestellten Werke nicht gerecht.

Titelbild

Walter Gödden: Aliens welcome! Science-Fiction-Literatur aus Westfalen 1904–2018.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2019.
604 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783849813932

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