Paul Celan und Ingeborg Bachmann

Die langjährige Liebes- und Arbeitsbeziehung eines Dichterpaares – mit der „Fremde als Bestimmung“

Von Simone FrielingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simone Frieling

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vorbemerkung der Redaktion: In Ihrem kürzlich erschienenen Buch „Dichterpaare. Lass uns Worte finden…“ (siehe die Angaben unter folgendem Beitrag!) widmet sich die Malerin und Autorin Simone Frieling, Mitarbeiterin auch in literaturkritik.de, den legendär gewordenen Liebes- und Arbeitsbeziehungen zwischen „drei ganz verschiedenen Paaren“, die, wie sie in ihrem Vorwort andeutet, „jedoch eines gemeinsam haben: Sie suchen Worte – die Worte, die große Literatur ausmachen und der Verständigung von Liebenden dienen.“
Es geht um die Beziehungen zwischen Franz Kafka und Milena Jesenská, Boris Pasternak und Olga Iwinskaja, Paul Celan und Ingeborg Bachmann. Eine weitere Gemeinsamkeit dieser drei Beziehungen hebt Simone Frielings Vorwort hervor: „Die drei Männer waren alle Juden, jeder auf seine Weise in seiner Zeit: Kafka ohne Glauben, Pasternak eher Christ als gläubiger Jude, Celan ein Suchender bis zu seinem Ende.“
Der Geburtstag von Paul Celan vor 100 Jahren, am 23. November 1920, war für uns ein Anlass, Simone Frieling um Antworten zu einigen Fragen zu bitten, die seine langjährige, doch hochproblematische Beziehung mit Ingeborg Bachmann betreffen. Wir danken ihr für die Bereitschaft dazu und dem Verlag ebersbach & simon für die Genehmigung zur Veröffentlichung der vielfach wörtlichen Rückgriffe auf Passagen in ihrem Buch.
T.A.

 

Wann und wo haben sich Paul Celan und Ingeborg Bachmann erstmals kennen und lieben gelernt?

Frieling-BachmannBachmann begann ihr Studium in Innsbruck schon im Herbst 1945. Sie war froh, ihrer Geburtsstadt Klagenfurt den Rücken kehren zu können. Mit dem Mut und der Vitalität eines begabten jungen Menschen zog sie hinaus in die Welt: „Ich werde studieren, arbeiten, schreiben! Ich lebe ja, ich lebe. O Gott, frei sein und leben, auch ohne Schuhe, ohne Butterbrot, ohne Strümpfe, ohne, ach was, es ist eine herrliche Zeit!“ Engen Kontakt zur Familie hielt sie trotzdem aufrecht. Überhaupt suchte sie in ihrem Elternhaus in der Henselstraße bis zu ihrem Lebensende immer wieder Schutz und vertrauensvolle Gespräche mit der Mutter.

Im April 1946 setzte sie das Philosophiestudium in Graz fort, für das Wintersemester 1946/47 gelang es ihr, sich in der Wiener Universität zu immatrikulieren. Bevor sie nach Wien aufbrach, hatte sie schon Kontakte zu literarischen Institutionen aufgenommen. Mit dem aus dem Exil in der Schweiz zurückgekehrten Hans Weigel machte sie sich am 5. September 1947 selbst bekannt. Der um achtzehn Jahre ältere Literaturkritiker und Essayist verguckte sich gleich in das junge Mädchen: Er wurde Bachmanns Wiener Mentor und Geliebter. Durch ihn lernte sie den Künstlerkreis kennen, der sich regelmäßig im Café Raimund traf, und befreundete sich mit Ilse Aichinger. In der Künstlerszene Wiens Fuß zu fassen und ihre Dissertation über Martin Heidegger voranzubringen, nahm ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.

Frieling-CelanAls sich der einflussreiche Mentor Hans Weigel im Mai 1948 von Freunden und Künstlern verabschiedete – er hatte ein Stipendium für einen mehrmonatigen Aufenthalt in New York bekommen –, berichtete Ingeborg ihren Eltern in einem Brief darüber: „Gestern noch unruhige Besuche bei Dr. Löcker, Ilse Aichinger, Edgar Jené (surrealistischer Maler), wo es sehr nett war und ich den bekannten Lyriker Paul Celan etwas ins Auge fasste“. Drei Tage später, am 20. Mai, schrieb sie: „Der surrealistische Lyriker Paul Celan, den ich bei dem Maler Jené am vorletzten Abend mit Weigel noch kennenlernte und der sehr faszinierend ist, hat sich herrlicherweise in mich verliebt, und das gibt mir bei meiner öden Arbeiterei doch etwas Würze. Leider muss er in einem Monat nach Paris. Mein Zimmer ist momentan ein Mohnfeld, da er mich mit dieser Blumensorte zu überschütten beliebt“.

Die Geschichte ihrer langjährigen Liebesbeziehung ist zugleich eine Geschichte vieler, oft lange andauernder Trennungen. Lässt sich knapp skizzieren, wie oft und wann sie vereint und entzweit waren?

Fast müsste man umgekehrt fragen: Haben die beiden überhaupt zusammen gelebt? Das haben sie im eigentlichen Sinn nicht. Ihr Zusammensein hatte entweder etwas Zufälliges oder Provisorisches. Als die Liebe in Wien im Mai 1948 begann, stand sie gleich schon unter dem Zeichen der Trennung: Sechs Wochen blieben dem Paar bis zum Aufbruch Celans nach Paris. Einander richtig kennenzulernen, fehlte die Zeit; starke Gefühle mussten hervorgezaubert werden, die Intensität der Liebe musste für den Zeitmangel entschädigen. Mohn und Gedichte spielten dabei eine große Rolle, eine noch größere Celans Leidensgeschichte, auf die Bachmann mit tiefem Mitleid reagierte. 

Gut zwei Jahre nach ihrer ersten Trennung fuhr Bachmann dann nach Paris. Das war am 14. September 1950. An Celans Zimmertür fand sie nur einen Zettel mit der Nachricht, dass er bei einem Schüler sei. Die beiden Ähnlichen hielten es nicht lange miteinander aus in Celans Zimmer im Hôtel d‘Orléans, in dem er schon seit seiner Ankunft 1948 hauste. „Als die Ehe strindbergisch wurde“, wie Bachmann es witzig an Hans Weigel weitergab, nahm sie – nach vier Wochen – Reißaus und fuhr weiter nach London.

Die dritte Begegnung zwischen Celan und Bachmann fand in Niendorf an der Ostsee statt, dort tagte die Gruppe 47 vom 23. bis zum 25. Mai 1952. Von einem Zusammenleben kann hier gar nicht die Rede sein! Celan kam einzig aus Karrieregründen; er hatte sich zwischenzeitlich in Paris mit der Französin Gisèle de Lestrange verlobt. Er schrieb ihr während seiner Lesereise aus Deutschland: „Ich habe in Hamburg eine kleine zwanzigminütige Sendung aufgenommen, die wir uns in Paris gemeinsam anhören können – das hat mir 400 DM eingebracht“. Man habe ihm auch weitere Lesungen in Frankfurt und Stuttgart in Aussicht gestellt: „Dies wird uns vielleicht erlauben unseren Ehebund früher zu schließen, ma chérie, ich denke die ganze Zeit daran“. Ingeborg Bachmann, die Celan wieder für sich gewinnen wollte, wusste nichts von der Verbindung. Sie suchte Celan in seinem Hotelzimmer auf, und der versuchte, sie mit Andeutungen über eine andere Frau für immer loszuwerden.

Unverhofft – nach fünfeinhalb Jahren – trafen sich Bachmann und Celan im Oktober 1957 bei der Tagung der Wuppertaler „Gesellschaft zur geistigen Erneuerung“, die kurz „Der Bund“ genannt wurde. Celan war zum zweiten Mal in Wuppertal, trotzdem war er nervös. Die öffentlichen Anschuldigungen Claire Golls, er sei ein „bloßer Plagiator“, der sich der Gedichte ihres Mannes Yvan Goll bedient habe, hatten ihn tief verunsichert. In dieser Verfassung sah er Ingeborg Bachmann wieder, die inzwischen nicht nur eine erfolgreiche Autorin und selbstbewusste Frau geworden war, sondern ein Star der deutschsprachigen Literaturszene.

Ihre beiden Gedichtbände Die gestundete Zeit und Anrufung des großen Bären hatten ein großes Publikum begeistert. Für weitere Popularität sorgte 1954 Der Spiegel, indem er ihr Gesicht – sie war nicht kamerascheu – auf seiner Titelseite präsentierte.

Bachmann hatte zwischenzeitlich in Rom gelebt, für Radio Bremen und die Westdeutsche Allgemeine Zeitung dort als Korrespondentin gearbeitet, sie hatte Literaturpreise bekommen, auch den begehrten Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen, war im Sommer 1955 Stipendiatin der Harvard Summer School gewesen, hatte in Cambridge Siegfried Unseld, ihren späteren Verleger, kennengelernt und pflegte eine Art Freundschaft mit dem Programmdirektor der Summer School Henry Kissinger. Kurz: Sie war gefragt, vielfach beschäftigt und eine weltgewandte Frau.

Jetzt erschien Celan diese Frau begehrenswert, ihre Aura unwiderstehlich. Der Mann, der sie in früheren Briefen „vor einem gewissen Erfolg“ hatte warnen wollen, war nun von ihrem Erfolg und ihrem Auftreten elektrisiert. Noch in Wuppertal offenbarte Celan ihr seine Liebe, und es wurde ein weiteres Treffen in Köln vereinbart. Dort entstand das Gedicht Köln, Am Hof, das mit dem Wort „Herzzeit“ beginnt und den Anfang einer ganzen Reihe von Liebesgedichten markiert, die Celan wie im Rausch schrieb. Als das Paar sich trennen musste, nahm Celan der Geliebten das Versprechen ab, sie bei seinen zukünftigen Lesereisen in Deutschland besuchen zu dürfen.

Die Kurzbesuche Celans bei Bachmann belasteten seine Ehe ungeheuer. Und Ingeborg begann sich immer mehr mit Gisèle zu identifizieren. Auf keinen Fall wollte sie, dass Celan seine Familie verlässt. Schließlich reiste sie im Juni 1958 selbst nach Paris, um klärende Gespräche mit ihm zu führen. Nach stundenlangen, quälenden Aussprachen, die auch in der Wohnung des Ehepaars Celan-Lestrange stattfanden, waren beide breit, am 2. Juli die Liebesbeziehung zu beenden.

Um zu der eingangs gestellten Frage zurückzukommen: Celan und Bachmann verbrachten in einer 10 Jahre anhaltenden Beziehung, die streckenweise keine Liebesbeziehung war, weniger als 3 Monate zusammen.

Was hat sie gegenseitig so stark angezogen und was war an dieser Liebesbeziehung so problematisch?

Celan und Bachmann waren davon angezogen, in der Geliebten, in dem Geliebten „die Andere“ und „den Anderen“ zu sehen. Das Fremde, Andere versprach ihnen ein neues Lebensgefühl: neue Gedanken, einen Blick auf eine zukünftige Welt, die vorhandene lag ja in Trümmern. Die Nachkriegswelt erschien ihnen trostlos und gleichzeitig war sie aufregend geworden durch ihre Liebe. Man darf nicht vergessen, dass auch im Mai 1948 Europa noch ‚am Boden zerstört‘ war. Die Stadt Wien, in der sie sich verliebten, war eine Trümmerstadt, wie in dem berühmten Film Der Dritte Mann von Carol Reed zu sehen ist, der eben um diese Zeit gedreht wurde. Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen waren durch die Diktatur Hitlers weitgehend aufgelöst worden. Millionen von Menschen waren heimatlos geworden, eine Völkerwanderung in unbekanntem Ausmaß war die Folge. Auch Celan war einer dieser Heimatlosen. Celan und Bachmann, die beiden angehenden Dichter, waren sich ihrer Machtlosigkeit im politischen Sinne wohl bewusst. In ihrer Liebe zueinander aber waren sie machtvoll.

Und diese Diskrepanz barg auch ein Unglück: Celan wollte von Anfang an die jüngere, unerfahrenere Frau anleiten, das Leben so zu sehen, wie er es sah. Sie ließ sich eine Zeit lang auch bereitwillig darauf ein. Dabei hat Celan erstaunlicherweise in Bachmann viel mehr das Konventionelle gesucht, Auflösung gab es in seinem bisherigen Leben genug. Sie hingegen hat bei ihm das Unkonventionelle gesucht. Sie ließ sich mehr auf ihn ein als er auf sie – als hätten ihre bisherigen Lebenserfahrungen sie darauf vorbereitet, das Schicksal des fremden Mannes in sich aufzunehmen und zu verarbeiten.

„Für mich bist Du aus Indien“, schrieb sie ihm aus Wien nach Paris, „oder einem noch ferneren, dunklen, braunen Land, für mich bist Du Wüste und Meer und alles was Geheimnis ist. Ich weiß noch immer nichts von Dir und hab darum oft Angst um Dich, ich kann mir nicht vorstellen, dass Du irgend etwas tun sollst, was wir anderen hier tun, ich sollte ein Schloss für uns haben und Dich zu mir holen, damit Du mein verwunschener Herr drin sein kannst, wir werden viele Teppiche drin haben und Musik, und die Liebe erfinden.“

Kindliches – sie war gerade dreiundzwanzig geworden und sagte von sich, sie sei eine romantische Person – wechselte in Bachmanns Zeilen ab mit der tiefen Einsicht, dass ihr das Wesen des geliebten Menschen letztlich fremd blieb. Das empfand sie als eigenes Ungenügen. In typisch weiblicher Weise versuchte sie, den fernen Geliebten zur Öffnung seines Wesens zu bewegen: „Ich sehe mit viel Angst, wie Du in ein großes Meer hinaustreibst, aber ich will mir ein Schiff bauen und Dich heimholen aus der Verlorenheit“.

1948 widmete Celan ihr sein Gedicht „In Ägypten“. Das Gedicht „wird und bleibt Bezugspunkt ihrer Beziehung“. Inwiefern?

Bevor Celan im Juni 1948 nach Paris aufbrach, überreichte er seiner Geliebten das Gedicht In Ägypten in einer Abschrift. Sein Gedicht war ein Geschenk zu Ingeborgs 22. Geburtstag, es sollte ihr über ihren Trennungsschmerz hinweghelfen und ihn für sie unvergesslich machen.

In Ägypten
Für Ingeborg 

Du sollst zum Aug der Fremden sagen: Sei das Wasser!
Du sollst, die du im Wasser weißt, im Aug der Fremden suchen.
Du sollst sie rufen aus dem Wasser: Ruth! Noemi! Mirjam!
Du sollst sie schmücken, wenn du bei der Fremden liegst.
Du sollst sie schmücken mit dem Wolkenhaar der Fremden.
Du sollst zu Ruth und Mirjam und Noemi sagen:
Seht, ich schlaf bei ihr!
Du sollst die Fremde neben dir am schönsten schmücken.
Du sollst sie schmücken mit dem Schmerz um Ruth, um Mirjam und Noemi.
Du sollst zur Fremden sagen:
Sieh, ich schlief bei diesen!

Ingeborg war glücklich: Der Dichter der Todesfuge, die durch ihre eindrücklichen Bilder und kühnen Metaphern später populär und als zentraler Text über die Judenvernichtung in die Deutschen Schulbücher aufgenommen wurde, hatte ihr eines seiner Gedichte gewidmet! Stolz berichtete sie ihren Eltern davon. Denn für sie war In Ägypten das schriftliche Zeugnis, ja das Konzentrat ihrer Liebe. Mit der Rolle „der Fremden“ identifizierte sie sich sofort, kam zukünftig immer wieder auf diese Formulierung zurück. Wie gerne nahm sie die Last des Fremdseins auf sich, in der Hoffnung, Celan dadurch zu entlasten.

Der Lyriker erreichte durch Wortmagie etwas, das ihr erst einmal nicht bedenklich erschien: die Verkehrung der tatsächlichen Verhältnisse. In seiner Allmacht als Dichter war nicht mehr er der staatenlose Jude, sondern sie, die in der Heimat verwurzelte, die Fremde. Ingeborg nahm das ihr Zugeschriebene in doppelter Weise an: als Kunstwerk und als Identität. Von nun an lag das Vertraute hinter ihr, das Fremde wurde allgegenwärtig.

Der überschwänglich Liebenden entging auch, dass sie in eine Reihe von Geliebten gestellt und damit der Einzigartigkeit ihrer Liebe beraubt wurde. Vor ihr hat es Geliebte gegeben, nach ihr wird es sie geben, sie ist nur eine von vielen. Noch dazu wird ihr in einer religiös inbrünstigen Weise aufgebürdet, bei jedem Liebesakt an die ermordeten Jüdinnen zu denken, die vor ihr die Erwählten des Mannes waren. In Ägypten ist ein grausames erotisches Gedicht. Und Celan bürdete Bachmann im Laufe ihrer Beziehung noch Schwereres auf.

Mit diesem ersten Bachmann gewidmeten Gedicht drängte Celan sie nicht nur in die Rolle der Fremden, sondern machte sie auch unumstößlich zu seiner Muse. „Denk an In Ägypten. Sooft ichs lese, seh ich Dich in dieses Gedicht treten: Du bist der Lebensgrund, auch deshalb, weil Du die Rechtfertigung meines Sprechens bist und bleibst“, schrieb er im Oktober 1957. 

Gewidmet hat ihr Celan vier Jahre später auch sein 1952 erschienenes Gedicht „Corona“. Es wurde ihr „Lieblingsgedicht“ von ihm. Welche Bedeutung hatte es für sie?

Nach Bachmanns gescheitertem Versuch im Herbst 1950, mit Celan in Paris ein gemeinsames Leben zu wagen, wurde sie nach ihrer Rückkehr im Frühjahr 1951 nach Wien schwermütig. Sie vermochte es nicht, ihr altes Leben wieder aufzunehmen. Sie sah den Kulturbetrieb, der sie gefördert hatte und förderte, auf einmal mit Celans Augen: als verkommen und abgründig. In ihrer seelischen Not erinnerte sie Celan in Briefen an die gemeinsamen Tage im Hôtel d‘Orléans: „Weißt Du eigentlich noch, dass wir doch, trotz allem, sehr glücklich miteinander waren, selbst in den schlimmsten Stunden, wenn wir unsere schlimmsten Feinde waren?“ Sie rief ihm auch Zeilen aus seinem ihr ebenfalls gewidmeten Gedicht Corona ins Gedächtnis, als handelte es sich um einen Liebesvertrag. Das Kunstwerk sollte die Schattenseiten ihrer Beziehung überstrahlen.

Unbeirrbar glaubte Bachmann an die Magie der Worte. Sie glaubte, Celans Liebe wieder entfachen zu können, wenn sie seine Sprache und seinen Stil übernehmen würde. Ihr Gedicht Dunkles zu sagen war ihre Antwort auf Corona, in ihm ahmte sie seine Metaphern nach. In seinem Gedicht stehen die Verse: „wir sehen uns an/ wir sagen uns Dunkles“. In Bachmanns 1953 erschienem Gedicht: „und deiner Augen, die den Himmel verwalten,/ weiß ich nur Dunkles zu sagen.“ Celan schrieb: „wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis,/ wir schlafen wie Wein in den Muscheln,/ wie das Meer im Blutstrahl des Mondes“. Bachmann wiederum: „Die Saite des Schweigens/ gespannt auf die Welle von Blut,/ griff ich dein tönendes Herz.“

Mit diesem Kunstgriff führte Ingeborg Bachmann das Dialogische, die poetische Auseinandersetzung, in die Beziehung ein, was nur unter gleichrangigen Dichtern gelingen kann. In ihrem ersten Brief nach der Trennung in Wien erinnerte sie Celan an „das Gedicht, das wir miteinander gemacht haben“, als ein großes Glücksgefühl. Für sie als junge Dichterin, die noch ihre Themen und ihren Stil suchte, war Paul Celan von Anfang an eine Art männliche Muse – eine Zeit lang. Das Verhältnis der beiden Autoren verkehrte sich.

1952 wird Bachmann von Hans Werner Richter zu einer Tagung der Gruppe 47 in Niendorf an der Ostsee eingeladen. Auf ihren Wunsch hin dann auch Celan. Sie „will ihn wiedergewinnen, sogar heiraten“. Die Tagung verläuft für beide mit unterschiedlichen Demütigungen. Was ist da geschehen?

Ingeborg Bachmann unternahm über Jahre hin vielerlei Versuche, um Celans Werk zu fördern, was ihr auch gelang. So machte sie ihn zum Beispiel in einem Brief auf die Gruppe 47 aufmerksam, die jungen deutschsprachigen Autoren eine Bühne bot, mit dem Ziel, die deutsche Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg zu erneuern. Im November 1951 schrieb sie ihm: „Die Gruppe 47 vergibt zwei Preise, einen 2000 DM und einen 1000 DM Preis. Abgesehen davon wird es sehr wichtig für Dich sein, weil die ganze deutsche Presse eingeladen ist, die Literaturleute der deutschen Sender, die sofort die besten Erzählungen, Gedichte etc. kaufen.“

Als der Leiter der Gruppe 47 Hans Werner Richter einmal den Alliierten-Sender Rot-Weiß-Rot in Wien aufsuchte, in dem sie arbeitete, lagen „ihre unveröffentlichten Gedichte auf einem sonst ganz leerem Schreibtisch“, und Ingeborg Bachmann ließ Richter „über eine halbe Stunde warten, so dass mir gar nicht anderes übriggeblieben war, als die Gedichte zu lesen“. Schon am selben Nachmittag wurde Bachmann von Richter zur Tagung der Gruppe 47 eingeladen, die vom 23. bis zum 25. Mai 1952 in Niendorf an der Ostsee stattfinden sollte. Ihre Person und ihre Gedichte machten auf ihn einen so großen Eindruck, dass er auf ihren Wunsch hin versprach, so Richter in seinen Erinnerungen, „auch gleich einen Freund“ von ihr, „der in Paris lebte“, einzuladen.

Obwohl die beiden jungen Lyriker Hans Werner Richter gleichermaßen „unbekannt“ waren, stand für Celan mehr auf dem Spiel als für Bachmann; sie hatte ein Auskommen, er lebte in Paris von Übersetzungen, Unterrichtsstunden und arbeitete in einer Fabrik. Die Anspannung beider auf der Tagung rührte aber nicht von ihrer finanziellen Situation her, sondern von ihren verschiedenen Interessen. Für Bachmann galt: Sie wollte Celan wiedergewinnen, ihn sogar heiraten, wurde aber von ihm in kalter Weise abgewiesen. Für Celan galt: Er wollte als Dichter anerkannt werden, sie überflügeln. Die Lesung vor der Gruppe 47 war für ihn ein harter Konkurrenzkampf, den er verlor.

„Inge hat mich wieder sehr enttäuscht“, schrieb Celan nach der Tagung verbittert an seinen Freund Klaus Demus. „Sie hat mich nämlich wieder verleugnet und es sogar soweit gebracht, sich gegen mich ausspielen zu lassen: Ihre Gedichte, nicht die meinen, blieben die gültigen, und sie ließ es sich, lächelnd vor Glück, gefallen, als die Dichterin angesprochen zu werden.“

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Celan Ingeborg Bachmann als seine Schülerin angesehen, jetzt sollte sie die Dichterin sein, die ihn überragte? Celan konnte Bachmanns Bevorzugung kaum ertragen, deshalb kam er zu dem Schluss, dass „ihr Erfolg“ nun „keineswegs literarische Gründe“ hatte. Aber was für Gründe hatte Celans Misserfolg?

Er las die Todesfuge – dazu hatte Bachmann ihm ausdrücklich geraten – in seiner ihm ganz eigenen Art: präzise, ernst, ja geradezu feierlich, manchmal in Sprechgesang übergehend. Und an dieser Vortragsweise machte sich das Unbehagen der Gruppe um Hans Werner Richter fest, der sich zu der Bemerkung hinreißen ließ, Celans Stimme klinge wie die von Goebbels. Der Inhalt des Gedichtes spielte dabei weniger eine Rolle, obwohl einige der kritischen Zuhörer die sich wiederholenden Zeilen hämisch nachgeahmt haben sollen: „Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends/ wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts/ wir trinken und trinken“.

Hans Werner Richter hat ein Tagebuch geführt, nicht nur zur Selbstvergewisserung, sondern auch für die Nachwelt. Aus Anlass des Selbstmords von Celan im April 1970 erinnerte er sich noch einmal an die Vorgänge in Niendorf 1952. In seinen Aufzeichnungen bemühte sich Richter, davon zu überzeugen, dass Celan allein durch die Gruppe 47 bekannt geworden sei. Seine Lesung sei „sein erster großer Erfolg“ gewesen. „Sein Aufstieg war, wie auch der Aufstieg Ingeborg Bachmanns kometenhaft.“ Er bezeichnete die beiden als „die eigentliche Entdeckung“ der Tagung. „Nach der Lesung Celans beim Mittagessen hatte ich ganz nebenbei und ohne jede Absicht gesagt, dass die Stimme Celans mich an die Stimme Joseph Goebbels‘ erinnere. Da beide Eltern Celans von der SS umgebracht wurden, kam es zu einer dramatischen Auseinandersetzung.“ Celan habe ihn dann in die Position eines Nationalsozialisten drängen wollen. „Ilse Aichinger und Ingeborg Bachmann weinten und baten mich unter wahren Tränenströmen, mich zu entschuldigen, was ich dann schließlich tat.“

Celan hat, trotz mehrerer Einladungen, an den Tagungen der Gruppe 47 nicht mehr teilgenommen. Das Befremden der anderen Autoren gegenüber seiner Person, die seine Geschichte nicht kannten, hat er seinerseits mit Befremden aufgenommen. Lieber erschien er ihnen weiterhin fremd und ging seinen eigenen Weg, als dass er sich mit ihnen verbrüdert hätte.

Stehen Celans Suizid im April 1970 und Bachmanns früher Tod im Oktober 1973 nach schweren psychischen Krisen in einem Zusammenhang mit der problematischen Beziehung dieses Dichterpaares?

Nein, eigentlich nicht. Von dem ‚inneren Drama‘, von dem Ingeborg Bachmann in den letzten Jahren ihres Lebens immer stärker ergriffen wurde, wissen wir nur ganz wenig. Auch ihr bester Freund, Hans Werner Henze, einer der wenigen, mit dem sie sich nicht überworfen hatte, wusste von Bachmanns innere Verfassung der letzten Jahren nichts weiter zu sagen, als das: „Es schmerzte sie alles, das Leben, die Menschen, die Zeit“. Denn von ihrem „alten starken Mut“ war am Ende nichts mehr geblieben. Ihre Überzeugung, dass „unsere Kraft weiterreicht als unser Unglück“, konnte sie nicht mehr aufrechterhalten.

In Celans Persönlichkeit spielten sich ganz andere Dinge ab, die man viel besser in Worte fassen kann. Er hatte als Jude, bevor er über Wien nach Paris kam, Verfolgung und Arbeitslager erlebt, den bitteren Verlust seiner Eltern hinnehmen müssen, die ermordet worden waren. Ihr Tod belastete ihn bis zu seinem Lebensende mit Schuldgefühlen. Außerdem litt er – im Gegensatz zu Bachmann – unter einem ständigen Gefühl der Heimatlosigkeit. Er entwickelte, nicht erst nach seinen Erfahrungen mit der Gruppe 47, eine seismographische Wahrnehmung für Antisemitismus, und der begegnete ihm versteckt oder offen allenthalben. Die Antisemiten waren ja nach 1945 und dem Untergang des ‚Dritten Reichs‘ nicht verschwunden.

Unabhängig davon geschah etwas mit Celan, das so gravierend war, dass sein Freund Klaus Demus, den Celan „Bruder“ und „einziger Freund“ nannte, sich nicht mehr zu helfen wusste und ihm im Juni 1962 diese Zeilen schrieb: „Wenn Du mich lieb gehabt hast in so vielen Jahren, wie ichs ja weiß, wenn Du meine Liebe gespürt hast: dann gib diesem Brief, dem schwersten meines Lebens, soviel Gehör als Du kannst. Ich habe Dir das Äußerste, das Allerletzte zu sagen. Alles hängt davon ab, daß Du mir glaubst. Was ich zu sagen habe, kannst Du mir wohl nicht glauben – es geschähe denn ein Wunder: weil diese winzigste Chance besteht, die letzte und äußerste, die meiner Freundschaft zu Dir aufgegeben ist, habe ich es zu sagen. Paul, ich habe den entsetzlichen ganz gewissen Verdacht, daß Du an Paranoia erkrankt bist.“

Paul Celan hatte sich weit von Ingeborg Bachmann entfernt, vielleicht von den Menschen überhaupt, als er im April 1970 den Freitod suchte. Auch Bachmann hatte sich weit von ihm entfernt. Trotzdem war die Nachricht von seinem Tod ein großer Schock für sie und sie begann noch einmal in ein Zwiegespräch mit dem toten Dichterkollegen, dem fernen Geliebten, zu treten. Nicht nur thematisch näherte sie sich in ihrer Prosa der letzten Jahre dem Werk Paul Celans an. Sie gab auch seiner Person, nachdem sie von seinem Tod erfuhr, als Figur einen Raum. In ihrem Roman Malina verklärte sie ihn märchenhaft. In der Erzählung Drei Wege zum See konstruierte sie zwischen der Protagonistin Elisabeth und dem Geliebten Trotta eine Art Beziehung, die ihre zu Celan widerspiegeln könnte. „Trotta“ war „nach mehr als zwei Jahrzehnten“ noch einmal „die große Liebe, die unfaßlichste, schwierigste zugleich, von Mißverständnissen, Streiten, Aneinandervorbeisprechen, Mißtrauen belastet“. Aber nur er vermochte es, sie „zum Bewußtsein vieler Dinge“ zu bringen, und das hatte mit „seiner Herkunft“ zu tun. Er, als ein „wirklich Exilierter und Verlorener“ habe sie, „eine Abenteurerin, die sich weiß Gott was für ihr Leben von der Welt erhoffte, in eine Exilierte“ verwandelt. Weil er sie, „erst nach seinem Tod, langsam mit sich zog in den Untergang, sie den Wundern entfremdete und ihr die Fremde als Bestimmung erkennen ließ.“

Wenn man diese Zeilen liest, bemerkt man, dass es bei aller Entfernung der beiden voneinander noch etwas gegeben haben muss, das schwer zu benennen ist: Es ist ein gedichteter Schicksalsfaden, der sie verbinden sollte und an den zumindest Ingeborg Bachmann schreibend bis zuletzt angeknüpft hat.

Titelbild

Simone Frieling: Dichterpaare. Lass uns Worte finden….
Mit Grafiken von Simone Frieling.
ebersbach & simon, Berlin 2020.
144 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783869152158

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