Franco hat nicht das letzte Wort

Miguel Delibes entwirft in „Frau in Rot auf grauem Grund“ ein anrührendes Epitaph für seine Frau

Von Karl-Josef MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karl-Josef Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor einer Stunde war seine Tochter bei ihm, gemeinsam mit ihrem Mann endlich freigelassen aus den Fängen des vergangenen Franco-Regimes. Denn mit dem Tod des Diktators fällt auch sein Reich zusammen wie das sprichwörtliche Kartenhaus. Der Ich-Erzähler steht unter dem Einfluss von Alkohol als er schreibt, was wir lesen. Ist er gar betrunken? Nein, denn der Trinker weiß sehr wohl, wie mit der Droge umzugehen ist. Es gilt, „den Alkoholspiegel im Blut auf einer Höhe halten, die dich glauben läßt, du nimmst am Leben teil“. Francos Tod, den es eigentlich zu feiern gelten würde, soweit man das Ableben eines Menschen, und sei er ein auch noch so verabscheuungswürdiges Monster, feiern sollte, fällt zusammen mit dem Tod eines über alles geliebten Menschen, nämlich mit dem der Frau des Malers und Ich-Erzählers.

Und wirklich musste der Autor Miguel Delibes dieses Schicksal erdulden: Seine Frau starb 1974, sie dürfte etwa fünfzig Jahre alt gewesen sein. Im Roman allerdings stirbt die Frau des Ich-Erzählers 1975, fast zeitgleich mit Franco:

Primitivo kam eines Morgens mit der Nachricht, Franco liege im Sterben, er sei ohne große Aussichten in den Marställen des Prado operiert worden. […] Es entspann sich ein makabrer Zweikampf, wer zuerst das Zeitliche segnen würde.

Nur an wenigen Stellen kommt der Ich-Erzähler auf die politische Lage in Spanien zu sprechen. Der komplette Text richtet sich ja an die freigelassene Tochter, die das allmähliche Verlöschen ihrer Mutter nicht miterleben konnte, weil sie in dieser Zeit als politische Gefangene eingesperrt war. Und dieser Tod übersteigt in seiner Bedeutung für die Familie bei weitem die politischen Ereignisse, so dramatisch sie auch sind. Delibes gelingt es auf subtile Weise, das Politische und das Private so nebeneinanderzustellen, als wolle er dem Diktum von Theodor W. Adorno widersprechen, es gebe kein richtiges Leben im falschen. Denn der Ich-Erzähler kann das Glück, das er mit seiner Frau erleben durfte, noch im Nachhinein kaum glauben. Sie war ihm alles: Muse, Mutter seiner Kinder, anregende Gesprächspartnerin, Gefährtin voller Energie, sie war ihm der über alles geliebte Mensch in seinem Leben. Ein Bekannter bringt es rückblickend auf den Punkt: „Eine Frau, sagte er, die einem allein durch ihr Dasein die Schwere des Lebens erleichterte.“ Eine Schwere, die nun umso quälender auf dem Witwer lastet. Im Märchen eignet der Schlussformel „und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“ etwas zutiefst Tröstliches, das schwer zu benennen ist. Denn die Märchenfiguren haben alle Gefahren überwunden, sie sind endgültig gerettet aus großer Gefahr und werden bis zu ihrem Tod ein richtiges Leben frei von Bedrohung haben.

Ja, der Autor, nein, der Ich-Erzähler idealisiert seine Frau auf beinahe unerträgliche Art und Weise. Der Alkohol fordert wohl seinen Tribut. Dennoch wirkt dieses Buch zutiefst glaubwürdig, weil es gleichzeitig vor Augen führt, was Menschen einander bedeuten können und was sie, siehe Franco, einander anzutun in der Lage sind.

Der Neuauflage dieses so schmalen wie beeindruckenden Romans, sehr gut übersetzt von Michael Hofmann, sind möglichst viele Leser zu wünschen. Die Verstorbene selbst war eine eifrige Leserin, und für das Buch von Miguel Delibes gilt, was sie über das Lesen zu berichten wusste:

Ein Buch verweise einen aufs nächste, ein Schriftsteller an den nächsten, denn im Gegensatz zur gängigen Ansicht würden Bücher einem nie Fragen beantworten, sondern welche aufwerfen, so daß die Neugier des Lesers stets ungestillt bleibe.

Titelbild

Miguel Delibes: Frau in Rot auf grauem Grund.
Aus dem Spanischen von Michael Hofmann.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2020.
144 Seiten , 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783803113559

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