Schwarze Schafe mit Wollmützen

In Stefan Schwarz‘ Roman „Da stimmt was nicht“ muss ein Synchronsprecher erst tief fallen, bevor er seinen wirklichen Platz im Leben entdeckt

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Tom Funke ist Synchronsprecher, also ein Mann, den man in der Regel nicht sieht, sondern hauptsächlich hört. Und er hat gut zu tun. Als deutsche Stimme von Hollywood-Superstar Bill Pratt darf er sogar ein Wörtchen mitreden, wenn es um die Höhe des Honorars für seine Dienste geht. Denn das Kinopublikum reagiert mit Wegbleiben, wenn Bill Pratt einmal nicht von Funke, sondern einem seiner zahlreichen Kollegen synchronisiert wird.

Dass es bei Tom zu Hause gerade nicht ganz so gut läuft wie im Job, glaubt der Mann, der eine geradezu märchenhafte Karriere vor sich sieht, vernachlässigen zu dürfen. Schließlich kann er Ehefrau Ulrike und dem pubertierenden Sohn Linus dank gestiegener Einkünfte einiges bieten. Ein neues Haus mit Havelblick hat er bereits im Visier. Allein als ihm bei einem lukrativen Nebenjob – mittels seiner Stimme soll Funke in einem Werbespot Kunden für eine Bank, die in letzter Zeit eher als „bisweilen krimineller Akteur im internationalen Investmentbanking“ wahrgenommen wurde, an Land ziehen – noch die gut 20 Jahre jüngere, attraktive Birte über den Weg läuft, weiß spätestens jeder Leser: Das kann auf die Dauer nicht gut gehen.

Stefan Schwarz, 1965 in Potsdam geboren und bekannt geworden als Kolumnist und Autor satirischer Romane, erzählt in Da stimmt was nicht eine launig-humorvolle Geschichte, die sich – manchmal auf aberwitzige Weise – mit brisanten Themen unserer Zeit wie der viel diskutierten kulturellen Aneignung  und dem Zwang zur politischen Korrektheit auseinandersetzt. Seinem eine veritable Midlife-Crisis durchlebenden Ich-Erzähler Tom Funke bricht dabei zunächst der familiäre Boden unter den Füßen weg, ehe es den gerade erst mit dem Deutschen Filmpreis als „Bester Synchronsprecher/Beste Synchronsprecherin“ ausgezeichneten Mann auch beruflich aus der Spur wirft.

Denn als sich der berühmte amerikanische Schauspieler, dessen Stimme – im Gegensatz zu der seines deutschen Stimm-Alter-Egos – nicht sonderlich beeindruckend klingt, im Zuge einer Vermarktungstour für seinen aktuellen Film in Berlin aufhält, hilft Funke ihm dabei, einen Skandal zu provozieren, der es in sich hat. Mit einer nächtlichen Aktion, bei der Schafe mit Wollmützen zu einem Zweck ausgestattet werden, der hier nicht verraten werden soll, lädt Pratt den Zorn eines Publikums auf sich, dessen Empörungsbereitschaft nicht viel benötigt, um in ‚shitstorms‘ und Fernseh-Talkrunden aufzulodern.

Jetzt rächt sich, dass Funke sein komplettes Synchronsprecherleben auf den US-amerikanischen Publikumsliebling ausgerichtet hat. Denn plötzlich will die Welt Bill Pratt am liebsten schnell vergessen. Und natürlich wird auch Funke im Zuge der Verbannung des Filmstars aus der Öffentlichkeit zur ‚Persona non grata‘. In Funkhäusern, Synchronstudios und bei Werbeagenturen zieht ihn seine unverwechselbare Stimme nun zusammen mit dem Schauspieler in die Tiefe statt nach oben.

Schwarz erzählt Aufstieg, Fall und schlussendliche Wandlung seines Protagonisten von einem Heldenkopierer zu einem Mann, der sein entgleistes Leben wieder fest in die Hand nimmt, aus dessen Ich-Perspektive. Das sorgt für eine Nähe zu einer Figur, in die sein Erfinder auch ein bisschen von sich gepackt hat. Denn wie Schwarz selbst ist Tom Funke im Osten Deutschlands groß geworden, besitzt die Erfahrungen eines „Untertanen in einer Diktatur“ und weiß, dass man sich immer wieder neu erfinden kann, ja muss. Dass ihn sein Weg aus der Krise am Ende wieder in die Nähe seiner Familie und auf die Berliner Weihnachtsmärkte führt, wo er selbstgedrechselte erzgebirgische Räuchermännchen in modernem Leinwand-Look an die Betuchten verkauft, hat zwar mit erzählerischem Realismus wenig zu tun, passt aber gut zu einem Helden, dessen Leben im Begriff war, sich geradezu märchenhaft zu entwickeln, ehe plötzlich die Hölle losbrach und ihn zur Besinnung brachte.

Da stimmt was nicht ist ein routiniert erzählter Unterhaltungsroman. Stefan Schwarz weiß seine Leser bei der Stange zu halten, auch wenn nicht jeder Einfall zündet und ein paar Nebenschauplätze durchaus hätten wegbleiben können. Allein wie der Autor es versteht, seinen Helden durch die Höhen und Tiefen einer typischen Fernseh-Talkshow zu jagen, ist ein kleines, humorvolles Glanzstück. Das lässt dann auch vergessen, dass Vokabeln wie „halitös“, „chansonieren“ oder „durchnöchern“ eher bemüht als originell wirken oder wie es am Beginn der mehr emotionalen als auf ein neues Beziehungsglück hinauslaufenden Affäre mit der Assistentin Birte heißt: Sie habe sich in ihre derzeitige berufliche Position „hochgeblickt“.        

Titelbild

Stefan Schwarz: Da stimmt was nicht.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2021.
256 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783737100939

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