Studentischer Coming of Age

Ein Debüt von Christian Goltsche über studentisches Leben in Heidelberg und die gar nicht so nebensächlichen Dinge, wie es der Titel „Nebensächlichkeiten“ vermuten lässt

Von Anna HennesRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anna Hennes

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ich warne schon einmal vor, der Roman hat mir nicht sonderlich gut gefallen. Ich nehme an, es ist dessen geschuldet, dass ich mich nicht mehr in die Lebensrealität eines Anfang Zwanzigjährigen hineindenken kann, oder mag. Sorry – not – sorry.

Der Titel Nebensächlichkeiten wirkt zunächst wie ein Paradoxon. Denn grob zusammengefasst geht es um die großen Themen: Liebe, Dates, Freundschaft, Studium, Tod und Familie. Nebensächlich klingt das erst mal gar nicht, finde ich. Anhand des Erzählstils wird allerdings klar, warum Goltsche womöglich den Titel gewählt hat, der Stil evoziert eine banale Nebensächlichkeit und Oberflächlichkeit der Figuren im Umgang miteinander. Dialoge zwischen den Figuren sind so gut wie immer von Einsilbigkeit geprägt und recht gehaltlos. Es drängt sich während der Lektüre die Frage auf, wer gerne einsilbige alltägliche Unterhaltungen, wie sie uns ständig begegnen, in Form eines Fließtexts liest?

Ich zitiere einen dieser Dialog: „‚Montag geht die Uni wieder los.‘ ‚Das wird auch Zeit. Du sitzt ja nur rum.’ ‚Gar nicht. Ich lese schon viel für die Seminare.’ ‚Ach?‘ ‚Ja, stell dir vor.‘“ Literarisch hat das so gut wie nichts zu bieten, außer dass diese Dialoge die alltägliche Ödnis perfekt spiegeln, die in diesen „Unterhaltungen“ steckt. Eine Freude, einen Mehrwert oder gar ein ästhetisches Erlebnis bereitet das leider gar nicht beim Lesen.

Einordnen lässt sich der Roman innerhalb des Genres Coming of Age, man könnte ihn aber auch als Studierendenroman bezeichnen. Die Hauptfigur Nick ist Student, die Handlung spielt in Heidelberg und Nicks Freundeskreis besteht ebenfalls aus Student:innen. Er treibt sich auf Partys herum, sitzt in Cafés, in denen seine gute Freundin Alex arbeitet, studiert Deutsch und Geschichte und schreibt gerade seine Bachelorarbeit. Studentischer geht es fast schon nicht mehr.

Beim gemeinsamen Grillabend wird über das Thema Fleischverzicht diskutiert, die Diskussion zieht sich über 10 Seiten, ob dieses Thema wirklich diese lange Erzählzeit benötigt – in Zeiten des Klimawandels und der stetigen Aufklärung über die Massentierhaltung – ist fraglich. Für heutige Studierende ist es kein außergewöhnliches Verhalten mehr, eine vegetarische Ernährung zu bevorzugen.

Allgemein kommt der beschriebene Habitus der Student:innen daher wie eine einzige Klischeevorstellung und als seien die Hauptprobleme eines Studierenden: wo feiere ich die nächste Party und wie finde ich die nächste Partnerin – es könnte der Fantasie meiner Eltern entsprungen sein. Die beschriebenen Klischees greifen allzu oft nicht. Für ständiges Biertrinken, Freunde treffen, Punk sein und in Cafés abhängen hat niemand mehr so richtig Zeit, jede:r Studierende ist mittlerweile von Abgabefristen, Klausur- und Referatsvorbereitungen getrieben. Zu alledem drängt sich mir die Frage auf, wer noch Punks als Mitbewohner hat, die sprayen gehen und schwarz gefärbte Haare tragen. Eine aus Sperrmüll bestehende Einrichtung ist heute zutage auch eher ein Indikator urbanen Lifestyles als ein Merkmal des Punks.

Innerhalb der Handlung gibt es nicht viel, was als spannend oder interessant genannt werden könnte. Ja – es gibt Nicks Trennung, neue Freundschaften, eine Anti-Nazi-Demonstration und die Rede von einer Hausbesetzung, Hans‘ Tablettenmissbrauch, doch das alles entfaltet keine Tiefe. Das Werk soll studentisches Flair vermitteln und die Probleme der Jugend behandeln, scheitert aber daran, dass alles sehr oberflächlich gehalten und nicht spannend erzählt ist. Es gibt, wie bereits erwähnt, wahnsinnig oberflächliche Gespräche darüber, wer mit wem auf eine Party geht oder welche Sexualität Nicks Schwarm Dani wohl hat. In diesem Freundeskreis wird scheinbar nicht richtig miteinander gesprochen, es wird gemunkelt und gewitzelt, aber richtig öffnen tut sich niemand. Fast jede*r hat ein Geheimnis, welches er oder sie den anderen nicht preisgibt. Obwohl nichts verwerflich daran ist, lesbisch, depressiv und unglücklich innerhalb einer Beziehung oder einsam zu sein.

Die Fokalisierung liegt auf dem Protagonisten Nick – wie er seinen studentischen Alltag verlebt. Dabei entlarven sich oft Stigmata, die er hegt und pflegt. „Nick machte einen Schlenker, ging an einer Gruppe junger Afrikaner vorbei, die irgendein exotisches Lied sangen […]“ Exotismus und Othering werden hier betrieben, zudem die Klischeevorstellung von rhythmischen Afrikaner:innen bedient, welche immerzu lachen und singen. Wirklich, der Roman könnte aus dem letzten Jahrhundert sein.

Ein weiteres Beispiel ist folgendes: Der:die Erzähler:in, der:die Zugriff auf Nicks Gedankenwelt besitzt, gibt immer wieder an, welche Körperfülle Menschen haben – insbesondere bei Frauen. „Sie war recht füllig, sah Nick jetzt, als sie aus dem Wasser kletterte. Irgendwie tat sie ihm Leid.“ Soll diese Aussage dem:der Leser:in vermitteln, dass es problematisch ist, wenn Frauen mehr Körperfettanteil besitzen als es der Norm entspricht? Ist das wirklich jedes Mal erwähnenswert oder gar von irgendeiner Relevanz? Oder ist Nick einfach nur eine Person, die Oberflächlichkeiten sehr viel Bedeutung zumisst? Kritisiert oder auf eine andere Weise reflektiert wird dies von der Erzählinstanz jedoch nicht.

Insgesamt lässt sich nicht richtig deuten, was mit dem Schriftstück angefangen werden soll, es ist ohne doppelten Boden, von einer inhaltlichen Leere und dem Reproduzieren etwaiger Klischees charakterisiert. Wenn überhaupt werden gesellschaftspolitische Fragmente, die im Text enthalten sind, knapp angerissen und danach wieder fallen gelassen, philosophische Tiefe sucht man ebenfalls vergebens. Es wird viel mehr das Identitätskonzept eines prototypischen Studenten entworfen, der etwas verloren wirkt, nach einer Trennung eine neue Partnerin sucht, nicht mit sich alleine klarkommt und nicht weiß, was er mit dem Geschichtsstudium anfangen soll. Dabei gerät er in ein linkes Spektrum, während er als Normalo beschrieben wird, der gerne Fußball schaut und grillt. Originell liest sich das jedenfalls nicht.

Titelbild

Christian Goltsche: Nebensächlichkeiten.
WaRo-Verlag, Heidelberg 2019.
286 Seiten, 11,95 EUR.
ISBN-13: 9783938344408

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