Eine erfolgreiche Frau?

Rowohlt legt Neuentdeckungen aus dem frühen 20. Jahrhundert vor – der erste Roman in der neuen Reihe, Christa Anita Brücks „Ein Mädchen mit Prokura“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eigentlich war die literarische Karriere Christa Anita Brücks schon mit ihrem Auftakt zu Ende. Denn ein schlimmeres Urteil als das Irmgard Keuns kann man sich kaum vorstellen, notierte diese doch in ihrem 1931 erschienenen Erfolgsroman Gilgi – eine von uns ganz nebenbei, „keine große Beleidigungstragödie à la ,Schicksale hinter Schreibmaschinen‘“ zu wollen – touché.

Dennoch erreichte der Roman Schicksal hinter Schreibmaschinen, der 1930 im renommierten Sieben Stäbe-Verlag in Berlin erschienen war, immerhin eine Auflage von 15.000 Exemplaren (nicht so viel wie Keuns Debut, aber nicht zu verachten). Im Jahr 1932 folgte der zweite Roman Brücks im selben Verlag, Ein Mädchen mit Prokura. Allerdings konnte der Roman an den Erfolg des Debuts nicht ganz anknüpfen, ebnete aber den Boden für den dritten Roman, Die Lawine, der 1933 erschien und sogar einen Abdruck in der Berliner Illustrirten Zeitung erlebte. Kontext dieses Romans ist zum einen der weibliche Emanzipationsschub der 1920er Jahre und zum anderen die zunehmende weibliche Berufstätigkeit, die vormals ein männlich besetztes Arbeitsgebiet erfasst hatte, das der Schreibkräfte in einer sich schnell wandelnden Wirtschafts- und Berufswelt.

Dieser Wandel beschränkte sich nicht nur auf junge Frauen aus Arbeiterfamilien, die immer schon erwerbstätig gewesen waren, sondern hatte mittlerweile auch das bürgerliche Spektrum erfasst, das unter der massiven Entwertung der Renten, soll heißen der angesparten Geldvermögen, zu leiden hatte. Die Konsequenz, auch bürgerliche junge Frauen brauchten eine gute Ausbildung und drängten ins Berufsleben, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Das korrespondierte mit dem Bedarf in der Wirtschaft und Verwaltung. Zugleich stießen Frauen im Berufsleben auf große Skepsis, wenn nicht auf Widerstand. Zu sehr verstieß ihre Berufstätigkeit, sobald sie in die öffentliche Wahrnehmung geriet (was für die Berufstätigkeit von Arbeiterinnen sui generis nicht gilt), gegen das konservative weibliche Rollenprofil, das in der Gesellschaft immer noch sehr stark war. Erst recht, wenn die Berufe, in denen Frauen tätig waren, den engeren Bereich der als weiblich konnotierten Berufe verließ, was heute etwa als Care-Arbeit gekennzeichnet wird.

Hier knüpfte Christa Anita Brück mit Ein Mädchen mit Prokura an: Die Protagonistin, Thea Iken, hat als Prokuristin des kleinen Berliner Bankhauses Brüggemann eine hochrangige berufliche Position erreicht, und das trotz eines, wie sich im Laufe der Ereignisse herausstellt, eher gebrochenen Lebenslaufs. Ihre Position ist nicht unangefochten, ihr werden aufgrund der Vertrauensposition, die sie beim Eigentümer der Bank innehat, intime Beziehungen mit ihm nachgesagt. Die Situation eskaliert, als die Bank in die Turbulenzen der frühen 1930er Jahre gerät und der Bankeigner sich anscheinend erschießt. Die Bankenkrise 1931 bildet den Kontext, die in jener Zeit zusammengebrochene Danat-Bank (Darmstädter und Nationalbank KGaA) wird am Rande erwähnt. Die Ermittlungen gehen aber bald von Mord aus, als Hauptverdächtige steht mit einem Mal Thea Iken vor Gericht, die sich auffallend wenig gegen die Vorwürfe verteidigt. Erst die Recherchen ihres Anwalts führen zum wahren Täter, Iken kommt frei und tritt eine neue Stelle an, in diesem Fall bei der Dresdner Bank (auch die ist heute Vergangenheit). Alles also auf Anfang gesetzt. Iken, so schauts aus, wird sich wohl durchsetzen.

Aber der Plot bietet mehr: Der Kriminalfall treibt zwar die Handlung voran, dient aber vor allem dazu, die besondere Identifikation Ikens mit dem Bankhaus Brüggemann herauszustellen, mithin eine spezifische geschlechtsspezifische Differenz professionellen Verhaltens herauszuarbeiten. Denn Iken ist nicht nur fleißig, genau und sie handelt nicht nur überlegt, sie weist auch eine besondere Empathie auf, die ihr berufliches Handeln unterfüttert. Was sie von den männlichen Mitarbeitern ebenso unterscheidet wie von den subalternen Schreibfräulein – deren einzige Alternative zum Schreibjob die Ehe ist, wenn man einem Hinweis auf Brücks erstem Roman folgt, wo dies der Ratschlag einer älteren Kollegin ist. Für die Männer hingegen ist die Ehe, die für sie unausweichlich ist, eher Ursache für den enormen ökonomischen Druck, der sie zur bedingungslosen Anpassung an die Anforderungen ihrer Positionen zwingt. Der Widerspruch zwischen beiden Mustern bleibt aber offen und wird nicht verhandelt.

Die Gegenüberstellung männlicher und weiblicher Berufstätigkeit in Brücks Roman zeigt mithin ein aufschlussreiches Bild, das eine genauere Betrachtung lohnt. Für die Einordnung dieses Konzeptes wird man berücksichtigen, dass Brück 1933 und 1941 zwei weitere Romane in Deutschland publizierte und dass, wie man dem Nachwort Magda Birkmanns entnehmen kann, das Mädchen mit Prokura 1934 in der Regie von Arsen von Cserépy verfilmt wurde. Ob die spätere Karriere auf ein eher konservatives Rollenkonzept verweist, lässt sich aber nicht zwingend ableiten. Dagegen spricht immerhin das Plädoyer der Studentin Brigitte Neubert in der Verhandlung gegen Iken, die auf die besonderen Hindernisse verweist, denen sich berufstätige Frauen in ihrer Zeit gegenübersehen.

Der Roman erscheint als erster Band innerhalb einer neu konstituierten Reihe bei Rowohlt, „Entdeckungen“, was merkwürdigerweise dem Buch selbst nur anzusehen, nicht abzulesen, nämlich lediglich in der gleichartigen Gestaltung der bislang vorliegenden drei Bände erkennbar ist. Immerhin ist ein solches Projekt erstaunlich, schien doch die große Zeit der Neuentdeckungen vergessener oder vernachlässigter Texte des frühen 20. Jahrhunderts vorüber zu sein, zumindest was das Engagement großer Publikumsverlage angeht. An ihre Stelle sind Unternehmen wie Aviva (Berlin) oder DVB (Wien) getreten, die immer wieder neue Texte der Zeit vorgelegt haben. Dass bei den früheren Bemühungen wohl die bedeutendsten und/oder erfolgreichsten Texte der Zeit bereits vorgelegt wurden, mag zu dem Umstand führen, dass mit Brücks Roman ein eher unbekannter Text der Zeit an den Anfang gestellt worden ist. Aber es ist kein Nachteil, auch Texte dieser Art einem breiteren Publikum vorzustellen.

Brücks Romanen – und eben auch Ein Mädchen mit Prokura – fehlt zwar die stilistische Brillanz und Kreativität der Romane der großen Konkurrentinnen der Zeit, Marieluise Fleißer, Ruth Landshoff-Yorck und Irmgard Keun, er hat nicht die Souveränität, die die Texte einer Vicki Baum zeigen. Der Roman zeugt aber dennoch davon, wie sehr die Themen, die er behandelt, auf den Nägeln brannten. Und er ist betont und wohltuend unprätentiös geschrieben.

Angestrebt war offensichtlich eine Leseausgabe. Wie dem Impressum zu entnehmen ist, wurde der Text normalisiert, offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert – was in diesem Kontext wohl hinnehmbar ist.

Titelbild

Christa Anita Brück: Ein Mädchen mit Prokura. rororo Entdeckungen Band 1.
Herausgegeben von Nicole Seifert und Magda Birkmann.
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2023.
253 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783499012969

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