Romantische Liebe und romantischer Tod

Über Schelling, den Bamberger Brownianismus und den Tod Auguste Böhmers

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nüchtern betrachtet, ist der Tod Auguste Böhmers alles andere als ungewöhnlich. Viele Menschen starben um 1800 an der Ruhr, warum also nicht auch ein 15-jähriges Mädchen?

Aber aus dem Krankheits- und Todesfall entwickelte sich ein heute weitgehend vergessener Skandal. Seine Bedeutung für die Geschichte der Literatur, der Philosophie und der Medizin kann schwerlich überschätzt werden. Die Hauptpersonen waren Augustes Mutter, Caroline Schlegel, ihr Mann August Wilhelm Schlegel sowie der damals 25-jährige Schelling, der neue Stern am Philosophenhimmel. Zu den zentralen Schauplätzen der Tragödie gehörte Bamberg, seinerzeit eine Hochburg der romantischen Medizin.

Endlich untersucht wurden ihre Hintergründe und Folgen jetzt von einer um Wulf Segebrecht, Lehrstuhlinhaber für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Bamberg, gescharten studentischen Arbeitsgruppe. Ihren akribischen literatur- und kulturgeschichtlichen Recherchen sind dabei viele neue Erkenntnisse zu verdanken.

Zwischen Schelling und Caroline hatte sich eben eine ,gefährliche Liebschaft‘ entwickelt. Von Jena kommend, waren sie mit Carolines Tochter Auguste Böhmer nach Bamberg gereist: Caroline, um sich von Bamberg aus im unterfränkischen Bad Bocklet in Kur zu begeben; Schelling, um in Bamberg seine Philosophie mit dem von den Medizinern Marcus und Röschlaub gelehrten „Brownianismus“ kurzzuschließen. Beide zusammen, um vor den in Jena und Weimar kursierenden Gerüchten über ihre Affäre zu flüchten. Auguste begleitete ihre Mutter. Nach glücklichen Tagen in der Domstadt trat Caroline ihre Kur an, während der Auguste tödlich erkrankte. Schellings Versuche, das Mädchen mit seinem neu erworbenen medizinischen Wissen zu heilen, blieben erfolglos. Dem Schock der Beteiligten folgten eine Auseinandersetzung zwischen Schelling und Carolines Mann, August Schlegel, sowie ein polemischer Streit im zeitgenössischen Blätterwald, bei dem Schelling Kurpfuscherei vorgeworfen wurde. Augustes Tod diente als Vorwand, Schellings Naturphilosophie sowie die Lehre des Brownianismus als Scharlatanerie bloßzustellen. Am Ende zerbrach an dem von vielen als „Strafe“ für Carolines Untreue gedeuteten Unglücksfall, der die schwärmerische Liebeskonzeption der Frühromantiker auf einen harten Prüfstand stellte, auch der Jenaer Freundeskreis.

„Verlangen Sie aber nicht viel Detail dieser Geschichte von mir, sie ist zu verwickelt“, hatte Dorothea Veit einst an Schleiermacher geschrieben. Die jetzt unter dem Titel „Romantische Liebe – romantischer Tod“ vorgelegten Studien möchten jene Details nachreichen. Die Geschichte um Augustes Tod dient als Aufhänger, die Ereignisse in und um Bamberg gegenwärtig zu machen. Carolines und Augustes Besuche von Schloss Seehof oder der Altenburg etwa werden von den Autoren zu spannenden, kenntnisreichen Digressionen genutzt. Wie reiste man damals? Mit welchen Erwartungen besuchte ein Tourist die Stadt? In welchem Hotel stiegen die Besucher ab? Aber auch: Wie verarbeiteten die Hinterbliebenen Augustes Tod poetisch?

Rekonstruiert werden auch die Bamberger Medizin sowie die Kurmethoden in Bad Bocklet. Offen bleibt nur: Waren die Vorwürfe gegen Schelling nun berechtigt oder nicht? Welche positiven oder negativen Auswirkungen kann die Behandlung einer Ruhr-Erkrankung gemäß der Brownschen Erregungstheorie mit einer „erhöhten Dosis Opium“ haben? Und wie beurteilt die heutige Medizin den Fall?

Titelbild

Wulf Segebrecht (Hg.): Romantische Liebe und romantischer Tod. Über den Bamberger Aufenthalt von Caroline Schlegel, Auguste Böhmer, August Wilhelm Schlegel und Friedrich Wilhelm Schelling im Jahre 1800.
University of Bamberg Press, Bamberg 2000.
250 Seiten, 5,10 EUR.
ISBN-10: 3935167032
ISBN-13: 9783935167031

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