Zweistimmig

Anke Stelling und Robby Dannenberg erzählen in ihrem zweiten Gemeinschaftsroman "Nimm mich mit" von Fremdheitserfahrungen

Von Ulrich RüdenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrich Rüdenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In den Romanen von Anke Stelling und Robby Dannenberg herrscht ein Grad an Kaputtheit, den man in den Büchern jüngerer Autoren ansonsten vergeblich sucht. Die gebrauchsüblichen Gefühls-Skalen werden hier gesprengt. Stellings und Dannenbergs Figuren treiben sich in Milieus herum, die früher mal in Filmen mit dem angsteinflößenden Untertitel "Deutscher Problemfilm" vorkamen und in unserer befriedeten Neue-Mitte-Welt gar nicht mehr zu existieren scheinen. Es geht um Verlierer, um das Dasein an den Rändern sowohl der Gesellschaft als auch der eigenen emotionalen Landschaften, um ein Einsamsein, das sich nicht alleine auf eine persönliche Befindlichkeitskrise zurückführen lässt. Die beiden Autoren meinen es ernst.

Sozialkitsch also, verfasst von vermutlich in geordneten Mittelschichtsverhältnissen aufgewachsenen Diplomschriftstellern, fällt einem als erstes ein, wenn man Stellings und Dannenbergs zweiten Roman "Nimm mich mit" aufblättert. Aber nach ein paar Seiten vergisst man diesen missmutigen Gedanken rasch. Stelling und Dannenberg erzeugen eine - Gott, man muss es wohl sagen - mitreißende Intensität. Hier haben zwei Autor-Stimmen in der richtigen Tonart zueinander gefunden.

Gegeneinandergeschaltet und ineinander verschränkt werden zwei Lebensläufe, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Da ist einmal die Fixerin Miri, eine Streunerin, jung, hübsch, zerbrechlich, die in Leipzig geboren wurde, von zu Hause ausgebüxt ist und sich zu Beginn an eine junge Prostituierte dranhängt. Da ist des weiteren der ehemalige Studienrat Bernd, Anfang 40, der aus Stuttgart kommt, einem linksalternativen Milieu entstammt und seinen Traum vom anderen Leben als Buchhändler in Leipzig verwirklichen möchte. Nicht nur die altersbedingt sich unterscheidende Sozialisation und der soziale Hintergrund, auch die Ost- und West-Vergangenheit konturieren die Biografien der beiden Aussteiger. Und machen aus der Begegnung der beiden mehr als eine unmögliche Liebesgeschichte.

Auf dem Leipziger Weihnachtsmarkt, wo Miri Tannenbäume verkauft, treffen sie sich zum ersten Mal, und weil beide zwar nicht wissen, wie ihre Isolation zu überwinden sein könnte, aber trotzdem noch nicht an Aufgabe denken, tun sie sich zusammen. Miri zieht bei Bernd ein, und das ist ein kurzer Sieg der gegenseitigen Anteilnahme über die diversen Konfliktlinien, die sich zu einem verfänglichen Netz verknüpfen. In dem bleibt Miri schließlich hängen. Für kurze Momente aber, bevor etwas fast schon Fatalistisches seinen Lauf nimmt, verschieben sich die wechselseitigen Wahrnehmungen: "Meine Schulter hält seinen Arm und meine Brust seine Hand ganz fest."

Kommunikation ist das, was helfen könnte, aber nicht funktioniert. Zu stark sind die Einschreibungen in die Lebensläufe. Sie lassen sich schon nicht mehr als mitteilbare Geschichte veräußern. Auch nicht durch die Körper, die ihre ganz eigenen Verstörungen mit sich herumschleppen. Lediglich als sprachloses Gefühl, das sich in Abwehr, Flucht oder Apathie ausdrückt. Das kann, aber muss gar nicht mal als eine auf die Mikroebene heruntergekochte Ost-West-Vereinigungsgeschichte gelesen werden, um zu überzeugen: Die Fremdheitserfahrung, die dem Roman einen düsteren Grundton verleiht, liegt im Alltäglichen. Bei Stelling und Dannenberg wird das Fremdsein extrem und exemplarisch zugleich aufgezeigt. Das geht, vor allem wenn aus der Ich-Perspektive die (Gefühls-)Erlebnisse Miris geschildert werden, manchmal stark in Richtung Pathos: "Er streichelt wieder meinen Bauch. Für den, der mich ein Jahr lang glücklich macht, verspreche ich zu sterben, wenn er es verlangt. Und halte ich mein Versprechen nicht, braucht er nur den Glückshahn zuzudrehen, und ich sterbe praktisch von selbst." Zugleich ist die Absolutheit dieser Sätze, die sich um Peinlichkeitsschwellen nicht scheren, betörend und erschreckend direkt. Es ist diese verletzliche Direktheit, die das Autorenpaar bei allen stilistischen Holprigkeiten, die man ihnen mit bösem Willen nachweisen könnte, zur Ausnahme unter den Autoren ihrer Generation macht. Dass hier zwei in einen literarischen Dialog getreten sind, ihre Erfahrungen und ihre Sprache verknüpfen und auch mit ihren Geschlechterrollen spielen, ist außergewöhnlich und spannend. Die in Stuttgart aufgewachsene Anke Stelling, Jahrgang 1971, übernimmt den Part des Westlers Bernd. Der Leipziger Robby Dannenberg, Jahrgang 1974, versetzt sich in die Figur Miri. Was sich zwischen den Protagonisten an Tragischem aufspannt, was zwischen diesen Leben passiert, was im Aufeinanderprallen der beiden Perspektiven spürbar wird, verweist zugleich auf die Schnittstellen im Schreiben von Stelling und Dannenberg - hier gelingt Kommunikation. Beide Autoren studierten am Literaturinstitut in Leipzig. Man kann es wahrscheinlich nicht von allen debütierenden Diplom-Schriftstellern behaupten, aber von diesen beiden schon: Das Studium hat ihnen zumindest nicht geschadet.

Titelbild

Anke Stelling / Robby Dannenberg: Nimm mich mit. Roman.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
312 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-10: 3596152437

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