In Köln ins Bordell, in Zwickau aufs Altenteil

Ein Reportagen-Band zeigt die Extreme der Republik

Von Oliver GeorgiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Georgi

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer eigentlich hat jemals behauptet, Deutschland sei ein absolut durchschnittliches, gar langweiliges Land ohne Höhen und Tiefen, nicht einmal in Bremen oder auf der Zugspitze? Und von wem stammt die Mär, die Heimstatt Schillers und Goethes habe die Zeit der Extreme schon lange hinter sich und dämmere nun im Halbschlaf des Alltäglichen vor sich hin, Note: Mittelmaß?

Ganz egal, wer die Republik mit solch scharfen Urteilen analysiert und bei Heines "Denk ich an Deutschland ..." ein mediokres Land vor Augen hat: Er wird nun eines Besseren belehrt.

Denn: Im Kohl'schen "diesem unserem Lande" ist bei weitem nicht alles gleich und mitnichten Einheitsbrei - auch fast 15 Jahre nach der Wende nicht. Dies zeigt Alex Rühles und Sonja Zekris Band mit kurzen Reportagen und Berichten, die siebzehn Journalisten und Autoren (darunter so bekannte wie Thomas Brussig oder Wladimir Kaminer) auf ihren Reisen durch die Republik aufgeschrieben haben - immer auf der Suche nach den "deutschen Extremen". Herausgekommen ist dabei eine "Völkerkunde" im besten, ursprünglichsten Sinne des Wortes. Getreu dem Herder'schen Rate, ein Volk müsse "von innen durch die eigene Seele, aus Empfindung, Rede und Tat" erfahren werden, haben die Autoren zu ergründen versucht, wie sich Deutschland und seine Bewohner von Flensburg bis Oberammergau, von Saarbrücken bis Frankfurt/Oder anfühlen. Und nicht etwa wirtschaftliche, politische oder geschichtliche Extreme haben sie dabei unter die Lupe genommen, sondern auch die "ganz normale" Außergewöhnlichkeit im bundesdeutschen Alltag. Was zutage tritt, sind witzige, dabei fast unbemerkte Rekorde, in Vergessen geratene Merkwürdigkeiten und auch jene länderspezifischen Unterschiede, die unser föderales Land in seiner Gesamtheit erst ausmachen. Nicht um Guinness-Buch-verdächtige Rekorde geht es dem Band hierbei, sondern um solche regionale Besonderheiten, die die "Seele" des Landes aufscheinen lassen können. Ob das größte Gefängnis der Republik in Berlin-Tegel in Augenschein genommen, das letzte Trappistenkloster Deutschlands in Heimbach vorgestellt oder das vornehmste Klohäuschen der Teutonen in Frankfurt profund erforscht wird: Immer tritt hinter der feuilletonistischen Beobachtung auch die Vielfalt und Vielseitigkeit Deutschlands hervor - und die Betrachtung seiner Bewohner wird zum Spiegel der deutschen Befindlichkeit. Man wolle "über dieses Land reflektieren, ohne je die Bodenhaftung zu verlieren", heißt es im Vorwort - ein Wunsch, der vollends geglückt ist. Wohl selten liest man so wissenswerte und erstaunliche "Neuigkeiten" über ein Land, das wir alle doch schon längst in- und auswendig zu kennen glaubten. Dabei, das zeigt "Deutschland extrem", birgt es noch viele Geheimnisse. Oder wussten Sie etwa, dass der härteste Wohnungsmarkt in der Republik nicht etwa in München oder Hamburg, sondern im ostdeutschen Stendal herrscht? Dass Deutschlands längste Bratwürste in Sulzfeld produziert werden? Dass die größte Mülldeponie in Halle-Lochau zu finden ist? Oder, geheimnisvoller: Dass tief in einem Stollen im Schwarzwald das "Endlager der deutschen Kultur" liegt, ein Ort, an dem das gesammelte Wissen der Deutschen, säuberlich in unzähligen Fässern gelagert, auf Mirkofiche für die Ewigkeit archiviert wird? Hitlers Ernennungsurkunde ebenso wie der Spielplan der Bayreuther Festspiele von 1989?

Was Alex Rühle und Sonja Zekri zusammen mit ihren Autoren in den Texten hervorbringen, ist oft skurril, manchmal bestürzend, immer jedoch aufs Beste unterhaltsam. Nein, Deutschland ist ganz und gar nicht Mittelmaß - und wer's jetzt noch immer nicht glaubt, dem ist nun wirklich nicht mehr zu helfen.

Titelbild

Alex Rühle / Sonja Zekri (Hg.): Deutschland extrem. Reisen in eine unbekannte Republik.
Verlag C.H.Beck, München 2004.
107 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3406509762

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