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Kurt Vonneguts Nahtod-Panoptikum

Von Oliver GeorgiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Georgi

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn einer eine Reise tut und hernach Freunden und Bekannten von seinen Erlebnissen berichtet, dann erwarten den Daheimgebliebenen ellenlange Reiseschilderungen und, als "Krönung", die Diashow mit amateurhaften Aufnahmen ein und desselben Motivs. Vielleicht auch deshalb sind Reiseberichte in der allgemeinen Wahrnehmung als eher langweilig verschrien.

Wenn nun der amerikanische Autor Kurt Vonnegut seinen unzähligen Vorgängern nachfolgt und gleichfalls seine Ausflugserlebnisse publiziert, dann ist dort ebenfalls nicht viel zu erwarten. Denkt der Laie. Stutzig dürfte der derart mit Vorurteilen Behaftete dann aber werden, hört er das Reiseziel des Amerikaners: das Jenseits.

In kurzen Episoden erzählt "Rundfunkreporter" Vonnegut von seinen Trips ans andere Ende des blauen Tunnels - und den zahlreichen "alten Bekannten", die er dort trifft. So mancher Journalist mag ihn um die Möglichkeit beneiden, interessante Gesprächspartner wie Harold Epstein, Sir Isaac Newton oder Isaac Asimov noch nach deren Tod über ihr Leben und das Leben an sich zu befragen. Mehr Exklusivität ist nicht. Doch Vonnegut wäre nicht Vonnegut, berichtete er "nur" von einem fiktiven, dabei vergnüglich zu lesenden Ausflug ins Jenseits. Denn der Rundfunkreporter unternimmt all diese Reisen dank Dr. Kevorkian, einem Arzt, der Hinrichtungskandidaten in Huntsville, Texas, vorschriftsgemäß per Giftspritze ihrer Strafe zuführt. Er spritzt auch Reporter Vonnegut übelste Substanzen, damit dieser seinen journalistisch extrem ambitionierten, "kontrollierten Nahtoderfahrungen" frönen kann.

Vonnegut ist ein Meister des Subversiven. War es in seinem weltbekannten Roman "Schlachthof fünf" aus der Bombenhölle von Dresden die Verknüpfung von "Senfgas und Rosen", mit der der Autor das schlechthin nicht Beschreibbare poetisierte und mit verzweifelter Lakonie ad absurdum führte, so haben Todesspritze und eine muntere Reise zu "alten Bekannten" im Jenseits in "Gott segne Sie, Dr. Kevorkian" das gleiche Ergebnis. Sterben als Kaffeefahrt. Wie schon in vielen Werken Vonneguts, verbindet sich auch in diesem Büchlein ein beißend scharfer Blick für die Abgründe von Geschichte und Gesellschaft mit einer ironischen Lakonie in der Beschreibung, die das Lachen im Halse gefrieren lässt und erst im Nachhinein ihre therapeutische Wirkung entfaltet. Wenn Vonnegut seinen angemieteten Platz auf der Todespritsche zeitweilig räumen muss, "damit hier eine neue Totalexekution vorbereitet werden kann", dann wird diese lustig erzählte Heiterkeit zu schärfster Gesellschaftskritik.

Auch auf einen mittlerweile reuigen Adolf Hitler trifft Reporter Vonnegut im Jenseits. "Er hofft, dass irgendwo zum Gedenken an ihn ein bescheidenes Denkmal errichtet wird, möglicherweise ein Steinkreuz, da er ja Christ war, möglicherweise auf dem Gelände der Vereinten Nationen in New York." Inschrift des Grabkreuzes: "Entschuldigen Sie". Nicht nur an dieser Stelle kommt dem Text die brillante Übersetzung Harry Rowohlts zugute.

Kaffeefahrten nach Worpswede sind out, Dianachmittage auch. Doch wenn einem das Jenseits so vergnüglich und gehaltvoll angeboten wird, sollte man nicht nein sagen. Her mit den Dias, Mr. Vonnegut!

Titelbild

Kurt Vonnegut: Gott segne Sie, Dr. Kevorkian. Rundfunkreport aus dem Jenseits.
Übersetzt aus dem Englischen von Harry Rowohlt.
Carl Hanser Verlag, München 2004.
88 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-10: 3446204687

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