Von Erinnerung zu Geschichte

Leni Riefenstahls Biografien werden immer länger, ihre Biografen immer jünger, ihre Filme immer unwichtiger

Von Gustav FrankRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gustav Frank

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

BILD-München berichtete in allen Einzelheiten, was es zu Riefenstahls 100. im August 2002 so alles gab. Neben so viel Glitzer aus der Glamour-Ecke fallen die August-Gefallenen fast nicht mehr aus den Bildern von BILD. Hilmar Hoffmann, ehemals Präsident des für das Deutschland-als-Kulturnation-Bild im Ausland zuständigen Goethe-Instituts und langjähriger Kritiker Riefenstahls, sieht man da - altersweise? - lächelnd mit der wieder zeitgeistgemäß vitalen Wundergreisin - war da mal so was wie Dissens und Ideologiekritik? Nach ihrem Tod 2003 hat sich diese Tendenz zur Rehabilitierung noch verstärkt.

Jenseits von gut und böse scheint sie jedoch für die naturgemäß um den runden 100ter zunehmende Schar der Biografen nicht zu stehen; die recherchierten minutiös, wägten zwar differenziert ab, sparten aber an kritischen Tönen gerade deshalb nicht. Die Reihe der deutschsprachigen schließt der Filmwissenschaftler Jürgen Trimborn, der nach Rainer Rother ("Verführung des Talents") und Lutz Kinkel ("Die Scheinwerferin") den dritten Versuch macht, 'das Phänomen' biografisch in den Griff zu bekommen.

Mittlerweile ist dabei in die Selbstwahrnehmung der Biografen eingegangen, was die sozialwissenschaftliche Analyse seit den 1980er Jahren (ein guter älterer Überblick etwa bei Heinz Bude: "Bilanz der Nachfolge") insgesamt für den Umgang mit der NS-Vergangenheit beobachtet: der demografisch begründete Übergang von Erinnern zu Geschichte. Das äußert sich im konkreten Fall darin, dass Leni Riefenstahls Biografen immer jünger, ihre Biografien dagegen immer umfangreicher werden.

War Filmwissenschaftler Rainer Rother, Jahrgang 1956, Programmleiter des Zeughauskinos im DHM, Berlin, im Jahr 2000 mit 288 Seiten ausgekommen und der Historiker Lutz Kinkel, geboren 1966, 2002 noch mit 380 (vgl. literaturkritik.de 09/2002), so umfasst Jürgen Trimborns, Jahrgang 1971, Darstellung schon 600 Seiten.

Mythen getilgt, Lücken geschlossen: die Meriten Trimborns

Die Autobiografie Riefenstahls ("Memoiren", 1987) ist damit an Umfang immer noch nicht eingeholt. Das bedeutet auch, jede der Biografien erhellt und konturiert durch ihre Spezialisierung nur bestimmte blinde Flecken in diesem Text, der, ausdrücklich oder stillschweigend, die Folie aller dieser Unternehmen bildet. Was leistet Trimborns Ausführlichkeit im Vergleich mit den anderen beiden Biografien?

In Trimborns Buch geht ein, was zwei Jahre vorher der bei ihm schon wieder zitierte Rainer Rother erarbeitet hatte. Rothers Interesse hatte sich jedoch vor allem auf die Nachkriegssituation gerichtet und das sozialpsychologische Verständnis für die von Alice Schwarzer 1999 als Hexenjagd bezeichnete, besonders hartnäckige Auseinandersetzung der Öffentlichkeit mit Riefenstahls NS-Vergangenheit vertieft.

Aber auch zur gleichzeitig entstandenen und nur wenig früher erschienenen Arbeit von Kinkel tun sich keine Widersprüche auf. Was bei Kinkel einen Fokus seiner Darstellung bildet, die institutionellen, ökonomischen und personellen Verflechtungen Riefenstahls im "Dritten Reich" - großen Raum nimmt etwa die Geschichte des von Speer für die Regisseurin in den Entwurf für Berlins Nachfolgestadt Germania eingeplanten Filmgeländes ein - findet sich im Wesentlichen auch bei Trimborn aus den Quellen erarbeitet.

Neu bei Trimborn ist die Aufklärung einiger Mythen. Die immer wieder kursierenden Riefenstahl-Aktaufnahmen aus dem Film "Wege zu Kraft und Schönheit" der Ufa-Kulturfilmabteilung von 1925 zeigen nicht sie. Auf den Standbildern, die auch Bock und Töteberg in ihrem großen "Ufa-Buch" abdrucken, ist nicht die junge Riefenstahl zu sehen; allerdings hat sie einen kurzen Auftritt mit gymnastischen Übungen im Freien und nicht, Grund für ihr Leugnen einer Beteiligung, als eine der großen zeitgenössischen Tänzerinnen.

Wichtiger ist Trimborns Einbeziehung der aktuellen Hitlerforschung Brigitte Hamanns. Hat vor allem die amerikanische Riefenstahl-Literatur ihren letzten Spielfilm "Tiefland" als ein Werk der Inneren Emigration zu deuten begonnen, in dem unterschwellig zum Tyrannenmord aufgerufen werde, macht Trimborn jetzt endlich deutlich, dass es sich beim Stoff zum Film um eine von Hitlers Lieblingsopern handelt, die der seit seinen frühen Wiener Lehrjahren bewundert hatte.

Auch neue Aspekte werden bei Trimborn ans Licht geholt. So widmet er Riefenstahls Aktivitäten beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs große Aufmerksamkeit. Ungereimtheiten bei ihren Angaben, warum sie und einige ihrer besten Mitarbeiter Anfang September 1939 in Polen auftauchen und Zeugen des Massakers von Konskie werden, bringen ihn dabei auf die Spur des "Sonderfilmtrupps Riefenstahl". Allerdings fehlt für das hier entscheidende, abgedruckte Foto ein klar zuordenbarer Bildnachweis. Aufgrund verschiedener Indizien spricht Trimborn im Zusammenhang des "Sonderfilmtrupps" von einem bislang geheim gebliebenen großen Filmprojekt "im Auftrag des Führers", das Hitler im Riefenstahl-Stil als großen Feldherrn verherrlichen hätte sollen.

Geschichte der Filme statt Filmgeschichte

Trimborns Biografie erschließt den (film)historischen Kontext von Riefenstahls Filmschaffen. Dabei werden sowohl personell wie institutionell die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit im "Dritten Reich" und vor allem die Ausnahmestellung ihrer unmittelbaren Beziehung zu Hitler als Grundlage ihres Erfolges deutlich. Weit weniger erscheinen ihre Arbeiten jedoch als Filme unter Filmen. Was die dargestellten Gegenstände und vor allem die Art und Weise des Darstellens betrifft, werden vorliegende Einzelstudien nicht nur nicht überholt wie schon bei Kinkel, sie sind auch nicht angemessen gesichtet und zusammengefasst. Das fällt insbesondere bei Riefenstahls wohl ästhetisch ambitioniertestem und für die weitere Geschichte des Filmschaffens wirkungsmächtigstem Werk, den Filmen zur Berliner Olympiade 1936, besonders auf. Wer wie Trimborn diese Filme unter dem Kapiteltitel "Perfekte Körper" behandelt, kann eine Studie wie Daniel Wildmanns Untersuchung zur "Konstruktion und Inszenierung des 'arischen' Männerkörpers im 'Dritten Reich'", unter dem Titel "Begehrte Körper" 1998 erschienen und vor allem auch den "Olympia"-Filmen zugewandt, nicht einfach ignorieren.

So lässt sich denn vor allem auch in Trimborns Buch als Folge der Umstellung auf Geschichte feststellen, dass die Aussagesysteme und filmtechnischen Verfahrensweisen vor dem Bemühen um die Wiedergewinnung historischer Faktizität gegenüber den "Memoiren" immer mehr in den Hintergrund rücken. Wie Riefenstahl selbst wenig Erhellendes zu den spezifischen Qualitäten ihrer Filme zu sagen wusste, so findet der filminteressierte Leser auch hier dazu nichts Neues, ja kaum noch den Diskussionstand. Der jüngsten Riefenstahl-Forschung kommen mithin zusehends die Filme als Gegenstand lebendiger und kontroverser Auseinandersetzungen abhanden. Warum sonst aber wäre Leni Riefenstahl eine Person öffentlichen Interesses?

Problem "Memoiren"

Nur Lutz Kinkel hat bislang Riefenstahls "Memoiren", neben "Triumph des Willens" und "Olympia" ihr meistverbreitetes Werk, ein eigenes Kapitel in seiner Biografie eingeräumt, das in der guten Tradition der Quellenkritik der Historiker steht. Dennoch fällt an allen drei Biografien auf, dass sich überall dort, wo die Autoren nicht selbst 'besseres Wissen' aus Primär- und Sekundärquellen schöpfen konnten, die Stimme dieser "Memoiren" die Erzählungen der Biografen diktiert. Überall, wo man Riefenstahls Rede nicht der Klitterung überführen konnte und sie deshalb für unverfänglich hält, bleibt sie im Hintergrund hörbar. Vernehmlich wird sie vor allem dort, wo recht genaue vermeintliche Faktenaussagen ohne Fußnoten und Quellenangaben gemacht werden. Warum dieses Vertrauen? Offenbar gibt es einen Genrezwang und somit eine Verführung der Biografie zur kontinuierlichen Erzählung des Lebenslaufs, die auf unverfänglichem Terrain die wissenschaftlichen Sicherungssysteme durchbrechen.

Ein solches unverfängliches Kapitel scheint etwa Riefenstahls Zeit als Tänzerin in den noch nicht faschistischen frühen 1920er Jahren zu sein. Aus den auch bei Trimborn wieder mitgeteilten Besprechungen ihrer Tanzauftritte wird allenfalls Riefenstahls ambitionierter Anfang ersichtlich, kaum jedoch ihre Durchsetzung als Star der Ausdruckstanzszene um 1923 beglaubigt. So bleibt schließlich die Vielzahl der Auftritte und vor allem die angebotenen Engagements in den Weltstädten bislang ohne Belege. Auch Riefenstahls Unfall, der ihrer Tanzkarriere ein unerwartetes Ende gesetzt haben soll, wäre vor den sportlichen Höchstleistungen, die sie wenig später als Darstellerin in den Bergfilmen des auf Authentizität von Abenteuer und Gefahr schwörenden Fanck und schließlich als Olympionikin auf Skiern erbringt, noch genauer zu bewerten.

Bei dem großen Gewicht, das Riefenstahls dichtem Netz aus 'Dichtung und Wahrheit' für die biografischen Bemühungen bislang zugestanden wird, ist eine intensivere Auseinandersetzung mit diesem Werk als 'Textmonument' und nicht nur ausschließlich als historisches Dokument unerlässlich. Nach welchen Regeln erzählt sich dieser Lebenslauf, mit welchen Verfahren operiert die Darstellung, welches 'Selbst' konstituiert sich da? All diese Fragen sind bislang kaum beantwortet, ihre Beantwortung aber könnte kommende Biografieerzähler von der Verführung zur Kontinuität befreien und den Blick läutern für ein Leben aus Selbstentwürfen und Maskeraden, das gerade damit für die Verwerfungen in Karrieren erfolgreicher deutscher Frauen des 20. Jahrhunderts einstehen kann.

Titelbild

Jürgen Trimborn: Riefenstahl. Eine deutsche Karriere. Biographie.
Aufbau Verlag, Berlin 2002.
600 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-10: 335102536X

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