Türkische Männer? Nee, kein Interesse!

Heidi Kondzialkas Studie zu Netzwerkbeziehungen, Sexualität und Partnerwahl junger Frauen türkischer Herkunft

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Emanzipation ist Ehrensache". Kann man sich einen schöneren Titel für ein Buch über Musliminnen vorstellen? Gleich, ob es von Frauen in islamischen Gesellschaften handelt oder - wie Heidi Kondzialkas Studie - von Frauen türkischer Herkunft in Deutschland. Doch will die Autorin die so ermutigend klingende Wendung doppeldeutig aufgefasst wissen: Nicht nur, dass es eine Sache der Ehre sei, sich zu emanzipieren, will sie damit sagen, sondern mehr noch, dass die Emanzipation der Frauen die Sache der Ehre berührt. So jedenfalls sehen es die islamischen Männer und auch die Frauen der älteren Generation.

In ihrer mit rund 150 Seiten nicht eben umfangreichen Arbeit zeichnet Kondzialka mit Netzwerkbeziehungen, Sexualität und Partnerschaftswahl "spezifische Aspekte in Lebenssituationen" von jungen Frauen türkischer Herkunft in Deutschland nach, identifiziert deren individuelle Deutungsmuster und Bewältigungsformen und versucht, generalisierbare Tendenzen abzulesen - wobei sie von der Hypothese ausgeht, dass die Frauen in einem "potentiellen Spannungsfeld" zwischen der Erwartungshaltung ihrer Herkunftskultur und ihrer Familien einerseits und den Möglichkeiten, die sich ihnen in Deutschland bieten, andererseits befinden. Möglichkeiten allerdings, die auch von Seiten des Aufnahmelandes mit bestimmten Erwartungshaltungen verbunden sind. Dieses Spannungsverhältnis, so die Autorin, muss jedoch nicht notwendig zu der oft beschworenen "Zerrissenheit zwischen zwei Kulturen" führen. Vielmehr könnten die jungen Frauen auch zu einer "überwiegend positiv erlebten Integration verschiedener Orientierungsmuster" gelangen.

Zur Überprüfung ihrer Hypothese führte die Autorin qualitative Interviews mit Frauen türkischer Abstammung im Alter zwischen 18 und 30 Jahren, die in Deutschland aufgewachsen waren, deren Eltern jedoch erst im Erwachsenenalter nach Deutschland gekommen sind. Dass die Frauen ausnahmslos unverheiratet waren, war nicht beabsichtig.

Verschiedene Versuche, Interviewpartnerinnen zu finden, blieben erfolglos, so dass die Autorin schließlich Vermittlungen aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreis in Anspruch nehmen musste. Dennoch sind nicht mehr als neun Interviews zustande gekommen, von denen ein Drittel aus methodischen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte. Eine denkbar schmale Datenbasis, die - wie auch die Autorin weiß - schon alleine darum nicht repräsentativ ist, weil "unter den befragten Frauen höhere Bildungsabschlüsse überrepräsentiert" sind, "die eine emanzipatorische Haltung gegenüber der Elterngeneration vermutlich begünstigen". Gravierender ist jedoch noch, dass Kondzialka gerade zu denjenigen, die dem Ehrenkodex am strengsten unterworfen sind, wohl keinen Kontakt herstellen konnte. Darauf deutet auch der Umstand hin, dass mehrere kontaktierte Frauen, die zunächst Interviews zusagten und sich offenbar sogar darauf freuten, deren Realisierung bald mit fadenscheinigen Begründungen hinauszögerten und schließlich ganz absagten. Wobei zumindest eine von ihnen eingestand, dass ein familiäres Verbot der Grund für die Absage war.

Aus den schließlich sechs Interviews typisiert die Autorin drei Handlungsmuster der Befragten: 1. das der Anpassung: Hierunter fallen Frauen, die sich "primär an den Erwartungshaltungen ihrer Eltern" orientieren. 2. das des Verschweigens (Frauen, die Handlungsstrategien entwickeln, um "elterliche Erwartungshaltungen und Verbote zu umgehen") und schließlich das Handlungsmuster der Ablösung. Frauen, die diesem Handlungsmuster folgen, setzen ihre "individualisierten Vorstellungen" gegen "davon abweichende Erwartungshaltungen der Familien" durch. Die drei Handlungsmuster korrelieren auffällig mit dem Alter der Probandinnen. Die beiden jüngsten folgen Handlungsmuster eins, die beiden mittleren Alters Handlungsmuster zwei und die ältesten Handlungsmuster drei. Wohl zu Recht fasst die Autorin diese Handlungsmuster daher nicht als "statische Orientierungen" auf, sondern als "idealtypische, veränderbare Phasen in den Lebensverläufen" von in Deutschland lebender junger Frauen türkischer Abstammung. Sofern es ihnen gelingt, sich zu emanzipieren, wird man wohl hinzufügen müssen.

Neben der Korrelation zwischen Lebensalter und Emanzipation fällt die durchgängig ablehnende Haltung der Befragten gegenüber Männern türkischer Herkunft ins Auge. Keine von ihnen hat oder wünscht sich einen türkischen Partner. "Türkische Männer, nee, kein Interesse", erklärt eine von ihnen bestimmt. Wie deutlich wird, liegt die einheitliche Ablehnung in dem Wunsch der Frauen nach einer "gleichberechtigten Zweierbeziehung", die gemäß ihren Erfahrungen mit Männern türkischer Herkunft "kaum realisierbar" ist.

Instruktiv sind Kondzialkas Erläuterungen zum Unterschied zwischen dem hierzulande gebräuchlichen Ehrbegriff und dem in der ländlichen Türkei die Geschlechterbeziehungen regelnden Ehrbegriff namus. Während ersterer als "Repräsentation eines Wertes in den Überzeugungen des Individuums" zu verstehen ist, ist letzterer ausschließlich auf "das Einhalten einer sozial kontrollierbaren äußeren Norm" gerichtet und erhält erst durch die soziale Kontrolle des gesellschaftlichen Umfelds seine Relevanz. Ein Verhalten wird also erst dann 'unehrenhaft', wenn es bekannt wird. Ein weiterer Unterschied zwischen europäisch/westlichen Vorstellungen und dem ganz auf die weibliche Sexualität gerichteten Konzept der namus besteht darin, dass die nur für Frauen gültige Norm der "Keuschheit" sich anders als das europäisch-romantische Konzept der "Treue" nicht auf eine "exklusive, emotional-affektive Haltung gegenüber dem (Ehe-)Partner" bezieht, sondern auf "Verhaltensvorschriften innerhalb einer realen oder antizipierten sozialen Öffentlichkeit". Dabei sind die Frauen nicht nur Einschränkungen ihrer Sexualität unterworfen. Vielmehr hat sich das gesamte Leben der Frauen im "gesellschaftlich-öffentlichen Leben" nach dem namus zu richten. Zwar wurde dieses Konzept in türkischen Städten mit zunehmender Modernisierung bis hin zum Bedeutungsverlust modifiziert. Ganz anders sieht es jedoch in den "Parallelgesellschaften" türkischstämmiger Einwanderer in deutschen Großstädten aus. Hier gilt das Ehrkonzept des namus in eben dem Maße, in dem es in den Dörfern zu der Zeit galt, als die Deutschlandauswanderer sie vor oft 30 Jahren verließen. Vielerorts ist hierzulande gar eine Tendenz zur Retraditionalisierung zu konstatieren.

Titelbild

Heidi Kondzialka: Emanzipation ist Ehrensache. Netzwerkbeziehungen, Sexualität und Partnerwahl junger Frauen türkischer Herkunft.
Tectum Verlag, Marburg 2005.
157 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3828887791

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