"Ach Max! Es ist doch schön."
Im dritten Band des Briefwechsels zwischen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer aus den Jahren 1945 bis 1949 wird die Rückkehr nach Deutschland vorbereitet
Von H.-Georg Lützenkirchen
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSchon in den ersten beiden Bänden des Briefwechsels zwischen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer spielte das Zeitgeschehen kaum eine Rolle. Kommentare hierzu las man nur sehr selten in den Briefen. Der vorliegende Band beginnt im Jahr des Kriegsendes, und hierzu findet sich am 2. Mai 1945 eine Bemerkung Adornos: "Glauben Sie, daß Hitler tot ist? Es ist eines der beängstigensten Phänomene, daß man gar nicht recht zur Freude kommt über das, was man jahrelang vergebens gewünscht hat - es ist als hätte die Sehnsucht nach dem Sturz der Nazis sich selbst aufgezehrt." Bedeutsamkeit hat das Ereignis aber letztlich für die Selbstbezogenheit der beiden Philosophen, wie Adorno einige Tage später ausführt: "Schließlich ist das Hitlerregime die unmittelbare Ursache aller äußeren Entwicklungen in unserem Leben während der letzten zwölf Jahre und die Erwartung, daß es anders kommen möchte, eine der entscheidenden Kräfte, die uns am Leben hielten, während andererseits die Tatsache, daß unser beider Leben ein gemeinsames geworden ist, vom Faschismus gar nicht getrennt werden kann, so daß Glück und Unglück durch diese Phase sich für uns unauflöslich verschränkt haben."
"Glück" brachte "diese Phase", indem die gemeinsame Arbeit möglich wurde. Die "Dialektik der Aufklärung" war vollendet und lag 1948 endlich auch als fertiges Buch des Amsterdamer Querido-Verlag vor. "Lieber Max," annoncierte Adorno, "es ist da, das Buch, unser erstes legitimes Kind, und ich bin unendlich froh damit."
Doch wurden die 'glücklichen Phasen' immer wieder unterbrochen von solchen der Trennung. So auch 1945: Zu diesem Zeitpunkt leitete Horkheimer als Forschungsdirektor des "American Jewish Committee" (AJC) in New York eine Fülle von Projekten der empirischen Sozialforschung, darunter ein großes Projekt zum Antisemitismus ("Studies in Prejudice"). Währenddessen arbeitete Adorno in Kalifornien mit der "Berkeley Group", einer Forschungsgruppe der University of Berkeley und des Institute of Social Research, am Berkeley Project on the Nature and Extent of Antisemitism mit, aus dem die Studie "The Authoritarian Personality" hervorging.
Adorno schickte Horkheimer in diesen Monaten immer neue Projektideen und -entwürfe, die im Anhang des Briefbands dankenswerterweise vollständig abgedruckt sind. "Hoffentlich ergreift Sie keine Phobie vor all den Memoranden," kokettiert er am 25. Januar 1945, wohl wissend, dass es bei all diesen Dingen immer auch um das eigene Überleben im Konkurrenzkampf der Wissenschaftler untereinander ging. Eine zwar ungeliebte, aber dennoch mit Konsequenz von beiden betriebene Anstrengung. Dabei wird in den Briefen ein zuweilen zwanghaft anmutendes Misstrauen gegen die Umwelt deutlich, das sich aus der Anstrengung speist, unbedingt den Rang der eigenen Forschungsarbeit gegenüber der Wissenschaftskonkurrenz zu behaupten - bis auf die Gestaltung der Titelseiten von Veröffentlichungen, an denen andere mitbeteiligt waren: "In der Angelegenheit der Titelseite teile ich Ihre Ansicht, daß der Fortfall der Namen der beiden Institutionen kein großes Unglück ist - besonders auch weil ja die Berkeleygruppe an erster Stelle stünde, während die Reihenfolge der Autorennamen für uns günstiger ist" berichtet in diesem Geiste Adorno am 9. August 1949 von einer ihn selbst betreffenden Angelegenheit. Derart eifernd anmutende Anstrengungen haben für Adorno und Horkheimer aber grundsätzliche Bedeutung. Diese wird in einem interessanten Dokument deutlich, das Adorno als "Entwurf einer gemeinsamen Erklärung" am 12. November 1949 Horkheimer zuleitet: "Da unsere gesamte theoretische und empirisch-wissenschaftliche Arbeit seit Jahren derart verschmolzen ist, daß unsere Beiträge sich nicht sondern lassen, so scheint es uns an der Zeit, öffentlich zu erklären: alle unsere philosophischen, soziologischen und psychologischen Publikationen sind als von uns gemeinsam verfaßt zu betrachten, und wir teilen die Verantwortung. Das gilt auch für individuell gezeichnete Schriften."
Man mag dies als eine Art programmatisch-praktische Leitlinie verstehen, mit welcher die Wiedererrichtung des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt angegangen wurde. Nachdem Horkheimer bereits im Frühjahr 1948 erstmals wieder in Frankfurt tätig sein konnte, war Adorno im Oktober 1949 in Vertretung Horkheimers dort. Auch ihm wurde eine eigene Professur angeboten. Zunächst bestand Aussicht auf die Nachfolge des Gadamer'schen Philosophie-Lehrstuhls, bald aber wurde daraus eine Professur für Sozialphilosophie. Dieser Entwicklung misstraute Horkheimer. Am 6. Dezember 1949 interpretierte er die Sachlage als "ehrliche[n] Wunsch, Sie an Frankfurt zu fesseln, als Appetit auf eine Stiftungsprofessur für die Fakultät,[...] als verzuckertes Eingeständnis, daß Keller uns den Gadamerschen Lehrstuhl nicht geben will, als Versuch, die Ablehnung dem Ministerium zuzuschieben, als kaum verhüllte Aggressivität [...]. Wenn ich auch die Möglichkeit, daß nur das erste Motiv in Frage kommt, nicht völlig ausschließen will, so halte ich die gutgläubige Absicht dieser höchst verschlagenen Menschen [...] für recht unwahrscheinlich."
Dem sollte mit eigenem taktischen Geschick entgegengewirkt werden. Die Briefe geben Einblick in die Pläne und wie sie umgesetzt werden sollten, damit wahr würde, was Adorno zuvor freudig aus Frankfurt hatte verlauten lassen: "Es scheint, daß ein Traum sich uns erfüllt [...]. Ach Max! Es ist doch schön." Horkheimer schrieb daraufhin am 9. November 1949: "Wenn wir diese Professur erringen können, bedeutet es die Erfüllung eines Traums [...]. Es würde damit die einzigartige Situation geschaffen, daß zwei Menschen, die so quer zur Wirklichkeit sich verhalten wie wir, und eben deshalb zur Machtlosigkeit als vorherbestimmt erscheinen, eine Wirkungsmöglichkeit von kaum berechenbarer Tragweite geboten wäre. Wenn wir nämlich zwei Professuren statt bloß einer innehaben, schlägt wirklich Quantität in Qualität um; wir erhalten tatsächlich eine Machtposition."
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