Belanglose Oberflächen-Revue

Werner Faulstichs "Kultur der 80er Jahre" bleibt im Konventionellen stecken

Von Jörg AubergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Auberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für manchen Zeitgenossen waren die Werbespots für die Kaffeemarke "Café Swing" ein symbolisches Abbild der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. "Frech kommt weiter" war die Maxime einer Figur namens Hubert, die sich mit einer Mischung aus Penetranz, Unverschämtheit und Dreistigkeit gegen Konkurrenten auf dem Markt durchsetzte. Das Bild der 80er Jahre prägten zum einen der militante Eigensinn kleinbürgerlicher Parvenüs, die unter der Bezeichnung "Yuppies" durch die urbanen Landschaften streiften und nach den größtmöglichen Beutestücken auf den Warenumschlagplätzen gierten; zum anderen soziale Bewegungen der Hausbesetzer, Kriegsgegner und Anti-Atomkraft-Aktivisten. Beide Pole vereinte, dass sie in der Zeit nach dem mythischen "1968" lebten, in der eine Mode der "bricolage" und des "Anything goes" vorherrschte. Kritik wie Affirmation gingen einher mit Parodie und Ironie. Blauäugiges Engagement war ebenso verpönt wie die "Große Weigerung". Stattdessen fanden sich die politischen und kulturellen Akteure in einem globalen Multikonzern namens "Cynism Inc." (Todd Gitlin) wieder.

So wäre die Erforschung der "Kultur der achtziger Jahre" ein durchaus spannendes Projekt, doch leider zeichnet sich das gleichnamige, von Werner Faulstich herausgegebene Buch zuvörderst durch eine intellektuelle und sprachliche Anspruchslosigkeit aus - als wäre es aus einem jener berüchtigten "Call for papers" entstanden, wobei sich in erster Linie akademische Zeilenschinder berufen fühlen, ihre digitalen Zettelkästen zu plündern und ihre Publikationslisten zu erweitern. Viele Beiträge dieses Bands - vor allem jene zu Politik, Wissenschaft, Presse, Buchmarkt, Film und Video - wirken wie unbeholfene Proseminar-Arbeiten, in denen die eifrigen Verfasser unter Beweis stellen möchten, dass sie die Lektionen aus dem Grundkurs "Wissenschaftliches Arbeiten" verinnerlicht haben. In diesen Texten gibt es weniger eine stringente Argumentation denn eine haspelnde Aufzählung disparater Einzelheiten, gespickt mit schwer nachprüfbaren Literaturhinweisen, da nur wenige Leser die Jahrgänge des Fachblatts "journalist" in ihren Regalen werden stehen haben. Die zahllosen "Vgl."-Hinweise in diesen Texten dienen in erster Linie dem akademischen Bluff, der schon in der generationsübergreifenden, erstmals 1976 veröffentlichten Studienanfänger-Fibel "Uni-Angst und Uni-Bluff" des Soziologen Wolf Wagner zur Sprache kam, der Vorspiegelung eines umfassenden Wissens und einer Erklärungsautorität, die realiter nicht vorhanden sind.

Tatsächlich stellt das Buch eine sterile Interdisziplinarität einer buchhalterischen Kulturwissenschaft zur Schau, in der nicht einmal intellektuelle Energie darauf verwandt wird, um dem Leser zu erläutern, was nun die "Kultur der achtziger Jahre" sei oder gewesen sein könnte. Stattdessen wird als strukturelles Framework eine fragwürdige bundesrepublikanische Mainstream-Kultur vorgegeben, in der oppositionelle Stimmen keinen Raum haben. Für den Abriss der politischen Ereignisse der 80er Jahre verwendet Faulstich fast ausnahmslos Jahrgänge des Hamburger Nachrichtenmagazins "Der Spiegel", als könnte damit die Realität jener Zeit restlos erklärt werden. Ohnehin kommt der Herausgeber dieses Bands recht autoritär daher und wertet den Begriff "Postmoderne" (Ende der 50er Jahre erstmals von dem New Yorker Literaturkritiker Irving Howe verwandt) als einen "der wohl dümmsten Verlegenheitsbegriffe" ab, "der je historiographisch eingeführt wurde". Vielleicht hätte er einmal einen Blick in den immer noch lesenswerten Essay "Postmodernism: Roots and Politics" von Todd Gitlin aus dem Jahre 1989 werfen sollen, der auf 13 Seiten mehr über die Kultur der 80er Jahre sagt als diese akademische Textaneinanderreihung. Auch die Essays von Lothar Baier, Wolfgang Pohrt und Eike Geisel aus jener Zeit analysieren die Verhältnisse in den 80er Jahren weitaus besser als diese belanglose Oberflächen-Revue, die sich aus Ermangelung an intellektueller Verve und politischer Entschiedenheit der kritischen Funktion entschlägt.

Außerhalb des gängigen Vorrats der Konventionalisten findet eine Kultur der 80er Jahre nicht statt: Weder finden in dieser seltsamen Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts, welche angeblich mit diesen und anderen Bänden des Verlags geschrieben werden soll, die kulturellen Aktivitäten der Hausbesetzer Anfang der 80er Jahre noch die innovative Videozeitung im Rahmen der bundesweiten Studentenstreiks im Wintersemester 1988/89 statt. Selbst das Auftauchen und Verschwinden der Zeitgeist-Magazine wie "Wiener" oder "Tempo" oder die Integration ehemals "widerständiger" Milieus in die Gesellschaft werden nicht aufgegriffen.

Trotz allem vermögen die Beiträge zu Pop-Musik, Rock-Kultur, Kommerzialisierung des Sports durch Funktionäre, Wirtschaftsunternehmen und die Medienindustrie, die Kampagnen der Werbeindustrie und der Beginn der Digitalisierung durchaus interessante Einblicke in die sich verändernde Landschaft der Kulturen. Leider können selbst diese handwerklich bestenfalls durchschnittlichen Texte nicht die mangelnde Konzeption und die armselige Bildqualität des Bands kompensieren. Es ist sicher kein Gesetz, dass akademische und wissenschaftliche Texte schlecht geschrieben sein müssen, um ihre faktische Akkuratesse unter Beweis zu stellen. Die Utopie bleibt, dass selbst Akademiker sich in einem Satz soweit vorwagen, dass er lesbar wird, ohne dass der Agent der gesellschaftlichen Kontrolle und Verdummung sich einschaltet.


Titelbild

Werner Faulstich (Hg.): Die Kultur der 80er Jahre. Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2005.
247 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3770541626

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch