Heinrich Mann
Ein Abschied nicht ohne Wehmut (1987)
Von Marcel Reich-Ranicki
Der Ruhm, schreibt Heinrich Mann 1905, sei selten mehr als „ein weitverbreiteter Irrtum über unsere Person“. Ein origineller Gedanke ist das nicht. Schriftsteller pflegen über Erfolg und Ruhm häufig skeptisch, wenn nicht gar verächtlich zu sprechen. Es ist dann immer von Fehleinschätzungen die Rede und von groben Missverständnissen. Doch ergehen sich in solchen Klagen meist diejenigen, die selber – zu Recht oder zu Unrecht – erfolglos sind: In der Regel ist es der Ruhm der anderen, der Rivalen und der Nebenbuhler, dem man nicht trauen dürfe und der angeblich auf wackligen Füßen steht.
Auch Heinrich Mann gehörte damals, 1905, zu den erfolglosen Autoren: Er hatte schon mehrere Romane und Novellenbände publiziert, und sie waren zwar nicht ganz ohne Echo geblieben, ließen sich aber kaum verkaufen. Später, in den Jahren der Weimarer Republik, als er rasch und freilich nicht ohne Grund zu einem der meistgeachteten zeitgenössischen Schriftsteller aufsteigen konnte, wollte er sich über die Umstände, die zu dieser plötzlichen Anerkennung geführt haben, keine Gedanken machen: Er hat den lang ersehnten Ruhm gern akzeptiert, ohne zu fragen, ob er vielleicht auf die von ihm sonst bedauerten Missverständnisse und Irrtümer zurückzuführen sei. Seinen Höhepunkt erreichte Heinrich Manns Ansehen, als die Republik ihrem Ende entgegenging. Im Januar 1931 wählte man ihn zum Vorsitzenden der Sektion für Dichtkunst der preußischen Akademie der Künste: Er trug nun – so erinnerte er sich später – den Titel eines „Präsidenten der Dichter-Akademie“. Am 27. März 1931 wurde er sechzig Jahre alt. Man habe – lesen wir in einem Brief Robert Musils – „Anstrengungen gemacht, um ihn als praeceptor Germaniae wieder etwas vorzubringen; es zirkuliert ein Aufruf, der so kindische Beteuerungen von Führerschaft und Verdanken enthält, daß ich erklärt habe, ich könne das bei aller Freundwilligkeit in dieser Form nicht unterschreiben“.
Gleichwohl konnte Heinrich Mann eine von 130 Schriftstellern des In- und Auslandes unterzeichnete Grußadresse überreicht werden. Es fanden zu seinen Ehren mehrere Veranstaltungen statt. Auf einer Feier der Akademie der Künste sprach neben Max Liebermann, ihrem Präsidenten, auch Thomas Mann, der die Glückwünsche der Sektion für Dichtkunst „in kollegialer Bewunderung und Ehrerbietung“ darbrachte. Wer die erst in unseren siebziger und achtziger Jahren gedruckten Briefe und Tagebücher Thomas Manns kennt, der weiß, dass diese „Ansprache an den Bruder“ – um es vorsichtig auszudrücken – mit den wirklichen Ansichten des Redners nur wenig gemein hat.
Schon vor dem Geburtstag hatte man den Jubilar auf einem Bankett des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller geehrt. Hier wurde er vor allem von Gottfried Benn gerühmt: „Ich feiere in ihm die erregendste Dichtung der Zeit, … die entfaltetste deutsche Sprachschöpfung, die wir seit Aufgang des Jahrhunderts sahen. Ich feiere den Meister, der uns alle schuf.“ Und als Fazit heißt es: „Seien Sie versichert, wir hüten Ihr Werk, wo immer wir es aufschlagen …“ Rund zwei Jahre später, als die Bücher Heinrich Manns in vielen Städten des Deutschen Reichs verbrannt wurden, hat freilich niemand gewagt, sein Werk zu hüten – übrigens auch nicht Benn: Er sprach sich im Frühjahr 1933 in aller Öffentlichkeit für die neuen Machthaber aus, die ihn aber schon 1934 enttäuschten.
Verwunderlich ist überdies die Formulierung, der Laudator und seine Generationsgenossen würden das Werk Heinrich Manns hüten, „wo immer wir es aufschlagen“. Denn die Geburtstagsrede lässt eher vermuten, dass Benn den weitaus größten Teil dieses Werks entweder überhaupt nicht aufgeschlagen oder missbilligt hat: Er befasste sich nämlich bloß mit der 1903 erschienenen Trilogie „Die Göttinnen oder Die drei Romane der Herzogin von Assy“ und erwähnte kurz den Essay über Flaubert und George Sand aus dem Jahr 1905.
Dass diese Romantrilogie 1931 zu den vielen bereits in Vergessenheit geratenen Büchern Heinrich Manns gehörte, dass er, wie seine inzwischen publizierten zehn Romane, seine zahlreichen Novellen, Schauspiele und Essaybände bewiesen, längst in eine ganz andere Richtung ging und dass die Rolle, die er in der Weimarer Republik spielte, nichts mit den „Göttinnen“ zu tun hatte, wohl aber mit seinen Aufsätzen und mit seinen sozialkritischen Romanen, zumal mit dem „Untertan“ (1918) und mit dem aus dem Jahre 1905 stammenden „Professor Unrat“, der erst um 1930 (dank der Verfilmung mit Marlene Dietrich unter dem Titel „Der blaue Engel“) erfolgreich war – all dies wurde von Benn ignoriert: Er würdigte die „Göttinnen“ als „Einbruch der Artistik“, als „absolute Kunst“, genauer, als „Kunst ohne sittliche Kraft“, und bewundernd konstatierte er: „Auf der einen Seite der tiefe Nihilismus der Werte, aber über ihm die Transzendenz der schöpferischen Lust.“
Natürlich war es dem Geburtstagsredner nicht entgangen, dass Heinrich Mann seit mindestens zwanzig Jahren vom „Nihilismus der Werte“ nichts mehr wissen wollte, dass er sich in vielen Artikeln einer „Kunst ohne sittliche Kraft“ heftig widersetzt hatte, dass er immer wieder die moralische und die gesellschaftliche Funktion der Literatur forderte und sich bemühte, sie auf seine Weise zu verwirklichen. Im Grunde hatte Benn nicht so sehr das Werk des Jubilars gefeiert als vor allem ein nun schon weit zurückliegendes, doch allem Anschein nach überwältigendes Jugenderlebnis. So war diese Rede auf Heinrich Mann, ungeachtet der verherrlichenden und nicht mehr zu überbietenden Formulierungen – er sei das „umfassendste dichterische Ingenium unter uns“ –, letztlich eine Rede gegen ihn. Immerhin zählte Benn zu den wenigen prominenten Autoren der zwanziger Jahre (er galt schon damals als der neben Brecht wichtigste Repräsentant der neuen deutschen Lyrik), die bereit waren, sich über Heinrich Mann ausführlicher zu äußern.
Noch 1950 beteuerte er nach der Lektüre eines Artikels von Friedrich Sieburg, der sich so respektvoll wie skeptisch zu Heinrich Mann äußerte, er halte seine Festansprache von 1931 aufrecht; freilich mit dem Zusatz: „Übrigens wird, wer die Rede liest, sofort innewerden, daß sie nur die frühen, die italienischen Werke des Autors zugrunde legt, als er sie nach Deutschland verlagerte, verlegte sich die Schönheit nicht mit.“ Sein enthusiastisches Bekenntnis trotzig wiederholend, hatte sich also Benn noch einmal von dem ganzen nach 1903 entstandenen Werk Heinrich Manns distanziert.
Auch Robert Musil, der, wie gesagt, nicht einmal den Geburtstagsbrief mitunterschreiben wollte, war weit davon entfernt, Heinrich Manns Werk zu schätzen. In seinem Tagebuch urteilte er lapidar: „der blecherne H. M.“ Hugo von Hofmannsthal konnte nicht begreifen, „daß man diesen Heinrich Mann mit einer Art von Hochachtung behandelt“. Er schrieb 1926 an Willy Haas, den Herausgeber der „Literarischen Welt“: „Nach Jahren nahm ich wieder einmal etwas von ihm in die Hand: eine Erzählung Liane u. Paul. Das ist doch gar nichts als lumpiges Litteratentum, weder Gestaltung, noch Talent, noch Geist, noch Anstand; sujet und Haltung (mehr Allure als Haltung) copiert von Wedekind, einzelnes abgestohlen von Strindberg, das Ganze so flau und schal und gemein und dumm wie nur möglich! Warum toleriert man solche Figuren? Ein junger Historiker sagte mir, er habe aus Neugierde den Roman ‚der Kopf‘ von dem gleichen Individuum in die Hand bekommen, er sei von ekelerregender Flachheit und Dummheit – die äußerste Unkenntnis der Welt mit Anmaßung vermischt. Warum liest man nie ein wahres Wort über einen solchen Litteraten? Warum sind alle diese Zustände bei uns so verlogen?“
In der Tat war das Verhältnis zu Heinrich Mann in der Zeit der Weimarer Republik zumindest zwiespältig und oft nicht frei von erstaunlicher Unaufrichtigkeit. Seine in diesen Jahren erschienenen Bücher – insgesamt rund zwei Dutzend – wurden in der Regel nicht diskutiert. Gewiss, über manche erschienen damals in den großen Zeitungen Besprechungen, die mitunter zustimmend oder sogar überschwänglich waren. Nur ist es wohl kein Zufall, dass sie fast immer von Rezensenten geschrieben wurden, die man inzwischen nicht einmal dem Namen nach kennt. Schriftsteller von einiger Bedeutung hingegen, die seine politischen Ansichten teilten und ihn als öffentliche Figur akzeptierten und befürworteten, machten um Heinrich Manns nach dem „Untertan“ geschriebene Romane und Essays einen großen Bogen. Hat sich das nach 1945 geändert?
Im Jahre 1969 wandte sich die Zeitschrift „Akzente“ an 26 Autoren mit der Bitte um eine Stellungnahme zu Heinrich Mann. Fünfzehn haben Antworten gegeben, die sie nicht gedruckt sehen wollten. Warum? „‚Ich müßte Heinrich Mann nochmals lesen‘, ‚Ich bin wenig mit seinem Werk vertraut‘, ‚Ich habe Henri IV zu lesen begonnen, aber nie beendet‘, diese und ähnliche Antworten wiederholten sich“, berichtet der Herausgeber der „Akzente“, Hans Bender. Fünf Autoren haben auf die Umfrage überhaupt nicht reagiert. Somit konnte die Zeitschrift nur sechs Äußerungen veröffentlichen.
Heinrich Böll begnügt sich damit, in drei Sätzen die Aktualität der moralischen und gesellschaftskritischen Tendenz des „Untertan“ zu unterstreichen. Ähnlich knapp ist die Antwort von Horst Bienek, der ohne Begründung die Titel der Bücher von Heinrich Mann aufzählt, die er schätzt, und solche, die er nicht schätzt – zu den Letzteren gehören gerade die bekanntesten: „Professor Unrat“ und „Der Untertan“. Noch kürzer ist die Antwort von Peter Härtling ausgefallen, der bedauert, dass die Essays von Heinrich Mann nicht mehr gelesen werden. Und: „Seine großen Romane sind für mich Lehrstücke, vor allem ‚Die kleine Stadt‘.“ Der in der DDR lebende Fritz Rudolf Fries schreibt über Heinrich Mann mit gemischten Gefühlen. Helga M. Novak erinnert sich an die Qualen, die ihr die mehrfache Behandlung des „Untertan“ in Schulen der DDR bereitet habe. Ein sechster Autor schließlich, Peter O. Chotjewitz, erklärt in bester Laune, dass Heinrich Mann einer jener Schriftsteller sei, die er hochschätze, ohne je eine Zeile von ihnen gelesen zu haben. Insgesamt ist das Ergebnis dieser Umfrage ebenso dürftig wie aufschlussreich.
Jean Améry, der in den siebziger Jahren nicht müde wurde, um Verständnis für Heinrich Mann zu werben, meinte vorwurfsvoll, die Deutschen hätten ihn weder wiedererkannt noch wiederentdeckt: „Man zieht – im besten Fall! – den Hut und macht sich davon auf leisen Sohlen.“ Und warum? „Dieser Dichter und Pamphletist hat den Deutschen zu viele und zu einfache Wahrheiten gesagt.“ Sonderbar: Hat denn der Emigrant Thomas Mann den Deutschen keine bitteren Wahrheiten zu sagen gehabt? Trotzdem vermochte er, anders als sein älterer Bruder, im geteilten Deutschland unzählige neue Leser zu finden. Und Kurt Tucholsky? Ging er etwa mit den Deutschen sanfter und nachsichtiger um als Heinrich Mann? Dennoch waren und sind seine Bücher nach 1945 erfolgreicher als je zu seinen Lebzeiten. Oder hätte es etwa mit Heinrich Manns politischen Irrtümern zu tun, dass sein Werk in der Bundesrepublik, gelinde ausgedrückt, keine Gegenliebe fand? Im Klartext: Wurde und wird er nicht zur Kenntnis genommen oder abgelehnt, weil er im Exil nicht ohne Starrsinn Stalin und die Sowjetunion gepriesen hat? Améry wusste sehr wohl, dass sich damit nichts erklären lasse: „Brecht, der es arg genug getrieben hatte, wurde so langsam vom Roten Mann zum Klassiker. Niemand, außer ein paar verstockten Reaktionären, wollte an Ernst Bloch sich reiben.“
Zu diesen Namen (Thomas Mann, Tucholsky, Brecht und Bloch) könnte man eine stattliche Anzahl weiterer hinzufügen: von Musil bis zu Benjamin, von Horváth bis zu Polgar. Gegen keinen dieser Emigranten von gestern haben sich Kritik und Publikum in der Bundesrepublik gesperrt. Warum also gegen Heinrich Mann? Jean Améry blieb die Antwort schuldig. Es war ihm unverständlich, dass Heinrich Mann zu Lebzeiten nur mit dem „Untertan“ wirklich Erfolg hatte, er fragte, wie oft man noch „bettelnd bei den Deutschen darum ankommen“ solle, dass sie „diesen Autor, einen ihrer größten, endlich lesen“, und beantragte für ihn – es war 1971 – „ein intellektuelles und politisches Wiedergutmachungsverfahren großen Umfangs“.
Ein derartiges „Wiedergutmachungsverfahren“, ob nun tatsächlich notwendig oder nicht, ist längst im Gange: Zwei westdeutsche Verlage wetteifern in der Bemühung, uns auch noch die unerheblichsten (um nicht zu sagen: gänzlich missratenen) Bücher Heinrich Manns in möglichst zuverlässigen und zum Teil liebevoll bearbeiteten Editionen zugänglich zu machen. Seine „Gesammelten Werke in Einzelausgaben“ erscheinen im Claassen Verlag; von den geplanten zwanzig Bänden liegen bereits siebzehn vor, die restlichen sowie auch noch einige Briefbände werden vorbereitet. Derselbe Verlag hat 1976 eine zehnbändige Taschenbuch-Kassette mit einer Auswahl seiner Romane und Novellen auf den Markt gebracht. Bei S. Fischer wiederum wird eine „Studienausgabe in Einzelbänden“ verlegt; ursprünglich sollte sie nicht weniger als zwanzig Bände umfassen, jetzt hört man schon von 25 Bänden, und dabei wird es wohl nicht bleiben.
Während die Claassen-Edition die Nachworte des Lizenzträgers, des Ost-Berliner Aufbau Verlags, übernimmt (und hierzu vertraglich verpflichtet ist), wird die „Studienausgabe“ (von einer Ausnahme abgesehen) mit neuen, hierzulande verfassten Nachworten versehen und bietet auch noch in jedem Band von dem Herausgeber Peter-Paul Schneider zuverlässig ausgewählte Materialien. Man hat sich also viel Mühe gegeben: Den eigentlichen Text ergänzt ein Anhang von jeweils fünfzig bis siebzig Seiten. Darüber hinaus gibt es die wichtigeren Romane von Heinrich Mann und einige Novellenbände auch als Taschenbücher, vor allem bei Rowohlt und im Deutschen Taschenbuch Verlag. Wie immer man die Sache drehen und wenden will – den westdeutschen Verlagen kann man die Schuld nicht zuschieben. Wohl aber erleichtern uns diese Neuausgaben die Beantwortung jener Frage, die Jean Améry (und nicht nur er) umgangen hat, die man indes unbedingt stellen muss, wenn man die Motive des Widerstands einer angeblich unbelehrbaren literarischen Öffentlichkeit aufhellen will – die Frage nämlich nach der Qualität der Werke Heinrich Manns.
Er schrieb gern, viel und schnell. Er war fleißig, doch gehörten Sorgfalt, Geduld und Ausdauer zu seinen Tugenden nicht. In seinen autobiographischen Aufzeichnungen „Ein Zeitalter wird besichtigt“ (1946) sagt er ohne Umschweife, er habe „zu oft improvisiert“: „Ich widerstand dem Abenteuer nicht genug, im Leben oder Schreiben, die eines sind.“ So erinnert er sich im Alter an die Entstehung seines ersten bemerkenswerten Buches, des Romans „Im Schlaraffenland“ (1900): „1897 in Rom, Via Argentina 34, überfiel mich das Talent, ich wußte nicht, was ich tat. Ich glaubte einen Bleistiftentwurf zu machen“, schrieb aber den beinahe fertigen Roman. Ähnlich erging es Heinrich Mann mit seinem Roman „Professor Unrat“. In Florenz habe er in einer Theaterpause einen missverständlichen Zeitungsbericht gelesen, und er verspürte eine sofortige Wirkung: „In meinem Kopf lief der Roman ab, so schnell, daß ich nicht einmal bis in das Theatercafé gelangt wäre.“ Diesen Roman habe er dann „schnell und geläufig“ hingeschrieben, wahrscheinlich innerhalb von einigen Wochen.
Auch wenn solche Formulierungen – „Ich wußte nicht, was ich tat“, „In meinem Kopf lief der Roman ab …“ – nicht wörtlich gemeint sind, treffen sie jedenfalls insoweit zu, als viele seiner Romane, von den meisten Novellen, Schauspielen und Aufsätzen ganz zu schweigen, auf einen erschreckenden Mangel an Selbstkontrolle, an künstlerischer Disziplin schließen lassen. Immer wieder hat man den Eindruck, rasch, geradezu hastig skizzierte Entwürfe zu lesen oder erste Fassungen, die noch bearbeitet werden sollten. Aber dazu hatte Heinrich Mann in den meisten Fällen weder Zeit noch Lust. Was er aufs Papier geworfen hatte, schickte er sogleich seinem Verleger, der es dann druckte oder auch nicht. Während Thomas Manns Werke von 1898 bis zu seinem Tod im Jahre 1955 allesamt ein einziger Verlag (S. Fischer) publiziert hat, erschienen die Bücher seines Bruders allein in der wilhelminischen Zeit bei fünf Verlagen: Albert Langen, Insel, R. Piper, Paul Cassirer und Kurt Wolff – und Nebenarbeiten auch noch in kleineren Firmen. In der Weimarer Republik kamen noch weitere hinzu: Paul Zsolnay, Gustav Kiepenheuer sowie Propyläen und wiederum einige weniger bekannte Häuser. Hinter diesem unaufhörlichen Wechsel verbirgt sich nichts anderes als jener simple Umstand, der es so häufig den Verlagen erschwert, manchen Autoren die Treue zu halten – die Unverkäuflichkeit ihrer Bücher. In einem Brief Heinrich Manns aus dem Jahre 1947 heißt es lapidar: „Erfolg? 2 bis 4000 Auflage bis 1916.“
Auch an der Romantrilogie „Die Göttinnen“ waren nur sehr wenige Leser interessiert, was zunächst verwundert: Dieses Werk entsprach durchaus der Mode und ist nicht frei von allerlei Zugeständnissen, die seinen Absatz hätten erleichtern müssen. Den Werbetext schrieb Heinrich Mann selber: Er tat alles Denkbare, um die Trilogie dem Publikum schmackhaft zu machen. Erzählt werde von einer grenzenlos reichen und extravaganten dalmatinischen Herzogin, einer „Schönheit großen Stils“, die – wie wir gleich erfahren – „Gesellschaft und Presse in Spannung erhält durch ungewöhnliche Abenteuer“. Vor allem akzentuiert Heinrich Mann die sexuellen Motive in den „Göttinnen“, wobei er allerdings diese Vokabel vermeidet: Aus der „keuschen Freiheitsschwärmerin und der prachtliebenden Kunstbegeisterten „werde „eine unersättliche Liebhaberin“: „Die brünstige Natur Neapels steigert ihre Erotik bis zum körperlichen Wahnsinn … Die Herzogin geht, wie in allem, was ihr Leben bewegt hat, auch in der Liebe bis zum Äußersten.“ Von Orgien ist die Rede, „die starkes antikes Leben in die raffiniertesten modernen Verhältnisse übertragen und von einer kaum zu überbietenden Fleischlichkeit strotzen“. Der Werbetext endet mit der Feststellung, man werde „diese drei Bände aus ernstem Grunde lesen, wenn man es nicht schon darum täte, weil sie ungewöhnlich gut unterhalten und in ihrer verdichteten Sinnlichkeit, fast möchte man sagen, berauschen“.
Was kann man mehr verlangen? Vor allem wohl, dass diese nicht zimperliche Ankündigung hält, was sie verspricht – und das tut sie in nicht geringem Maße. In den „Göttinnen“ geschieht viel, sehr viel, eine Handlung gibt es allerdings nicht (sie ist auch gar nicht angestrebt), stattdessen eine Folge von Tableaus und in sich geschlossenen Episoden. Sie spielen in schönen Städten und wunderbaren Landschaften: in Rom und Paris, Wien und Venedig, in der Gegend von Neapel und an der Küste des Königreichs Dalmatien. Was manche als Panorama der europäischen Aristokratie um 1900 missverstanden haben, ist das großzügige Produkt einer immerhin erstaunlichen Einbildungskraft: Ähnlich wie seine hier im Mittelpunkt stehende, von Gier und Genuss getriebene und so grausame wie generöse Phantasie-Herzogin verwirft auch Heinrich Mann die ihn umgebende Wirklichkeit, die er nicht wahrnehmen will, und sucht Zuflucht in einem imposanten Scheinmilieu.
Der Erzähler inszeniert eine große Oper ohne Musik, er schwelgt in Pomp, Prunk und Pracht, hier finden Ekstase und Exhibitionismus, Begierde und Betäubung zu einer melodramatischen Synthese: „Er schluchzte auf. Die Vorstellung all ihrer vergangenen Lüste peitschte seine Sinne; sie trat plötzlich vor ihn hin in der Pracht ihres Lächelns. Er griff nach ihr, er sank in die Knie. Mit einem rauhen Aufschrei sprang er beiseite: er war über einen ihrer Liebhaber gefallen, der sich mit ihr in den Farren wälzte. Nino flüchtete; aber sie waren ihm schon voraus, sie lagen am Wege, große, gewölbte Körper, die seine Geliebte genossen, an ihrer Brust weinten oder auf ihrem Munde jubelten. Und er sah sie, seine Geliebte, alle Zärtlichkeiten ihres Leibes austeilen: die seltensten, die geheimsten, an die er nur mit stolzen Schauern gedacht hatte – und sie lagen überall am Wege!“
Wer das Grandiose und Hochpathetische liebt, das szenische Arrangement und den monumentalen Dekor, der kommt in dieser Trilogie immer wieder auf seine Kosten: „Seine hohe und lange Halle sah zwischen Säulen hinab aufs Meer. Über die oben offenen Marmorwände fielen schwere, tief rote Gewebe: vor ihnen prangte das weiße Fleisch. Das bronzefarbene sonnte sich auf Behängen aus gelber Seide. Die Statuen fehlten in den Sälen; es gab keine in den Loggien und auf den Gartenwegen. Aber überall blühte mit den großen Blumen das Fleisch, das glänzende oder sanfte. Die Herzogin wünschte sich auf allen Treppenstufen und bei jedem Brunnen die frischen Gesten junger Glieder.“ Schließlich lässt sich nicht verschweigen, dass Heinrich Mann jenes Publikum, das den schlichten, süßlichen und sentimentalen Kitsch bevorzugt – auf dieses Wort kann man jetzt nicht mehr verzichten –, ebenfalls reichlich bedient: „Zum Abschied küßte er sie unter den Sternen, während Leuchtkäfer um sie her schwebten und Menthe bitter duftete. Sie hob seine Hände, in die ihrigen verschränkt, über ihre Köpfe, als ob sie mit ihm ränge – und so sanken sie sich an die Brust.“
Es ist kaum zu glauben, dass diese Prosa den Gymnasiasten oder Studenten Gottfried Benn und einige seiner Generationsgenossen zu begeistern, ja zu berauschen vermochte. René Schickele erinnerte sich 1931: „Wir waren zwanzigjährig, als wir die ‚Romane der Herzogin von Assy‘ verschlangen, Flake und ich rissen sie uns aus der Hand.“ Auch Klabund schwärmte ohne Reue: „Wer, der je der Herzogin von Assy begegnete, könnte sie vergessen. Denn sie war ihm Kind, Mutter und Geliebte.“ Erich Mühsam hielt die „Göttinnen“ für „das riesigste Unternehmen, an das sich ein deutscher Romanzier noch gewagt hat“.
Was die Jungen damals so erregt und so stark beeinflusst hatte, war wohl zunächst einmal die Abwendung vom verhassten Alltag, die Rebellion gegen die bürgerliche Welt, der sich indirekt ergebende, doch unübersehbare, rabiate und radikale Protest gegen den ungeschriebenen moralischen Kodex der wilhelminischen Gesellschaft. In Heinrich Manns provozierendem Ästhetizismus haben die noch beinahe Halbwüchsigen ihr Lebensgefühl wiedererkannt. Mehr noch: Benn, ein entschiedener Gegner des traditionellen Romans, zumal Theodor Fontanes (man sollte nicht vergessen, dass die Erscheinungsdaten des „Stechlin“ und der „Göttinnen“ nur drei Jahre trennen), empfand Heinrich Manns zumindest streckenweise suggestive und sprachmächtige Trilogie als etwas gänzlich Neuartiges. Er sah in ihr einen Vorstoß, der weit über die Grenzen der am Anfang des Jahrhunderts dominierenden erzählenden Prosa (etwa vom „Stechlin“ bis zu den „Buddenbrooks“, von Paul Heyse bis zu Ricarda Huch und Eduard von Keyserling, Emil Strauss und Hermann Hesse) führe und somit den Bereich der Literatur kühn und kraftvoll ausdehne.
Aber warum gab es für diese drei Romane der Herzogin von Assy doch kein Publikum? Vielleicht deshalb, weil die Leser der Unterhaltungskonfektion und der Hintertreppenliteratur die von ihnen begehrten und ersehnten Motive, die der Klappentext so nachdrücklich ankündet, zwar hier finden konnten, doch von dem Sprachduktus abgestoßen wurden. Die anspruchsvolleren Leser wiederum waren, anders als Benn und manche Frühexpressionisten, nicht bereit, ein Buch zu goutieren, dessen Autor ungeniert und ohne Ironie Elemente verwendet, deren Herkunft aus der Trivialliteratur schwerlich bezweifelt werden kann.
Schon 1905 rückte Heinrich Mann in einem Brief von den „Göttinnen“ ab. Die „große, heidnische Sinnlichkeit“, die darin gefeiert werde, sei „doch eigentlich hier gar nicht das Ideal“, vielmehr „nur Ersatz für etwas Höheres, woran man aber nicht glaubt“. Und: „Aus Mangel an Nahrung für meine Zärtlichkeit behauptete ich, nur auf Sinnlichkeit komme es an; und behauptete es um so lauter, je weniger ich es innerlich glaubte.“ Das mag schon sein, nur dass die Untugenden dieser Trilogie sein gesamtes episches Werk belasten, von den Dramen ganz zu schweigen. Wohin er auch die Handlung seiner Romane und Novellen verlegte, er zeichnete in einer oft künstlich anmutenden Sprache Welten, in denen alles künstlich ist – die Figuren ebenso wie Milieu und Hintergrund.
Er liebte schrille Töne, grelle Farben und starke Effekte, scharfe Linien und harte, sofort leicht erkennbare Konturen. Was immer er schrieb – seiner Neigung zum Outrierten konnte oder wollte er nicht widerstehen, und stets gab er seiner fatalen Schwäche für die Kolportage nach. Man kann ihm manches nachrühmen, gleichwohl lässt es sich nicht verheimlichen, dass diesem doch ungewöhnlichen Schriftsteller etwas fehlte, woran es schon vor den „Göttinnen“, in seinen frühesten Büchern, zumal in dem satirischen Roman „Im Schlaraffenland“, haperte und was man nur mit einem zwar ungenauen, doch leider nicht ersetzbaren Wort andeuten kann – nämlich Geschmack. Selbst ein so enthusiastischer und treuer Anhänger Heinrich Manns wie Hans J. Fröhlich hat einmal, es war 1976, die Geduld verloren – er konnte nicht umhin, verärgert zu klagen: „Welch katastrophale Entgleisungen gibt es in diesem Œuvre auch immer wieder, … wieviel Schiefheiten, wieviel Verkrampftes und Peinliches, welchen Kitsch.“
Ob es nun zutrifft, dass es der Mangel an Nahrung für seine Zärtlichkeit war, der Heinrich Mann zu der eher kunstgewerblichen als poetischen Welt der Herzogin von Assy getrieben hat, jedenfalls war er des Renaissancismus (mit diesem damals modernen Stichwort versuchte man die „Göttinnen“ zu charakterisieren und einzuordnen) gründlich satt und ist zu ihm nie wieder zurückgekehrt – es sei denn, man schreibt auch die dreißig Jahre später entstandenen „Henri Quatre“-Romane seiner frühen Sehnsucht nach dem in jeder Hinsicht Überdimensionalen zu.
Bei dem in München spielenden Roman „Die Jagd nach Liebe“ (1903) kann man allerdings schwerlich von Entgleisungen sprechen: Das Buch, das Heinrich Mann, wie er nicht ohne Zufriedenheit feststellte, „fast in einem Zuge geschrieben“ hatte, ist von Anfang bis zum Ende eine einzige Entgleisung. Die Neuausgabe hat man mit einem 1958 in der DDR verfassten Nachwort von Alfred Kantorowicz versehen. Wozu? Die Übernahme des Nachwortes möchte der Herausgeber der Studienausgabe Peter-Paul Schneider „als kleine ‚Hommage à Alfred Kantorowicz‘ (1899–1979), dem ersten Editor der Werke Heinrich Manns, verstanden wissen, zumal dieser Essay zu ‚Die Jagd nach Liebe‘ seine Gültigkeit bis zum heutigen Tag behalten hat“. Das schlägt dem Fass den Boden aus. In dem Nachwort lesen wir, die „Jagd nach Liebe“ bringe „Erkenntnisse, Schönheiten und Höhepunkte im Episodischen, die mehr als ein halbes Jahrhundert nach seinem Entstehen Leser unserer Tage neu ergreifen werden. Die Aufnahme des Romans bei Publikum und Presse war eher gereizt als kühl. Man fühlte sich getroffen.“ Davon stimmt kein einziges Wort: Der Roman bietet weder Erkenntnisse noch Schönheiten, er kann die Leser unserer Tage so wenig ergreifen, wie er jemanden zur Zeit seiner Erstveröffentlichung ergriffen oder interessiert hat.
Es ist auch nicht wahr, dass die „Jagd nach Liebe“ „gereizt“ aufgenommen oder, wie es bei Kantorowicz ebenfalls heißt, „gehässig“ abgelehnt wurde, vielmehr hat man den Roman – und zu Recht – als eine Geschmacklosigkeit sondergleichen verworfen. Und wenn sich jemand getroffen fühlte, dann höchstens einige in München lebende Zeitgenossen, die unfreiwillig für Heinrich Manns Pseudofiguren Modell gestanden haben. Niemandem ist daran gelegen, Alfred Kantorowicz am Zeug zu flicken, aber eben weil er allerlei Verdienste hat, ist es bedauerlich und betrüblich, dass man seinem Ruf mit dem Abdruck einer verfehlten Arbeit geschadet hat.
Was von diesem Buch zu halten ist, hat Thomas Mann in seinem an den Bruder gerichteten Brief vom 5. Dezember 1903 – einem Brief voll Ratlosigkeit, Abscheu und Widerwillen – überzeugend dargelegt. Dass namhafte Literarhistoriker (wie etwa Wolfdietrich Rasch) ihre Gelehrsamkeit an die Analyse eines solchen Werks verschwendet haben, ist schwer begreiflich. Hier braucht man nicht zu analysieren und zu kritisieren, hier genügt es zu zitieren: „Er schob ihr einen Stuhl hin, machte sich voll finsteren Eifers um sie her zu schaffen. Sie sah zu ihm auf; in ihrer Corsage bewegten sich helle, freundliche Fleischmassen. Theodora kam; sie hatte nur um den Magen ein wenig schwarze Gaze gewunden, worauf Spitzen gestickt waren. Ihre Arme raschelten von den Handgelenken bis zu den Ellenbogen in seidenen Falten. Oben war sie frei zu allen gelenkigen Würfen, die den engen Schatten unter den Achseln blitzschnell auf- und zudeckten. Claude bemerkte, über ihren Nacken gebeugt: ‚Sie hätten wirklich nicht nötig, sich da hinten zu pudern.‘ ‚Weil Sie dumm sind‘, erwiderte Theodora. ‚Da muß man sich pudern.‘ Sie hob heftig die Schultern. Ihr Nacken stieß gegen Claudes Lippen, die ihn nicht gesucht hatten. Er schnappte nach Luft. ‚Schauen’s, nun muß ich niesen! … Man bekommt ja das Zeug in die Nase.‘“
Mit derartigen Passagen hat Heinrich Mann alle 23 Kapitel des (der künstlichen Aufregung zum Trotz) höchst monotonen Romans gefüllt: Diese Brüste und Schenkel, diese Fleischmassen mit und ohne Korsett werden dem Leser auf nahezu jeder Seite offeriert. Hier noch ein Beispiel: „Er wurde in ein rundes Gemach geführt, das keine festen Wände hatte. Ein Schleier nur schloß es, in Farben spielend, die ein gedämpftes Licht von draußen regelte und abstufte. Hinter Köhmbolds Ruhekissen war er bläulich, fast weiß, und es schienen in seinem Gewebe die Blütenglieder von Feen zu spielen. Allmählich, mit etwas Rot auf der leichten Stickerei, wurden kräftige Frauen daraus, und an Kühmbolds anderer Seite, wo der Kreis sich schloß, strotzten in dunkelvioletter Gaze die Leiber schwarzer, brünstiger Hexen. Die Erfindung war seltsam zum Erschrecken. Köhmbold wußte dies und schwieg. Claude betrachtete beklommen seine Füße, die auf gewirktes Frauenfleisch traten, und zwar auf das der Liebe geöffnete. Er ergriff eine Stuhllehne; es war ein zurückgebogener Frauenhals, um den er die Hand legte. Das Kissen konnte man drücken, wie man wollte, es behielt die Form einer Frauenbrust.“
Belanglos und ärgerlich ist auch der Roman „Zwischen den Rassen“ (1907), eine banale und ziemlich chaotische Dreiecksgeschichte, wieder einmal vor einer malerischen italienischen Kulisse. „Zwischen den Rassen“ muss eine Deutschbrasilianerin namens Lola wählen, womit zwei gegensätzliche Mentalitäten und Lebensauffassungen gemeint sind – die eine verkörpert ihr Ehemann, ein tüchtiger, tatkräftiger und auch brutaler Italiener, die andere ihr Geliebter, der sich als ein schüchterner Träumer, als zarter und trauriger Poet erweist. Schließlich entscheidet sich Lola, wie nicht anders zu erwarten war, für den Geliebten, den Mann der Dichtung. Auch von diesem Roman hat uns die unglückselig begonnene Fischer-Studienausgabe eine neue Edition beschert, sogar mit einem neuen Nachwort – freilich mit einem, das als Beispiel dafür gelten kann, wie man Nachworte zu derartigen Büchern auf keinen Fall schreiben darf. Eine Germanistin kommentiert „Zwischen den Rassen“ aus feministischer und marxistischer (genauer: pseudomarxistischer) Sicht. Sie hat die Kühnheit, von „großem dichterischen Einfühlungsvermögen“ zu sprechen, ist aber leichtsinnig genug, reichlich zu zitieren, ohne sich offenbar dessen bewusst zu sein, dass die vielen Zitate die sprachliche und intellektuelle Dürftigkeit des Buches sichtbar machen.
Überdies wird in dem Nachwort Heinrich Manns Lola gegen Anna Karenina und Madame Bovary, gegen Effi Briest und Tony Buddenbrook ausgespielt, weil nämlich für sie – anders als für ihre angeblichen Vorgängerinnen – „aus dem Ehekonflikt das Engagement gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung der Armen, gegen Ausbeutung und Erniedrigung“ erwachse. Schon der Umstand, dass hier ein Trivialroman in einem Atemzug zu Meisterwerken der Weltliteratur in Beziehung gesetzt wird, zeigt, wohin es führt, wenn eine auf Irrwege geratene Germanistik nicht bereit oder nicht fähig ist, die Frage nach der Qualität zu stellen.
Wer will, mag Heinrich Mann hochjubeln. Dies hat man in Ost-Berlin in den fünfziger und auch noch in den sechziger Jahren getan – so aufdringlich und so hartnäckig, dass eine ganze in der DDR aufgewachsene Generation jetzt nicht einmal seinen Namen hören will. Inzwischen ist man dort vernünftiger geworden und schreibt über ihn in der Regel sachlich, bisweilen auch nicht unkritisch. Dass manche unserer Heinrich-Mann- Spezialisten der DDR-Germanistik folgen, wäre noch kein Unglück, nur übernehmen sie leider nicht die heutigen, sondern die gestrigen, die also dort längst überwundenen Standpunkte. Auf jeden Fall sollte man sich, statt seine vielen schlechten Bücher andächtig zu interpretieren und verantwortungslos zu preisen, auf diejenigen konzentrieren, die noch einigermaßen lesbar und teilweise sogar lesenswert sind.
In seinem schönen Aufsatz über Choderlos de Laclos beanstandete Heinrich Mann, dass in den „Liaisons dangereuses“ die moralische Absicht „eher zu deutlich“ sei. Er selber freilich, dem das Dezente und Indirekte immer fremd war, verdankte seine wichtigsten Erfolge Romanen, in denen die gesellschaftskritischen, die moralischen und pädagogischen Absichten deutlich und allzu deutlich sind, in denen er von einem Werkzeug reichlich und nachgerade hemmungslos Gebrauch machte, auf das er erst in seinen letzten, sehr dunklen und nur zum Teil noch verständlichen Romanen „Der Atem“ (1949) und „Empfang bei der Welt“ (1956) verzichtet hat – von dem Holzhammer.
Dies gilt vor allem für den „Untertan“. Den im Sommer 1914 abgeschlossenen Roman hat bereits eine Münchner Zeitschrift in Fortsetzungen veröffentlicht, doch wurde dieser Vorabdruck bei Kriegsbeginn sofort abgebrochen. Die erste Buchausgabe erschien daher in russischer Übersetzung – 1915 in Petrograd. Beides ist nicht verwunderlich. Ein Roman, der die wilhelminische Gesellschaft aufs Schärfste kritisiert, deren wichtigste Institutionen (Militär, Justizwesen, Schule und Universität) angreift und nicht davor zurückschreckt, die Person des Kaisers unmissverständlich zu verspotten, war für die deutschen Zensurbehörden, zumal während des Krieges, nicht akzeptabel. Aus denselben Gründen war das Buch, dessen Motto „Dies Volk ist hoffnungslos“ lauten sollte und dessen Inhalt keineswegs im Widerspruch dazu steht, bei den Russen höchst willkommen. In Deutschland konnte es erst nach Kriegsende erscheinen: Die längst vorbereitete Ausgabe gab es sofort nach dem Waffenstillstand, also noch 1918. Die höhnische und gnadenlose Abrechnung mit dem Kaiserreich kam unzähligen Lesern wie gerufen.
An keinem seiner Romane hat Heinrich Mann so lange und so gründlich gearbeitet wie am „Untertan“. Es ist sein ehrgeizigstes literarisches Vorhaben – ein den großen französischen Romanen des neunzehnten Jahrhunderts, von Balzac bis Zola, nachempfundener Querschnitt der Gesellschaft, in dem möglichst keine Schicht unberücksichtigt (und das heißt: unkritisiert) bleiben sollte. So sind sie denn auch alle da: Aristokraten und Bürger, Unternehmer und Richter, Beamte und Offiziere, Lehrer und Geistliche, Arbeiter und Arbeiterführer, Politiker und Huren. Zahlreiche mehr oder weniger wichtige, doch in der Regel charakteristische Vorfälle und Ereignisse, Affären und Prozesse aus jener Epoche wurden in den Roman integriert, manch eine Person erweist sich beim näheren Hinsehen als Schlüsselfigur.
Aber im Grunde haben wir es, ungeachtet aller unübersehbaren französischen Einflüsse, mit einem typischen deutschen Bildungsroman zu tun, wenn auch einem à rebours. Die vielen Episoden und Genreszenen dienen als Hintergrund für die Lebensgeschichte jenes Diederich Heßling, der beides zugleich und auf einmal ist – ein sich feige duckender Untertan und ein sadistischer Tyrann, so borniert wie großsprecherisch. Seine Kindheit und Schulzeit, die Universitätsjähre mit allerlei Erlebnissen in einer Korporation und mit eher abstoßenden erotischen Abenteuern, der Anfang seines beruflichen Aufstiegs, dem er bald Ansehen und Wohlstand als Unternehmer in einer norddeutschen (an Lübeck erinnernden) Kleinstadt zu verdanken hat – all das füllt die ersten Kapitel, und es ist glanzvoll sichtbar gemacht, mit wahrhaft imponierender Angriffslust und mit kaum verhehlter Schadenfreude.
Doch nach etwa einem Drittel des Romans lässt das Interesse merklich nach, und man fragt sich insgeheim und mit schlechtem Gewissen – es wird ja der „Untertan“ von nicht wenigen Kennern zu den Höhepunkten der deutschen Prosa unseres Jahrhunderts gezählt –, ob es denn wirklich nötig sei, die Lektüre fortzusetzen. Man hat nun das Bild der von Heinrich Mann entlarvten und mit unvergleichlicher Wucht angeklagten Gesellschaft vor sich, es ist schon jetzt auf überwältigende Weise einleuchtend – so einleuchtend und so überzeugend, dass es keiner Ergänzung oder Bereicherung mehr bedarf.
Nicht anders verhält es sich mit dem Personal dieses Romans. Gar keine Frage: Die zahlreichen Figuren, mit großer Sicherheit und mit Routine gezeichnet, sind unverwechselbar. Aber ihre Ansichten und Handlungen, und sogar einzelne Äußerungen, lassen sich in den meisten Fällen leicht voraussehen. Der Pastor meint und tut, was man eben von einem Pastor in der wilhelminischen Zeit erwartet, und der Major sagt, was ein Major der kaiserlichen Armee zu sagen hat. Und so ist es auch mit Diederich Heßling. Schon nach hundert Seiten ist sein Fall gänzlich klar, schon wissen wir, wie er in verschiedenen Situationen agieren und reagieren wird, schon ist er kalkulierbar. Joachim Fest spricht von einer „ins Mythologische gesteigerten Sozialmarionette“, die eher die Vorstellung gefördert habe, „der Untertan sei immer nur der andere“. Oder sollten wir etwa ungerecht sein und gar zu streng ein Werk beurteilen, das doch wie kein anderes jene Mentalität aufzudecken und wirkungsvoll zu zeigen vermochte, die Deutschlands schrecklichste Tragödie ermöglicht hat? Der „Untertan“ wurde häufig als ein prophetisches Buch bezeichnet; das mag übertrieben sein, so ganz falsch ist es nicht.
Am treffendsten hat diesen Roman ein kluger Schriftsteller gesehen, der mit Heinrich Mann seit Jahren befreundet war: Arthur Schnitzler. Er schrieb dem Autor, er halte das Buch für „eine ganz außerordentliche Leistung“, nämlich „kühn im Entwurf, unerbittlich in der Durchführung, von wildestem Humor und mit unvergleichlicher Kunst erzählt“. Hier stimmt jedes Wort; nur ist es bloß die eine Seite der Sache, von der anderen spricht Schnitzler in diesem Brief vom 3. Januar 1919 nicht. Aber wenige Tage vorher, am 27. Dezember 1918, hatte er sich über den „Untertan“ in seinem erst 1985 veröffentlichten Tagebuch notiert: „Außerordentlich – doch mehr caricaturistisch im Detail als satirisch im großen. Dazu allzuviel Haß und Einseitigkeit … Gelegentliche Geschmacklosigkeit.“ Ja: die häufig unkontrollierte Lust an der Karikatur, der oft unbeherrschte Hass, die extreme Einseitigkeit und die nicht seltenen Geschmacklosigkeiten haben den „Untertan“ um seine volle Wirkung gebracht – und viele andere Bücher Heinrich Manns ebenfalls.
Die Fragwürdigkeit des „Untertan“ und deren Ursache werden besonders deutlich, wenn man dieses Buch mit einem erheblich früheren und kleineren Werk Heinrich Manns vergleicht, mit einem Roman, den die meisten Literarhistoriker nicht schätzen – mit dem „Professor Unrat“. Man hat dem „Unrat“ vor allem die scharfe moralische Kritik der bürgerlichen Welt im Kaiserreich zugute gehalten: Die Schule sei hier „als ein getreuer Spiegel der wilhelminischen Gesellschaft und ihrer tyrannischen Autoritäten dargestellt“. Das Buch wurde also als eine Art Introduktion zum „Untertan“ gelesen. Dagegen ist nicht viel einzuwenden: Zwar war dem Autor des „Professor Unrat“ an einer derartigen sozialkritischen Tendenz nicht sonderlich gelegen, doch lässt sie sich in dem Roman finden, wenn auch eher am Rande. Heinrich Mann wollte wohl in erster Linie seinen nicht unbegründeten Widerwillen gegen die Schule artikulieren – kein sehr originelles Thema übrigens, da Schulromane und Schülertragödien damals nachgerade Mode waren.
Die Geschichte des Professor Raat, der Unrat genannt wird, spielt sich indes auf einer anderen Ebene ab. Gewiss ist Unrat ein bösartiger und sogar sadistischer Lehrer, der die ihm ausgelieferten Schüler aufs Gemeinste schikaniert. Zu Heinrich Manns Roman „Die Armen“ (1917) meinte Hermann Hesse, der Autor mache sich die Sache zu leicht, „indem er einfach die eine Partei bis zur Lächerlichkeit degradiert“. Auch den Unrat degradiert Heinrich Mann bis zur Lächerlichkeit, er zeigt einen ekelhaften Menschen, er verachtet und hasst ihn. Doch je tiefer sich dieser Unrat in jene Affäre verstrickt, die schließlich zu seinem Untergang führt, desto mehr erregt er ein Gefühl des Autors, mit dem dieser, als er den Roman begann, vielleicht gar nicht gerechnet hat. Ich spreche vom Mitleid. Im Unterschied zu Diederich Heßling ist Unrat nicht nur widerlich, sondern auch bedauernswert. Er ist ein unglücklicher und einsamer Mann, einer, mit dem niemand zu tun haben will, ein Ausgestoßener. Seine in den ersten Kapiteln des Romans stark akzentuierte Gier nach Macht hat ihre Wurzeln, wie sich später herausstellt, in seiner heimlichen Sehnsucht nach menschlicher Zuwendung und Zärtlichkeit, nach Liebe.
So ist „Professor Unrat“ weniger ein Roman gegen die wilhelminische Gesellschaft als vor allem die Geschichte eines älteren Mannes, der in die Abhängigkeit von einer Frau gerät – eine erotische und sexuelle Abhängigkeit. In dem Augenblick, in dem Unrat zum Opfer der Liebe wird, hört er auf, lächerlich zu sein. Was immer Heinrich Mann ursprünglich geplant hatte – im Laufe der Handlung seines Romans identifiziert er sich mit seinem Helden und dies sogar in zweifacher Hinsicht: einerseits mit dem Mann, der im Bann einer Frau ist, die in seiner Sicht die Welt der Kunst repräsentiert (und sei es auch der schäbigsten), und andererseits mit dem Bürger, der, aus welchen Gründen auch immer, gegen sein Milieu und gegen seine gesellschaftliche Klasse rebelliert. Unrat sei – schrieb Heinrich Mann 1905 in einem Brief an seine Freundin Ines Schmied – menschlicher als die Herzogin von Assy: „Er hat doch einige Ähnlichkeit (erschrick nicht!) mit mir: mit Dem, der Dich liebt.“ Der bornierte und verknöcherte Gymnasiallehrer ist auch eine ungleich interessantere Figur als Diederich Heßling, wenn nicht die interessanteste im Werk von Heinrich Mann.
Besonderer Sympathie der älteren Heinrich-Mann-Leser erfreut sich jedoch nicht der (im letzten Teil schwache und auffallend schludrig geschriebene) „Professor Unrat“, sondern „Die kleine Stadt“ (1909). Es ist in der Tat – das hat im Œuvre dieses Autors Seltenheitswert – ein liebenswürdiges Buch, verfasst nicht von einem Ankläger oder Eiferer, vielmehr von einem gelassenen Beobachter. Eine italienische Kleinstadt, nicht weit von Rom gelegen, wird von einer Operntruppe aufgesucht; und wo es ohnehin schon viel Langeweile gab und Klatsch und Intrigen, da zieht das Gastspiel der Wanderkünstler unzählige Folgen nach sich und bringt den ganzen Ort durcheinander. Es kommt zu regelrechten Kämpfen zwischen verschiedenen Gruppen der Bevölkerung, zumal zwischen eher progressiven und eher konservativen Kräften.
Der Autor selber hat darauf hingewiesen, dass den Bewohnern dieser Stadt keine der Schwächen, die man menschlich nennt – von der Eitelkeit bis zur Ränkesucht –, fehle. Ja, es ist Heinrich Manns menschlichstes Buch, unbeschwert und anmutig, überdies ein kunstvoll komponierter Roman, in dem er auf die von ihm sonst bevorzugten Kolportage-Elemente – die melodramatischen Motive sind gerade hier verzeihlich – weitgehend verzichtet und in dem er sich als souveräner und einfallsreicher Regisseur bewährt: Er weiß die Bevölkerung dieses Ortes auf den verschiedenen Schauplätzen (Markt, Dom, Theater) übersichtlich und wirkungsvoll zu arrangieren.
Der Roman lese sich – schrieb Thomas Mann in einem Brief an seinen Bruder – „wie ein hohes Lied der Demokratie“. Dem Autor war diese griffige Formulierung sehr willkommen, er verwendete sie oft, so in einem Brief an René Schickele, in dem es heißt, die „Kleine Stadt“ sei „politisch zu verstehen“, so in einem Verlagsprospekt, der mit den Sätzen endet: „Was hier klingt, es ist das hohe Lied der Demokratie. Es ist da, um zu wirken in einem Deutschland, das ihr endlich zustrebt. Dieser Roman, so weitab er zu spielen scheint, ist im höchsten Sinne aktuell.“
So wird er bis heute interpretiert: Am Beispiel der Vorgänge in der kleinen italienischen Stadt soll die Abwendung, sei es vom autoritären Staat, sei es vom Individualismus, gezeigt werden und natürlich die erwünschte Hinwendung zu einer besseren Ordnung, zur Demokratie. Dieser Deutung folgt auch Helmut Koopmann, der die Neuausgabe der „Kleinen Stadt“ (bei S. Fischer) mit einem soliden und umfassenden Nachwort versehen hat.
Aber haben wir es tatsächlich mit einem politischen Roman zu tun? Mit Zitaten kann man das leicht beweisen, denn Heinrich Mann lässt seine Figuren immer wieder (und immer im selben Idiom) über Volk und Fortschritt, Menschlichkeit und Demokratie räsonieren. So sagt der Apotheker: „Überall regt sich die Reaktion, und die Regierung, in ihrer Furcht vor der Demokratie, der sie doch entstammt, unterstützt sie.“ Der Kapellmeister: „Wir, die wir aus dem Reichtum eines Volkes schöpfen dürfen, wie müssen wir es lieben!“ Der Gemeindesekretär: „Man sieht sich plötzlich der Anarchie und dem Bankrott gegenüber und besinnt sich auf die Mäßigung und die Strenge, ohne die kein Gemeinwesen besteht.“ Am häufigsten schwadroniert ein Advokat, dem Heinrich Mann das völlig überflüssige Fazit des Ganzen („Wir sind ein Stück vorwärtsgekommen in der Schule der Menschlichkeit“) in den Mund legt und der mit seinen hochherzigen Phrasen allen, den Personen des Romans ebenso wie seinen Lesern, unentwegt auf die Nerven geht.
Kein Zweifel, dass hier die mediterrane Lebensweise, der stark stilisierte italienische Alltag ausgespielt werden soll gegen deutsche Daseinsart. Und die Demokratie? Wenn diese darin besteht, dass alle mitreden wollen und sich einmischen in Sachen, von denen sie oft genug nichts verstehen, dann mag auch der permanente Trubel in der kleinen Stadt als heitere Vision und sanfte Parodie demokratischer Sitten verstanden werden. Dass es aber Heinrich Mann vor allem darauf ankam, den Deutschen Demokratie beizubringen, scheint mir eine der pittoresken Idylle nachgelieferte politische Interpretation. Wie auch immer: Man wird dieses Bilderbogens, dieses Märchens im italienischen Dekor doch nicht ganz froh. Recht hat Siegfried Lenz: „Das kunstvoll veroperte Durcheinander hält uns nicht in seinem Bann, vermutlich, weil das Interesse nicht beliebig teilbar ist … Wir finden uns genötigt, es auf zu viele aufzuteilen, buchstäblich auf alle Einwohner der kleinen Stadt. Alle: das heißt jedermann, und jedermann ist niemand Bestimmtes.“
Ist das Fehlen einer zentralen Gestalt, mit der die Leser sich hätten identifizieren können, der eigentliche Grund des Misserfolgs der „Kleinen Stadt“, deren Vorzüge erst nach 1945 wahrgenommen wurden? Blieb der „Professor Unrat“ ohne Echo, weil sich das Publikum nicht für ein Buch erwärmen mochte, dessen abstoßender Held im Laufe der Handlung zwar bemitleidenswert, aber nicht im Geringsten sympathisch wird? Sicher ist, dass Heinrich Manns Erfolg gleich nach dem Ersten Weltkrieg auch mit diesen beiden Romanen so wenig zu tun hat wie mit den „Göttinnen“. Wie groß sein Triumph war, lassen die euphorischen Töne erkennen, die selbst ein nachdenklich kühler Autor wie Kurt Tucholsky für angemessen hielt. Seine im Juni 1920 in der „Weltbühne“ gedruckte Besprechung von Heinrich Manns Essayband „Macht und Mensch“ schließt mit einer Ergebenheitserklärung. Wenn gefragt werde, ob Heinrich Mann der „Führer einer Jugend“ sein soll, so – erklärt Tucholsky – „weiß ich, daß ich nicht für die Schlechtesten meiner Altersgenossen und der Jüngeren spreche, wenn ich sage: Wir folgen ihm.“
Zurückzuführen war diese Euphorie auf seine publizistischen Arbeiten und, vor allem, auf den „Untertan“. Tucholskys ohne Einschränkungen hymnische Rezension des Romans (im März 1919) gipfelt in dem Satz: „Weil aber Heinrich Mann der erste deutsche Literat ist, der dem Geist eine entscheidende und mitbestimmende Stellung fern aller Literatur eingeräumt hat, grüßen wir ihn.“ Noch deutlicher konnte Tucholsky schwerlich sagen, dass er, den „Untertan“ besprechend, nicht ein episches Kunstwerk im Sinne hatte, sondern ein politisches Pamphlet.
Gewiss, fügte er hinzu, sei er sich dessen bewusst, „daß diese wenigen Zeilen seine künstlerische Größe nicht ausgeschöpft haben“. Die Entschuldigung hilft nicht viel, denn in Wirklichkeit lobt er ausschließlich Heinrich Manns Gesinnung und seine gesellschaftskritischen Anschauungen, um die künstlerischen Aspekte hingegen kümmert sich Tucholsky überhaupt nicht. „Die Figuren bei ihm sind“ – so Robert Musil über Heinrich Mann – „wie mit der Schere aus bedrucktem Papier geschnitten. Er wird sagen, daß ihn das Natürliche an ihnen nicht reizt. Auch nicht ihr Geist, sondern seine Idee. Dieser Idee gibt er ein von Anfang bis Ende künstliches Leben.“ Den jungen Tucholsky hat das nicht gestört. Seine Rezension ist symptomatisch: Sie zeigt, dass Heinrich Manns Erfolg vornehmlich politischer und nicht literarischer Natur war. Bestätigt wird das durch jene Arbeiten, die – neben dem „Untertan“ – dazu beigetragen haben: Es sind mehrere während des Krieges (und auch schon vorher) veröffentlichte Artikel, zumal sein immer wieder gerühmter Essay über Zola aus dem Jahre 1915.
„Das gewagteste Unternehmen der Kritik scheint“ – August Wilhelm Schlegel zufolge – „der Widerspruch gegen eine durch lange Verjährung befestigte Meinung über Kunst- und Geisteswerke zu sein.“ Durch lange Verjährung ist die Meinung befestigt, Heinrich Mann sei einer der bedeutenden deutschen Essayisten. Seine Bewunderer schätzen die Aufsätze über berühmte französische Schriftsteller des achtzehnten und des neunzehnten Jahrhunderts. Sie sind, vor allem die früheren, pointiert und effektvoll geschrieben, mit Verve und Temperament. Ein Langweiler ist dieser Porträtist nie. Aber vielleicht, mit Verlaub, ein Schaumschläger?
So endet der Aufsatz „Voltaire – Goethe“ aus dem Jahre 1910: „Denn Freiheit: das ist die Gesamtheit aller Ziele des Geistes, aller menschlichen Ideale. Freiheit ist Bewegung, Loslösung von der Scholle und Erhebung über das Tier: Fortschritt und Menschlichkeit. Frei sein heißt, gerecht und wahr sein; heißt, es bis zu dem Grade sein, daß man Ungleichheit nicht mehr erträgt. Ja, Freiheit ist Gleichheit … Denn Freiheit ist der Wille zu dem als gut Erkannten, auch wenn das Schlechte das Erhaltende wäre. Freiheit ist die Liebe zum Leben, den Tod mit einbegriffen. Freiheit ist der Mänadentanz der Vernunft. Freiheit ist der absolute Mensch.“
Da haben wir schon die wichtigsten Kennzeichen dieser essayistischen Prosa: majestätisches Pathos, verschwenderische Rhetorik, hämmernder Rhythmus und die hemmungslose Lust an großen Worten. Hier sind schon die Vokabeln versammelt, die er noch in seinen letzten Arbeiten unermüdlich verwenden wird: Freiheit, Geist, Fortschritt, Menschlichkeit, Gleichheit, Liebe, Vernunft. Einige Substantiva ähnlicher Art kommen noch hinzu: Wahrheit, Humanität, Würde, Tat, Macht, Gerechtigkeit.
Auf beinahe jeder Seite seiner publizistischen und essayistischen Schriften werden diese Worte miteinander verkoppelt, jedes kann sich zu jedem gesellen, meist sind sie austauschbar. Dem Hang zu der „großen, geliebten Abstraktion“, den er bei Choderlos de Laclos beanstandet, bleibt er selber ein Leben lang treu. In dem oft zitierten programmatischen Aufsatz „Geist und Tat“ (1910) heißt es: „Der Geist ist das Leben selbst, er bildet es, auf die Gefahr, es abzukürzen.“ Ferner: „Das Mißtrauen gegen den Geist ist Mißtrauen gegen den Menschen selbst, ist Mangel an Selbstvertrauen.“ Über den Literaten: „Vom Geist ist ihm die Würde des Menschen auferlegt. Sein ganzes Leben opfert der Wahrheit den Nutzen.“
Ein zentraler Gedanke dieser vor dem Ersten Weltkrieg entstandenen Aufsätze lautet: „Der Geist soll herrschen, dadurch, daß das Volk herrscht.“ Aber kann der Geist zum Volk durchdringen und mit der Macht eins sein? Heinrich Mann stellt die rhetorische Frage, ob denn ein ganzes Volk zu denken sei, „das um der qualvollen Ruhelosigkeit des Geistes willen verzichtet auf die animalische Langlebigkeit der andern Völker! Das die lebenerhaltenden Lügen verschmäht! Das ehrlich bleibt, und führe es zur Auflösung! Ein Volk, ein ganzes Volk, das sein zeitliches Leben abkürzt, aus Liebe zum ewigen!“ Ein solches Volk, das also „auf die animalische Langlebigkeit der andern Völker“ verzichtet, seien die Franzosen, ihnen sollten die Deutschen nacheifern. Wie man sieht, hatte dieser Verfechter der Menschlichkeit (damals jedenfalls) keine Bedenken, die Bereitschaft zum nationalen Selbstmord zu propagieren.
Auf ästhetische Fragen geht Heinrich Mann in seinen Porträts französischer Schriftsteller, auch in den späteren aus den zwanziger Jahren, nur selten ein und nur obenhin. Nicht das Kunstwerk interessiert ihn, sondern die gesellschaftlichen und zeitgeschichtlichen Fakten, die auf seine Entstehung eingewirkt haben und die sich in ihm widerspiegeln. Es versteht sich, dass er die Literatur sehr ernst nimmt, doch letztlich nur als Beleg für Thesen, als Illustration von Anschauungen. Und da diese Porträts vor allem aktuellen pädagogischen und agitatorischen Aufgaben dienen sollen, werden sie ohne Pardon retuschiert und präpariert und zur Selbstidentifikation benutzt. So übertreibt man nur wenig, wenn man sagt, dass sich hier mehr über Heinrich Mann findet als über Stendhal oder Flaubert, Victor Hugo oder Anatol France.
Trifft das auch auf den Zola-Essay zu? Nicht eine Auseinandersetzung mit Zola ist hier beabsichtigt, ja nicht einmal, von wenigen Abschnitten abgesehen, eine kritische Darstellung seines literarischen Werks und seines politischen Kampfes. Denn Heinrich Mann hat dreierlei im Sinn: die Selbstpräsentation, die Anklage des wilhelminischen Deutschland und seines Krieges sowie schließlich ein Plädoyer für die Demokratie. Daher bezieht sich oft, was über Zola gesagt wird, auch oder sogar vor allem auf den Autor des Essays. In solchen Abschnitten wird in der Regel der Name des Porträtierten vermieden: „Er weiß, sein Werk wird menschlicher dadurch, daß es auch politisch wird. Literatur und Politik, die beide zum Gegenstand den Menschen haben, sind nicht zu trennen in einer Zeit von psychologischer Denkweise und in einem freien Volk.“ Und: „Er ist gewillt, Vernunft und Menschlichkeit auf den Thron der Welt zu setzen, und ist so beschaffen, daß sie ihm schon jetzt als die wahren Mächte erscheinen …“
Auf ähnliche Weise werden die Äußerungen über das Frankreich Napoleons III. auf das Deutschland Wilhelms II. übertragbar gemacht – durch die Verwendung einer Bezeichnung, die sich auf beide Staaten beziehen kann: das Kaiserreich. Hier ein Beispiel: „Niemand im Grunde glaubt an das Kaiserreich, für das man doch siegen soll. Man glaubt zuerst noch an seine Macht, wenn sie nicht Recht ist, das tiefste Recht, wurzelnd in dem Bewußtsein erfüllter Pflicht, erkämpfter Ideale, erhöhten Menschentumes. Ein Reich, das einzig auf Gewalt bestanden hat und nicht auf Freiheit, Gerechtigkeit und Wahrheit, ein Reich, in dem nur befohlen und gehorcht, verdient und ausgebeutet, des Menschen aber nie geachtet ward, kann nicht siegen, und zöge es aus mit übermenschlicher Macht. (…) Ihr seid besiegt, schon vor der Niederlage.“ Zusammen mit der Niederlage prophezeit Heinrich Mann auch deren Konsequenzen: „Die Lügen der Monarchien werden beendet durch Revolutionen, wie keine Republik sie gekannt hat.“ Ein Geschenk der Niederlage werde die Demokratie sein: „Der Volksstaat ist das Leben und die Gesundheit.“ Wie dieser künftige Volksstaat denn beschaffen sein soll, wird freilich nicht einmal angedeutet.
Indes: Mitten im Krieg, zur Zeit einer gefährlichen patriotischen Begeisterung und einer fatalen chauvinistischen Propaganda, war der Zola-Essay, der von intelligenten Lesern trotz aller Camouflage schwerlich missverstanden werden konnte, eine außergewöhnliche Tat und ist, von heute her gesehen, ein zeitgeschichtliches und ein literarhistorisches Dokument höchsten Ranges. Eine vergleichbare Arbeit ist Heinrich Mann nie wieder gelungen. In den ihm nach dem Ersten Weltkrieg verbliebenen rund drei Jahrzehnten hat er Hunderte von Aufsätzen verfasst: politische Leitartikel, kleine Betrachtungen, offene Briefe, Reden, auch Porträts, meist von Schriftstellern und Theaterleuten. Groß ist die Zahl der Themen, klein die der Gedanken. Was er zu politischen Angelegenheiten schrieb, ist meist so redlich wie oberflächlich, oft so treffend wie banal. Sehr richtig meinte Golo Mann, Heinrich Mann habe im Laufe der Jahre allerlei behauptet, „ohne ökonomisch, soziologisch, politisch zu fragen“.
Dass er über keine „auch nur halbwegs ausreichende politologische und soziologische Bildung“ verfügte, räumt sogar sein Bewunderer Jean Améry ein. Dies aber habe sich in seinen politischen Darlegungen nicht etwa als ein Mangel niedergeschlagen, vielmehr als „ein uneinholbarer Vorsprung“, denn seine politischen Erkenntnisse seien „durchaus intuitiv“ gewesen. Ein Vorsprung? Wie denn das? „Er redete die Sprache des Denkenden und des Fühlenden, nicht die des Gelehrten.“ Wirklich die des Denkenden? An einer anderen Stelle findet sich bei Améry die Bemerkung, Heinrich Mann sei „nicht der schärfste politische Denker seiner Zeit“ gewesen, doch habe er sich „an ein paar einfache Grundbegriffe“ gehalten.
Aber sieht man genauer hin, dann zeigt es sich, dass die „einfachen Grundbegriffe“ beinahe immer Gemeinplätze und Phrasen sind. Im Dezember 1918 sagt Heinrich Mann in einer Ansprache über „Sinn und Idee der Revolution“: „Einen Radikalismus gibt es, der alle wirtschaftlichen Umwälzungen hinter sich läßt. Es ist der Radikalismus des Geistes. Wer den Menschen gerecht will, darf sich nicht fürchten. Der unbedingt Gerechtigkeitsliebende wagt sehr viel.“ In seiner Gedenkrede auf den ermordeten bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner heißt es: „Geist ist Wahrheit. Seine Erfolge waren das Werk seiner Wahrheitsliebe. Denn sie macht schöpferisch, und dem schöpferischen Menschen vertrauen die Mitmenschen.“ Hier ist, fürchte ich, jedes Wort falsch. Es gibt, wie sehr man es bedauern mag, Geist ohne Wahrheit und Wahrheit ohne Geist, keineswegs reicht Wahrheitsliebe aus, um den Menschen schöpferisch zu machen, und es wäre zwar schön, doch trifft es nicht zu, dass es genüge, ein schöpferischer Mensch zu sein, um das Vertrauen der Mitmenschen zu genießen.
Im Laufe der zwanziger und, erst recht, der dreißiger Jahre lässt die Selbstkontrolle Heinrich Manns deutlich nach: Der Stil büßt die Prägnanz des Zola-Essays ein, das Pathos wird immer simpler und die Vorliebe für hochherzig-feierliche Wendungen immer unerträglicher. In seinem 1928 geschriebenen Bericht für die Preußische Akademie der Künste kann man lesen: „Das Allgemeine, Ewige ist das Reich des Geistes, denn er will Wahrheit, Gerechtigkeit und den Menschen schlechthin.“
Später hat man manchen Mahnungen und Warnungen Heinrich Manns Hellsicht bescheinigt und ihn gelegentlich sogar zu einer Art Kassandra der Weimarer Republik stilisiert. Doch ganz abgesehen davon, dass derartige Äußerungen nahezu immer mit fundamentalen Irrtümern und peinlichen Plattitüden gemischt sind, konnte man damals ähnliche Mahnungen und Warnungen, kaum schlechter und bisweilen besser gesagt, auch bei anderen liberalen Autoren finden, nicht zuletzt in jeder Nummer der „Weltbühne“.
So überrascht es nicht, dass die essayistische Prosa von Heinrich Mann kein nennenswertes Echo hatte – vielleicht mit Ausnahme des „Zola“. Benjamin, Bloch, Adorno und Lukács, Musil, Brecht und Broch – sie alle verspürten offenbar niemals Lust, sich mit diesen seinen Arbeiten näher zu beschäftigen oder an ihre (nicht eben originellen) Gedanken anzuknüpfen. Es ist kein Zufall, dass in die von Oskar Loerke und Peter Suhrkamp 1940 herausgegebene und von Suhrkamp 1953 ergänzte, repräsentative Anthologie „Deutscher Geist“ natürlich Essays von Freud, Ricarda Huch, Hofmannsthal, Thomas Mann, Karl Kraus, Rudolf Borchardt, Rudolf Alexander Schröder, Benjamin und Brecht aufgenommen wurden und dass von Heinrich Mann hier nichts zu finden ist.
Gleichwohl scheint seine Autorität im Berlin der Weimarer Republik groß gewesen zu sein. Geliebt wurde er nicht und doch von einem beträchtlichen Teil der intellektuellen Welt geachtet; und es ist nicht ausgeschlossen, dass es gerade die Schwächen des politischen Autors Heinrich Mann waren, die dies ermöglicht haben. Da er kein Programm hatte, da seine publizistischen Aktivitäten sich in der meist pauschalen Ablehnung der ohnehin allgemein ungeliebten Republik erschöpften und seine Vorstellungen hinsichtlich der Zukunft stets äußerst vage blieben und kaum über die Wiederverwendung der Vokabeln „Fortschritt“, „Gerechtigkeit“ und „Demokratie“ hinausgingen, fiel es sehr unterschiedlichen Schriftstellern – von Döblin, Feuchtwanger und Tucholsky bis zu Hesse, Benn und Zuckmayer – leicht, ihn anzuerkennen. Ludwig Marcuse berichtet: „In den Tagen der Einheitsfront machte man ihn zum Hindenburg des Exils; er wurde eine Art Dachorganisation für alle, die sich unter einem gemeinsamen Dach streiten wollten.“ Offenbar hat Heinrich Mann, die Respektsperson der literarischen Welt, schon in den letzten Jahren der Weimarer Republik eine ähnliche Rolle gespielt.
Allerdings mussten sich jene, die ihn brauchten und ehrten, wohl oder übel auch mit seinen neuen Romanen abfinden – und das war nicht einfach. Für den „Kopf“ (1925) gilt, was Schnitzler über den vorangegangenen Roman „Die Armen“ in seinem Tagebuch vermerkt hat: Der Autor sei „von Tendenz wie benebelt“. Tucholsky äußerte sich über den „Kopf“ in einem Brief an Heinrich Mann. Er habe Schwierigkeiten, dieses Buch zu verstehen, es bereite ihm Kummer: „Das ist kein Urteil – sondern eine Inkompetenzerklärung.“ Hans J. Fröhlich meinte, beide Bücher, „Die Armen“ und „Der Kopf“, seien „heute unlesbar“; aber sie waren es von Anfang an.
Um die vier zwischen 1927 und 1932 veröffentlichten Romane Heinrich Manns, von denen unlängst zwei in die „Gesammelten Werke“ beim Claassen-Verlag aufgenommen wurden – „Mutter Marie“ (1927) und „Die große Sache“ (1930) –, ist es kaum besser bestellt. Diese beiden Bücher sollen zusammen mit einem dritten („Eugenie oder Die Bürgerzeit“, 1928) eine Art Trilogie bilden. Ihre Motti – so der Autor in einem Brief aus dem Jahre 1928 – könnten lauten: „Lernt verantworten, lernt ertragen, lernt euch freuen! Alle drei zusammen könnten ‚Die gute Lehre‘ heißen. Ich fürchte nur, daß alles dies für einen Romanschriftsteller zu anspruchsvoll klingt.“ Zu anspruchsvoll? Nicht eher zu naiv, zu simpel, zu oberlehrerhaft?
Die drei Romane sind in hohem Maße moralisch und didaktisch, alle drei laufen einem optimistischen Fazit entgegen, und jeweils steht hinter dem Happy End ein gütiger, weiser und strenger Mann, der durchaus kein Monarch ist, aber doch schon jene Autorität ausstrahlt, die einem späteren Heinrich-Mann-Helden im Übermaß eingeräumt wird – dem König Henri Quatre. Die in der westdeutschen Neuausgabe abgedruckte „Nachbemerkung“ aus der Feder der in Ost-Berlin das Heinrich-Mann-Archiv verwaltenden Wissenschaftlerin Sigrid Anger ist gut belegt und daher nützlich. Anders als die bei uns Heinrich Mann rühmenden Germanisten lässt sie nicht selten durchblicken, dass sie sich der Fragwürdigkeit der von ihr kommentierten Werke sehr wohl bewusst ist.
Einige Verwirrung richtete die in der Tat überraschende Tendenz der „Mutter Marie“ an: Der Roman, der seinen Höhepunkt in einer langen Beichtszene erreicht, konnte, ja musste als ein Plädoyer für den Katholizismus begriffen werden. Die bisherigen Anhänger Heinrich Manns fragten ironisch, ob er denn vielleicht auf dem Wege nach Rom sei. Jene Rezensenten hingegen, die von seinen politischen Anschauungen nichts wissen wollten und denen seine gesellschaftskritischen Attacken immer schon ein Ärgernis waren, zeigten sich diesmal sehr zufrieden. Auch der Roman „Die große Sache“, der seit über einem halben Jahrhundert nicht mehr neu aufgelegt wurde (was man verstehen kann), hätte Verwirrung hervorrufen können – wenn man ihn zu lesen bereit gewesen wäre. Ähnlich wie Bruder Thomas nahm sich auch Heinrich Mann der Kommentierung seiner Werke gern selber an, nur machte er es ungleich plumper. So beteuerte er in einem ausführlichen Begleitartikel, die „Große Sache“ sei „ganz unpolitisch“, und appellierte an das Publikum in einem auffallend betulichen Tonfall: „Vielleicht könntet ihr einander helfen und einander nicht ganz so fern sein.“
Dem wieder einmal schnell, wenn nicht hastig aufs Papier geworfenen Roman kann man freilich Betulichkeit am wenigsten anlasten. Wir haben es eher mit einem theatralisch oder, richtiger, filmisch aufgebauten Produkt zu tun: Szenen und Motive, die lediglich auf primitive Spannung berechnet sind, werden hier von anderen Kolportage-Elementen billigster Machart abgelöst. Thomas Mann war entschlossen, den Bruder in der Öffentlichkeit freundlich zu behandeln. Er gab sich in einem Artikel in der „Literarischen Welt“ denkbar viel Mühe, das Buch zu loben, glaubte jedoch, seine Missbilligung wenigstens andeuten zu müssen: Dieser Roman sei „in einem Grade reizgeladen und reizüberladen, daß die Lust, die er bereitet, jeden Augenblick im Begriffe ist, zur Pein zu werden“.
Reizgeladen und reizüberladen ist auch das noch in Berlin begonnene und im Exil erschienene Romanwerk „Die Jugend des Königs Henri Quatre“ (1935) und „Die Vollendung des Königs Henri Quatre“ (1938). Nachdem seine im Laufe der vorangegangenen zwanzig Jahre verfassten sieben Romane allesamt in Deutschland spielten, hatte sich Heinrich Mann jetzt der geliebten romanischen Welt zugewandt, und nicht abwegig ist die Behauptung, im gewissen Sinne habe er an den Renaissancismus seiner „Göttinnen“ angeknüpft.
Aber sie kommen hier beide zu Wort: einerseits der passionierte Artist, der melodramatische Sänger und der mediterrane Theatraliker, der Goldoni und Puccini bewundert, und andererseits der Moralist und Prediger, der Gesellschaftskritiker und Volkserzieher. Entstanden ist daraus ein höchst sonderbares, ein in jeder Hinsicht exorbitantes Werk: ein Kolossalgemälde mit unzähligen Kulissen und Kostümen, eine große Oper mit Pauken und Posaunen, ein Ritterroman mit Glanz und Gloria, mit Tod und Teufel. Ohne das belehrende Nachwort wäre allerdings manchen Lesern entgangen, dass Heinrich Mann, der Republikaner und Verfechter der Aufklärung, mit diesem prächtigen und inbrünstigen Preislied auf einen Monarchen nicht nur einen historischen Roman angestrebt hat, sondern auch eine Auseinandersetzung mit der unmittelbaren Gegenwart, eine rückwärtsgewandte, also in die Vergangenheit projizierte Utopie, kurz: ein didaktisches Gleichnis.
Doch ob Ritterroman und große Oper oder Gleichnis und Utopie – selbst die gutwilligsten Leser ermüden nach einiger Zeit und verlieren, zumal im erheblich schwächeren zweiten der beiden Romane, die Übersicht. Bertolt Brecht bemerkte in seinem „Arbeitsjournal“ etwas verärgert: „Heinrich Mann zeigt ein solches gewirr von verschiedenen menschenschicksalen in seinem Heinrich IV., daß sich kein mensch mehr auskennt …“ Worauf ist dieser Sachverhalt zurückzuführen? Über das bekannteste, kurz vor dem Ersten Weltkrieg entstandene Schauspiel Heinrich Manns, „Madame Legros“, schrieb Alfred Polgar: „Die Figuren sind in dauernder Abhängigkeit von ihrem Schöpfer, ihr Herz kommt nicht los vom Kapellmeister, der ihm den Takt bestimmt, nie weicht der Schatten der unsichtbaren Hand, die sie hinstellte und bewegt. Daß die Menschen des Dramas rundrum leben, wird nicht glaubhaft.“ Das trifft auch auf nahezu alle Gestalten zu, die in dem historischen Bilderbogen über Henri Quatre auftreten. Wir wissen, was sie denken, beabsichtigen und tun, wir erfahren auch genau, was der Autor von ihnen hält, aber wir sollen es hinnehmen, dass sie nur seine Ideen personifizieren, also ohne Eigenleben sind.
Die Titelfigur ebenfalls? Ja, auch sie. Heinrich Mann hat sie reichlich mit positiven Eigenschaften versorgt. Und je schrecklicher es in Deutschland zuging, desto edler und vernünftiger wurde der konsequent zum Gegenbild avancierte französische König – dem skrupellosen Verführer der Nation hält der Roman den wahren Volksführer entgegen, den weisen und gerechten Landesvater: Henri Quatre verkörpert die Synthese von Macht und Moral, von Größe und Güte. Wie das alles gemeint war, darüber braucht man sich nicht den Kopf zu zerbrechen, da es uns deutlich genug mitgeteilt wird: „Der Befreier Henri Quatre handelte revolutionär, seither wäre er Bolschewik genannt worden.“ Der französische Germanist André Banuls erläutert, Heinrich Mann habe eine überragende Persönlichkeit zeigen wollen, die er „zweifellos in seiner Phantasie mit Bismarck (wegen der Mäßigung) und vor allem mit Stalin verschmelzen ließ …“ – was übrigens (nach Stalins Tod, versteht sich) von Georg Lukács gerügt wurde: Im „Henri Quatre“ kämen die „historisch treibenden Kräfte zu kurz“, weil sie „allzu sehr nur in bezug auf die biographisch im Mittelpunkt stehende Persönlichkeit dargestellt“ seien.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Jahre in der französischen Emigration die glücklichsten in Heinrich Manns Leben waren. Er brachte für den politischen Kampf, an dem er nun immer intensiver teilnahm, viele Vorzüge mit: Was er auch in der Vergangenheit geschrieben hatte, er war stets ein mutiger und kompromissloser Gegner des Nationalsozialismus, er hatte Autorität, er wurde von den Linken in Frankreich geschätzt, und er war nicht parteigebunden. Kein Wunder also, dass alle Organisationen und Institutionen des Exils sich mit seinem Namen schmücken und alle Zeitungen und Zeitschriften seine Beiträge drucken wollten.
Er veröffentlichte in dieser Zeit rund dreihundert Artikel, Reden und Aufrufe. Sie lassen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, keinerlei Ehrgeiz erkennen – weder in stilistischer noch in gedanklicher Hinsicht. Doch darauf kam es damals offenbar nicht an. Für Ludwig Marcuse bestand Heinrich Manns Hauptverdienst in dieser Zeit darin, „daß er der Welt demonstrierte: Hier ist einer, der nicht nachgibt.“ Einst schrieb er über Choderlos de Laclos: „Geblendet vom Starren in die weite Morgenröte, verliert sein Blick die Tatsachen.“ Und über Victor Hugo: „Sein Optimismus hängt möglichenfalls damit zusammen, daß er nicht zu genau hinsieht.“ Das eben charakterisiert Heinrich Manns Aufsätze und Pamphlete: Nach wie vor huldigt er den großen Abstraktionen und ignoriert die Tatsachen, er beurteilt die Lage meist oberflächlich und optimistisch. Seine Vorliebe für pompöse Vokabeln und deren permanente Verkopplung erreicht jetzt ihren fragwürdigen Höhepunkt. Geschadet hat ihm dies nicht: Man akzeptierte und schätzte ihn, ohne ihm seine pathetischen Ergüsse zu verübeln.
Aber hat er selber die ständig wiederkehrenden Phrasen ernst gemeint? Vielleicht sollte man diese sich meist in hohler Rhetorik erschöpfenden Kurzplädoyers nicht für bare Münze nehmen. Jedenfalls ist der Unterschied zwischen seinen öffentlichen und seinen privaten Äußerungen bemerkenswert. 1935 schrieb er an Ludwig Marcuse: „Alles, was die Vernunft betrifft, bleibt fragwürdig, die Besten besitzen sie nur halb, und es geht mit ihr bald vorbei. Dies zur Berichtigung, wenn Sie geglaubt haben sollten, ich wäre von blinder Zuversicht.“
Fast alle diese Beiträge zeigen, dass Heinrich Mann – ähnlich wie viele andere Emigranten – das „Dritte Reich“ unterschätzt und verkannt hat. Ein Aufsatz aus seinem Band „Der Mut“ (1939) beginnt: „Die lange erwartete Rede des deutschen Führers ist erwartet worden, ohne daß man etwas von ihr erwartet hätte, außer in England. Aber man wartet gern, es ist auf der Welt die beliebteste Beschäftigung. Wer weiß, vielleicht erfolgt dennoch eine Überraschung. Der Redner könnte zum Beispiel seine Rede halten, während er kopfüber am Trapez hängt. Oder er spricht arisch.“ Später lässt er Hitler während der Vorbereitung seiner Rede meditieren: „Ich mache einfach mein Führergesicht, es ist bösartig, hat aber auch wieder etwas Ulkiges, das entwaffnet. Ich mache ganz, ganz böse Augen, die unartigen Kinder sollen sich vor Schreck verunreinigen … Ich rühme mich einer Anordnung meiner Haare, wie nur verkrachte Malermeister es fertigbringen, lockere Strähnen in der Stirn, und auf dem Gipfel des Hauptes eine Fülle. Es muß etwas daran sein. Menschen der Macht, die nichts weiter sind, haben Kahlköpfe. Ich bin ein Genie. Und dazu spielen alle Militärkapellen.“ Heinrich Manns Lebensleistung verbietet es, derartige Prosastücke, die er im Exil häufig verfasst hat, auch nur mit einem einzigen Wort zu kommentieren.
Von dem zitierten Artikel „Die Rede“ führt ein gerader Weg zu dem in Los Angeles geschriebenen Roman „Lidice“ (1943). Da der Claassen-Verlag sich nicht entblödet hat, unlängst auch dieses Buch zu drucken, kann man es nicht ignorieren – obwohl Heinrich Mann es verdient hat, dass man die Sache mit dem Mantel der Barmherzigkeit zudeckt. Das Thema wurde von einer Nachricht ausgelöst, die damals um die Welt ging: Am 10. Juni 1942 gaben die deutschen Behörden bekannt, dass als Vergeltungsakt gegen das Prager Attentat auf Reinhard Heydrich, den Chef des Reichssicherheitshauptamts und Stellvertretenden Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, die Bevölkerung der Bergarbeitersiedlung Lidice hingerichtet wurde.
Aber der Roman hat mit den historischen Ereignissen beinahe nichts gemein. Über die wirklichen Vorfälle und Zustände im Reichsprotektorat Böhmen und Mähren war der alte und vereinsamte Heinrich Mann nicht informiert, mehr noch: Er wollte gar nicht informiert sein. Nicht ohne Trotz stellte er selber fest: „Die materielle Wirklichkeit ist von Anfang an beiseite gelassen …“ Sein Roman ist ein Werk der Phantasie, schon das zentrale Motiv hat der Autor erfunden: Hier wird Heydrich nicht von tschechischen Widerstandskämpfern umgebracht, sondern von den SS-Leuten aus seiner nächsten Umgebung. Das Buch – berichtete Heinrich Mann in einem Brief – „schrieb sich sozusagen ohne mein Dazutun“. So sieht es denn auch aus. In einem anderen Brief teilte er mit: „Der Schnelligkeit wegen schreibe ich nur die Dialoge hin …“ – womit auch erklärt ist, warum alle seine dramatischen Werke wertlos sind: Heinrich Mann hat die Form des Dramas nie verstanden oder jedenfalls nicht ernst genommen, was übrigens wahrscheinlich dasselbe bedeutet.
Als das trotz seines Umfangs (über dreihundert Seiten) innerhalb von knapp drei Monaten entstandene Manuskript bei dem von deutschen Kommunisten in Mexiko gegründeten Verlag „El libro libre“ ankam, fand es Ludwig Renn, der dem literarischen Beirat dieses Verlages angehörte, so schlecht, „daß man es gar nicht diskutieren könnte, wenn man es nicht ungesehen angenommen hätte“. Unter den (vornehmlich entsetzten) Urteilen über diesen Roman stammt das knappste von Thomas Mann. Er notierte in seinem Tagebuch am 13. Mai 1944: „Abends gelesen in H’s ‚Lidice‘. Gelitten.“
Noch in seinem Buch „Ein Zeitalter wird besichtigt“ glaubte Heinrich Mann, Heydrich sei von der Gestapo ermordet worden, und er versuchte, die angeblich humoristische (in Wirklichkeit alberne und geschmacklose) Behandlung des grausigen Stoffes zu rechtfertigen: „Ich war nicht geneigt, der deutschen Tyrannis über Europa entgegenzukommen und sie ernst zu nehmen. Sie ist furchtbar. Sie könnte tödlich sein. Ernst – ist sie nicht.“ Dass die Nationalsozialisten vor 1933 von vielen Deutschen gründlich unterschätzt wurden, mag man zwar bedauern, doch verstehen. Wer aber Derartiges noch 1945 – und sei es am Pazifischen Ozean – schreiben konnte, bedarf wohl der besonderen Nachsicht. Nachsicht ist bei der Lektüre nahezu des ganzen Buches notwendig. Benn urteilte 1947: „Äußerst zwiespältige Eindrücke! Sehr oberflächlich, sehr billig, daneben zauberhafte Sachen … Alles in allem aber weiß man meistens überhaupt nicht mehr, was er eigentlich meint u. will, so herum redet u. faselt er über Alles in einem Stil, so manieriert, daß einem übel wird.“
Zauberhafte Sachen? Jawohl, in diesem Alterswerk findet man schöne Kapitel (etwa über Puccini oder Arthur Schnitzler), unvermittelt tauchen Sätze auf wie „Jeder Deutsche von Rang hat unter den Deutschen gelitten“ und „Es gibt kein Genie außerhalb der Geschäftsstunden … In unserer Macht steht übrigens nicht das Genie: nur die Vollendung, gesetzt, wir wären stark und zuverlässig. Wenn ich richtig sehe, wird meinem Bruder, noch mehr als seine Gaben, angerechnet, daß er, was er machte, fertigmachte.“ Aber leider muss man auch lesen: „Das Lebensgefühl der deutschen Romantiker ist das niedrigste, das eine Literatur haben kann. … Diese Dichter schreiben wie die letzten Menschen.“ Fassungslos nimmt man zur Kenntnis, dass Heinrich Mann zufolge die Moskauer Prozesse von einer „in aller Welt einzigen Intellektualität“ zeugten und bewiesen hätten, dass die Sowjetunion „über revolutionäre Methoden zu demokratischen“ gelangt sei. Man habe in der Sowjetunion „alle Verfolgungen von Rassen, Religionen, Gedanken“ abgeschafft.
In diesem Buch seien – meint Golo Mann – „kindlich verblendete Texte“, man solle, empfiehlt er, „das ganze Zeug überschlagen“. Für viele Ansichten und Urteile Heinrich Manns hat er eine prägnante Erklärung: „Exil, Alter, Einsamkeit – Blindheit.“ Das trifft mit Sicherheit zu. Nur ist das Ärgerliche und Entsetzliche, das uns im „Zeitalter“ verstört, schon vorgezeichnet in seinen Aufsätzen aus den Jahren, da er weder im Exil noch alt und einsam war.
„My ending is despair – Verzweiflung ist mein Lebensabend“ – Thomas Mann hat diese Worte Prosperos mehrfach zitiert. Sie gelten jedoch in noch höherem Maße für seinen, wie es nun schien, gänzlich vergessenen Bruder: Es fiel Heinrich Mann 1945 schwer zu begreifen, dass ihn alle in Ruhe ließen, dass ihn niemand mehr brauchte. Als er aber 1946 nach Ost-Berlin gerufen wurde, reagierte er misstrauisch: „Mag sein“ – schrieb er an Alfred Kantorowicz – „man will mich nur umherzeigen und verkünden, daß wieder einer zurückgekehrt ist.“ Man lockte ihn mit einem Ehrendoktor-Titel und mit dem DDR-Nationalpreis I. Klasse, schließlich auch noch mit der Berufung zum ersten Präsidenten der neu zu gründenden Akademie der Künste.
Der beträchtliche Erfolg des „Untertan“ östlich der Elbe beeindruckte ihn kaum. In dieser Hinsicht hatte er seine Erfahrungen: „Dergleichen“ – stellte er im Juli 1947 fest – „bleibt nicht lange so, wird auch diesmal, nach dem zweiten Krieg, zeitlich begrenzt sein.“ Und als ein Leser meinte, der „Untertan“ sei kein Roman, sondern ein Leitartikel, beklagte sich Heinrich Mann, er sei zwar nicht unentdeckt, aber „falsch entdeckt“. Denn: „Als Verfasser eines romanhaften Leitartikels möchte ich nicht fortleben.“ Vielleicht dachte er damals an jenes Wort von 1905, demzufolge der Ruhm selten mehr sei „als ein weitverbreiteter Irrtum über unsere Person“.
Manfred Bieler, der in der DDR aufgewachsen ist, hat 1984 in einer heftigen Auseinandersetzung mit Heinrich Mann selbstkritisch und schuldbewusst eingestanden: „Ich habe ihn geliebt.“ Bei mir sieht das etwas anders aus: Geliebt habe ich ihn nie. Aber als mich im März 1950 die Nachricht erreichte, dass er kurz vor der geplanten Umsiedlung nach Ost-Berlin gestorben war, da fühlte ich mich, zu meiner eigenen Überraschung, tief betroffen. In meiner Schulzeit, als seine Bücher in Deutschland verboten waren und es sich empfahl, deren Lektüre geheim zu halten, haben mich zwei – „Professor Unrat“ und „Der Untertan“ – nicht gerade ergriffen, doch amüsiert und nachhaltig beeindruckt. Diese Wut steckte an, dieser Zorn ließ nicht kalt: Wer solche Bücher geschrieben hat, der muss, dachte ich, ein ganzer Kerl sein.
Heute, nach einem halben Jahrhundert, ist das Feuer erloschen: Unter der Asche freilich glüht es noch hier und da. So lese ich jetzt beide Romane nur als wichtige und ehrenwerte Dokumente im Archiv der deutschen Literaturgeschichte unseres Jahrhunderts. Es wird wohl Zeit, sich von Heinrich Mann zu verabschieden – mit Respekt, versteht sich, und auch mit Dank. Für manche von uns Älteren ist es noch ein Abschied von unserer Jugend – ein Abschied nicht ohne Wehmut.
Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag ist mit dem zusätzlichen Untertitel „Zu den Neuausgaben seiner Werke“ zuerst erschienen in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.8.1987, Bilder und Zeiten, S. 1-2. Eine erweiterte Fassung mit 90 Fußnoten hat Reich-Ranicki in seiner zuerst 1987 erschienenen Aufsatzsammlung „Thomas Mann und die Seinen“ veröffentlicht (um acht Aufsätze erweitert 2005 in der Deutschen Verlags-Anstalt München und 2020 im Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt erschienen). Die erneute Veröffentlichung dieser Fassung (ohne Fußnoten und mit Anpassungen an die neuere Rechtschreibung) in literaturkritik.de erfolgt mit Genehmigung des Nachlassverwalters von Reich-Ranicki und seiner Erbin Carla Ranicki. T.A.