Überzeugend angewidert

Slata Roschals neuer Gedichtband hat einen zu langen Titel, oder es ist umgekehrt

Von Konstantin AmesRSS-Newsfeed neuer Artikel von Konstantin Ames

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Gedichtband braucht auch etwas Glück. Kritiker (immer: m/w/d) schlagen ein Buch auf, und dann steht da ein Gedicht, das zum jeweiligen Kopf passt. Falls nicht, sieht es meist schlecht aus fürs Buch. Wird das Buch dann als hohl bezeichnet, liegt das, frei nach Lichtenberg, meist nicht am Buch. „Vielleicht schreibe ich demnächst ein Buch/ Mit dem Titel Verlag macht Insolvenz/ Wer zahlt und was steckt dahinter“, heißt es bei Slata Roschal, Jahrgang 1992. Die in München lebende Slawistin kommt gebürtig aus Sankt Petersburg, ist in Schwerin aufgewachsen und mittlerweile eine gut vernetzteLiteraturaktivistin sowie gefeierte Romanautorin. Roschal zeigt mit ihren jüngst vorgelegten, säuerlich-komischen Gedichten eine gewisse Schubladen-Allergie. Der barockisierende und für den Zeitgeschmack zu lange Titel ihres eben erschienenen Gedichtbands „Ich brauche einen Waffenschein/ ein neues bitteres Parfüm/ ein Haus in dem mich keiner kennt“ gibt einen ersten Hinweis auf ihr ausgeprägtes Sezessionsbedürfnis.

›Stipendienlyrik‹ als Empowerment

Da ist es fast beruhigend, dass die sattsam bekannte Tendenz auszumachen ist, Orte von Aufenthaltsstipendien zu Titel- und Motivspendern zu adeln; vor ein paar Jahren wurde hinter vorgehaltener Hand gar über ‘Stipendienlyrik’ gespottet. Diesen Spott macht Slata Roschal ausgehfein und staffiert ihr eigenes Aufenthaltsstipendiatinnen-Dasein zu einem Stilprinzip aus, mit dem sich konservative wie linke Spießbürger prima ärgern lassen: „Ich sitze in Nancy auf einem roten Sessel in einem/ Grauen Schlafzimmer und betrinke mich“. Roschal notiert, stets en passant, prekäre Lebensumstände heutiger Kunstmenschen mit. Angesichts der Kettensägen-Massaker an der Kultur allerorten ist es hohe Zeit, dass poetische Sprachkunst sich in der Nachfolge Tretjakows und des späten Brecht dem Zeitdokumentarischen und Faktografischen verschreibt:

Von der Besuchsstatistik meiner Website/ Leiten sich Jurysitzungen und Rezensionen ab […] Ich weiß von einem Schauspieler der aus Versehen im Theater/ In der Preysingerstraße eingeschlossen wurde und an Unterkühlung starb. 

Das ›Jetzt‹ als kompetitiver Zitationsgonzo

Die galligen Poeme speisen sich dabei nicht selten aus der Werbesprache. Kein Novum. So ist schon die Bachmann in „Reklame“ verfahren. Innovativer ist da schon, dass Roschal den phrasenförmigen Sprachdreck („Nimm dein Glück in die Hand/ Lotto“) unmittelbar ins Gedicht aufnimmt: „Absurd wie Kinderschokolade oder weiße Wintermäntel/ Hier bin ich Mensch hier kauf ich ein/ Ich träume manchmal von Toiletten im Gemeindehaus“. Ihre brachialen Mashups zelebriert sie mit dem gleichen détachment, mit dem zum Beispiel auch Kendrick Lamar im Clip zu squabble up ein Buch hochhält, um weiße Dichter- und Denkerallüren zu dissen: „Mit ein wenig Schwarmintelligenz lässt sich/ Hinwegsehen darüber dass wir matt und nutzlos sind/ Wie im Selbstverlag erschienene Gedichte“. In der Gegenwartslyrik ebenfalls nicht solitär, in dieser Häufung aber auffällig, sind die Anleihen bei populären TV-Serien- und Streamingformaten wie zum Beispiel dem misogynen Nerdgequassel von Big Bang Theory oder den Lookismusorgien von Heidi Klum. Anders als im durchschnittlichen Lyrikband, wo es von Widmungen meist nur so wimmelt, überwiegt hier programmatisch forsche Selbstbehauptung: „In jedem gut sortierten Buchladen ist kein Buch/ Von mir erhältlich und ich bin ein Mensch/ Auch wenn ich keine Menschen und Gewässer/ Im Umkreis von drei Meter sechzig um mich mag“.

Sekundärnihilismus

Kann sein, dass alles schon mal geschrieben wurde, wie es in einem anderen Gedicht heißt, aber selten in diesem ausdauernd angewiderten Parlando. Trägt dieser Ekel? Aber hallo! „Lyriker sind professionelle Obdachlose und Piraten die/ Billige Hotels und Pensionen in Leipzig stürmen“. In der Maske des Dandys („Woher hat Wilde die grünen Nelken“) entstellt Roschal die Verrohung unserer Zeit bis zur Kenntlichkeit. Das macht einen gewissen Sekundärnihilismus als Nebenwirkung wohl unvermeidbar: „Wären unsere Eltern vermögender hätten wir mehr Kinder/ Wären unsere Eltern vermögender hätten sie uns nicht bekommen“. Kolleginnen (auch: m/d) mit vergleichbar genialischem Verätzungspotenzial – Mara Genschel etwa und Léonce Lupette oder Jopa Jotakin und Walter Fabian Schmid – sind auf kleinere Editionen verwiesen. Weiß der Betrieb, wie sonst nur der sprichwörtliche Geier, warum. Insofern sind die wohl bald auch als Lyrikerin berühmte Slata Roschal und ihr neuer Verlag, der altehrwürdige Heidelberger Verlag Das Wunderhorn, gleichermaßen zu beglückwünschen, unverhofft zueinander gefunden zu haben.

Mit etwas Glück für Buch und Kopf schlägt man die dritte Gedichtsammlung Roschals an der richtigen Stelle auf, etwa hier:

Die ersten zwanzig Jahre war ich zart, geduldig und still. Jetzt/ mit dreißig reicht der kleinste Anlass, eine Postangestellte,/ die ihren Kunden duzt, weil er kein Deutsch spricht, ein Ver-/ mieter, der Hundehaltung ausschließt und zur Besichtigung/ mit seinem Hund kommt […] und ich beginne zu keuchen, zu schäumen.

Trüge der Gedichtband einen weniger auf Effekt zielenden, mehr auf die darin vorherrschenden Themenlagen hin ausgerichteten Titel, würde der vielleicht lauten: „ Künstlerbedarf“.

Titelbild

Slata Roschal: Ich brauche einen Waffenschein ein neues bitteres Parfüm ein Haus in dem mich keiner kennt. Gedichte.
Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2025.
130 Seiten , 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783884237267

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