Unsere gallische Gegenwart

Asterix und Obelix legen sich mit einem Motivationstrainer an

Von Wieland SchwanebeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wieland Schwanebeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eines muss man den geübten Marktschreiern aus der PR-Abteilung von Asterix lassen: Sie verstehen ihr Handwerk besser als der kleine Gallier, der im Band Der Kupferkessel (1969) nur mal eben ein paar Wildschweine verkaufen will, sich dabei aber über den Tisch ziehen lässt und auch noch den Händler nebenan in den Ruin treibt. Dem soeben erschienenen 40. Asterix-Band droht dagegen kein Verlustgeschäft. An der Weißen Iris ist seit Wochen schwer vorbeizukommen, und das Wenige, was seit der Pariser Pressekonferenz am 16. Oktober als kleiner Gruß aus der Gerüchteküche geleakt wurde, hat genügt, den mit Zaubertrank gedopten gallischen Widerstandskämpfer auch hierzulande in die Hauptnachrichten und in die Kommentarspalten zu hieven. Zügig kursierten Schlagzeilen wie „Die Gallier werden politisch korrekt!“ oder „Obelix wird Vegetarier!“, bis zum Veröffentlichungstermin hatten sich die wenigen Vorabinformationen auf die Formel „Asterix wird woke!“ verknappt. Könnte man die im verlässlichen Zwei-Jahres-Takt erscheinenden Hefte direkt im Abonnement beziehen, hätten mit Sicherheit ein paar Empörungswillige ihr Abo noch vor der Veröffentlichung der Weißen Iris gekündigt. Die eigentlich berichtenswertere Information, dass Texter Jean-Yves Ferri nach fünf Bänden pausiert und diesmal von Fabcaro ersetzt wurde, ist dabei fast untergegangen.

So effektvoll die Schlagzeilen auch ersonnen waren, mit der Geschichte der Weißen Iris, einer milden Satire auf Selbstoptimierung und den Achtsamkeitskult, haben sie am Schluss doch recht wenig zu tun. Weder schwört Obelix dem Wildschweinverzehr ab – dieser Gag wurde im Übrigen schon im Papyrus des Cäsar (2015) durchgespielt, ohne dass das damals künstlich zum Skandalon aufgebauscht worden wäre –, noch sind die Gallier plötzlich handzahm geworden. Fabcaro bedient sich einer den klassischen Asterix-Abenteuern wie Streit um Asterix (1970) sowie Obelix GmbH & Co. KG (1976) abgelauschten Formel, indem Cäsar den Galliern mit psychologischer Kriegsführung zu Leibe rückt und ihnen einen Agenten unterjubelt, der den Provinzlern die Köpfe verdrehen und ihre Eintracht sabotieren soll. In diesem Fall ist es der fast ausschließlich in Aphorismen sprechende Positivitäts-Guru Visusversus, bei dem es sich freilich nicht um den von der Gerüchteküche heraufbeschworenen Gutmenschen handelt, sondern eher um eine Karikatur jener personifizierten Meme-Lieferanten, wie sie die neoliberale Coaching-Szene zu Dutzenden produziert hat.

Visusversus fällt ins gallische Dorf ein wie seinerzeit Jürgen Klinsmann mit seinen Buddha-Figuren in die Umkleidekabine des FC Bayern München, und versucht, den Widerstand der Unbeugsamen mit tautologischen Binsenweisheiten und Wertschätzungssprechblasen zu schwächen. Häuptlingsgattin Gutemine kommt dabei zu einer ungewohnt tragenden Rolle. Wie schon der Vorvorgänger, Die Tochter des Vercingetorix (2019), hangelt sich der neue Band von einer tagesaktuellen Anspielung zur nächsten und streckt seine Einfälle mit Mühe und Not zu Running Gags. Dass Obelix zu dick ist, um auf einem Tretroller eine gute Figur zu machen, ist amüsant, wenn auch keine große Überraschung; über sieben Panels ausgebreitet trägt der Witz allerdings nicht. Dass einige Gags trotzdem ins Schwarze treffen, ist nicht zuletzt ein Verdienst des gewohnt findigen Übersetzers Klaus Jöken, der auch im Deutschen manch charmantes Wortspiel ersinnt und dem Barden Troubadix diesmal u. a. Evergreens von Herbert Grönemeyer und den Ärzten in den Mund legt.

Nach den reichlich verunglückten Spätwerken von Originalzeichner Albert Uderzo, der nach dem Tod seines Kreativpartners René Goscinny († 1977) in losen Abständen noch drei Jahrzehnte lang neue Geschichten ausheckte und sich dabei zu immer reaktionäreren Granteleien verstieg, schlug seinen Nachfolgern Ferri/Conrad einige Euphorie entgegen, zumal ihr Debüt (Asterix und die Pikten, 2013) visuell neue Wege ging und auch inhaltlich Großes erhoffen ließ. Mittlerweile stagnieren die neuen Abenteuer auf dem Niveau routiniert umgesetzter, der Tagespolitik abgelauschter Kabarett-Nummern. Sicher wäre es unfair, die Autoren allein an den famos-komischen Einfällen, am Charakterhumor und den fabelhaften Paradoxien des großen Goscinny messen zu wollen, eines Jahrhundert-Szenaristen, der nicht nur eigene Schöpfungen wie Asterix und Umpah-Pah, sondern auch die ihm anvertraute Fremdschöpfung Lucky Luke zu ihrem Zenit führte. Auch Goscinny war natürlich ein hellwacher Beobachter des Tagesgeschehens und brachte jede Menge französische Gegenwart in Gallien unter, von der Gentrifizierung (Die Trabantenstadt, 1971) bis zum französischen Präsidentschaftswahlkampf (Das Geschenk Cäsars, 1974); im Kern funktionierten die Storys aber trotzdem noch als eingängige Fabeln, getragen von intelligentem Charakterhumor. Im Vergleich fällt umso mehr auf, dass sich die Nachfolger damit begnügen, das reiche Vermächtnis des ihnen anvertrauten Figurenkosmos mit Anspielungen auf Whistleblower, Klima-Bewegung und desaströse Zustände im ÖPNV zu überfrachten, und sich kaum für die Hauptfiguren interessieren.

Im Zentrum der Bände stehen mittlerweile zwei große Leerstellen – Asterix tritt lediglich als Conférencier der Handlung auf, ohne besonders auf sie einzuwirken; noch tiefer gefallen ist sein dicker, pardon: dick angezogener Freund Obelix. Dieser machte sich bei Goscinny mit sanftem Gemüt und erstaunlicher Bauernschläue immer einen ganz eigenen Reim auf die Handlung und die klugen Einfälle seines Freundes oder des Druiden Miraculix, sodass er u. a. zu bestechenden Schlussfolgerungen über die olympischen „Topfgesetze“ (Asterix bei den Olympischen Spielen, 1968) oder über den vermeintlichen Mangel an Bergen in der Schweiz (Asterix bei den Schweizern, 1970) gelangt. Leider hat dieser sanfte Riese mittlerweile eine ähnlich frustrierende Retardierung hingelegt wie beispielsweise Homer Simpson (an dessen charakterlichem Verfall eingefleischte Fans der Simpsons den Niedergang der Serie festmachen) oder wie Doktor Watson in den Sherlock-Holmes-Krimis der 1940er-Jahre. Aus Conan Doyles zynischem Kriegshelden war dort eine Witzfigur geworden, der Holmes eher als gesetzlicher Vormund denn als Vertrauter und Kollege beizustehen schien. Obelix – zu dem schon dem späten Uderzo nicht viel mehr eingefallen war, als dass er großen Appetit hat – tritt nicht mehr als Meister des Schwejk’schen Understatements in Erscheinung, sondern als wandelnde Begriffsstutzigkeit mit schläfrigem Blick. Erschwerend kommt hinzu, dass Zeichner Conrad seine Schwierigkeiten mit dem treuen Hund Idefix zu haben scheint und diesen meist links liegen lässt bzw. allenfalls pflichtschuldig ins Bild rückt.

Seit dem Personalwechsel verhält es sich mit den fortgesetzten Abenteuern von Asterix daher ein wenig wie mit dem Star-Wars-Universum. Auch dort waren die Fans erleichtert, als der allmächtige Schöpfer endlich abtrat, genießt doch die von George Lucas im Alleingang verantwortete Prequel-Trilogie (1999-2005) einen ähnlich miserablen Ruf wie die späten Uderzo-Bände mit ihren immer verzweifelteren Ausflügen ins Fantastische. Hier wie da ruhte daher große Hoffnung auf eine von der nachwachsenden Fan-Generation verantwortete Weitererzählung – und genauso, wie die Star-Wars-Filme von J. J. Abrams zwar kompetent umgesetzt sind, aber in Nostalgie erstarren, beschenkt uns auch Asterix seit mittlerweile fast einem Jahrzehnt mit mehr Easter Eggs, als irgendwem bekömmlich sein kann. Im neuen Band gibt es u. a. ein kurzes Wiedersehen mit Homöopatix, dem aus den Lorbeeren des Cäsar (1972) bekannten neureichen Bruder von Gutemine, der sich immer noch nicht den Namen seines Schwagers Majestix merken kann („Gutemine und der Dingsbums sind da!“); für ein weiteres Vergnügen aus zweiter Hand sorgt der wiederaufgewärmte, zugegebenermaßen herausragende Goscinny-Gag, dass sich der Fischhändler Verleihnix weigert, direkt vorm Dorf Frischware zu angeln, weil er lieber müffelnde Ware mit Qualitätssiegel aus der Hauptstadt anliefern lässt. Möglicherweise lacht also der mittlerweile arg geschmähte, im Jahr 2020 verstorbene Uderzo – dessen überschaubare Fähigkeiten als Szenarist seine zeichnerische Genialität zu überschatten drohen – doch noch irgendwann zuletzt. Denn mittlerweile hat man auch aus Star-Wars-Fankreisen schon die ein oder andere Stimme gehört, die etwas milder auf George Lucas‘ Prequels zu sprechen ist, trotz ihrer langatmigen Dialoge und ihres CGI-Exzess: Gewiss, ganz auf der Höhe sei der Alte vielleicht nicht (mehr) gewesen, aber immerhin sei er bei der Arbeit ein paar Risiken mehr eingegangen als seine Nachfolger.

Vermutlich dürfte sich niemand nach Uderzos bizarrsten Plot-Ideen (dem versteinerten Obelix, dem Schrumpfzauber von Miraculix, der Reise nach Atlantis oder der Invasion der Manga-Außerirdischen) zurücksehnen. Doch den fraglos fähigen und gewitzten Autoren, in deren Händen die Marke Asterix mittlerweile liegt, wäre durchaus der Mut zu wünschen, in Zukunft auch einmal ein wenig über die Stränge zu schlagen. Wer weiß, vielleicht führt sie die Suche nach dem Ausgefallenen ja auch auf die Spur dessen, was aus der Zeit gefallen, also: zeitlos ist.

Titelbild

Didier Conrad: Asterix 40. Die Weiße Iris.
Aus dem Französischen von Klaus Jöken.
Egmont Comic Collection, Berlin 2023.
48 Seiten , 13,50 EUR.
ISBN-13: 9783770424405

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch