Hirngespinste aus Kohlenstaub
Andra Schwarz taucht die Welt in einen elegischen Strom
Von Sabine Haupt
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEs gibt LyrikerInnen, die sich ganz der Form verschreiben, und solche, die etwas zu sagen haben. In den Gedichten der Leipziger Lyrikerin Andra Schwarz kommt beides auf überaus glückliche Weise zusammen. Schon nach wenigen Seiten verspürt man den Drang, ihre Gedichte laut zu lesen. Nicht nur der genau gebaute, von einem prosodisch und semantisch stets plausiblen Enjambement im Fluss gehaltene Rhythmus verführt dazu. Hinzu kommen Bilder, deren Trauer und Schönheit zu überraschenden, sofort einleuchtenden Sprachbildern verschmelzen. Man sieht beim Lesen das „ausbluten der landschaft“, alte Männer in einem zypriotischen Dorf, die schweigend, ja „halsstarrig & und eng in den lungen“ Backgammon spielen, man hört das „rauschen der abwesenheit“, Panzer, die „wie käfer durch geschlossene kanäle krabbeln“. Sprachlich und gedanklich stimmt hier einfach alles. Bewundernswert ist auch die Sensibilität, mit der Abstraktes, Emotionales und Imaginäres immer wieder auf Konkretes, auf Landschaft, Menschen und Tiere bezogen werden.
Der elegische Strom dieser Verse, ihr nie abreißendes, niemals ins Stocken oder Stammeln geratendes Fließen, mit dem Tod und Zerstörung, Krieg und Gewalt, Verzweiflung, Einsamkeit und Suizid und die ganze trostlose Entfremdung einer wie ausgestorbenen Welt in den Blick genommen werden, hat nirgends auch nur einen Hauch von falschem Pathos. De profundis… – doch diese nahezu rituellen, todernsten, erdschweren Klagelieder von Schwarz sind keine Pose, kein Zitat, keine ästhetische Verklärung melancholischer Befindlichkeiten. Ob militärische Sperrzonen, verlassene Schlachtfelder, abgebrannte oder vom Braunkohleabbau „ausgeschabte“ Dörfer, „hündisch“ jaulende Wölfe, von Asbest verseuchte Fabrikruinen, aussterbende Sprachen oder unter einen Algenteppich verbannte Karpfen, stets führt der Blick zurück in die Welt der Betrachterin, wird Bestandteil einer ebenso ergreifenden wie nüchtern konstatierenden Sequenzierung von Weltbildern – auch der fehlenden und unsichtbaren. Bilder einer im Klang des unablässig gleitenden Sprachflusses beredten, doch nie geschwätzigen Leere.
Eine wesentliche, auch rhetorisch zentrale Rolle bei dieser Bestandsaufnahme im Niemandsland des Entgleitens spielt die Negation, das immer wieder aufscheinende „nichts“, in den Häusern, unter Dächern und Betten und in einer Landschaft, in der es „nichts zu sehen“ gibt als die vielen Dinge, die dort „enden“ oder „verschwimmen“, die ein „nur“, „nie“ oder „kein“ als Vorzeichen tragen, einen „grenzstein“ berühren oder in ein „vakuum“ stürzen. Alles in diesen Gedichten ist zerbrechlich, empfindlich, ephemer. Das deutet bereits der Titel „Am morgen ist alles aus glas“ an, der dann zu einem ganzen Metaphernfeld aus Glas und Kälte, Eis und Kristall, Spiegel, Schnee und Gletscherzungen ausgebaut wird.
Die Vereisung und Erstarrung der Welt geht einher mit der Verwesung und dem Zerfall der Körper, der „ödnis zwischen den beinen“, dem „grauen ding“ im dementen Hirn, dem „veitstanz in der schlinge“ des Selbstmörders.
Vor gewissen, allzu abgegriffenen poetologischen Topoi sollte man sich allerdings hüten, wenn man so gut ist wie Schwarz. Denn wenn es in einem der Gedichte aus dem Kapitel „ich komme aus den wäldern“ heißt: „an diesem ort verlieren sich stimmen verschwinden wege/ von uns wird nichts bleiben außer dieses gedicht/ im kopf des anderen“, dann wünscht man sich augenblicklich die kräftige Gegenständlichkeit anderer Verse zurück, in denen Formulierungen wie „ein augenblick vernarbt von licht“ oder „du schläfst jetzt traumlos ohne takt“ den Assoziationsraum dieser wunderbar berührenden Gedichte in all seiner Höhe und Tiefe erahnen lassen.
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