Neues aus Tlön

The Real Ash begibt sich in „Ecrinautik“ auf die Suche nach dem Nationalepos der fiktiven Republik Xanta

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Filmkritiker und Autor, der sich The Real Ash nennt, geistert seit einigen Jahren, wie er selbst angibt „durch die Untiefen des Internet und der sozialen Medien“. Er verfasst in erster Linie Filmkritiken auf www.schnittberichte.de und plant, diese in Zukunft als „Filmtagebücher“ nach und nach zu veröffentlichen. Der erste dieser Bände erschien bereits 2018 im Selbstverlag, wo er auch sein literarisches Debüt, den Horror-Roman Levana – Göttin des Todes veröffentlichte. Wer hinter dem (aus der Film/Serien-Reihe The Evil Dead entnommenen) Pseudonym steckt, ist weitgehend unbekannt, auch weil der Autor sich in der Selbstauskunft seiner Bücher als 1666 geborener Mann namens Theophrast Ricardus Asher bezeichnet und als Foto stets nur eine greifende Hand abdrucken lässt.

Nun erscheint mit Ecrinautik ein Buch, das auf dem Cover als Sammlung kurzer Erzählungen ausgewiesen wird, jedoch viel mehr als das ist. Tatsächlich befassen sich fast alle der hier versammelten siebzehn Geschichten mit einem Ich-Erzähler, der auf der Suche nach der Bedeutung eines epischen Romans und seines Autors ist, einem mysteriösen Mann namens Walle Hendrickson, der nach dem Verfassen des Nationalepos seines Heimatlandes Xantia Selbstmord begangen haben soll. Ein Teil der Erzählungen besteht aus einzelnen Geschichten aus besagtem Epos Hendricksons, in dem es natürlich um nichts Geringeres als den Kampf zwischen Gut und Böse – repräsentiert durch die Antagonisten, der Amazone Anthis und ihrem Erzfeind Zython – geht, und in denen vor allem die Vergangenheit dieser Protagonisten beleuchtet wird. Ein anderer Teil schildert die surrealen, traumgleichen Erlebnisse, die der Ich-Erzähler auf seiner Reise nach Xantia hat, um dem Schriftsteller nachzuspüren. Ein weiterer Teil der Geschichten ist schließlich philosophische Reflexionen über verschiedene Passagen aus Hendricksons Werk oder Episoden aus dessen Leben. Dazwischen finden sich einige wenige Geschichten, die vorgeblich nichts mit der Suche nach dem verstorbenen Dichter zu tun haben, sich aber mit etwas hermeneutischem Geschick in das Gesamtnarrativ eingliedern lassen.

Die Reise, auf die The Real Ash seine Leser*innen nimmt, ist von großer Faszination. Dies liegt in erster Linie an der Fabulierkunst des Autors, dem es gelingt, in Abwesenheit des eigentlichen Epos dieses permanent zu umkreisen und den Leser*innen somit kleine Einblicke in eine Welt verschafft, die so viel größer, und mächtiger zu sein scheint, als es die kleinen Fragmente nahelegen. Diese Methode ist natürlich den offensichtlichen Vorbildern des Autors geschuldet, vor allem Jorge Luis Borges und mit Sicherheit auch Roberto Bolaño, beide ja Meister in der Form des Totalität suggerierenden Fragments und der verschollenen fiktiven Autoren. Spuren von Georges Perecs großartigen Roman W finden sich ebenso in diesen Erzählungen wie von seinem unvermeidlichen Vorbild Franz Kafka, dessen Verwandlung in der (auf den ersten Blick nicht mit Hendrickson assoziierten) Erzählung Meine kleine Verwandlung im Kontext der Weird Fiction umgeschrieben wird.

Die weiteren nicht als Teil des Xantis-Komplexes angelegten Erzählungen, die anders als diese abgeschlossen wirken, setzen auf verschiedene Gattungen, etwa die Fabel und, wie die abschließende Geschichte Zwei Söhne, das klassische Grimmsche Märchen. Leider sind diese nicht ganz so gelungen wie die faszinierenden Fragmente um Walle Hendrickson und sein allem Anschein nach atemberaubendes Nationalepos (das alleine über sieben Einleitungen zu verfügen scheint).

Selten merkt man dem Buch sprachlich das Fehlen eines professionellen Lektors an, vor allem bei den immer wieder auftauchenden Wortwiederholungen. Allerdings hätte ein solcher wiederum den Zauber dieser Geschichten sicherlich entkräftet, denn gerade aus dem Fragmentarischen, Unvollendeten gewinnen sie ihre literarische Kraft.

Titelbild

The Real Ash: Ecrinautik. Erzählungen.
Tredition, Hamburg 2021.
144 Seiten, 16,99 EUR.
ISBN-13: 9783347304987

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