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Bob Woodwards „Fear“ über „Trump in the White House“ verspricht Spektakuläres, verliert sich dann aber in zahllosen, oft beliebig wiedergegebenen Anekdoten
Von Sascha Seiler
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEines muss man Michael Wolffs reißerischem, letztlich vielgescholtenem Buch Fire and Fury lassen: Dem Autor gelang es, seine Geschichte stringent, unterhaltsam und spannend zu erzählen, so dass sich das Sachbuch wie ein mittelmäßiger Thriller las. Nachdem sich der Sturm etwas gelegt hatte, mokierten sich auch Kritiker, die Donald Trump sicherlich nicht wohlgesonnen waren, über die Schlampigkeit Wolffs, seine manchmal ungenau zusammengetragenen Berichte sowie die durchaus vorhandene Wahrscheinlichkeit, dass der Autor seinen Informanten – allen voran Steve Bannon – gegenüber allzu leichtgläubig war.
Der Watergate-Veteran Bob Woodward ist da natürlich ein anderes Kaliber, auch wenn er trotz zahlreicher Buchveröffentlichungen schon länger aus dem Fokus der Medienwelt verschwunden war. Da Woodward, wie er selbst gerne betont, über jeden Präsidenten der letzten Jahrzehnte ein Buch geschrieben hat, bleibt auch Trump nicht verschont. Und wie er diesem im geschickt kurz vor Veröffentlichung des Buches in Umlauf gesetzten Mitschnitt eines Telefonats mit dem Präsidenten eröffnete: ‚Es ist nicht schön geworden‘. Wenn dieses Gespräch das Verlangen nach dem Buch steigern sollte, ist es ihm gelungen; nur war das Versprechen dann doch etwas groß, denn, um es kurz zu machen, Fear ist ein ziemlich misslungenes Buch.
Das liegt vor allem an der Struktur des Werks. Anfangs erzählt Woodward noch die altbekannten Geschichten vom Aufstieg des unwahrscheinlichen Kandidaten und seinem von ihm selbst nicht erwarteten Sieg. Doch als hätte sich der Autor vom angeprangerten Chaos im Weißen Haus anstecken lassen, wird sein Buch zunehmend erratisch, verliert sich immer mehr in einzelnen Anekdoten, die nicht weitergeführt werden und entbehrt gegen Ende jeglicher Struktur. So ist es auch kein Wunder, dass Fear mitten in einer dieser Anekdoten – es geht um die Verhandlungen von Trumps (mittlerweile ehemaligem) Anwalt John Dowd und Sonderermittler Robert Mueller – plötzlich endet. Es folgen Danksagungen und ein Quellenverzeichnis, und der Leser fragt sich, nicht zum ersten Mal, ob er vielleicht einen Fehldruck in Händen hält, bei dem einige Seiten vergessen wurden.
Doch die Nachlässigkeit zieht sich durch das ganze Buch. Einige Mitstreiter Trumps werden ausführlich behandelt, von ihrer Einstellung bis hin zu ihrer Demission, andere, allen voran die zentrale Figur Hope Hicks, werden zwar ständig erwähnt, zu ihrem Werdegang und ihrem Schicksal indes fällt kein Wort. Der Grund hierfür liegt auf der Hand: Hicks etwa ist bekannt dafür, keine Auskünfte zu geben, während Steve Bannon oder scheinbar auch Dowd nur allzu glücklich darüber sind, in Woodwards Mikrophon plaudern zu dürfen. Überhaupt ist der Journalist so stolz auf seine Zitate-Sammlung (die ja bereits vorab genüsslich in den Medien ausgebreitet wurde), dass er um diese herum sein Narrativ konstruiert – was natürlich dazu führt, dass sein Buch nicht viel mehr als eine Sammlung ausgeschmückter Anekdoten mit knackigen Zitaten ist.
Interessanter ist da schon die Haltung, die Woodward einzunehmen scheint: Trump sei, so seine Mitarbeiter und Minister, ein Tölpel, ein ungebildeter ‚Idiot‘ (Zitat Rex Tillerson), ein älterer Mann ‚mit dem Verstand eines Sechstklässlers‘ (Zitat James Mattis) und vor allem ein ‚verdammter Lügner‘ (Zitat John Dowd). Doch zuschulden habe er sich nichts kommen lassen, weder in Bezug auf eine mögliche Zusammenarbeit mit Russland noch, was den Vorwurf der Justizbehinderung angeht. Auf den letzten Seiten, in denen es hauptsächlich um die Ermittlungen Muellers geht, nehmen wir (zumindest nimmt das der literarisch geschulte Leser an) die Perspektive Dowds ein, der, so wiederum Woodward, wie kein anderer Einblick in die Ermittlungen erhalten und stets eng mit Mueller und seinem Team zusammengearbeitet hat. Dieser wolle Trump in die ‚Meineids-Falle‘ locken, weil er sonst nichts in der Hand habe. Dass Dowd diese Anschauung verbreitet, ist das eine, dass Woodward sie stets unkommentiert stehen lässt, obwohl die Darlegung in großen Teilen nicht aus Zitaten Dowds bzw. Muellers besteht, sondern aus der Beschreibung eines bewusst auktorial auftretenden Erzählers, ist äußerst fragwürdig.
Das macht natürlich die Präsidentschaft Trumps nicht akzeptabler, so Woodward. Denn dessen Desinteresse an Fakten, Lektüre auch nur kürzester Texte, Expertenmeinungen oder auch dem, was man als gesunden Menschenverstand bezeichnen kann, scheint noch viel schlimmer zu sein als einen die ständigen Nachrichtenmeldungen vermuten ließen. Bezeichnend eine Episode, in der es um die Weltwirtschaft und vor allem das Handelsdefizit geht. ‚99,9 Prozent aller Ökonomen sehen ein Handelsdefizit nicht als schädlich an‘, so der stets bemühte oberste Handelsberater Gary Cohn, ‚nur dieser Typ hier (er zeigt auf den Protektionisten Peter Navarro, einen der vielen Berater Trumps) sieht das anders.‘ Trumps Antwort: ‚Aber ich glaube eben diesem Typen.‘ So geht das schleppende wie erschreckende 350 Seiten lang, und Woodward betont immer wieder, die Ignoranz des Präsidenten sei noch viel größer, als in der Öffentlichkeit bekannt sei. Im Prinzip bestehe die Hauptaufgabe von Beratern, Mitarbeitern und Ministern darin, möglichst um ihn herum zu arbeiten, ihm Dokumente zu stehlen, bevor er sie unterschreiben kann oder ihn in irgendeiner Weise zu manipulieren. Dies wiederum habe in den letzten knapp zwei Jahren recht gut funktioniert, sonst hätten wir längst den Dritten Weltkrieg und den Zusammenbruch der Weltwirtschaft erlebt. Soweit zumindest Woodwards Einschätzung.
All das soll nicht heißen, dass Woodward nicht einen faszinierenden, wenn auch erschreckenden Blick hinter die Kulissen anbietet, der wohl bewusst wenig spekulativ ausfällt; es ist mit Sicherheit auch ein Stück weit Absicht, die Russland-Affäre nicht parteiergreifend zu kommentieren oder die eine oder andere politische, wenig demokratische Unverfrorenheit darzustellen. Interessanterweise spielen Politiker der Demokratischen Partei überhaupt keine Rolle in dem Buch. Es geht ausschließlich um den Alltag in „Crazytown“, wie ein enger Mitarbeiter das Weiße Haus unter Trump einmal taufte.
Dass dieses Buch jedoch so schlampig komponiert ist, liegt wohl am Aktualitätszwang. Da wollte anscheinend kein Lektor zu tiefe Eingriffe wagen, die den Veröffentlichungstermin verschoben hätten.
Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz
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