Der Zeit voraus

Markus Bundis luzider Essay zum Werk von Marlen Haushofer

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit Romanen wie Mann ohne Pflichten, mit Erzählungen wie Die Rezeptionistin oder Emilies Schweigen hat der Schweizer Autor Markus Bundi (Jahrgang 1969) in den vergangenen Jahren auf gleichermaßen literarisch-ansprechende wie unterhaltend-gelehrte Weise im weitesten Sinne die Themenkreise „Identität“ und die Aporien des Denkens philosophisch und erzählerisch gekonnt zur Sprache gebracht. Bundi, der sich unter anderem auch als Herausgeber der Werkausgabe von Klaus Merz einen Namen gemacht hat, ist nicht nur ein belesener und vielseitiger Autor, der zudem Texte für die Bühne zusammengestellt hat (etwa zu Kafka), sondern ein ebenso literaturwissenschaftlich beschlagener Autor. Eine Tatsache, die ihm für seinen neuen Essay über Marlen Haushofer zugutekommt.

Auf die österreichische Autorin Marlen Haushofer (1920-1970), Tochter eines Revierförsters und einer Kammerzofe, deren schmales Werk in den 1980er Jahren im Zuge der feministischen Fokussierung in den Literaturwissenschaften zu Recht verstärkt in den Blick geriet und deren Werk 2012 nach der bei der Berlinale gezeigten hochgelobten Verfilmung ihres Romans Die Wand erneut postume Anerkennung erfahren hat, wurde Bundi vor knapp zwei Jahren durch den Schriftsteller Ernst Halter aufmerksam gemacht. Bundi war zu dieser Zeit, wie er in seiner „Vorbemerkung“ schreibt, mit der Ästhetik Franz Tumlers beschäftigt „und ganz froh darüber, dass mir etwas anempfohlen wurde, das so rein gar nichts mit Tumler zu tun zu haben schien.“

Und er bemerkt: „Ich verfiel der Haushofer sofort“, während er die biographischen Parallelen zu dem acht Jahre älteren Tumler erst später entdeckte. Beide waren in Oberösterreich aufgewachsen. Beide haben wichtige Jahre in Linz verbracht. So trat Haushofer 1930 ins dortige Internat der Ursulinen ein, während Tumler, der übrigens zunächst ein von der NS-Ideologie begeisterter Autor war und den sogenannten Anschluss Österreichs begrüßt hatte, in Linz im selben Jahr das Bischöfliche Lehrerseminar abschloss. Haushofer und Tumler verbindet überdies, so Bundi in seiner „Vorbemerkung“, „das Ringen um die Möglichkeit des Erzählens“. Bundi betont jedoch: „Wo Tumler die Lücken im Nachhinein rational zu schließen versuchte, blickte Haushofer den Emotionen folgend offenen Auges in den Abgrund.“

Bundi sieht die „Vielleserin“ Haushofer nicht als „Weltverbesserin“, auch nicht als ‚aktive Frauenrechtlerin‘ jener Zeit, genauso wenig als Leserin existenzialistischer Texte, sondern als Autorin, die ihrer Zeit voraus war. Insbesondere ihr Roman Die Wand lasse sich als „innere Emigration“ oder „als Begründung eines Sprachraums“ lesen.

Haushofers Erzählung Der Mann und sein Hund wie auch ihre Novelle Wir töten Stella und ihre Romane Die Tapetentür, Die Wand sowie Die Mansarde liest Bundi, der selbst bisher insbesondere in Mann ohne Pflichten auf Schopenhauers Werk rekurriert, nicht nur als „Beiträge zur Soziologie ihrer Zeit“, sondern vor allem als ästhetisch eingelösten Anspruch eine Sache scheinbar einfach erscheinen zu lassen. Damit greift Bundi auf eine Aussage von Matthias Politycki zurück, wonach es richtig schwer sei, eine Sache scheinbar einfach zu machen.

Im Rückgriff auf Wilhelm Raabes raffinierte Erzähltechnik im Roman Der Stopfkuchen, in dem sich Rahmen- und Binnenhandlung durchdringen, wobei „Verdichtung und Ausdehnung der Zeit […] Hand in Hand“ gehen, begreift Bundi „die Erzählung Der Mann und sein Hund als Schlüssel für Haushofers literarisches Werk“: „Fast immer steht die Frage nach der Fortsetzung schon am Anfang, fast jeder Anfang von Haushofers Geschichten ist ein offener.“ Der Mann und sein Hund, der in seiner „Stopfkuchenform“ das „Betreten des Vorstellungsraums, der mit der Realität nicht mehr kompatibel ist“, zeige, dass alles möglich ist, wenn die Zeit außer Kraft gesetzt ist und „wir das Verlangen nach natürlichen Ursachen […] ablegen können“.

Bundis Begeisterung für Marlen Haushofer und insbesondere für deren Märchentrilogie Das Waldmädchen, Das Nixenkind und Der gute Bruder Ulrich zeitigt Konsequenzen, denn gerade ist im Limbus Verlag seine Herausgabe der Märchen in einem Band angekündigt. In seinem luziden Essay macht Markus Bundi den Satz der Protagonistin aus Die Wand begreifbar: „Nur wir sind dazu verurteilt, einer Bedeutung nachzujagen, die es nicht geben kann.“ Was kann anspruchsvolle Literatur(wissenschaft) mehr leisten?

Titelbild

Markus Bundi: Begründung eines Sprachraums. Ein Essay zum Werk von Marlen Haushofer.
Limbus Verlag, Innsbruck 2019.
128 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783990391532

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