Herzkönigin oder Turandot – Willkür oder ungelöste Rätsel?

Jutta Eming und Volkhard Wels legen einen Sammelband zu „Darstellung und Geheimnis in Mittelalter und Früher Neuzeit“ vor

Von Verena BrunschweigerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Verena Brunschweiger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Kopf ab!“ Wenn man die drei Rätsel nicht lösen kann, die Prinzessin Turandot in Giacomo Puccinis gleichnamiger Oper den Bewerbern um ihre Hand stellt, ist man seinen Kopf los. Analog dazu geht es auch im vorliegenden Band von Jutta Eming und Volkhard Wels – nebst zahlreichen weiteren Themenkomplexen rund um Darstellung und Geheimnis in Mittelalter und Früher Neuzeit – um die Brautwerbung als traditionelles Rätselmotiv. So beispielsweise in dem Beitrag Evokation und Episteme der Herausgeberin, in welchem Geheimnisse und Rätsel in mehreren späthöfischen Dichtungen analysiert werden.

Doch beginnen wir von Anfang an. Das Buch ist in drei große Blöcke gegliedert: Ästhetisierungen, Inszenierungen von Geheimnis und Rätsel sowie Geheimnis und Offenbarung (in diesem Abschnitt stehen theologische Aspekte im Vordergrund, die anhand vieler frühneuzeitlicher Werke verhandelt werden). Neben der Brautwerbung wird in dem umfangreichen Sammelband etwa auch das Wunderbare als Konfiguration des Wissens anhand verschiedener Romane beleuchtet, wobei sich sofort Assoziationen zu Konrad von Megenberg und seinem Buch der Natur aufdrängen. In der Crône Heinrichs von dem Türlin ist wiederum nicht das Rätselhafte zentral, sondern „die Geheimnisse um die Gründe, welche die Prolongierung des höfischen Abenteuers ermöglichen“. Rätsel und Geheimnis sind nach Eming im spätmittelalterlichen höfischen Roman produktive Arten, mit Wissen umzugehen. Bereits in der Einleitung informieren die Herausgeberin und der Herausgeber darüber, dass klassische Dichotomien wie „Wunder und Wissen, Religion und Ästhetik, Geheimnis und Rätsel“ so nicht übernommen werden. Vielmehr wird gefragt, welches Wissen warum verrätselt oder verborgen wird.

Friedrich Wolfzettel zeigt am altfranzösischen Lai de l’Oiselet exemplarisch, dass das Mittelalter die letzte Epoche ist, „in der Hochkultur und Folklore bzw. Mythos zusammenkommen und welche eben diese – nicht konfliktfreie – Begegnung in der Literatur selbst thematisiert“. Falk Quenstedt konstatiert für den Jüngeren Titurel, dass die Auflösung der Rätselspannung kosmische, heilsgeschichtliche, ethische, aber auch erzähltechnische Interdependenzen verdeutliche. Wunderwerke der Technik beeindrucken dort ebenso wie meisterhafte Dichtkunst.

Generell fällt auf, dass sich die Beiträge, die sich mit den Präsentationsformen von Alchemie beschäftigen, oft an den Schnittstellen von Philologie, Wissenschaftsgeschichte und Sozialgeschichte bewegen – was angesichts eines Naturwissens, das sich in der Frühen Neuzeit der Darstellungsform des Rätsels bedient, auch durchaus sinnvoll ist. Ebenso lässt sich feststellen, dass zahlreiche unterschiedliche Texte unter die Lupe genommen werden, auch von teilweise unbekannten Autoren. Diverse ikonographische Veranschaulichungen machen das Werk zu einer besonders abwechslungs- und facettenreichen Lektüre, deren interdisziplinärer Ansatz sich in fast allen Beiträgen zeigt. Die Autor*innen streifen dabei immer wieder andere Epochen. So erfährt man unter anderem, dass das Verrätseln der Namen als ironisches Spiel mit der Verfasseridentität eines Textes vergleichbar ist mit den Herausgeberfiktionen so mancher Romane des 18. Jahrhunderts. De facto erweisen sich gerade für ganz traditionell-klassisch ausgebildete Mediävist*innen die Aufsätze mit frühneuzeitlichen Sujets als außergewöhnlich reizvoll und als willkommene Einladung, auch die eigenen Fühler in Richtungen auszustrecken, die man bislang womöglich etwas vernachlässigt hat.

Nicht nur die Epochen, auch die Gattungen sind vielfältig: So geht es im Aufsatz von Glenn Ehrstine um das Mysterienspiel, dessen Ursprünge und Nachleben. Außerdem sind geheimschriftliche Texte ein Thema – bei Stephan Müller zu einer Zeit, als Schrift für viele Menschen noch per se ein Geheimnis war, bei Kristiane Hasselmann mit besonderem Fokus auf den Freimaurern. Müller argumentiert, dass die fremde Form der Buchstaben den ursprünglichen Text mit zusätzlicher Bedeutung auflade. Sein Beitrag besticht zudem durch das sinnhafte Einbauen der Tösser Schwester Elsbeth Stagel und Franz Kafkas. Die Erwähnung dieser kinderfreien (avant la lettre!) Persönlichkeiten ist ebenso enthusiasmierend wie die Franziskus-Dichtung des Lamprecht von Regensburg. Beatrice Trînca legt schlüssig dar, dass die volkssprachlichen Dichtungen zwar im Vergleich mit den lateinischen kein besonders hohes Reflexionsniveau erreichen, im anschaulich Narrativen jedoch die Nase vorn haben.

Darstellung und Geheimnis in Mittelalter und Früher Neuzeit ist im Großen und Ganzen ein gewinnbringendes Werk, das gerade durch seine interdisziplinäre Herangehensweise den eigenen Erkenntnishorizont erweitert. Im Rahmen der Abhandlungen wird der scientific turn des 17. Jahrhunderts ausgiebig thematisiert, der aktuelle pandemic turn hingegen kaum, dabei drängen sich hier durchaus Parallelen auf: in erster Linie, was die pseudo-paracelsische Schrift Philosophia ad Athenienses (erstmals 1564, also zur Zeit des aufkeimenden Anti-Paracelsismus) betrifft. Der Heidelberger Theologe und Medizinprofessor Thomas Erastus ging damals sogar so weit, „die Todesstrafe für den bereits verstorbenen Paracelsus sowie die Paracelsisten zu fordern“. Die außergewöhnliche mittelalterliche Rätsel-Präferenz lebt indes heutzutage nicht nur im Musiktheater weiter, sondern auch im U-Bereich: In unzähligen Quiz-Shows werden Kandidat*innen mit Aufgaben konfrontiert, denen sie bisweilen nicht gewachsen sind. Aber selbst in diesem Fall bleibt einem immer noch die Option, die Rúrik Gíslason bei Fünf gegen Jauch wählte – einfach wenig sagen und dekorativ aussehen.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Jutta Eming / Volkhard Wels (Hg.): Darstellung und Geheimnis in Mittelalter und Früher Neuzeit.
Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2021.
VIII, 326 Seiten, 78,00 EUR.
ISBN-13: 9783447115483

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