Forever Young

Zum 80. Geburtstag von Bob Dylan erscheinen mehrere Bücher, die den großen Musiker und Dichter auf verschiedene Art und Weise feiern

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bob Dylan wird 80 Jahre alt, und ein Trend zu diesem runden Geburtstag zeichnet sich ab: Biographien und Werkanalysen wurden genug geschrieben – auch wenn sein jüngstes, 2020 erschienenes und zu Recht gefeiertes Album Rough And Rowdy Ways genug Anlass zu neuen Exegesen bieten würde –, doch irgendwie muss der Jubeltag ja gefeiert werden. Und so haben die Herausgeber Maik Brüggemeyer auf der einen und Stefan Aust/Martin Scholz auf der anderen Seite jeweils Prominente befragt, was ihnen zu Dylan denn so einfällt. Dabei sind die respektive bei Ullstein und Hoffmann & Campe erschienenen Bücher im Ergebnis doch recht unterschiedlich, denn während der Rolling Stone-Redakteur Brüggemeyer Autor*innen wie Journalist*innen gebeten hat, eine wie auch immer geartete Geschichte zu einem bestimmten Bob Dylan-Song zu erzählen, haben Aust und Scholz prominente  Musiker*innen zum Meister interviewt – sicherlich der weitaus einfachere Weg, aber auch der, der die bekannteren Namen garantiert.

Lobenswert an Brüggemeyers Buch Look out Kid: Bob Dylans Lieder, unsere Geschichten ist seine Heterogenität, die jedoch gleichzeitig auch, das liegt wohl in der Natur der Sache, seine Schwachstelle ist. Offensichtlich hat der Journalist, der ja selbst Autor eines Bob-Dylan Romans namens Catfish ist, seinen Autor*innen freie Wahl über die Gattung gelassen, in welcher sie Dylan ehren wollen. So erscheinen in dem Band neben einigen Erzählungen auch persönliche Berichte, autobiographische Anekdoten oder, im Fall des neuen jungen Starautors Benedict Wells, ein großes Nichts.

Das Buch beginnt mit einer gewohnt witzigen Erzählung des Ruhrpott-Chronisten Frank Goosen, der davon berichtet, wie er als unschuldiger Bochumer Schüler einst von einem als dubios geltenden Studenten in das Werk Dylans (und in die Hippiewelt, so sieht es zumindest der kleine Frank) eingeführt wurde. Eine amüsante, gut geschriebene Story, die einen passenden Einstieg ins Buch gewährleistet. Es folgt eine surreale Erzählung von Marion Brasch, die viel mit Dylan-Motiven spielt, ohne dabei allzu aufdringlich zu sein.Brasch setzt damit ein interessantes Gegenstück zu Goosens Text, und man ist begeistert ob dieses wirklich gelungenen Einstieges. Zumal die nur halbfiktive Erzählung Tom Kummers um Albert Großmann, Dylans damaligen Manager und dessen Frau Sally, die bekanntlich das Cover zu dessen Album Bringing It All Back Home ziert (und leider vor wenigen Wochen verstorben ist), ebenfalls als gelungen zu bezeichnen ist.

Bernadette La Hengst erzählt mit viel Witz darüber, wie sie in den 90er Jahren mal mit ihrer damaligen Band – die großartigen und leider fast vergessenen Die Braut haut ins Auge – durch die USA getourt sind und das Ganze zu einer spirituellen Dylan-Suche wurde. Ihr zeitweiliger Kollaborateur Knarf Rellöm berichtet von einem Norwegen-Urlaub mit einem befreundeten Punk, der als allererstes Rellöms Dylan-Tape aus dem Autofenster in den Fjord warf (worauf Rellöm versuchte, die Songs zu rekonstruieren, mit denen er dem Punk Dylan näherbringen wollte). Das sind keine literarischen Texte, aber es sind unterhaltsame Anekdotensammlungen von Musiker*innen.

Ein wunderbarer literarischer Text, wohl der beste in dem Band, stammt von Brüggemeyer selbst. Es ist die Geschichte von einer hässlichen Jacke, einem irren WG-Mitbewohner und nächtelangen philosophischen Gesprächen über den Meister. Vielleicht eine autobiographische Anekdote aus seiner Studentenzeit, vielleicht auch völlig fiktional, erinnert der Text bereits in seiner Anlage an den Mythos, den Bob Dylan selbst um seine Songs geschaffen hat. Hier erkennt man den Fachmann und wünscht sich, der Herausgeber würde demnächst mal wieder die Zeit finden, einen Roman zu schreiben. Leider hält das Buch das Niveau öfter auch nicht; das liegt aber auch in der Natur der Sache.

Jungstarautor Benedict Wells besitzt die Frechheit, zunächst aufzulisten, worüber er alles in Bezug auf Dylan schreiben könnte, so sehr scheint er ihn zu lieben, um sich dann zu entscheiden, einfach gar nichts zu schreiben. Und das Ganze natürlich nach Dylans Song I’m Not There zu betiteln. Wells findet das vielleicht witzig, die Leser*innen treibt es eher zur Vermutung, dass der junge Schriftsteller weder Ahnung von Bob Dylan hat noch Lust hatte, sich mit ihm näher auseinanderzusetzen. Judith Holofernes‘ Gedichtübersetzung mit kryptischen Fußnoten ist zwar originell, aber nur bedingt witzig. Auch Jan Brandts Erzählung enttäuscht. Dem eigentlich sehr interessanten Schriftsteller gelingt es nicht, seinen Text so geschickt mit Dylans Ballad Of A Thin Man zu verweben, das interessante Literatur dabei herauskommt.

Insgesamt gewinnt man den Eindruck, dass viele dieser Texte recht schnell geschrieben werden mussten. Das kommt einem Goosen oder den erwähnten Musiker*innen vielleicht sogar entgegen, anderen schadet es eher. Vielleicht hatten aber auch einige der Beitragenden nichts Besonderes zu Dylan zu sagen, aber auch das gehört ja zu so einem Projekt dazu. Alles in allem ist der Band auf jeden Fall als sehr originelle Annäherung an einen enigmatischen Künstler empfehlenswert.

Weniger originell gestaltet sich auf den ersten Blick der Band von Aust und Schulz; tatsächlich mag man ihn zunächst erst gar nicht lesen, zu oft hat man solche Bände mit Musiker*inneninterviews schon in der Hand gehabt. Bedarf es wirklich der Buchform um zu erfahren, was Wolfgang Niedecken, Patti Smith oder Joan Baez zu Dylan zu sagen haben? Und gerade der Umstand, dass die in diesem Buch interviewten Künstler*innen allesamt große Namen tragen, macht ebenso skeptisch.

Also blättert man als alter Kiss-Fan natürlich zunächst auf das Interview mit Gene Simmons, wohl wissend, dass Gespräche mit dem „Demon“ meist darin münden, dass er über Geld und seine eigene Großartigkeit spricht. Dass Simmons tatsächlich einen mit Dylan gemeinsam komponierten Song geschrieben hat, der dann auf seinem leider völlig gefloppten Soloalbum Asshole erschien, wissen die meisten Menschen wahrscheinlich wirklich nicht. Auch nicht, dass Dylan nur für die Musik, der lyrisch nicht so sonderlich begabte Kiss-Bassist (Let me put my log into your fireplace) aber für den Text verantwortlich war. Wie dem auch sei, den Interviewer*innen gelingt es tatsächlich, Simmons das gesamte Interview lang ausschließlich über Bob Dylan und dabei über diese unglaublich skurrile Begegnung sprechen zu lassen. Und das ist eine unglaubliche Leistung, die automatisch Lust auf den Rest des Buchs macht.

Und tatsächlich, Forever Young: Unsere Geschichte mit Bob Dylan ist ein großer Spaß, gerade weil die Autoren alles aus den Gesprächen herausfiltern, was nichts mit dem Objekt der Begierde zu tun hat. Und viele der Interviewten haben wirklich interessante Anekdoten zu Dylan zu erzählen. Dass man hier bei einem in Sachen Dylan seit jeher auskunftsfreudigen Zeitgenossen wie Wolfgang Niedecken nichts erfährt, was er uns nicht schon im Gespräch mit Literaturkritik.de erzählt hätte, ist naheliegend, aber das Buch ist tatsächlich ein großer Fundus an Geschichten und zeigt vor allem die Dynamik, die sich zwischen Rockstars abspielen kann. Es gewährt einen Blick durchs Schlüsselloch. Natürlich sind auch hier einige Interviews redundant, aber im Großen und Ganzen weiß das Buch entgegen erster Befürchtungen zu gefallen.

Bleibt (neben dem Buch, das ich gemeinsam mit Dieter Lamping bei Literaturwissenschaft.de herausgegeben habe) die dritte Veröffentlichung, die im deutschsprachigen Raum exklusiv zu Dylans 80. Geburtstag erscheint. Der Kampa-Verlag setzt seine sehr lobenswerte Reihe von Interviewbänden mit Autor*innen und Musiker*innen mit einem fast schon zwangsläufigen Dylan-Band Ich bin nur ich selbst, wer immer das ist: Gespräche aus sechzig Jahren: Gespräche aus fünfzig Jahren fort. Von welchem Rockstar sonst (außer natürlich vom grandiosen Mark E. Smith, seines Zeichens Mastermind der Band The Fall und leider bereits verstorben, man sollte bei Kampa unbedingt mal anfragen) sollte man einen Interviewband lesen, wenn nicht von Dylan? Sein Witz, seine Kauzigkeit, seine Intelligenz, aber auch seine schnoddrige Unverschämtheit kommen in diesen Maskenspielen, die sich Interviews nennen, hervorragend zur Geltung.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass zum 80. Geburtstag die Publikationslage etwas dünn ist: Kein Fotoband, keine archivarische Veröffentlichung, keine neue Songtextsammlung. Aber vielleicht ja Ende des Jahres endlich eine neue, reguläre Folge der schon legendären Bootleg Series. Die sagenumwobenen Aufnahmen zu Infidels fehlen noch, nur, falls jemand von Sony Music mitliest.

Titelbild

Bob Dylan: Ich bin nur ich selbst, wer immer das ist. Gespräche aus sechzig Jahren.
Herausgegeben von Heinrich Detering.
Aus dem Englischen von Thomas Bodmer, Georg Deggerich, Heinrich Detering und Cornelius Reiber.
Kampa Verlag, Zürich 2021.
352 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783311140276

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Stefan Aust / Martin Scholz: Forever Young. Unsere Geschichte mit Bob Dylan.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2021.
192 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783455010701

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Maik Brüggemeyer: Look out kid. Bob Dylans Lieder, unsere Geschichten.
Ullstein Verlag, Berlin 2021.
272 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783550201585

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