Eine verfeinerte Fortschreibung des 70er Jahre-Feminismus?
Die altgediente Feministin Erica Fischer lässt sich von jungen Queer- und Gender-Feministinnen auf manchen Holzweg locken
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseErica Fischer ist vor allem durch ihren Mitte der 1990er Jahre erschienen Bestseller Aimée & Jaguar bekannt geworden. Doch war das keineswegs ihre erste Buchveröffentlichung. So hat die österreichische Feministin bereits 1987 einen Band mit dem Titel mannhaft publiziert. Es beruht auf „langen Gesprächen“, die sie mit „etwa 20 heterosexuellen Männern im Alter zwischen 30 und 40 Jahren aus verschiedenen Gesellschaftsschichten“ geführt hat. Im Untertitel des längst vergriffenen und weithin vergessenen Buches ist gar von „Vernehmungen“ die Rede. Das klingt ein wenig nach einem Gerichtsverfahren und legt den Gedanken nahe, den Männern solle der Prozess gemacht werden. Ganz so ist es nicht, auch wenn Fischer die Interviews durchaus kritisch führte.
Nun, mehr als 30 Jahre später, hat sie erneut ein Buch vorgelegt, das im Wesentlichen auf Gesprächen beruht. Diesmal führte Fischer sie jedoch nicht mit einem bunt zusammengewürfelten Haufen von Männern mittleren Alters, sondern mit jungen Frauen und einer sich geschlechtlich als non-binärer Mensch verstehender Person, bei denen es sich zumeist um Feministinnen und Gender-Aktivistinnen von einer gewissen Prominenz handelt.
Fischer selbst spricht lieber von „Feminist*innen“. Sie benutzt in Feminismus revisited also nicht das feministische große Binnen-I, sondern den queerpolitischen Gender-Asterisk. Mal schreibt sie von „Frauen“, mal von „Frauen*“. Wann sie welche Schreibweise benutzt, erklärt sich weder von selbst noch wird es von ihr erläutert. Männer sind übrigens immer „Männer“, nie Männer*. Warum sie diesen Unterschied in der Schreibweise macht, wird ebenfalls nicht klar. So erweckt sie jedenfalls den Eindruck einer Vielfalt von Geschlechtern, denen das eine Geschlecht der Männer gegenübersteht. Eine Ausnahme vom Gender-Asterisk macht die Autorin in dem Kapitel über ihr Gespräch mit Hengameh Yaghoobifarah. Hier benutzt sie den linguistischen Gender-Gap, weil Yaghoobifarah es so wünscht.
Wie die Autorin eingangs darlegt, geht es in ihrem Buch zwar auch „um mich selbst und meinen Weg als Frau und Feministin“, vor allem aber um das „Denken, Handeln und Leben“ ihrer Gesprächspartnerinnen: „junge Feminist*innen“, die den „Blick“ der Autorin auf „die aktuellen Konflikte und Genderthemen geschärft haben“.
Welche Perspektive dieser Blick einnimmt, hat sie allerdings selbst bereits mit der Auswahl ihrer GesprächspartnerInnen festgelegt, denn sie decken keineswegs das gesamte Spektrum der von FeministInnen der jüngeren Generation vertretenen Auffassungen ab. Fischer „interessieren die Autor*innen und Leser*innen von Missy“, mithin also VertreterInnen des queer-aktivistischen Flügels. Aus ihnen hat sie ihre GesprächspartnerInnen ausgewählt. Außen vor bleiben hingegen etwa die radikalfeministischen Störenfriedas, die zwar dann und wann negativ erwähnt, aber eben nicht selbst befragt werden. So wirft Fischer etwa der Störenfrieda Mira Sigel vor, ihre „Fixierung auf althergebrachte Rollenbilder“ sei „nicht zu überbieten“, und merkt an, Hengameh Yaghoobifarah sehe in Sigels Ablehnung des Ansinnens von Transfrauen, „frauenexklusive Räume“ betreten zu dürfen, eine „toxische Kulturkritik“. Auch anarchafeministische Positionen, wie sie von Margarete Stokowski vertreten werden, oder der liberale Netzfeminismus Anne Wizoreks schienen Fischer offenbar nicht interessant genug, um das Gespräch mit ihnen zu suchen. Auch sie werden gerade einmal beiläufig erwähnt.
Der gegenwärtige Feminismus sei „eine verfeinerte Fortschreibung dessen, was die zweite Welle des Feminismus angestoßen hat“, freut sich Fischer auf den ersten Seiten ihres Buches. Denn er sei heute „ohne einen intersektionalen Ansatz nicht mehr denkbar“ und Sexismus könne „nicht mehr ohne das Mitdenken von Rassismus, Islamhass und Homo- und Transfeindlichkeit diskutiert werden“. Ob das auch umgekehrt gilt, ob also Sexismus immer mitgedacht werden muss, wenn über Rassismus oder Islamhass gesprochen wird, und falls dem so sein sollte, wessen Sexismus dann mitgedacht werden muss, erörtert sie nicht.
Den Gesprächs-Kapiteln vorgeschaltet hat Fischer einen schnörkellosen autobiografischen Abriss, in dem sie uneitel über ihren äußeren und inneren Werdegang berichtet von ihrer Kindheit im stockkonservativen Österreich der 1950er Jahre bis zur jungen Frau, die um 1970 den Feminismus kennen lernt und selbst aktiv wird. In diesem Abschnitt erwähnt sie auch ihre persönliche Erfahrung einer ungewollten Schwangerschaft und der – damals in Österreich noch illegalen – Abtreibung. Nach dem erfolgten Eingriff empfand sie nicht etwa Trauer, Schuld oder ähnliche negative Gefühle, die EmbryonenschützerInnen Frauen, die abgetrieben haben, gerne andichten, sondern ein „überwältigendes Gefühl“ der „Erleichterung“. Es ging ihr also nicht anders als den meisten Frauen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden.
Dem autobiografischen Abriss folgt ein Kapitel über Gespräche mit drei Niederösterreicherinnen. Es handelt sich um Zufallsbekanntschaften, mit denen sie über ihre Haltung zum Feminismus spricht. Im anschließenden Abschnitt „Vergewaltigung: Aspekte eines Verbrechens“ kommt ihre erste nicht zufällige, sondern bewusst ausgewählte Gesprächspartnerin Mithu M. Sanyal ausführlich zu Wort. Ihre Antworten auf Fischers kurze Fragen fallen derart umfangreich aus, dass sie öfter monologhaft wirken und sie sich durchaus ein Anrecht erworben hätte, auf dem Titelblatt als Mitautorin genannt zu werden. Nicht, dass Sanyal keine klugen Überlegungen anstellen würde. Das tut sie sehr wohl. Über Triggerwarnungen zum Beispiel. Nur tut sie es leider zu selten. Alles andere als überzeugend ist etwa manches von dem, was sie über den sprachlichen Umgang mit Vergewaltigungen sagt. Es ist dies das zentrale Thema des Abschnittes und überhaupt der Grund, warum Fischer sie zu einem Gespräch eingeladen hat. Bekanntlich kritisierten Mithu Sanyal und Marie Albrecht am 11.2.2017 in der taz, dass Frauen, die vergewaltigt wurden, als Opfer bezeichnet werden, und stießen damit eine heftige Kontroverse an. Sie lehnten den Begriff ab, weil mit ihm die Vorstellung einhergehe, „dass Opfer wehrlos, passiv und ausgeliefert sind – und zwar komplett“. Eine Woche später widersprach Simone Schmollack ebenfalls in der taz zu Recht, dass „ein Opfer nicht automatisch zu einer bemitleidenswerten, passiven Person“ wird. Am deutlichsten wird das vielleicht, wenn man sich vor Augen hält, dass in Kriegen auch die an Kampfhandlungen beteiligten Gefallenen zu dessen Opfern gezählt werden.
Sanyal und Albrecht schlugen vor, statt von Opfern lieber von „Erlebenden“ zu reden, da dies neutraler sei. Im Gespräch mit Fischer räumt Sanyal nun zwar ein, dass der Begriff „Opfer“ „wichtig“ ist, „weil daran juristische Rechte hängen“, möchte ihn ansonsten jedoch nach wie vor vermieden wissen und wiederholt ihre irrige Auffassung, dass „das Opfer in unserer Rhetorik immer unschuldig und rein“ sei. Jemand, der eine körperliche Auseinandersetzung provoziert und durch sie umkommt, ist jedoch sehr wohl das Opfer einer Auseinandersetzung, an der er selbst Schuld ist. Außerdem begibt sich Sanyal auf einen schmalen Grad, wenn sie den Begriff „Opfer“ auch mit der Begründung ablehnt, er assoziiere Unschuld. Diese Argumentation schrammt haarscharf an der Klippe vorbei, Vergewaltigten eine Mitschuld an dem Verbrechen zuzuschreiben. Hingegen hat Sanyal selbstverständlich Recht, wenn sie feststellt, dass „auch böse Menschen […] nicht vergewaltigt“ werden dürfen. Aber hat denn jemals einE FeministIn etwas anderes behauptet? Ärgerlich ist, dass sie meint, „es liegt in der Natur“ von Vergewaltigungen, „dass es schwierig ist ein Urteil zu finden“ und somit die vergewaltigerfreundliche Gesetzeslage und die Rechtsprechung in Deutschland ausblendet. Fischer lässt Sanyal bei alldem nahezu widerspruchsfrei gewähren.
Im nächsten Kapitel ergreift die Autorin wieder selbst das Wort und erzählt, dass die Frage, ob „eine Transfrau tatsächlich eine Frau“ ist, „die das Recht hat, einen geschützten Frauenraum zu betreten“, aus gegebenem Anlass schon Anfang der 1970er Jahre von der Wiener Frauenbewegung diskutiert wurde. Sie beantwortet die Frage zwar nicht explizit und erklärt, sie sehe „im derzeitigen Konflikt […] berücksichtigenswerte Argumente auf beiden Seiten“. Ihre Erzählung der Kontroverse zu Beginn der 70er Jahre macht aber deutlich, dass sie die Frage letztendlich bejaht.
Im Zentrum des folgenden Kapitels steht wiederum ein Interview. Yaghoobifarah liest das queeraktivistische Missy Magazin nicht nur, sondern ist in der Redaktion tätig, wo auch das Gespräch mit Fischer stattfand. In queeraktivistischen Kreisen wird bekanntlich gemeinhin verlangt, als Mensch mit dem Geschlecht und der Sexualität anerkannt und angesprochen zu werden, mit denen sich die betreffende Person (gerade) identifiziert. Auch Yaghoobifarah nimmt das für sich in Anspruch, befindet andererseits aber – ganz unabhängig davon, wie diese Person sich selbst bestimmt – darüber wer als queer zu gelten hat und wer nicht: „Alice Weidel von der AfD ist lesbisch, auf keinen Fall aber queer, und auf Le Pen würde ich das Wort Homo- oder Femonationalismus anwenden“. Auch kann Yaghoobifarah „nicht akzeptieren“, dass sich „manche Leute, die hetero und cis sind“, als queer betrachten, „weil sie zum Beispiel SM mögen“.
Eines der Kapitel, die nicht von Fischers Gesprächen berichten, ist der #MeToo-Kampagne gewidmet. Sie wird auf gerade einmal sechs Seiten abgehandelt, die zudem fast vollständig mit einer eigenen ‚Fallgeschichte‘ Fischers gefüllt sind. Auch dieses Kapitel hält ein Ärgernis bereit. Denn Fischer betreibt Victimblaming: „Viele der aufstrebenden Filmschauspielerinnen, die von Weinstein & Co. sexuell behelligt wurden, wussten nur zu gut, dass die Vermietung ihres Körpers der Schlüssel zu einer Karriere in Hollywood sein könnte.“
Das mit fast 50 Seiten umfangreichste Kapitel gilt der „Sexarbeit“, wie Prostitution in der Überschrift verharmlosend genannt wird. Man müsste eigentlich nicht viele Worte über diesen Abschnitt verlieren, denn er ist ein einziger Propagandafeldzug für Prostitution . Fischer hat sich als Gesprächspartnerin eine Vertreterin des Prostitutions-Propaganda und -Einstieg-Vereins Hydra ausgesucht, die für sich den Ehrentitel „Feministin“ in Anspruch nimmt und sich zu prostituieren, zur „Unterwanderung des kapitalistisch-patriarchalen Systems“ verklärt. Schon im zarten Alter von „zwölf oder dreizehn“ Jahren sei sie, „längst Feministin“ gewesen und habe gewusst, dass sie später Prostituierte werden wollte.
Die Frau „beeindruckte“ Fischer „mit der kühlen Selbstverständlichkeit, mit der sie über ihre Arbeit sprach und mit der Klarheit ihrer Analyse“. Eine ‚Analyse‘, die ohne ein einziges Wort zur gesellschaftlichen Funktion dieses Grundpfeilers des Patriarchats auskommt. Dafür aber meint die Hydra-Vertreterin, wenn Überlebende der Prostitution „eine posttraumatische Belastungsstörung entwickeln“, sei das „eine Selbststigmatisierung“. Überhaupt seien die von Prostitutionsüberlebenden erzählten „Horrorgeschichten“ teilweise „erlogen“, denn das sei für diese Frauen „die einzige Möglichkeit sich reinzuwaschen“. Von ihrem eigenen Alltag als Prostituierte berichtet sie, dass die Freier sie „foltern dürfen, mir den Arsch verhauen, meine Nippel quälen, mir einen Knebel in den Mund stecken, mich fesseln, mich an den Haaren ziehen, mich bespucken“. „Weil es Geld gibt“, sei das „einfach Arbeit“, und außerdem sei es „manchmal auch amüsant“.
Weitere Gespräche führte Fischer mit der Grünen-Bundestagsabgeordneten Agnieszka Brugger über „feministische Friedenspolitik“ und mit der Autorin Katrin Rönike, die lieber von „Emanzipation“ statt von „Feminismus“ spricht. Relativ kurz fällt das interessanteste und wichtigste Kapitel des Bandes aus, in dem Fischer auf die Reaktionen von Publikum und Kritik auf ihren 1995 erschienen Bestseller Aimée & Jaguar eingeht. Der Roman spielt zur Zeit der Nazi-Tyrannei und literarisiert die „bittersüße Liebesgeschichte“ zwischen der Jüdin Felice Schragenheim (Jaguar) und der Mitläuferin des Regimes Lilly Wust (Aimée). Während Wust als Parteimitglied und vierfache Mutter am nationalsozialistischen Terrorregime teilhatte und von ihm profitierte, wurde Schragenheim ins KZ verschleppt und ermordet. Kritisiert wurde damals vor allem Fischers Nachwort, in dem Wust nicht gar so gut wegkam, wie es von vielen Seiten gerne gesehen worden wäre. Fischer blickt auf ihre Begegnungen mit Wust und auf die damalige Kritik von Publikum und Literaturkritik zurück, die Wusts Verhalten im Nationalsozialismus mit den haarsträubendsten Argumenten verharmlosten, verteidigten und rechtfertigten.
Während der Lektüre von Feminismus revisited wünscht man sich ein ums andere mal, Fischer hätte die Statements der queer- und genderfeministischen Interviewpartnerinnen ebenso kritisch durchleuchtet, wie die ihrer Gesprächspartner vor mehr als 30 Jahren. Stattdessen begibt sie sich diesmal in die Rolle der zu belehrenden. Allerdings hat sie die feministischen Diskurse der letzten 10, 20 Jahre wohl tatsächlich nicht sonderlich intensiv verfolgt.
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