Handeln statt Verharren

Waldbrände und Autofahrten in Franziska Gänslers Debüroman „Ewig Sommer“

Von Monika WoltingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Wolting

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist, es wär' nur deine Schuld, wenn sie so bleibt“, singen die Ärzte mit voller Überzeugung auf dem Tempelhofer Feld im August 2022 und sparen bei ihren Konzerten bis zu 70 % CO2 ein. Das ist ungefähr zehnmal so viel wie die Bundesregierung sich vorgenommen hat. Iris dagegen, die Protagonistin in Franziska Gänslers Debütroman Ewig Sommer, beobachtet von ihrem Hotel aus, wie die Wälder um sie herum brennen, wie die Aktivist*innen von den Flammen zurückgedrängt werden, wie die Temperaturen im Oktober nicht unter 40 Grad sinken wollen und lebt ihr Leben wie gewohnt, kauft Fleisch, fährt Auto und sagt: „Ich sah keinen Weg, wie ich die Situation hätte beeinflussen können.“

In literarischen Texten kann die Zukunft so in Erscheinung treten, wie die Autor*innen einen Entwurf für eine mögliche zukünftige Welt schaffen, worin Protagonisten auf eine bestimmte Art und Weise agieren. Franziska Gänslers Botschaft lautet: Solange die Menschen auf ihren alten Lebensformen beharren, wird sich in ihrem Leben nichts zum Besseren wenden. Diese Botschaft realisiert sie in zwei Erzählungen, einer globalen und einer privaten Geschichte.

Die globale Erzählung betrifft den Klimawandel. Die Erderwärmung wurde nicht aufgehalten, die Wettererscheinungen werden immer unberechenbarer, der Sommer drängt mit Temperaturen über 40 Grad bis in den Oktober hinein, ganze Landstriche sind in Folge von Trockenperioden und Bränden unbewohnbar geworden. Die Klimaaktivist*innen kämpfen nun darum, die Erderwärmung bei 1,8 Grad zu stoppen. Frühere Badeorte, wie das fiktive Bad Heim im Roman, werden gespenstisch, einsam, mit Asche bedeckt. Gärten trocknen aus, in Teichen verenden Fische, Vögel fallen vom Himmel, Wälder brennen ab, Felder werden zu Wüsten.

Die private Erzählung zeigt ein Familiendrama, das sich nach außen glatt und geschminkt präsentiert, nach innen aber vernichtend wirkt. Dori, die andere Hauptfigur, verharrt in einer unglücklichen Ehe, wird von ihrem Mann durch Nichtbeachtung tief gekränkt und durch beleidigende Worte verletzt. Ihr Versuch, sich ihm zu entziehen, scheitert an ihr selbst, weil sie sich nicht im Stande sieht, selbst über ihr Leben und das ihrer Tochter zu bestimmen. Bewusst begibt sie sich in die Abhängigkeit von ihrem Mann, überlässt ihm die Organisation des Alltags, vernachlässigt ihren Beruf und verrät ihre Träume.

Die Handlung des Romans wird von immer wieder neu auftretenden Gefahren angetrieben. Die Situationen spitzen sich immer weiter zu. Die Hoffnung auf Veränderung, darauf, dass endlich etwas passiert, das zur Auflösung der prekären Situationen führt, wird erst zum Schluss des Romans enttäuscht.

Iris betreibt in Bad Heim das letzte geöffnete Hotel, das mal ein Familienhotel gewesen ist. Der einstige Kur- und Messeort ist durch die ständig neu aufflammenden Brände zu einem bedeutungslosen Provinzstädtchen verkommen. Die Hotelbesitzerin versucht den status quo des Hotels aufrechtzuerhalten, gießt gemäß den vorherrschenden neuen Regeln immer noch ihren Garten, lässt frisches Wasser in den Fischteich einlaufen, lüftet die Zimmer, wenn der Wind von einer brandgeschützten Seite kommt und kehrt die Asche im Hotel, auf der Terrasse und von den Gartenwegen weg. Sie verbringt ihre Zeit ansonsten mit Sonnen, Rauchen oder Kaffeetrinken. Dabei verspürt sie „Ratlosigkeit“. Inzwischen hat sie sich aber an „Feuer im Juni und August“ gewöhnt, sie ist sich auch sicher, dass „es bald aufhören wird zu brennen. Es handelt sich nur noch um Tage.“ Sollte ihr Hotel nicht abbrennen, würde sie sich sicher auch an die heißen Oktoberwochen gewöhnen können.

Eines Tages steht Dori mit ihrer kleinen Tochter vor ihrer Tür und bittet um ein Zimmer. Dori vermeidet, sich auszuweisen und die Länge ihres Aufenthalts preiszugeben. Erst nach und nach, auch durch die Anrufe ihres Mannes im Hotel, wird bekannt, dass Dori auf der Flucht vor ihm ist, ihm den Aufenthaltsort nicht verraten will, sich mit ihm nicht aussprechen will, aber sich auch nicht offen von ihm trennen will. Der Brand nimmt an Stärke zu und die Frauen kommen sich emotional näher, verbringen immer mehr Zeit miteinander. Iris übernimmt schließlich die Verantwortung für ihre Gäste, die zu Mitbewohnerinnen werden. Die Hoffnung auf eine Veränderung wächst.

Die eingespielten Gewohnheiten erweisen sich aber zum Schluss als stärker als die Notwendigkeiten, die zu leisten wären. Der Mut zur Veränderung der Lebensweisen, der Wille, die Verantwortung für das eigene und das fremde Leben zu übernehmen, sind allenfalls rudimentär vorhanden. Der Regen löscht das Feuer, Doris‘ Bequemlichkeit bedingt ihre Rückkehr in das häusliche Unglück.

Der Roman, der als pessimistische Climate Fiction gelesen werden kann, lässt die Leser*innen nicht ratlos zurück. Er zeigt an konkreten Beispielen, dass durch Handlung Veränderungen möglich wären. Es ist Zeit zum Handeln.

Titelbild

Franziska Gänsler: Ewig Sommer.
Kein & Aber Verlag, Zürich 2022.
208 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-13: 9783036958811

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