Überbrettl, Zippi der Reisegott, Flüsterwitze
Mit „Lachen. Kabarett“ liegt der collagenartige Band zur gleichnamigen Ausstellung im Literaturmuseum der Moderne vor
Von Mario Huber
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIm Mai 2019 deputierte die Veranstaltungsreihe #LiteraturBewegt im Literaturmuseum der Moderne in Marbach mit der „Improvisationsausstellung“ „Lachen. Kabarett“. Aus den Beständen des Archivs wurden dafür „in kurzer Zeit“, wie der Ankündigungstext angibt, eine Vielzahl an Texten und anderen Archivalien zusammengestellt, um sich unterschiedlichen Formen des Lachens zu nähern. Das Kabarett fungiert dabei als lose verbindende Rahmung des Vorhabens. Als Marbacher Magazin erscheint nun ein die Ausstellung begleitender gleichnamiger Band, der eine Vielzahl an Reflexionen zu Texten und anderen Exponaten versammelt.
Ankündigungstext und erster Blick ins Buch lassen eine systematische Ordnung der über 50 Texte vermuten: auf „Gegen Absolutes. Miteinander lachen“ folgt „Gegen Unbewusstes. Offen lachen“, „Gegen Übermenschen. Laut lachen“ und so weiter. Aber die Ordnung ist eine chronologische, die im Jahr 1786 bei Friedrich Schiller beginnt und 1984 bei Robert Gernhardt endet. Dabei stellen die beiden gennannten Autoren zeitliche Ausreißer dar, denn die meisten der Texte behandeln Fundstücke und Personen des ausgehenden 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das ist weiter nicht verwunderlich, gelten doch München zur Jahrhundertwende sowie Berlin bis in die Weimarer Zeit als Hochburgen des Kabaretts. Im Band wurde versucht, das „demokratische“ Prinzip der Ausstellung fortzuführen und Bekanntes und weniger Bekanntes, Großes und Kleines gleichberechtigt nebeneinanderzustellen. Quantitativ stechen aber doch einzelne bekannte Künstlerinnen und Künstler durch Mehrfachnennungen hervor. Allen voran Kurt Tucholsky, dem wahrscheinlich unter denselben Bedingungen ohne Schwierigkeiten ein eigenes Buch gewidmet werden könnte. Aber auch Erich Kästner, Mascha Kaléko, Hugo Ball, Carl Zuckmayer und eher überraschender Weise Eduard Mörike und Hermann Hesse animierten die vielen Autorinnen und Autoren gleich zu mehreren Texten. Grundsätzlich korrespondieren die Titel der einzelnen Kapitel und die ihnen zugeordneten Auseinandersetzungen; wo als unter „Fürs Überleben. Bitter lachen“ sollten zum Beispiel auch Flüsterwitze aufgenommen werden? Jedoch scheint der „Gänsemarsch“ der Lach-Kategorien mit ihrem „Für“ und „Gegen“ in der zeitlichen Folge ein wenig mehr Konzept als Realität darzustellen. Anders formuliert, und diese Assoziation mag dem Titel der Veranstaltungsreihe geschuldet sein: Ein bisschen fühlt sich das Buch wie ein ausgedruckter Blog an, dem ein paar Querverweise abhandengekommen sind. Ein etwas ausführlicheres Inhaltverzeichnis hätte dem schön gestalteten und gut bebilderten Band gutgetan.
Diesen eher spezifischen Anmerkungen steht entgegen, dass der Band insgesamt zum sogenannten Schmökern einlädt. „Was hat man in einem Literaturarchiv zu lachen?“, ist eine der vielen Fragen, die die Herausgeberinnen Heike Gfrereis, Anna Kinder und Sandra Richter in der Einleitung aufwerfen und die Textsammlung als Ganzes beantworten lassen. Nicht jeder der vielen Einzeltexte ist dabei gleichermaßen gelungen, was bei einer solchen Menge aber auch nicht erwartet werden sollte. Einerseits ist Humor doch manchmal recht idiosynkratisch und der Witz geht mitunter durch elaborierte Erklärungen verloren. Andererseits fehlt bei mancher Erörterung das behandelte Objekt, was für Leserinnen und Leser, die die Ausstellung nicht besucht haben beziehungsweise die Bestände nicht kennen, den Nachvollzug erschwert. Hervorzuheben sind aber dennoch viele. Zum Beispiel Serena Grazzinis etwas längere Abhandlung zum wilhelminischen Deutschland und dessen Kabarettkultur, Martin Kuhns Text über einen Brief von Kurt Hiller an Erwin Loewenson oder auch Nicola Herwegs Ausführungen zu Kurt Tucholskys Erweiterungen in seinem Reimlexikon. Diese wenigen Beispiele können dabei nur andeuten, welche mannigfaltigen Zugangsweisen zum vagen Begriff „Kabarett“ es im Buch gibt: Von Bänkelliedern und Chansons über Egon Friedells Zeitungsparodien bis zu Bertolt Brechts „Auftritt“ vor dem „Komitee für unamerikanische Umtriebe“ fällt Licht auf diverse „Kleinigkeiten“ des Betriebs und dessen Umgebung. Die implizite Voraussetzung ist dabei natürlich, dass zumindest irgendein Gegenstand oder Text den Weg ins Archiv gefunden hat.
Programmatisch wird auch im Band Kabarett eher unter- als überdeterminiert. In der Einleitung der Herausgeberinnen verstehen diese das Kabarett als eine Kunstform, die sowohl formal als auch inhaltlich nach dem Prinzip „kann, muss aber nicht“ funktioniert. Ob das tatsächlich die beste oder umfassendste Beschreibung für das Kabarett ist, sei dahingestellt. Eine sehr einflussreiche Alternative bietet zum Beispiel Jürgen Henningsen, der bereits 1967 das Kabarett als Spiel mit dem erworbenen Wissenszusammenhang des Publikums bezeichnet. Dieser Sicht kommt im Gegensatz zur Einleitung das essayistische Nachwort von Hanelore Schlaffer näher. Aber ihr vergleichend-abgrenzendes Spiel mit Komödie, Tragödie, Harlekin und Prediger überzeugt nur im schnellen Lesen. Bei reduziertem Tempo möchte man vielen Sätzen widersprechen, so zum Beispiel: „Im Kabarett herrscht das Gesetz der Geschwindigkeit, so schnell wie möglich bringt der Kabarettist die Gedanken auf den Punkt, auf die Pointe, er hetzt ihr geradezu entgegen.“ Hier fallen doch genügend Ausnahmen ein. Aber der Pragmatismus der Herausgeberinnen in der Einleitung gilt wohl auch für das Schreiben über das Kabarett: Vieles kann zutreffen, muss aber nicht. Mit dem Kabarettchronisten Volker Kühn lässt sich, gerade mit Blick auf das frühe Kabarett, ergänzen: „Der leichten Muse ist schwer beizukommen, auch im Nachhinein.“
Der Band zur Ausstellung „Lachen. Kabarett“ ergründet schließlich wohl weder die eine noch die andere Hälfte des Titels weiter, aber lesenswert ist er allemal. Mit einem verbogenen Satz Hesses und einem Augenzwinkern: Auf Ordnung getrimmte Leserinnen und Leser sollten hier nur mit Angst eintreten. Sie könnten etwas Ungeahntes entdecken.
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