Popularisieren tut Not

Carola Hilmes bittet mit „Schriftstellerinnen III“ erneut um Aufmerksamkeit für deutschsprachige Autorinnen der Gegenwart

Von Günter HelmesRSS-Newsfeed neuer Artikel von Günter Helmes

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die u.a. in Bereichen wie Genderstudies, Frauenliteraturgeschichte, Nachkriegs- und Gegenwartsliteratur, Intermedialität und Europäische Avantgarde auch international profilierte Herausgeberin Carola Hilmes setzt mit Schriftstellerinnen III ihre auf das großartige Kritische Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (KLG) zurückgreifende Sammlung von Werkporträts nach 1945 geborener deutschsprachiger Schriftstellerinnen fort. Wie die gleichnamigen Bände I (2018; sechs Beiträge) und II (2019; zehn Beiträge), ist auch dieser Band in der für breite LeserInnenschichten empfehlenswerten, von Axel Ruckaberle herausgegebenen Reihe KLG Extrakt erschienen, und wie die Vorgängerbände will auch dieser „einen Querschnitt“ bieten und „zur weiteren Lektüre der Primärtexte anregen.“

Erneut sind die z. T. gekürzten und (meist) die aktuelle Fassung wiedergebenden Beiträge – es sind diesmal elf im Umfang von sechs bis fünfundzwanzig Seiten – so zusammengestellt, dass unterschiedliche Genres und literarische Felder berücksichtigt werden. Darüber hinaus sind die Beiträge der Abfolge nach so platziert, dass bei einer Lektüre von A bis Z für Abwechslung bei den vorgestellten Autorinnen wie beim Zugriff der BeiträgerInnen gesorgt ist.

Beides, Auswahl wie Arrangement, dürfte dem anvisierten LeserInnenkreis – insbesondere wohl interessierte Laien, Studierende, LehrerInnen, Auslandsgermanistik – sehr entgegenkommen. Zum Gebrauchswert des Bandes tragen zudem die „Einführung“ der Herausgeberin, die von ihr zusammengestellte dienstbare „Sekundärliteraturauswahl“ sowie die dem KLG entnommenen, im Einzelfall leicht gekürzten „Biogramme“ bei.

Wenn Carlola Hilmes, die sich bei ihrer auf Repräsentativität zielenden Auswahl nachvollziehbarer Weise an „Literaturpreisen und Auftritten in der Öffentlichkeit“ orientiert hat, zu Beginn ihrer „Einführung“ festhält „In jedem Fall lohnt es sich, die Namen der Autorinnen präsent zu halten und ihre Werke (wieder) zu lesen“, so ist dem uneingeschränkt zuzustimmen. Das gilt auch für das die „Einführung“ eröffnende Diktum „Noch immer ist es nötig, Schriftstellerinnen und ihre Werke zu popularisieren“.

Leichte Bedenken hingegen könnte man hinsichtlich der (in ihrer ‚Forschheit‘ gewiss dem knappen Darstellungsraum geschuldeten) Feststellungen anmelden, es gebe „in der Gegenwartsliteratur erkennbar mehr Autorinnen als zu früheren Zeiten“, für das 19. Jahrhundert werde in Literaturgeschichten mit Annette von Droste-Hülshoff „meist nur eine [Autorin] genannt“, „[i]n der österreichischen Literatur“ gebe es „seit Ingeborg Bachmann (1926–1973) starke Stimmen“ und die Schweizer Autorinnen Gertrud Leutenegger und Zoë Jenny seien tendenziell unbekannt. Ist die erste Feststellung absolut oder relativ gemeint? Sind nicht – zweite Feststellung – zumindest Bettina von Arnim, Louise Aston, Marie von Ebner-Eschenbach, Karoline von Günderrode, Louise Otto-Peters, Gabriele Reuter und Clara Viebig mittlerweile doch in literaturgeschichtlichen Darstellungen häufig(er) präsent (von literarhistorischen ‚Problemfällen‘, den sog. ‚Trivialautorinnen‘ E. Marlitt und Hedwig Courths-Mahler nicht zu sprechen)? Gab es, zum dritten, nicht vor und neben der Bachmann mit der bereits genannten Marie von Ebner-Eschenbach und bspw. Ilse Aichinger, Marlen Haushofer, Anna Maria Jokl, Marta Karlweis, Maria Lazar, Paula Ludwig, Bertha von Suttner, Berta Zuckerkandl-Szeps oder Hermynia Zur Mühlen zahlreiche „starke [weibliche] Stimmen“ in Österreich? Woran bemisst sich schließlich und grundsätzlich – Schweizer Gegenwartsautorinnen – ein Bekanntheitsgrad? Welche Voraussetzungen publikumsseitiger, medialer und institutioneller Art müssen erfüllt sein, damit mit Blick auf einen Kulturkreis bzw. eine Gesamtbevölkerung von „bekannt“ bzw. „nicht bekannt“ gesprochen werden kann?

Ungeachtet dieser Fragen ist aber mit Blick auf den bereits angesprochenen hohen Gebrauchswert des Bandes hervorzuheben, dass die Herausgeberin die präsentierten Autorinnen nach überzeugenden systematischen Gesichtspunkten ‚to the point‘ profiliert, gruppiert, kommentiert und kontextualisiert und damit denjenigen einen leichtgängigen ‚Lektüreschlüssel‘ an die Hand gibt, die den Band mit spezifischem Interesse angehen.

Eine Gruppe bilden für Hilmes bei aller weltanschaulichen und literarischen Unterschiedlichkeit die politisch-gesellschaftskritisch mit aktuellen Themen hervorgetretenen Juli Zeh, Kathrin Röggla und Sibylle Lewitscharoff. Die „fabulierfreudige Erzählerin“ Lilian Faschinger wird als Österreicherin nationalkulturell verortet und dergestalt bandübergreifend mit Elfriede Jelinek (Schriftstellerinnen I) und Marlene Streeruwitz (Schriftstellerinnen II) in Verbindung gesetzt. „Intertextualität“, Intellektualität und Interkulturalität spielten für Libuše Moníkovs „eine wichtige Rolle“. Ruth Schweikert distanziere sich von einer „‚Frauenliteratur‘ als Betroffenheitsliteratur“ und suche den „Dialog mit anderen Künsten“. Die ebenfalls „gesellschaftlich brisante Themen“ aus (fortwährender) Vergangenheit und Gegenwart aufgreifende Gila Lustiger stehe als Vertreterin „deutsch-jüdische[r] Literatur“ in der „Gefahr“ einer doppelten „Marginalisierung“. Das Werk von Angela Krauß, die mit ihren Anfängen literaturgeschichtlich dem „eigenen Bereich […] Literatur aus der DDR“ zugehöre, zeichne u.a. „literarische Experimentierfreude“ und die Eigenschaft aus, „Wissen auf eine andere, nichtdiskursive Art [zu] vermitteln.“ Die oft von „junge[n] Frauen unserer Zeit“ erzählende und literarisch „auf die kurze Form der Prosa und auf leichte Lesbarkeit“ setzende Alissa Walser vermöge auch historische und intermediale Themenfelder darzustellen. Monika Rinck, medial vielseitig, sei nicht allein insbesondere als experimentierfreudige Lyrikerin hervorgetreten, sondern auch als „Dozentin für kreatives Schreiben“ und als Kultur- bzw. Literaturpolitikerin. Mit ihrem Debütroman falle die „engagiert kritisch[]“ auftretende Jenny Erpenbeck zwar in jenes Jahr, in dem das „Literarische Fräuleinwunder“ (Volker Hage) ausgerufen worden sei, doch füge sich schon die „Geschichte vom alten Kind“ (1999) „nicht so ohne weiteres in die propagierte ‚neue Lust am Erzählen‘“.

Die einzelnen Beiträge über die genannten Autorinnen erfüllen ausnahmslos, wenn auch in gestufter gehaltlicher und darstellerischer Güte, ihre generelle Funktion als Lexikonbeitrag und speziell in einer auf Popularisierung und Leseanimation abzielenden Auswahl. Einen hohen, u.a. Kritik, feuilletonistische Rezeption und Kontexte einschließenden Sachgehalt bei gleichzeitig auch sprachlich ansprechender Präsentation findet sich beispielsweise in den Beiträgen von Helga Schreckenberger über Lilian Faschinger, Margarethe Herzog über Alissa Walser, Anna Rauscher über Gila Lustiger, Nadine Jessica Schmidt über Monika Rinck und Christa Gürtler über Kathrin Röggla.

Andere Texte wie beispielsweise derjenige von Ulrich Rüdenauer und Isabelle Stauffer über Sibylle Lewitscharoff verlegen sich eher auf inhaltliche Wiedergaben. Hier – wie auch im Beitrag von Hans-Peter Preusser über Juli Zeh – hat die Herausgeberin sinnvollerweise Kürzungen vorgenommen. Solche Kürzungen hätten mit Blick auf das vermutlich anvisierte Publikum (s.o.) des Bandes z. T. sogar noch umfangreicher ausfallen und auch Beiträge wie denjenigen von Björn Vedder und Karin Dautel über Jenny Erpenbeck betreffen können. Doch ändern solche und zuvor formulierte Einlassungen minderen Gewichts nichts daran, dass der vorgelegte Band mit Nachdruck zu begrüßen ist.

Bleibt demnach zu hoffen, dass Verlag und Herausgeberin die Extrakt-Reihe „Schriftstellerinnen“ noch mehrfach fortsetzen werden – Elfriede Czurda, Marianne Fritz, Sabine Gruber, Eva Menasse, Annette Pehnt, Brigitte Schwaiger und und und verdienen es, von Vielen (wieder) gelesen zu werden – Helena Adler, Ruth Aspöck, Verena Boos, Nina Bussmann, Marina Caba Rall, Valerie Fritsch, Dörte Hansen, Dragica Rajčić Holzner, Zoë Jenny, Mareike Krügel, Christina Maria Landerl, Marlen Schachinger, Gudrun Seidenauer, Jana Volkmann, Laura de Weck oder Anna Weidenholzer warten sogar noch auf ihren KLG-Eintrag, soweit man das nachschlage.net (KLG Online) entnehmen kann.

Titelbild

Carola Hilmes: Schriftstellerinnen III.
edition text + kritik im Richard Boorberg Verlag, München 2020.
203 Seiten , 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783967070767

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