Vox nihili
Rainald Goetz labert – jetzt auf CD
Von Daniel Krause
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„Goetz schreibt viel, sehr viel, gewissermaßen ständig und nichts und niemand, heißt es, sei vor seinem literarischen Zugriff sicher; vor allem nicht Personen des öffentlichen Lebens, bevorzugt solche aus dem Literatur- und Medienbetrieb, aber auch nicht Nachbarn, Kassiererinnen, Freunde, Trink- und protokollarische Rituale, Zeitschriften, Bücher und so weiter. […] Es ist ein unfertiges Sprechen […] nicht einmal unbedingt ein Verfertigen der Gedanken beim Reden, eher ein träumerisches, rauschhaftes Sprechen, manchmal von Rückfällen in beinahe kindliche Plapperlust und aufgeschnappten Fehlleistungen auf den rechten Weg gebracht, ein Sprechen, bei dem es nicht einmal ein Gegenüber braucht, das wirklich zuhört, wo es genügt, dass, wer spricht, etwas bei sich wähnt, das hören kann.“ So rezensierte Alexander Weil Rainald Goetz’ zweihundertseitige Suada, die unter dem Titel „Loslabern“ bei Suhrkamp erschienen war: Das Geschwätz der Reichen, Schönen, Mächtigen, kurzum: der andern wird hier aus- und bloßgestellt, ein Reden um des Redens willen. Dies wiederum geschieht durch (suggestiv artikuliertes) Gerede: „Loslabern“ ist Teil des Gelabers, und Rainald Goetz verleiht dem Nichts eine Stimme.
Ein derart tönender Nihilismus ist allerdings weder beklagens- noch rühmenswert und am wenigsten originell. Es besteht trotzdem eine Versuchung, das Nichtige der Prosa Goetz’ mit Bedeutung zu füllen und literarische oder kritische Ambition darin zu vermuten – dies umso mehr, als Goetz sich gelegentlich in der Pose des Outlaws gefällt und vorgibt, das Treiben des Establishments von außen kritischen Blicks zu sezieren. Solche Überhöhungen gehen in die Irre: Wirklichkeit ist Goetz ein Material für teils orgiastische, teils ludzide Prosa-Ergüsse. Die gründlich ausgeführten Sittenbilder, darunter Aperçus zu Münchner und Berliner Umgangsformen, Ätzendes zu Koryphäen des Medienbetriebs, zu Amerika und Europa, Berliner Kanzlern und Kassierern, sind häufig erhellend geraten: Im besten Fall ist Rainald Goetz’ Blick auf die Bildungs- und Machteliten bestimmt durch Wut – im schlimmsten Fall kaum weniger ressentimentgeladen und schnöselig altklug als diese. (Dass die raumgreifende Präsenz Joschka Fischers unter „Machtergreifung“ abgelegt wird, kann gewiss nicht als Ausweis sprachlichen Verantwortungsgefühls gelten.)
„Loslabern“ bietet in erster Linie pseudo-kritische, pseudo-avantgardistische Selbstbespiegelung des Medien- und Machtwesens, jenseits von Gut und Schlecht. Solche Trivialität ist anstößig dort, wo sie im Gestus dichterischen Besserwissens vorgetragen wird, das Nichts sich als Fülle maskiert. Solche Nichtigkeit hat wenig mit Buddhismus zu tun, viel mehr mit der Eitelkeit jenes Betriebs, dem der Autor in eigener Person angehört. Es handelt sich – mit einem Werktitel Goetz’ zu sprechen – um „Abfall“ von allen, „für alle“, der seinerseits in die mediale und wissenschaftliche Recyclingmaschine eingespeist werden wird.
„Loslabern“ ist nun – in Auszügen – als achtzigminütiges Hörbuch erschienen. Wie klingt die Stimme des Nichts? Goetz trägt mit fokussiertem, hellem Tonfall vor, diskretem, staatsopernbayerischem Akzent, eigenwilligen, aber glaubhaften Pausen und Satzmelodien, effektsicher variierenden Tempi. Der Bayerische Rundfunk – Regie: Leopold von Verschuer – hat dieses Gelaber gewohnt professionell in Szene gesetzt. Zuweilen ist Rhythmus zu spüren, ein Sog baut sich auf. Die Stimme des Dichters wird multipliziert zu moderat beschwingten, polyphonen Fugato-Strecken.
Kein Zweifel: Ob im schriftlichen oder mündlichen Format – Rainald Goetz versteht sich aufs „Loslabern“. Andere: Heino Jaeger, Helge Schneider, Heinz Strunk können es ebenso gut – ohne den Gestus des Dandys und ohne die Wut, die Rainald Goetz’ Prosa in lichten Augenblicken erleuchtet.
|
||