Was Jean-Luc Godard von Federico Fellini hätte lernen können
Über Thomas Koebners neues Buch über die Filme Fellinis und einen Sammelband von Bernd Kiefer, herausgegeben zu Godards 80. Geburtstag
Von Thomas Kupka
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIch habe mich immer gefragt, was die Leute an Jean-Luc Godards „Einführung in eine wahre Geschichte des Kinos“ (1980/84) finden. Und das Problem benennt das Buch gleich selbst: „Ja, was das Reden angeht, die Leute beim Film reden, das kann man wohl sagen. Mehr noch als im normalen Leben. Im normalen Leben lässt einem die Arbeit nicht die Zeit dazu. Schüler dürfen im Unterricht nicht reden, Arbeiter dürfen in der Fabrik nicht reden, Sekretärinnen überhaupt nicht. Aber beim Film ist man privilegiert, Schauspieler, Regisseure reden andauernd, es hört gar nicht auf.“
Und so redet denn auch Godard ununterbrochen, über alles, was ihm so einfällt. Wie ein plätscherndes Bächlein. Geplapper könnte man sagen. Geplapper über Filmgeschichte. Federico Fellini dagegen war ein Bildergenie, einer der dem Gauklerhaften des frühen Kinos bis zum Schluss treu geblieben ist. Er ist der eigentliche visuelle Schöpfer, etwas, wovon Godard nur sprach. Und so wird uns Fellini als Kinomagier in Erinnerungen bleiben, nicht Godard. Jedenfalls ist Godard nicht jemand, den man wegen seiner Bilder im Gedächtnis behält. Eher ist es sein Nimbus, der schon Jean-Paul Sartre und Jean Améry auf die Nerven ging, und das, was er sagte, oder besser: Was man glaubt, das er sagte.
Nicht untypisch ist auch die Geschichte um Godards Oscar für sein Lebenswerk 2011. Erst hatte man erhebliche Schwierigkeiten, ihn über die Ehrung zu informieren, wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete, dann war man erstaunt, dass er seinen Auftritt zur Verleihung absagte, dann, dass die Absage ernst gemeint war. Zumindest dass er absagen würde, hätte man ahnen können. War er doch nicht einmal im letzten Frühjahr zur Premiere seines „Film Socialisme“ in Cannes erschienen, seines letzten Films, wie er sagte. Und bereits im Jahr 2007 hatte Godard darauf verzichtet, den European Film Award für sein Lebenswerk entgegenzunehmen. Wie man hört, soll nun ein Bote ihm den Oscar persönlich überbringen.
Was die Amerikaner bisweilen irritiert, ist Godards angeblicher Antisemitismus wegen seines Eintretens für die palästinensische Sache. Das ist natürlich Unsinn. Ebensolcher Unsinn ist vieles, was die sich ausdenken, die ihn in Schutz nehmen. Die vielleicht schönste Blüte stammt von Richard Brody, Autor von „Everything is Cinema: The Working Life of Jean-Luc Godard“ (2009) und Kolumnist des „New Yorker“, der Anfang November ebendort der Welt die bemerkenswerte und nur unübersetzt richtig wirkende Einsicht zur Kenntnis gab, dass „in Godard’s vastly philosophical conception of the cinema, he sees it as something of a counter-tradition to the Mosaic one: for Godard, the visual basis of the cinema was thwarted in advance, at the dawn of recorded history, by the fact that Moses delivered written law rather than images”. Wenn das keine geschichtsmächtige Verteidigung ist? Und wie wäre die Geschichte wohl verlaufen, hätte man vor dreieinhalbtausend Jahren das Kino antizipieren können? Auch hier, alles nur Gerede.
Alles begann mit „À bout de souffle“ („Außer Atem“, 1960). Und gewiss war hier einiges zu sehen, was man zuvor noch nicht so sah. Bildsprünge wie verrückt, Jump Cuts, wie man sagt, und eine bewusste Liederlichkeit bei der Aufnahme (erstaunte Passanten, die das Filmteam beobachten, mit im Bild) werden bis heute als Innovation gefeiert, ohne aber, dass einer wirklich angeben könnte, was nun genau das Besondere an diesem Film ist. Die „New York Times“ machte darüber unlängst Späße anlässlich der missglückten Oscarverleihung. Und eigentlich ist es nur ein Gangsterfilm, in dem Jean-Paul Belmondo die wunderschöne Jean Seberg verführt. Das aber macht er toll.
Godards spätere Filme entfernten sich immer weiter von den Konventionen narrativer Erzählkunst, mit noch mehr Sprüngen, Schocks, abrupten Ortswechseln. Sie sind bisweilen knirschend didaktisch und fordern alle hergebrachte Dramaturgie heraus (so die kolportierte Sentenz, eine Geschichte habe Anfang, Mitte und Ende, nur nicht unbedingt in dieser Reihenfolge). Gilles Deleuze, im ersten Band seiner beiden Kino-Bücher, hält ihn für einen Meister der Pädagogik des Bildes, in der Reales und Imaginäres ineinanderfließen, ununterscheidbar werden. Aber hat da überhaupt jemand hingesehen? Und haben die anderen Protagonisten der „Nouvelle Vague“ (François Truffaut, Claude Chabrol, Eric Rohmer, Alain Resnais, Louis Malle, Jacques Rivette) das Publikum hier nicht viel eher erreicht? Oder in Schweden Ingmar Bergman, oder in Spanien Luis Buñuel, oder in Italien Michelangelo Antonioni — oder eben Federico Fellini?
Godard ist bis heute (vielleicht mehr noch heute als zur Zeit von „À bout de souffle“) der Cineast fürs intellektuelle Gespräch, während Fellini die bildgewaltigen Opern aufführte. Gewiss ist Godards Methode des „Comment ça va“ (1978) nicht die der Neorealisten, und auch hat er sich, wie Deleuze schreibt, nie dafür interessiert, ob zwei Bilder zusammenpassen oder nicht – ob „es geht“ oder nicht –, sondern versucht zu zeigen, „wie es“ mit jedem der beiden Bilder und mit beiden Bildern zusammen „geht“. Aber haben genau das nicht Michelangelo Antonioni (perfekt: „L’eclisse“, 1962), oder Ingmar Bergman („Sarabande“, 2003, unfassbar!, und als Epilog des da schon Zweiundachtzigjährigen gedacht zu seinen „Szenen einer Ehe“, 1973), oder Rohmer mit seinem Jahreszeitenzyklus (1990-98), viel wirkmächtiger ausgestellt, viel „tiefer ins Subjekt hinein“, von dem Godard so große Stücke hält, von dem er aber eben weitgehend nur parliert?
Fellini dagegen hat sich um all das nicht geschert. Er „machte“ einfach Bilder. Zuerst ganz realistische wie in „La Strada“ (1954); dann opulentes Kino, wie in „Giulietta degli spiriti“ („Julia und die Geister“, 1965) und natürlich „Satyricon“ (1969). Und während uns Godard in „Week-end“ (1967) darüber aufklärte: „Das ist kein Blut, das ist Rot“, zeigte uns Fellini, was man mit Rot alles anstellen kann. Und auch er blieb stets „Realist“: „Wenn das Geld ausgegangen ist, dann ist der Film zu Ende“. Mehr braucht es nicht, um zu „sagen“, dass sich die industrielle Kunst nicht in mechanischer Reproduktion erschöpft, sondern vor allem monetäre Grenzen setzt. Die ganze Kapitalismuskritik Godards kann man darin unterbringen.
Die beiden hier anzuzeigenden Bücher indes sind kaum der Rede wert. Das eine, das Godard-Buch, von Bernd Kiefer in der Reihe „Film-Konzepte“ der edition text + kritik (et+k) zu Godards 80. Geburtstag herausgegeben, versammelt acht Beiträge (bis auf einen lehren alle Autoren an der Universität Mainz) ohne auch nur einen einzigen interessanten Gedanken zu streifen. Stattdessen wird Altbekanntes zusammengetragen unter Überschriften wie: Godard und die Frauen, Godard und der Krieg oder das Genrekino, Godard als Filmphilosoph zwischen Macht und Ohnmacht des visuellen Erzählens und als imaginärer (und „wahrer“, siehe oben) Geschichtsbewahrer des Kinos des 20. Jahrhunderts.
Man liebt die bald zu Tode zitierten Bonmots („Film ist Wahrheit, 24 Mal die Sekunde“ kommt andauernd vor – und mit ungeheurem Ernst, obwohl, wie Godard 2007 der „ZEIT“ verriet, es seinerzeit ein Scherz war, „weil es nun mal 24 Bilder pro Sekunde sind“) und gibt sich auf der Höhe von Semiotik (Ist deren Zeit nicht vorbei? Jedenfalls ist man sich sicher, „die Zeichen bezeichnen ihr Zeichen-Sein stets mit“) und Postmoderne (oder Moderne, je wie man sie sieht, die „Arbitrarität der Zeichen“). Und man sammelt Devotionalien. Zu denen gehört allerdings ein schönes Foto der Rolling Stones (Himmel, sah Keith Richards da gut aus!) aus dem Film „One Plus One“ (1968). Aber lohnt dafür das Buch? „Man kann den Bildern nicht widersprechen“. Nun ja, möchte man sagen, das gilt zumindest für Keith Richards. Und ein bisschen Wittgenstein ist auch dabei.
Der andere Band, der von Thomas Koebner über Fellini im „Zauberspiegel seiner Filme“ (ebenfalls et+k), ist nicht viel interessanter. Indes verzichtet er aufs Gerede und geht chronologisch Fellinis grandioses Schaffen durch. Das ist so ähnlich wie Reclams Filmführer, nur eben konzentriert auf einen Regisseur. „Möglichst unbefangen“ soll das geschehen. Das gelingt, soweit es eben geht. „Um den Aufbau, die Struktur eines Werks zu verdeutlichen.“ Und sowas gibt es natürlich schon, etwa von Peter Bondanella. Der Leser also erwartet hier erst gar nicht mehr als drin ist. Indes so richtig Bilder zu evozieren schafft der Autor auch nicht. Doch erinnert er uns an die geflügelten Worte, die wir Fellini verdanken: „La Dolce Vita“, „Paparazzo“ und „Zampano“. Und an seine vier Oscars: Für „La Strada“ (1954), „Le notti di Cabiria“ („Die Nächte der Cabiria“, 1957), „Otto e mezzo“ („Achteinhalb“, 1963) und „Amarcord“ (1973). Er nahm im Übrigen alle an. Und im Gegensatz zu Godard, über den die New York Times nun launig spottete: „His movies, increasingly, told his viewers that he didn’t really need them“, war Fellini froh, dass man über seine Filme nicht nur sprach, sondern sie sah. Es ist nicht zuletzt die Attitüde, die Godard von Fellini hätte lernen können.
Noch ein Wort an den Verlag: Die Druckerschwärze färbt ab. Es macht keinen Spaß, wenn beim Unterstreichen (es gibt Leute, die tun sowas) der Strich auf die Unterseiten durchdrückt. Und nach zweimaligem Lesen ist die Bindung hin.
Und eine Leseempfehlung: Charlotte Chandler, „Ich, Fellini“, Autobiografische Aufzeichnungen, mit einem Vorwort von Billy Wilder, München 1994. Ganz wunderbar.
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