Eisheilige oder Innere Sicherheit

Christof Hamanns gelungener Roman über eine ungleiche Freundschaft

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit Büchern wie „Seegfrörne“ (2001), „Fester“ (2003) und zuletzt „Usambara“ (2007) hat sich Christof Hamann, 1966 am Bodensee geboren, einen Namen gemacht. Nun legt der habilitierte Literaturwissenschaftler mit „Nur ein Schritt bis zu den Vögeln“ einen ebenso eindringlichen wie berührenden Roman vor. Entstanden ist ein Text, der Vieles in einem ist: Eine Hommage an den See, eine Erinnerung an Kultfilme wie „Easy Rider“, ein Roman über eine ungleiche Freundschaft, ein Text über das Leben, die Liebe und den Tod und nicht zuletzt ein Buch über das Schreiben.

Der Erzähler, der Stotterer Karl Notker (der Nachnahme erinnert an den St. Gallener Dichter im 9. Jahrhundert, der auch als Notker, der Stammler, bekannt war) erinnert sich an seinen besten Freund Simon Scholl. Der war zwei Tage zuvor nachts bei den Bahngleisen am See vom Zug erfasst worden, unweit der Stelle, an der die Freundesclique in Kinderzeiten gerne Mutproben abgelegt hatten. So glauben die meisten der alten Kumpels an einen Unfall. Nicht jedoch Karl und Isabelle, Simons jüngere Schwester. Weinend beschimpft sie auf dem Friedhof den toten Bruder: „So eine egoistische Drecksau. Ein Scheißkerl. Selbstsüchtig und hinterhältig, das bist du, Simon“.

Anhand der in Simons Wohnung gefundenen Notizhefte macht sich Karl daran, dessen Vergangenheit zu rekonstruieren, überlegt sogar die Notizen des Freundes „weiterzuführen.“

Seit den ersten Tagen als Ministranten in der kleinen Dorfkirche am Bodensee sind Simon und Karl die dicksten Freunde und zusammen „Experten für Heilige“. Vor allem die Eisheiligen Pankratius, Bonifazius, Servatius und Sophie, die oft Mitte Mai nochmals einen Kälteeinbruch bringen, haben es ihnen angetan. Deren Leben schmücken sie in der Fantasie aus. Dass Simon am Festtag des heiligen Bonifazius stirbt, passt ins dichte Motivgeflecht. Leitmotivisch durchzieht denn auch der Spruch „Ein rechter Mai fürwahr, das ist der Schlüssel zum Jahr“ den Roman.

Während Simon in seiner Kindheit vor allem von Pankratius fasziniert ist, der sich in seiner Rüstung „unantastbar“ gemacht hatte, „um zu siegen, nicht um sich zu opfern“, kommt Karl auch später von seinen Heiligen nicht mehr los und macht sein Hobby zum Beruf, indem er Heiligen-Bücher schreibt. Simon hingegen besitzt nicht jene stabilitas loci wie ein im Eis eingeschlossener Heiliger, sondern macht Karriere als Journalist bei einer Frankfurter Zeitung mit Schwerpunkt „Innere Sicherheit“. Für Karl sind die Eisheiligen dagegen eher Nothelfer, um sein Stehenbleiben, seine (berufliche) Mittelmäßigkeit zu kaschieren. Der Porsche fahrende und schließlich ein Haus am See (das einer Festung gleicht) bauende Simon braucht stets eine „Sicherheitszone zum Überleben“, wie in der Rekonstruktion des Freundes immer deutlicher wird. Auf den Boden (am heimatlichen See) kommt der letztlich leergebrannte eiskalte, ‚eisheilige‘ Überflieger wie die Mauersegler nur zum Sterben.

Christof Haman hat mit „Nur ein Schritt bis zu den Vögeln“ ein nachdenklich machendes Buch vorgelegt, wohl konstruiert und dennoch nicht eindimensional, ein stilles Buch trotz der Bewegung, ganz so wie es am Schluss heißt: „Der feine weiße Sand singt uns Lieder ins Ohr. Er erinnert fast an Schnee. Obwohl wir stillhalten, ist alles in Bewegung.“

Titelbild

Christof Hamann: Nur ein Schritt bis zu den Vögeln. Roman.
Steidl Verlag, Göttingen 2012.
176 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783869304649

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