Die dunkelste Seite
Alain Silvers, James Ursinis und Paul Duncans informativer Bildband zum Film Noir liegt nun auch auf Deutsch vor
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseVor rund einem halben Dezennium brachte der Reclam Verlag in seiner Reihe „Filmgenres“ ein weiteres der bekannten kleinen, gelben Bändchen heraus. Diesmal galt es dem Film noir. Mit einem Preis von 8,80 Euro lag es im untersten Bereich des damals wie heute für ein verlagsneues Buch zu zahlenden Betrags. Nun ist ein weiterer Band zu diesem cineastischen Genre erschienen, das von den 1930er-Jahren an für einige Jahrzehnte die Kinokassen klingeln ließ. Doch ist er weder kleinformatig, noch gelb. Und er ist – fast möchte man sagen demzufolge – auch nicht im Reclam Verlag erschienen, sondern im kaum weniger bekannten Taschen Verlag. So fällt sein Format denn entsprechend größer und einem Bildband angemessen aus. Farblich ist das Buch dem Thema gemäß ganz in Schwarz gehalten. Und zwar Seite um Seite; nur der Text leuchtet weiß hervor und blendet angesichts all der Düsternis fast ein wenig.
Neben den zahlreichen Schwarzweiß-Bildern, die vor dem dunklen Hintergrund umso besser zur Geltung kommen, nehmen sich die wenigen Farbaufnahmen gegen Ende des Bandes zunächst fast wie Fremdkörper aus. Spätestens bei den Filmplakaten im Anhang aber hat man sich nicht nur an sie gewöhnt. Nun gefallen sie nostalgische Erinnerungen weckend und man wünscht sich mehr von ihnen.
Doch füllt der Band seine Seiten nicht nur mit zahlreichen genretypischen Bildern – Filmstills und Aufnahmen vom Set – sondern zudem mit Texten, die dem Publikum „Hilfen zur Eingrenzung des Begriffs ‚noir‘ geben“, ihm „einen Ausblick auf die Breite und Tiefe des Themas gewähren“ und ihm „die wichtigsten Filme vorstellen“ möchten. All dies leistet der im englischsprachigen Original bereits 2004 erschienene und von Alain Silver, James Ursini sowie Paul Duncan herausgegebene Band ohne weiteres. Dass er zudem einige Kurzporträts bekannter Regisseure bietet, wurde in der Aufzählung offenbar vergessen. Porträts von Regisseurinnen würde man allerdings vergebens suchen, wenn man sie in diesem ‚männlichen‘ Genre denn überhaupt erwarten würde. Immerhin aber wurde der Genre-Film „Phantom Lady“ („Zeuge gesucht“) von Joan Harrison produziert und der von den Autoren im Zusammenhang mit Neo-Noir erwähnte Film „Thelma und Louise“ entstand nach einem Drehbuch von Callie Khouri.
Eine wichtige Rolle im Film noir spielt bekanntlich „männliche Gewalt“, wie denn auch eine der Kapitelüberschriften lautet. Dem Abschnitt folgt ein weiterer zur, wie es nun ebenso vage wie neutral und ein wenig langweilig heißt „Frau im Film noir“. Dabei ist durchaus nicht ohne Interesse, was unter dieser Überschrift zu lesen ist. Zwar mangele es „in der patriarchalischen Konstruktion des Film noirs“ keineswegs an Protagonistinnen, allerdings treffe man sie meistens nur „in Verbindung mit einer männlichen Figur“ an. Denn ohne ihr „männliches Gegenstück“ gebe es keine Handlung. Die weibliche Hauptfigur könne noch so dominant sein, „ohne Mann, den sie zerstören kann“, könne es eben auch keine Femme fatale geben. Die erste „echte weibliche Protagonisten“ des Film noir macht der Band denn auch nicht etwa in der von Barbara Stanwick so wunderbar verkörperten Figur Phyllis Dietrichson aus dem 1944 gedrehten Streifen „Double Indemnity“ („Frau ohne Gewissen“) aus, sondern in Carol „Kansas“ Richman, gespielt von Ella Raines, der weiblichen Hauptfigur des Films „Phantom Lady“. Er wurde im gleichen Jahr produziert. „Gilda“ kam hingegen erst zwei Jahre später in die Kinos.
Beide Geschlechter finden unter der Überschrift „Liebe auf der Flucht“ zusammen – oder eben auch nicht. Wie dieser behandeln die meisten Abschnitte zentrale Motive des Film noir „Der Alptraum der Vorbestimmung“, „Die Last der Vergangenheit“, „Das Große Ding“ „Finsternis und Korruption“ und natürlich „Der Privatdetektiv“ sowie „Das perfekte Verbrechen“.
Das Urteil zum Inhalt des Buches fällt insgesamt positiv aus, ist es doch in Bild und Wort nie belehrend, oft informativ und stets unterhaltsam. Kritisch ist allerdings gerade sein günstiger Preis, beziehungsweise dessen mutmaßliches Zustandekommen. Denn auch dieses weit aufwändiger gestaltete Buch liegt ebenso wie das Reclam-Bändchen unter der Marke von 10 Euro. Anders als das kleine Gelbe hatte das große Schwarze jedoch einen weiten Weg zurückzulegen, bevor es in den Buchhandlungen ankam. Denn es wurde in China gedruckt. Das mag den geringen Preis erklären, sorgt aber nicht eben für ein gutes Gewissen beim Kauf. Weiß man doch um die menschenunwürdigen Bedingungen, unter denen Frauen und Männer in den Fabriken des fernöstlichen Arbeiterparadieses schuften müssen.
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