Traditionelle Deutung

Gerhard Henke-Bockschatz wirft einen eher konventionellen Blick auf den Ersten Weltkrieg

Von Patrick WichmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patrick Wichmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine wahre Publikationsflut prägt das Jubiläumsjahr des Kriegsbeginns zum Ersten Weltkrieg. Während die Werke Herfried Münklers, Christopher Clarks und Jörn Leonhards mit je rund tausend Seiten recht opulent ausfallen, und nach Wegen der Neubewertung suchen, ist im Reclam-Verlag eine eher unscheinbare „kurze Geschichte“ des Großen Krieges von Gerhard Henke-Bockschatz erschienen.

Der Frankfurter Historiker Henke-Bockschatz betrachtet den Ersten Weltkrieg eher konventionell. Im derzeit ausgetragenen Historikerstreit um die „Schlafwandler“-These Clarks positioniert sich Henke-Bockschatz also klar auf Seiten der Skeptiker, die weiterhin Kriegswillen bei den handelnden Parteien erkennen, und ihnen ein bewusstes In-Kauf-Nehmen attestieren. Entsprechend bescheinigt Henke-Bockschatz Clarks Thesen „nur eine begrenzte Überzeugungskraft“.

Ansonsten hält diese kurze Geschichte des Ersten Weltkrieges genau das, was sie verspricht. Solide führt Henke-Bockschatz in die Mächtekonstellation vor dem Krieg ein, beschreibt in kurzen Abrissen die jeweilige Lage der Nationen am Vorabend des Krieges und zeigt die Veränderungen, die die Industrialisierung für die Kriegführung (aber nicht nur) mit sich gebracht hat. Auf rund 50 Seiten schildert er anschließend schlaglichtartig den Kriegsverlauf, ehe in thematischen Kapiteln von jeweils wenigen Seiten spezifische Aspekte wie Kriegsfinanzierung, Helden oder die Lebensmittelversorgung beleuchtet werden.

„Der Erste Weltkrieg. Eine kurze Geschichte“ wendet sich naturgemäß vor allem an Einsteiger, für die insbesondere die thematischen Abrisse hilfreich sein werden. Worin liegt aber der Erkenntnisfortschritt dieses Bandes gegenüber bereits geschriebenen, ähnlich konzipierten Darstellungen? Die Schilderung bleibt bewusst der traditionellen Deutung verhaftet, die Ablehnung der „Schlafwandler“ obligatorisch. Keine Frage, Gerhard Henke-Bockschatz hat eine aufschlussreiche Zusammenschau des Großen Krieges gegeben, die ihr Publikum finden wird – nötig aber wäre dieses Buch nicht gewesen. Richtig ärgerlich wird es dann gar gegen Ende, wenn Henke-Bockschatz den Akteuren mit dem Wissen des Nachgeborenen mangelnde Weitsicht unterstellt: „Es war absehbar, dass die Restriktionen, die ihm [dem Deutschen Reich] durch den Versailler Vertrag auferlegt wurden, wahrscheinlich nur so lange Bestand haben würden, wie die Alliierten ernsthaft gewillt waren, auf deutsche Verstöße auch mit militärischen Aktionen zu reagieren.“

Titelbild

Gerhard Henke-Bockschatz: Der Erste Weltkrieg. Eine kurze Geschichte.
Reclam Verlag, Ditzingen 2014.
300 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783150109748

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