Jammergekribbel der Kriegsliedermacher

Deutsche Intellektuelle im Kulturkrieg 1914

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1914, zu Beginn des 1. Weltkrieges, wollten deutsche Intellektuelle nicht abseits stehen und erklärten einen "Kulturkrieg", in dem sie sich in vorderster Front sahen. In ihm, so Barbara Beßlich in ihrer Studie "Wege in den 'Kulturkrieg'", habe sich die "außerbürgerliche Emphase des Künstlers" mit seiner "bürgerlichen Akzeptanz" zusammengeschlossen. Er sei nicht nur zeitlich in der Mitte zwischen "wilhelminischen Kulturpessimismus" und den "Weltanschauungskämpfen der 'Konservativen Revolution'" gelegen gewesen, so die Autorin weiter, sondern habe zudem "Aufeinandertreffen traditioneller und zukunftsorientierter Zivilisationskritik" markiert, indem er das "Produkt einer sukzessiven zivilisationskritischen Radikalisierung" gebildet habe, die sich im Ersten Weltkrieg "aggressiv nationalisiert" und "politisch explizit Stellung" bezogen habe. Ideologisch habe der Kulturkrieg den Krieg als "notwendigen Kampf" Deutschlands zur Erhaltung seines "geistigen 'Wesens'" zu rechtfertigen versucht, indem er "'Kultur', Innerlichkeit, metaphysische Tiefe, 'Organisation'" sowie eine "spezifisch 'deutsche Freiheit'" als Kriegsziele proklamierte. Zwar war der Kulturkrieg ein Phänomen weiter Kreise der zu Hause gebliebenen Wissenschaftler als auch der Schriftsteller, doch nahmen beileibe nicht alle Intellektuellen an ihm teil. Im Gegenteil polemisierte etwa Maximilian Harden bereits 1914 gegen das "Jammergekribbel der Kriegsliedermacher".

Am Beispiel der vier Autoren und Repräsentanten des Kulturkrieges Rudolf Eucken, Thomas Mann, Hermann Bahr und Johann Plenge untersucht Beßlich, inwieweit kulturkriegerische Inhalte in der seit 1890 virulenten Zivilisationskritik präformiert gewesen waren. Zwar stimmten die meisten Kombattanten, die den Kulturkrieg ausfochten, in zentralen Überzeugungen und Motive überein - so wurde der Frieden als Stagnation und der Krieg als Aufbruch verstanden -, doch lassen sich zwei Tendenzen scheiden: Eucken und Mann werden von der Autorin als Repräsentanten des "neoidealistischen Weg[s] in den 'Kulturkrieg'" herangezogen, während Bahr und Plenge für dessen kapitalismuskritische Variante standen. Die Quellenlage stellt sich hinsichtlich der vier Autoren ausgesprochen unterschiedlich dar. Kann sie bei Mann als nahezu erschlossen gelten, muss die Autorin bei Bahr immer wieder auf ungedruckte und von der Literaturwissenschaft weitgehend vernachlässigte Quellen zurückgreifen.

Um Thomas Manns Weg in den Kulturkrieg nachzuzeichnen, zieht Beßlich vor allem dessen Notizen zum nie geschriebenen Essay "Geist und Kunst" heran. An ihnen ließe sich aufweisen, dass Manns "zivilisationskritisches Eintreten für eine irrationale Kultur" und seine Polemiken gegen "Esprit und Zivilisation" im Kriegsbeginn 1914 nur ihren Anlass gefunden hätten. Ihre Wurzeln jedoch würden tiefer zurückreichen. Schon in den Jahren 1908 bis 1912 habe Mann sich vom "engagierten Verfechter intellektueller Literatur" zum Propagandist einer "zivilisationskritischen und vernunftskeptischen Dichtung" entwickelt. Sein damals entstandener Essay "Geist und Kultur" habe hierbei den "Wendepunkt zur kulturkriegerischen Disposition" markiert, die dann 1914 in den "Gedanken im Kriege" ausformuliert worden sei. So habe Manns Weg von der Décadencekritik und Beschäftigung mit der "Kunst-Religion" der "Kosmiker" und des George-Kreises angesichts einer "neuen Generation jenseits der Modernität" zur Skepsis gegenüber seinen eigenen Grundsätzen und Prinzipien geführt, bis er schließlich 1914, wie Beßlich Mann zitiert, "[s]einen bescheidenen Kopf einmal unmittelbar in den Dienst der deutschen Sache" habe stellen wollen. Das zumindest bekannte der Autor der Buddenbrooks im November 1914 gegenüber Hanna Rademacher. Kurz zuvor hatte er die "Gedanken im Kriege" veröffentlicht, sein erster Beitrag zum Kulturkrieg, der schon "alle wesentlichen Bausteine seiner übrigen Kriegspublizistik" aufwies. Mann, so die Autorin, sah den Krieg nicht als bloßen Machtkampf. Vielmehr habe er ihn als Kulturkrieg interpretiert, von dem er sich eine "kathartische Wirkung für das deutsche Volk" versprach, da die "deutsche Kultur" in ihm ein "geistesgeschichtliches Titanengefecht" gegen "französische raison und humanité" sowie "englischen cant" führe.

Hermann Bahr gilt als einer der programmatischen Gestalter des "Jungen Wien". Mit seiner Vermittlung von "Ästhetizismus, Dilettantismus und Dandytum als Themen der Kunst" und der Verlagerung der Erzählinstanz "vom Verstand in die Nerven" verschob er das Interesse von den "äußeren 'états de chose'" zu den "inneren 'états d'ames'" - eine Leistung, der Beßlich mit großen Teilen der Literaturwissenschaft eine "katalysatorische Funktion" für den Aufbruch in die literarische Moderne zuspricht. Seine Rolle im Kulturkrieg, so die Autorin, könne als Beleg für die "Vereinbarkeit von Progressivität in der Kunst und Regressivität in der Politik" gelten. Beßlichs detaillierte Untersuchung von Bahrs Weg in den Kulturkrieg setzt mit einer Betrachtung seines in der Forschung bislang weitgehend vernachlässigten nationalökonomischen Studiums in Berlin ein. In Bahrs Berliner ökonomischen Schriften wurzele bereits seine Konzeption der 'Nervenkunst' mit ihrem "zivilisationskritischen Rationalitätszweifel".

Titelbild

Barbara Beßlich: Wege in den "Kulturkrieg". Zivilisationskritik in Deutschland 1890-1914.
wbg – Wissen. Bildung. Gemeinschaft, Darmstadt 2000.
416 Seiten, 50,10 EUR.
ISBN-10: 3534149300

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