Die Zukunft der Frauen

In den Bänden „Deutsche Science Fiction Autorinnen“ und „Die weibliche Gefahr“ befasst sich Detlef Münch mit literarischen Zukunftsphantasien von Frauen um 1900 und misogynen Reaktionen zeitgenössischer SF-AutorInnen und der damaligen Karikatur

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit nunmehr zwei Jahrzehnten beliefert der umtriebige Science-Fiction-Fan und Verleger Detlef Münch den Markt mit Büchern zur frühen deutschsprachigen Science Fiction. Dabei hat er es bis dato auf mehr als 50 Bände gebracht. Darunter Sachbücher aus seiner Feder, Bibliographien und nicht zuletzt Sammelbände mit Originaltexten, von denen nicht wenige andernfalls nur schwer zugänglich wären. Unter ihnen sind auch einige Werke von Frauen, was noch einmal besonders verdienstvoll ist.

Nun hat Münch zwei weitere einschlägige Bände verfasst. Einer beschäftigt sich dem Titel zufolge mit Deutsche[n] Science Fiction Autorinnen. Das ist ein wenig irreführend, denn tatsächlich behandelt er Werke deutschsprachiger Autorinnen, von denen keineswegs alle deutsche Staatsangehörige waren. Der andere Band geht dem Antifeminismus in der frühen deutschen Science Fiction nach. Dabei wird er insbesondere bei Autoren, aber auch der einen oder anderen Autorin fündig. Beide Bücher enthalten zudem zahlreiche zeitgenössische antifeministische oder misogyne Karikaturen, die in eine dystopische Zukunft umgekehrter Geschlechterrollen blicken.

Im ersten der genannten Bände stellt der Autor den „eher marginale[n] Beitrag von Frauen zur frühen deutschen Science Fiction 1871 – 1914“ vor und hat dabei „einige Perlen“ entdeckt, „die auch heute noch bzw. gerade heute sehr lesenswert sind“. Darunter etwa den von der „engagierte[n] und kompetente[n] Verfechterin der Frauenemanzipation“ Luise Schulze-Brück verfassten Zeitschriften-Beitrag Die Frau der Zukunft (1914) und Franziska Kapff-Essenthers „geniale[n] SF-Text“ Ein gelöstes Problem (1884), der Münch zufolge „den meisten damaligen männlichen Schriftstellerkollegen und ihrer eindimensionalen utopischen Novellen weit voraus [war]“. Überdies handele es sich bei Kapff-Essenthers Text um die „erste feministische Science Fiction überhaupt“. Ob dem tatsächlich so ist, sei dahin gestellt. Mary E. Bradley Lanes Mizora. A Prophecy (1880) weist beispielsweise zumindest sowohl feministische wie auch SF-Momente auf.

Jedenfalls dürfen sich neben den beiden genannten Werken auch andere Werke von Frauen über Münchs Akklamation freuen. So etwa der „geniale und erste deutsche von einer Frau geschrieben SF-Text“ Das Mikrochronoskop“ (1880) von Bertha von Suttner. Als „bedeutende feministische Utopien“ der Zeit nennt er zudem Neugermanien (1903) und E. Tannes Die Frauenwelt auf dem Mars (1910), wobei im Falle Tannes keineswegs ausgemacht ist, dass sich hinter dem Pseudonym tatsächlich eine Frau verbirg. Münch führt zwar einige, mal mehr, mal weniger belastbare Indizien dafür an, dass eine Frau die marsianische Frauenwelt erdacht hat. Das vielleicht stärkste nennt er allerdings nicht: Ein dem Text des Erstdruckes vorangestellter Apell ist mit „Die Verfasserin“ unterzeichnet. Andererseits beginnt dieser Appell mit den Worten: „Frauen! Wenn ihr wüsstet, welch’ heilige starke Kraft in euch wohnt“ (Herv. RL). Dass die Frauen in der zweiten Person plural und nicht der ersten angesprochen werden, scheint darauf hinzudeuten, dass der Appell nicht von einer Frau geschrieben wurde. Die Frage des Geschlechts der VerfasserIn der Marsutopie bleibt also bis auf weiteres offen. In einem Sachbuch mag es zulässig sein, ungeachtet dieser Unsicherheit den Text als Werk einer Frau aufzunehmen. In einem wissenschaftlichen Fachbuch wäre es hingegen unzulässig. Auch bei anderen vorgestellten Werken ist nicht immer sicher, ob sie tatsächlich von Frauen verfertigt wurden. Münchs Argumente dafür sind eher schwach. So beruft er sich in den Fällen L. Falb und L. von Bolski gleichlautend auf „die eher ‚weibliche’ Handschrift für den Unterschriftsabdruck“ in den Erstveröffentlichungen.

Nicht nachvollziehbar ist, dass Münch den 1873 von der Marquesa Emilia Bufalo della Valle unter dem Pseudonym Moderatus Diplomaticus Die Deutschen und Engländer im Mond veröffentlichen Text nicht in seine durchaus beachtliche Textsammlung aufgenommen hat. Immerhin erschien das Werk noch vor von Suttners SF-Geschichte von 1880, die Münch als erste einschlägige Publikation einer Frau ausmacht. Sollte er Moderatus Diplomaticus Text außen vorgelassen haben, weil es sich um ein Theaterstück handelt? Aber das ist Helen Judeichs Neugermanien (1903) ebenfalls. Und das wird von ihm sehr wohl genannt und gewürdigt. Gekannt hat Münch Moderatus Diplomaticus’ Text jedenfalls, denn in seinem Band Die weibliche Gefahr erwähnt er ihn als Beispiel dafür,dass „das Schauspiel/Drama neben Novellen und Romanen für die Genese der Gattung [der Science Fiction unverzichtbar]“ war. In die Reihe der SF-Werke von Frauen zu Recht nicht aufgenommen wurde hingegen die bereits 1827 erschienene Kurzgeschichte Mein Ausflug nach dem Monde von Elenora Springauf. Denn es handelt sich um eine reine Traumphantasie.

Dass Münch die damalige SF von Frauen „erstmals […] untersucht“, ist ein wenig zu viel gesagt, und zwar in doppelter Hinsicht. Zum einen paraphrasiert und beleuchtet er die vorgestellten Werke eher, als dass er sie (wissenschaftlich) untersucht. Dazu wäre etwa auch erforderlich, dass Zitate seitengenau ausgewiesen werden, was Münch unterlässt. Gelegentlich gibt er nicht einmal an, wen er zitiert. Daher bittet er denn auch aus gutem Grund darum, dass die „Mängel“ seiner Ausführungen „einem fachfremden Autor hoffentlich zugestanden werden“. Zum anderen ist seine Klage, dass „von der feministischen Forschung zur ‚Geschichte der Frauenbewegung’ […] die frühe Science Fiction von Frauen und selbst ihre feministischen Utopien immer noch ignoriert“  werden, zwar leider nicht ganz unberechtigt, doch lässt er hier die Untersuchung Utopias Geschlechter des Verfassers dieser Rezension außer Acht, in der die historischen Phasen der Frauenbewegung und zeitgenössische SF-Texte von Frauen aufeinander bezogen werden. Uneingeschränkt zuzustimmen ist Münch hingegen, wenn er konstatiert, dass „eine umfassende germanistische Betrachtung und kritische Würdigung der frühen deutschsprachigen Science Fiction von Frauen die Aufgabe eines Literaturwissenschaftlers und nicht eines SF-Liebhabers, Naturwissenschaftlers und Verlegers“ wäre. Diese leistet er allerdings auch nicht. Als, wie er eingesteht, „fachfremder Autor“ geht er zwar auf thematische Unterschiede oder Gemeinsamkeiten der vorgestellten Werke ein, nicht aber auf stilistische. Auch bleiben seine literarästhetischen und -historischen Bemerkungen allenfalls oberflächlich.

Davon abgesehen ist Münchs resümierender Befund durchaus zutreffend:

Ob genuin oder trivial, komplex oder eindimensional, wissenschaftskritisch oder technikgläubig, pazifistisch oder militaristisch, kosmopolitisch oder nationalistisch, extraterrestrisch oder zeitutopisch, wesentliche Unterschiede in der deutschsprachigen Science Fiction von Männern und Frauen im langen 19. Jahrhundert sind kaum festzustellen.

Einen bezeichnenden Unterschied macht er allerdings doch aus. Ausschließlich Männer schrieben „frühe erotische SF“. Und, so ließe sich anfügen, feministische SF wurde ganz überwiegend, vielleicht sogar ausschließlich von Frauen verfasst.

Den knapp 40 Seiten umfassenden inhaltlichen Abrissen der Plots folgen „Kurzbiographien“ der VerfasserInnen, von denen Münch in einigen Fällen nur annimmt, dass sie weiblichen Geschlechts waren.

Nach etwa der Hälfte des 163 Seiten umfassenden Bandes wendet sich Münch sodann von den AutorInnen ab, und den männlichen Federn entflossenen „utopisch-antifeministischen Karikatur[en]“ zu, in denen „die Emanzipation der Frau übel diskreditiert wurde“. Zur Veranschaulichung hat er zahlreiche Beispiele abgedruckt. So etwa „humoristische farbige Ansichtskarten […], auf denen sich von Männern über die Frauenbewegung und die Emanzipation lustig gemacht wird“. Allerdings werden sie nur im Schwarz/Weiß-Druck wiedergegeben. Fast immer sind die Geschlechterrollen schlicht umgekehrt, sodass sie schon längst nicht mehr mit Amüsement betrachtet werden, sondern uns heutigen vielmehr „das damals männergeprägte Rollenverständnis aber auch die völlige inferiore Stellung der Frau im patriarchalischen Kaiserreich eindrucksvoll belegen“.

Die in dem zweiten hier zu rezensierenden Band Die weibliche Gefahr abgedruckten Karikaturen sind teilweise mit denjenigen des bereits besprochenen Buches identisch und waren großenteils auch schon in früheren Publikationen Münchs zu finden. Vielleicht wurden sie überhaupt nur in die beiden Bände aufgenommen, weil deren Umfang andernfalls für ein Buch zu schmal geblieben wäre – geschweige denn derer zwei. Denkbar wäre allerdings auch gewesen, beide Bücher zu einem zu vereinen. Ihr Gegenstand lässt dies durchaus naheliegend erscheinen. Jedenfalls sind auch einige von Münch bislang nicht abgedruckte Karikaturen unter ihnen. Oft sind sie nicht nur antifeministisch, sondern schlechthin anzüglich und sexistisch. Beispielsweise bittet ein Mann, der eine Frau sexuell belästigt, die hinzugekommen Polizistin „Verzeihung Fräulein Wachmann, der Liebesdrang war so überraschend“, worauf sie antwortet: „In solchem Fall wenden Sie sich vorher an mich.“

Neben den Karikaturen stellt der Autor der weiblichen Gefahr auf etwa 40 Seiten knapp dreißig zwischen 1861 und 1916 entstandene antifeministische beziehungsweise frauenfeindliche SF-Texte vor, anhand derer er eine „exemplarische Betrachtung des historischen Antifeminismus und die Genese dieses Subgenres“ unternimmt. Dabei ist zunächst einmal zu konstatieren, dass sich „in der SF der Kaiserzeit […] fast ausschließlich Männer […] humoristisch und diskriminierend über die Frauenbewegung lustig machten“. Wie er feststellt, erschöpften sich die (humoristisch) antifeministischen SF-Texte zumeist in „vertauschten Geschlechterrollen von Mann und Frau“. Diese Eintönigkeit macht die Lektüre seiner Zusammenfassungen etwas ermüdend, was natürlich nicht dem Autor anzulasten ist.

Ein solcher Rollentausch könnte allerdings auch als Kritik der herrschenden Geschlechterhierarchie inszeniert werden, wie es Jahrzehnte später Gerd Brandenburg mit Egalias Dødre (1977) unternahm. Das ist jedoch bei den historischen SF-Texten der Kaiserzeit keinesfalls intendiert. Vielmehr literarisieren sie die angebliche Unfähigkeit der Frauen, Aufgaben zu übernehmen, die damals Männer vorbehalten waren. In als dystopisch gedachten Zukunftsvorstellungen, in denen nicht länger Männer, sondern Frauen ‚die Macht’ haben, kommt als „permanentes Stereotyp“ hinzu, dass sich diese „wieder nach ‚echten Männern’ sehnen“.

Ausnahmen von dieser Eintönigkeit bilden „eine photonenstrahlen induzierte feminin-chromosemale Geschlechtsdeterminierung“ in Fritz Posselts Roman Im Frauenstaat (1906) und „die Antizipation von oviparen Frauen“, wie sie Ferdinand Groß 1890 in seiner von Münch als „Meisterleistung der frühen Science Fiction“ gepriesenem Text Phant-Asien erdacht und von Hanns Heinz Ewers 1906 für Anthropoovaropartus abkupferte wurden. Ferdinand Groß’ Ideen sind auch insofern originell, als er in der SF-Satire Zur Männerfrage (1896) den zu seiner Zeit gängigen Befund von Medizinern, dem zufolge Frauen geistig minderbemittelt sind, weil ihr Gehirn kleiner und leichter ist, mit der von der Herrscherin des Jahres 2150 vorgetragenen „Behauptung“, „der Mann könne geistig weniger leisten als die Frau, weil sein Gehirn mehr wiege als das ihre, mithin plumper und schwerfälliger sei“ invertiert. Eine Idee, die direkt von der geistreichen Feministin Hedwig Dohm stammen könnte. Auch „die degenerative Verweiblichung des Mannes mit Männermilch“ in Eduard Seibts 1887 erschienenem als „medicinisch-pysiologisch-nationalökomisches Kapitel“ ausgewiesenem Text Nieder mit den Ammen durchbricht in gewisser Weise die Umkehr der Geschlechterrollen, wobei anzumerken ist, dass es sich bei den milchgebenden Männern um die Inversion einer biologischen Geschlechtsfunktion handelt. „Den literarischen Höhepunkt der antifeministischen Utopie“ macht Münch in „Siegmar Schulze-Galléras literarisch durchaus ambitionierte[m] utopischen Novellen-Zyklus im Reich der Phäaken [1905] mit einer erheblichen sarkastischen ‚Gelehrtengeschichte’ Strabonius und Gratianus’“ aus.

Zwar goutiert Münch die antifeministischen Texte nicht gerade, doch geht er oft allzu milde mit ihnen ins Gericht. So etwa, wenn er in Hans von Wentzels 1916 erschienenem und als „utopischen Komödie“ ausgewiesenem Stück Die weibliche Gefahr eine „frohsinnige Verspottung der über vernünftige Ziele hinausschießenden Frauenbewegung“ ausmacht. Da stellt sich die Frage, mit welchen Anliegen die damalige Frauenbewegung denn über die von Münch als vernünftig anerkannten Ziele hinausschoss. An die unter den damaligen Feministinnen ziemlich solitär dastehende Radikalpessimistin Helene (von) Druskowitz wird er wohl kaum gemeint haben. Sie forderte die Ausrottung der Männer (wonach auch die Frauen auszusterben hätten). Münch dürfte Druskowitz bereits 1905 erschienene Pessimistische Kardinalsätze oder andere einschlägige Schriften der Autorin vermutlich nicht kennen. Denn er erklärt, dass die „erwünschte Ausrottung des männlichen Geschlechts in einer derartigen Schärfe“, wie sie sich Otto Caring in seiner antifeministischen Geschichte Der letzte Leutnant (1910) ausdachte, „nicht mehr übertroffen wurden“. Carings Männer entgehen diesem Schicksal nur darum, weil man sie „hie und da noch brauchte“.

Münchs generellen Befunde sind ebenfalls nicht immer konsensfähig. Seine Behauptung, dass Frauen „genremäßig fast schon als ein Art Selbstzensur“ ausübten, grenzt sogar beinahe an eine Täter/Opfer-Umkehr. Denn Schriftstellerinnen waren entgegen aller Widerstände männlicherseits von jeher in ganz unterschiedlichen Genres unterwegs. Für die Zeit des Kaiserreichs wären Lena Christ (unter anderem Heimatroman), Clara Viebig (unter anderem Großstadtroman), Lou Andreas-Salomé (unter anderem psychologischer Roman), Franziska zu Reventlow  (unter anderem satirischer Schlüsselroman), Gabriele Reuter (unter anderem Familienroman), Frieda von Bülow (unter anderem Kolonialroman), Else Jerusalem (unter anderem Prostitutionsroman), Auguste Hauschner (unter anderem historischer Roman) und unzähligen andere zu nennen.

Abschließend ist zu monieren, dass Münch in beiden Büchern wiederholt ganze Passagen aus seinen früheren Publikationen wörtlich übernommen hat, ohne dies kenntlich zu machen.

Bei aller Kritik besteht sein keineswegs gering zu schätzendes Verdienst darin, dem Publikum unbekannte SF-Werke vorzustellen. Und dies nicht erst mit den beiden vorliegenden Bänden. Allein das ist schon Grund genug zu hoffen, dass er ihnen weitere folgen lässt.

 

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Detlef Münch: Deutsche Science Fiction Autorinnen und die utopisch-antifeministische Karikatur 1873 – 1914.
Synergen Verlag, Dortmund 2024.
161 Seiten , 49,80 EUR.
ISBN-13: 9783910234680

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Detlef Münch: Die weibliche Gefahr. Antifeminismus in der frühen deutschen Science Fiction und utopischen Karikatur 1861 – 1916.
Synergen Verlag, Dortmund 2024.
212 Seiten , 49,80 EUR.
ISBN-13: 9783910234710

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