Politisch wie Schmetterlinge

Auf Einladung Stefan Gmünders liest mit Tanja Maljartschuk eine besondere Stimme aus der West-Ukraine

Von Lea KühnRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lea Kühn

Emotional und doch präzise, heiter und doch zynisch zugleich – Tanja Maljartschuk ist eine Autorin, deren Texte ohne Bezug zu ihrer Heimat nicht entstehen könnten. Geboren 1983 in Iwano-Frankiwsk (Ukraine), ist die heutige Wahl-Wienerin Verfasserin zahlreicher Texte, die zunächst in ukrainischer Sprache und schließlich in deutscher Übersetzung erschienen. 2009 machte sie erstmals mit ihrem Erzählband Neunprozentiger Haushaltsessig im Residenz Verlag Wien auf sich aufmerksam. Ebenfalls dort erschien 2013 ihr Debütroman Biographie eines zufälligen Wunders, den die Kritik als „ein ebenso wunderbares wie bitteres Buch“ (F.A.Z.) lobte.  Im selben Jahr wurde Maljartschuk für ihr Schreiben mit dem Vilenica-Kristall und dem Joseph Conrad Award ausgezeichnet. Seit 2014 schreibt sie auch in deutscher Sprache. Weitere Erzählungen und Essays wurden in mehrere Sprachen übersetzt, unter anderem ins Englische, Polnische, Russische, Tschechische, Bulgarische und Slowenische. Seit 2014 veröffentlichte die Autorin einige Kolumnen in FAZ, Zeit und im Falter.

In den meisten ihrer Texte erkundet Tanja Maljartschuk den ukrainischen Alltag, bewegt sich schreibend durch ihre Heimat, weiß, wie es dort riecht, wie es sich anfühlt, dort zu leben. In Biografie eines zufälligen Wunders setzt sich die Autorin mit den alltäglichen Widrigkeiten der ukrainischen Verwaltung auseinander. Sie beschreibt die verheerenden Folgen, die für Menschen am Rande der Gesellschaft entstehen, die ganze Not, das ganze Elend einer postsowjetischen Generation. Dabei gerinnen ihre Emotionen in Geschichten, sie schöpft aus ihren eigenen Erfahrungen, um in einer anmutigen Erzählweise die wichtigsten Stränge der ukrainischen Geschichte einzuflechten: ausgehend vom Russischen Reich, in dem die Ukraine als Kleinrussland bezeichnet und die ukrainische Sprache verboten wurde, über die Sowjetunion bis hin zur Unabhängigkeit.

Literatur sei „immer politisch“ sagt Maljartschuk, „auch wenn es um Schmetterlinge geht. Sobald die Schmetterlinge in einer Zeit leben und einen Namen bekommen, Beziehungen und Nachbarn haben. Man kann beim Schreiben der Politik nicht entgehen“. Maljartschuk verknüpft diese Politik mit den Schicksalen ihrer Figuren. Der Erzählband Der gemeine Hase und andere Europäer (Edition FotoTAPETA, Berlin 2014),versammelt Texte, die von der Einsamkeit der Menschen in der Stadt berichten. Die Autorin nimmt hier vor allem durchschnittliche, einfache Menschen in den Blick: Verkäuferinnen, Kraftfahrer, Bahnhofsmitarbeiter. Die Erzählungen geben einen Eindruck vom Leben in der modernen Großstadt Kiew, den Träumen der Menschen, aber auch von ihren Ängsten und von ihrem Scheitern. Tanja Maljartschuk blickt aus zwei Perspektiven zugleich darauf – aus der Sicht einer Schriftstellerin, die seit 2011 nicht mehr in ihrer ukrainischen Heimat, sondern in Wien lebt. Und aus der Sicht einer Autorin, deren Werk und Schreiben eng mit ihrem Heimatland, dessen Sprache, den gesellschaftlichen Entwicklungen verbunden bleibt. Ihre Geschichten über die Bewohnerinnen und Bewohner von Kiew erscheinen in zauberhaftem Realismus, minimale Verschiebungen von Realität und Fiktion vermögen es, die Leser ganz plötzlich aus dem Alltagsgeschehen herauszureißen.

In lakonischer Manier gelingt es der Autorin, immer wieder den Wahnwitz der ukrainischen Gesellschaft bloßzulegen, die Aktualität ihrer Stoffe bewiesen die Proteste auf dem Maidan in Kiew, die im selben Jahr ausbrachen, in dem sie ihr Romandebüt gab. Und das alles kommt bei ihr so leichtfüßig und mitunter beinahe ironisch daher. Mit Tanja Maljartschuk hat eine feine und doch starke Stimme die Literaturszene betreten, die bereits ihren eigenen Stil gefunden hat. Literaturkritiker und Jurymitglied Stefan Gmünder hat mit seiner Einladung den TddL eine Autorin beschert, deren Auftritt es durchaus aufmerksam zu verfolgen gilt.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen