Postmodernes Vexierspiel

Achim Geisenhanslükes und Christian Steltz' kulturwissenschaftlicher Sammelband zu Quentin Tarantinos "Kill Bill" brilliert mit einer Reihe erhellender Beiträge

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Unzensierter Tarantino-Style für Fans von Martial-Arts-Filmen der Luxusklasse", lautet die Werbe-Botschaft auf der DVD des Kult-Films "Kill Bill", womit das - wie Gereon Blaseio und Claudia Liebrand mit mindestens ebenso viel Recht sagen - "postmoderne Film-Vexierspiel" auf nur eine Ebene heruntergebrochen wird. Aber so ist sie eben, die Werbung.

Ganz anders sind hingegen die Beiträge des "Kill Bill Volume 1" und "Volume 2" gewidmeten Sammelbandes, dem das treffende Wort von Blasseio und Liebrand entnommen ist. Achim Geisenhanslüke und Christian Steltz haben ihn herausgegeben und eine Reihe Kultur- und GeisteswissenschaftlerInnen für ihn gewonnen, die fast ausnahmslos mit lesenswerten Beiträgen voller origineller 'Lesarten' des Films und erhellender Erkenntnisse aufwarten.

Natürlich können auch sie nicht alle Aspekte von Tarantinos multidimensional schillerndem Zweiteiler be- oder gar ausleuchten. So bleibt beispielsweise die humoristische Seite dieses durchaus auch sehr witzigen Films unterbelichtet und wird nur hier und da beiläufig gewürdigt, etwa wenn Rolf Parr erkennt, dass das "Kampf- und vor allem Tötungsgeschehen immer wieder ironisch und gelegentlich sogar parodistisch gebrochen" ist, oder wenn Blaseio und Liebrand eine mörderische Szene "ungemein komisch" finden. Das ist sie tatsächlich, und nicht nur sie. Schließlich setzt nicht umsonst ein Augenzwinkern den Schlusspunkt von "Volume 2".

"Unfinished Business", so der Titel des vorliegenden Bandes, zitiert ebenso wie zahlreiche der in ihm enthaltenen Beiträge eine besonders griffige Dialogsentenz aus "Kill Bill". Ein "Buch zum Film" will der Band dennoch nicht sein, wie die Herausgeber erklären, "wohl aber ein Buch zu den kulturellen Praktiken, die im Film und seiner Auslegung ihren Ausdruck finden". Des Weiteren zielt die Absicht, anhand von Tarantinos Film das methodische Instrumentarium der Film- und der Literaturwissenschaft zu prüfen, nicht etwa darauf, die Literaturwissenschaft in einer umfassenden Kultur- und Medienwissenschaft "aufzuheben", wie Geisenhanslüke und Steltz mit vermutlich bewusst gewähltem Hegel'schen Terminus versichern. Vielmehr geht es darum, literaturwissenschaftliche Kompetenzen in "Kooperation" mit anderen Disziplinen über das geschriebene Wort hinaus auf andere Medien zu erweitern. Und zwar, "ohne dass sich eine der beteiligten Kräfte zur hegemonialen Macht aufschwingen müsste".

In nahezu allen Beträgen wird deutlich, wie sehr ihre VerfasserInnen den Film als Objekt literatur- und filmwissenschaftlicher Analysen schätzen und womöglich zudem als nicht zuletzt unterhaltsames Kunstwerk goutieren. Nur einer von ihnen, Georg Mein, hält rein gar nichts von Tarantinos Film mit seinem "äußerst schlichten Plot"; und ebenso wenig hält er von dessen begeisterten RezipientInnen, deren Analysen er kurzerhand mit einigen psychologisierenden Bemerkungen vom Tisch wischt. Meins Beitrag ist somit zugleich der einzige, der gegenüber den anderen deutlich abfällt. Die "theoretisch versierten Deutungsansätze" initialisieren Mein zufolge eine "ästhetische Rahmung" des Films, die "letztlich ein Legitimationsmuster für die Rezeption von solchen Bildern ermöglicht, deren Konsum ohne ein solches Muster vielleicht nur negativ codiert werden könnte (z. B. als pervers, makaber, ekelhaft usw.)". Offenbar habe der Film seinen "Legitimationsmuster" produzierenden InterpretInnen "mit derselben Gewalt das Mark aus dem Hirn" gedrückt, mit der er die von ihm zitierten Bilder verstümmele.

Zwei der Beiträge haben die beiden Herausgeber selbst verfasst. Geisenhanslüke untersucht die "Affektpolitik" des Films und unternimmt es, anhand der "Leitmetapher des Schwertes" den "Remythisierungstendenzen" in Tarantinos Werk nachzugehen sowie "deren Dekonstruktion aufzuzeigen". Steltz wendet sich der Intertextualität in "Kill Bill" zu und liest den Film insbesondere zusammen mit Shakespeares Stück "Titus Andronicus" und mit Melvilles Roman "Billy Budd". Dieses Unternehmen zählt zu denjenigen des vorliegenden Bandes, die nicht ganz so überzeugend ausfallen, zumindest, soweit es einige Details betrifft. Darin, dass der Name einer der Figuren des Films, O-Ren, "verkehrt herum" gelesen die "Buchstabenfolge Nero", also den Namen eines römischen Kaisers, ergibt, einen Zusammenhang mit Shakespeares Königsdramen auszumachen, wirkt doch allzu willkürlich, zumal Shakespeare über Nero "im Speziellen" gar kein Drama verfasst hat, sondern nur "eine ganze Reihe" über andere römische Herrscher.

Das aber reicht Steltz für die Annahme einer intertextuellen Bezugnahme schon aus. Des Weiteren ist seine Charakterisierung "der Braut" nicht ganz zutreffend. Ihr eine "konsequente Weigerung [...] Mitleid zu empfinden" zuzuschreiben und darin ein "durchgängiges Motiv" und "herausragendes Moment der Filmhandlung" auszumachen, übersieht sowohl, dass sie den Kampf mit Vernita Green unterbricht, als deren Tochter den Raum betritt, als auch, dass sie den letzten der "Crazy 88 Yakuzas" verschont. Und Bill versucht Kiddo durchaus nicht etwa darum zu töten, weil seine "Killerethik" nicht zulassen würde, "dass einer seiner Schützlinge aussteigen könnte". Dieser Interpretation steht entgegen, dass mit Vernita Green und Budd Sidewinder gleich zwei des "Deadly Viper Assassination Squads" ausgestiegen sind, ohne von Bill getötet oder auch nur verfolgt zu werden. Töten will Bill Kiddo vielmehr, weil er sie 'liebt', weil er eifersüchtig ist und sie ihm, wie er sagt, das Herz gebrochen hat.

Gilt Steltz' Interesse der Intertextualität des Films, so dasjenige von Uwe Lindemann und Michaela Schmidt dessen Ästhetik. Denn "Kill Bill" sei weder ein "Gewaltfilm" noch ein "Film über weibliche Emanzipation". Auch zeige er nicht die "inspirationslose Beliebigkeit" postmoderner Kinoproduktionen. Vielmehr befasse er sich "primär mit Genrekodierungen". Daher könnten seine ProtagonistInnen auch "kein individuelles Eigenleben" entwickeln, vielmehr richteten sich ihr Verhalten und ihre Redeweise nach "bestimmten genrespezifischen Mustern". Ein durchaus nicht nur bedenkenswerter, sondern auch erhellender Interpretationsansatz, mit dem den zentralen Themen des Films allerdings kaum beizukommen ist, die daher in dem Aufsatz von Lindemann und Schmidt auch nicht vorkommen.

Ebenfalls aufschlussreich sind die von Oliver Kohn anhand der Themenkomplexe Verrat, Mord und Rache angestellten Überlegungen zu "Modellen der Traditionsbildung" in Tarantinos Film und Paul Flemmings Interpretation von "Bills Superman-Mythologie".

Das Glanzlicht des Bandes bilden jedoch die luziden Ausführungen von Martin Przybilski und Franziska Schößler zu den "Geschlechternarrationen" des Films, die dieser dem AutorInnen-Duo zufolge ebenso wie andere "sampled Genres" und Repräsentationsformen reflexiv als solche vorführt und so deren "Illusionsstruktur" unterbricht. Die beiden AutorInnen stärken ihre These auf eindrucksvolle Weise sowohl mithilfe theoretischer Erörterungen als auch anhand beispielhafter Szenen.

"Geschlechterimagines", so führen Przybilski und Schößler aus, stehen in Tarantinos Film "grundsätzlich im Zeichen der Heterogenität, der Hybridität und Nicht-Identität" und erscheinen somit als "Performanzen", als "reflexive Rollenspiele". Dabei weise der Regisseur nicht nur seine eigenen Bilder immer wieder als Illusionen aus, sondern betreibe zudem die "systematische Dekonstruktion von Weiblichkeitstopoi". So werde Beatrix Kiddo "mit (wandernden) Phalloi ausgestattet" und Freuds "Phantasie vom Mangelwesen Frau in eine Ermächtigungsgeschichte umgeschrieben", in der "die Abwesenheit des Penis als weibliche Macht, als Unverwundbarkeit" erscheint. Dabei sei Kiddo als "Kämpferin" gleichwohl - gemeint ist offenbar in doppeltem Sinne - "kastrationsfähig", denn ihr Körper werde - ebenso wie die der männlichen Protagonisten - "phallifiziert".

"Fraglich" sei allerdings, ob der "ausgestellte Muttermythos, der auf den ersten Blick als Botschaft des Films firmiert", in dessen "Dekonstruktionsbewegung" integriert werden kann. So versuchen Przybilski und Schößler, nachzuweisen, dass auch der Muttermythos unterlaufen wird und Mutterschaft zu den "Weiblichkeitsrepräsentationen" gehört, die der Film "demontiert". Ein Unternehmen, dem der Erfolg nicht ganz versagt bleibt. Bedenklich bleibt dennoch, dass das breite Publikum das auf der Filmoberfläche transportierte reaktionäre Klischee der durch Mutterschaft domestizierten bzw. zu domestizierenden starken und gefährlichen Frau durchaus für eine ernstgemeinte Botschaft Tarantinos nehmen könnte. Und dass dies nicht nur für 'naive BetrachterInnen' gilt, die allein zur Unterhaltung in die Lichtspielhäuser eilen, zeigt Parrs Beitrag, der von Kiddos "emphatische[r] Übernahme der Mutterrolle" spricht, ohne darin eine Ironisierung zu erkennen.

Auch Mitherausgeber Geisenhanslüke nimmt sich des Themas an und interpretiert die "Wiedereinsetzung des Mythos der mütterlichen Liebe" als Ersatz des eigentlich zu erwartenden tragischen und für die Protagonistin tödlichen Ausgangs. Indem das Filmende "mit dem Mythos der mütterlichen Liebe pathetisch neu besetzt" werde, werde der "Umschlag der Tragödie in die Komödie" verhindert. Am Ende des Films sei Kiddo "nun wirklich zur Mutter" und zur "Siegerin" geworden, da sie in ihrer Tochter eine "neue Erfüllung" finde. Die Gewalt, "die dem Film seine innere Logik gibt", sei somit "durch das Ereignis der mütterlichen Liebe aufgehoben". Nun stehe nicht mehr die "Genugtuung der Rache" im Zentrum, sondern der "Kampf der Mutter um ihr Junges".

All dies scheint ganz im Einklang mit Parrs Interpretation zu stehen, wäre da nicht Geisenhanslükes kurze Bemerkung, dass das "Schlussbild" eben den mütterlichen Kampf um das Junge ironisiere und die "Remythisierung mütterlicher Liebe" so schließlich selbst für eine kritische Dekonstruktion frei gegeben werde. Diese aber könne der Film selbst nicht mehr leisten, sondern bleibe dem Publikum vorbehalten. Womöglich hat Geisenhanslüke so Unrecht nicht, und es ist genau diese Leistung, die Tarantino den RezipientInnen abverlangt.


Titelbild

Achim Geisenhanslüke / Christian Steltz (Hg.): Unfinished Business. Quentin Tarantinos "Kill Bill" und die offenen Rechnungen der Kulturwissenschaften.
Transcript Verlag, Bielefeld 2006.
185 Seiten, 25,80 EUR.
ISBN-10: 3899424379

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