Fortschreitende Bürokratisierung

Max Webers Studien "Zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Altertums" in mustergültiger Edition erschienen

Von Dirk KaeslerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dirk Kaesler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für die laufende Berichterstattung über Fortschritte der "Max Weber-Gesamtausgabe (MWG)", die vor einem Jahr an dieser Stelle zwei Neuerscheinungen aus dem Werkkomplex von "Wirtschaft und Gesellschaft" (siehe literaturkritik.de 04/2006) ankündigte, kann ein soeben erschienener weiterer Band vermeldet werden. Mit ihm wird ein bedeutender, zudem nicht sonderlich populärer Themenkomplex des Weber'schen Werks im Rahmen der MWG formal und inhaltlich überzeugend abgeschlossen.

Jürgen Deininger, emeritierter Hamburger Althistoriker und bewährter Herausgeber des bereits 1986 erschienenen Bandes über "Die römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staats- und Privatrecht" (Bd. 2 der MWG), legt zwanzig Jahre später in mustergültiger Bearbeitung jene acht Studien vor, die Max Weber in den Jahren 1893 bis 1908 im Anschluss an seine Habilitationsschrift über die römische Agrargeschichte von 1891 verfasst hat. Sie lassen uns einen Blick auf jene Arbeitsfelder Webers werfen, die in den meisten aktuellen Einführungswerken allenfalls am Rande erwähnt werden. Für eine nicht nur oberflächliche Kenntnis des Gesamtwerks Webers sind sie jedoch unverzichtbar, schon weil sie einen intimen Einblick sowohl in seine Arbeitsweise als auch in die allmähliche Fabrikation der Weber'schen Themen gewähren. Es geht um Webers Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Altertums.

Um die Erträge dieses neuen Bands verständig einordnen zu können, bedarf es knapper Hinweise zur vorangegangenen "Römischen Agrargeschichte". In deren Zentrum hatte Webers Absicht gestanden, "verschiedene Erscheinungen des römischen Staats- und Privatrechts [in] ihrer praktischen Bedeutung für die Entwickelung der agrarischen Verhältnisse" zu untersuchen. Insgesamt betrachtete Weber die römische Agrargeschichte aus einer ökonomisch-politologisch-soziologischen Perspektive. In seinem Bemühen, Zusammenhänge zwischen den Rechtsstrukturen des römischen Agrarwesens und den jeweiligen ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnissen in den verschiedenen Epochen der römischen Agrarentwicklung herauszuarbeiten, stützte Weber sich im Kern auf das Gesamtgemälde der römischen Geschichte, wie es vor ihm vor allem von Theodor Mommsen autoritativ gezeichnet worden war: Die Geschichte des römischen Imperialismus sei ganz wesentlich "eine fortwährende Vergrößerung des der römischen Besiedelung und kapitalistischen Ausbeutung unterliegenden Areals" gewesen. In seiner akademischen Qualifikationsarbeit ging es dem 27jährigen Habilitanden Weber um die Frage, welchen konkreten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen und Interessen die Rechtsstellung von Grund und Boden sowie die juristische Stellung der in der Landwirtschaft tätigen Menschen entsprachen.

Mit dem von ihm postulierten "revolutionären Übergang" einer Flurgemeinschaft, dem ager publicus, zum Privatbesitz an Land, dem ager privatus, und das heißt, mit der Freisetzung des Privateigentums an Grund und Boden, wurde nach Weber erst der Weg zum Großgrundbesitz frei: "Wir werden annehmen müssen, daß auch die den Charakter einer Separation und Verkoppelung tragende wirtschaftliche Emanzipation, der Sieg der von patrimonialen wie gemeinwirtschaftlichen Lasten freien Individualwirtschaft, die Auflösung der Flurgemeinschaft durch Aufteilung zu vollem Privateigentum, Ziel derselben Partei und Ergebnis der gleichen Zeit war. Sie hat denjenigen Begriff des Privateigentums geschaffen oder vielmehr auf das Grundeigentum angewendet, welcher, obwohl ein künstliches Produkt reflektierender Interessenpolitik, vermöge des Raffinements seiner logischen Durcharbeitung die Gedanken der Jurisprudenz, solange es eine solche gibt, beherrscht hat und noch beherrscht."

Am Ende seines Versuchs "einer wirtschaftsgeschichtlichen Betrachtung der römischen Landwirtschaft" hatte sich Weber der Kaiserzeit zugewandt, jener Episode römischer Geschichte, in der der Kampf um den ager publicus, um das öffentliche Land, zu den schwersten Gesellschaftskonflikten geführt hatte. Nach seiner Untersuchung der historischen Entstehung und Differenzierung des ager publicus beschrieb Weber die Aufteilung des öffentlichen Landes durch Okkupation und Bewirtschaftung, was einer "unerhörten Begünstigung des Kapitals" gleichkam: "Denn daß diese freie Konkurrenz nicht den kleinbäuerlichen Besitzern, sondern nur den Großkapitalisten, Patriziern wie Plebejern, zu statten kam, ist oft hervorgehoben worden. Sie stellt in der That den schrankenlosesten Kapitalismus auf agrarischem Gebiet dar, welcher in der Geschichte jemals erhört gewesen ist und wird von den [...] Übergriffen und Einhegungen der spätmittelalterlichen Grundherren quantitativ und qualitativ nicht entfernt erreicht." Folgerichtig wandte sich Weber dieser zunehmend dominierenden Stellung des römischen Großgrundbesitzes zu.

Dieser allein war imstande, den für den profitablen Wein- und Ölanbau beziehungsweise die Viehwirtschaft nötigen Kapitalaufwand zu erbringen. Während die römische Grundaristokratie zu einem städtischen, Grundrente verzehrenden Kapitalistenstand wurde, nahm die Zahl der kleinen Grundeigentümer stark ab, und ein "sozial ins Gewicht fallender Bauernstand", der sich gegen die ungerechten Pachtverhältnisse gewehrt hätte, fehlte. Die Bauern differenzierte Weber mit Hilfe des Kriteriums ihrer Abhängigkeit vom Gutsherrn: Vom kleinen Eigentümer, über den Hand- und Spanndienste leistenden Pächter, den abhängigen Tagelöhner bis hin zum Sklaven. Den Niedergang des römischen Reiches machte Weber schon in dieser frühen Arbeit besonders am zunehmend geänderten und differenzierten Status der Sklaven fest: Aus Mangel an Sklavenangebot gingen die Gutsherren dazu über, die Sklaven untereinander immer stärker zu differenzieren (Vorarbeiter, Verwalter, etc.), ihnen Land zur Rente zu geben und sie teilweise aus dem engeren Gutshaushalt zu entlassen. "Die Annäherung der Sklaven an die Colonen, d.h. die Verwandlung der ländlichen Arbeiter in Bauern, ist aber eine der wichtigsten und zweifellosesten Thatsachen der römischen Kaiserzeit." Die Herausbildung der großen Güter in Privateigentum führte, in der Darstellung Webers, zu einer allmählichen Aushöhlung der gemeinschaftlichen Institutionen und des Gemeineigentums, was wiederum folgende Situation verursachte: "Thatsächlich aber war über das Reich ein Netz von Grundherrschaften ausgebreitet, auf welchem die Municipien, ohne unentbehrliche Mittelpunkte des gewerblichen Lebens oder der Kapitalbildung und auch ohne unentbehrliche Marktorte zu sein, also im Grunde nur als Schröpfköpfe im Interesse der staatlichen Steuerverwaltung saßen."

Die Erforschung der Entstehungsbedingungen des kapitalistischen Wirtschaftens, hier unter der speziellen Frage nach der Herausbildung des römischen Agrarkapitalismus, war eine Fragestellung, die die Weber'schen Arbeiten aus der zeitgenössischen Literatur zu diesen Themen hervorhoben. Ungewöhnlich war vor allem das sozialpolitische Interesse Webers, wenn er sich beispielsweise der Lage der kleinen Bauern intensiv zuwandte, die in immer größere Abhängigkeit gegenüber dem großgrundbesitzenden Adel gerieten. Weber lieferte hier einen Ansatz zur Klassenanalyse der Antike und eine differenzierte Untersuchung der Lage der Sklaven, die er, im Gegensatz zur damaligen marxistischen Doktrin, nicht ausschließlich als Ausbeutungsobjekt einer "Sklavenhaltergesellschaft" sah. Er beschäftigte sich mit den Ansätzen einer zunftmäßigen Organisation und dem "Arbeitsethos" dieser Gruppen, das jedoch nicht über das angestrebte Ziel der Freilassung hinausging.

Wie zu erkennen ist, ging die hier knapp in Erinnerung gerufene juristische Habilitationsschrift über die "Römische Agrargeschichte" Webers sowohl weit über eine rein juristische als auch über eine rein agrarhistorische Untersuchung hinaus. Alfred Heuß, bedeutender Althistoriker und selbst Verfasser einer bis heute einschlägigen "Römischen Geschichte" (1960) und einer der ganz wenigen Kenner dieser Arbeiten Max Webers, fasste diese Tatsache mit Blickrichtung auf dessen Römische Agrargeschichte zusammen, als er von der Fähigkeit Max Webers sprach, "durch juristische Institutionen hindurch auf erstens die sie begründende wirtschaftliche Absicht und dann zweitens von der juristischen Form aus auf ihre sozialen Konsequenzen hindurchzublicken". Diese Fähigkeit führe dazu, dass Webers Römische Agrargeschichte "manche Betrachtung [enthält], die auch im späteren Gedankenkreis des Soziologen Max Weber Bedeutung haben sollte", schreibt er in seinem Beitrag "Max Webers Bedeutung für die Geschichte des griechisch-römischen Altertums" (1965).

Gerade die Weber'sche Sichtweise, derzufolge die ökonomisch-rechtliche Herausbildung des Privateigentums an Grund und Boden sowohl eine Reihe von ökonomischen, politischen und sozialen Voraussetzungen als auch Folgen habe, hob seine Untersuchung über eine rein agrarhistorisch-juristische Monografie hinaus. Seine Perspektive jedoch, zusammen mit der Tatsache, dass Weber seine Arbeiten zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Altertums nicht in fachwissenschaftlichen Organen veröffentlichte, war möglicherweise auch Ursache für deren bis heute nicht sonderlich ausgeprägte Rezeption seitens der Altertumswissenschaft und Alten Geschichte. Daran etwas ändern zu wollen, ist erkennbar die zusätzliche Absicht, die Jürgen Deininger mit dem hier anzuzeigenden Band im Rahmen der MWG verfolgt. In dessen Zentrum stehen sowohl der Aufsatz über "Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur" von 1896 als auch die drei Fassungen von Webers Handbuchartikels "Agrarverhältnisse im Altertum" aus den Jahren 1897, 1898 und 1909.

Ergänzt werden diese zentralen Texte um eine bislang nicht bekannte Rezension Webers eines Buches von Silvio Perozzi über die Grunddienstbarkeiten im römischen Bodenrecht (Prädialservituten) in der "Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte" aus dem Jahr 1893, den Wiederabdruck der Abhandlung Webers "Der Streit um den Charakter der altgermanischen Sozialverfassung in der deutschen Literatur des letzten Jahrzehnts" aus dem Jahr 1904, den Abdruck des bislang ebenfalls nicht publizierten Protokolls eines Vortrags Webers zum Thema "Kapitalismus im Altertum", den er im Februar 1908 vor dem "Eranos"-Kreis in Heidelberg gehalten hatte und den Wiederabdruck von Webers Beitrag zum Stichwort "Altertum" für das Handwörterbuch "Die Religion in Geschichte und Gegenwart" aus den Jahren 1908/09.

Um der mit der Weber-Philologie nicht vollkommen vertrauten Leserschaft wenigstens einen Eindruck vom Inhalt dieser Sammlung zu vermitteln, wird sich hier auf die beiden zentralen Beiträge konzentriert: den Aufsatz über "Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur" und die Artikel-Serie "Agrarverhältnisse im Altertum".

Schon der Aufsatz über den Untergang der antiken Kultur ist ein eindeutiger Beleg für die Richtigkeit der Einschätzung des bereits genannten Alfred Heuß: "Der ,Gelehrte' Max Weber bildete sich [...] zu einem wesentlichen Teil in der Beschäftigung mit dem Altertum aus". Man kann Webers frühe Arbeit bereits als eine genuin soziologische Untersuchung einstufen, auch wenn die ohnehin sachlich wenig sinnvollen Grenzen zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte nicht eindeutig bestimmbar sind. Es lohnt sich, den Argumentationsverlauf skizzenhaft nachzuzeichnen, da hier bereits eine Vielzahl der bekannten Themen anklingt, die den Soziologen Max Weber zeit seines Lebens beschäftigt haben.

Die Überschrift deutet an, was der erste Abschnitt ausführt: Es waren nicht äußere Ursachen, die das Ende des römischen Weltreiches herbeiführten, sondern im Wesentlichen innere Entwicklungen. Weber fragte in der ihm und seiner Zeit eigenen Weise nach den Gründen, die für den Zerfall, die "innere Selbstauflösung" einer Kultur verantwortlich gemacht werden können. Um darauf antworten zu können, stellte sich Weber die Aufgabe, die "Eigentümlichkeiten der sozialen Struktur der antiken Gesellschaft" herauszuarbeiten. Er nannte dabei drei Momente als wesentlich: Die antike Kultur sei 1. städtische Kultur, 2. Küstenkultur und 3. Sklavenkultur gewesen. Insbesondere den dritten Aspekt nannte Weber als entscheidend, da diesem die größte Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung zukomme, die ihrerseits die Gesamtentwicklung bestimmte. Aus einem Kolonien erobernden Ackerbürgerstaat wurde, insbesondere mit den überseeischen Eroberungen, ein auf Menschenjagd gehendes Reich, das für seine immer größer werdenden Latifundien einen ständigen Nachschub an Sklaven benötigte. Das Emporsteigen einer Grundaristokratie führte zu jener Entwicklung, die Weber folgendermaßen beschrieb: "Der Sklavenhalter ist so der ökonomische Träger der antiken Kultur geworden, die Organisation der Sklavenarbeit bildet den unentbehrlichen Unterbau der römischen Gesellschaft [...] Der Typus des römischen Großgrundbesitzers ist nicht ein selbst den Betrieb leitender Landwirt, sondern ein Mann, der in der Stadt lebt, politisch thätig ist und vor allen Dingen Geldrente beziehen will."

Von dieser Analyse ausgehend, wandte sich Weber insbesondere der "sozialen Eigenart" der Sklaven zu, von denen er ein "Idealschema" entwarf, das das einer "Kasernenexistenz" ist: eigentumslos und familienlos. Die Sklavenkasernen waren nach Webers Auffassung die Voraussetzung für das politische, wirtschaftliche und soziale System des Römischen Kaiserreiches. Und die Sklavenkasernen ihrerseits waren abhängig vom Markt für Sklaven: "Der antike Sklavenbetrieb ist gefräßig an Menschen, wie der moderne Hochofen an Kohlen. Der Sklavenmarkt und dessen regelmäßige und auskömmliche Versorgung mit Menschenmaterial ist unentbehrliche Voraussetzung der für den Markt produzierenden Sklavenkaserne. [...] Damit ist der Betrieb abhängig von regelmäßiger Menschenzufuhr auf den Sklavenmarkt. Wie, wenn diese einmal versagte? Das mußte auf die Sklavenkasernen wirken, wie die Erschöpfung der Kohlenlager auf die Hochofen wirken würde. - Und dieser Moment trat ein. Wir kommen damit zu dem Wendepunkt in der Entwicklung der antiken Kultur."

Diesen "Wendepunkt", und damit die entscheidende Ursache für den Untergang der antiken römischen Kultur, lieferte für Weber die Einstellung der römischen Eroberungskriege. Mit dieser inneren und äußeren "Befriedung des antiken Kulturkreises" versiegte die regelmäßige Versorgung der Sklavenmärkte, und damit ergab sich "die Unmöglichkeit des Fortschreitens der Produktion auf Grundlage der Sklavenkasernen". Diese Entwicklung erzeugte zwei weitere Folgen, die sich gegenseitig verstärkten: Zum einen kam es zu einer immer stärkeren Abwendung von den Stadtgemeinden, hin zu den großen Gütern, die sich der Einbeziehung durch die Gemeinden zu entziehen versuchten. Zum anderen kam es zur langsamen Herausbildung einer ständischen Gliederung der Menschen auf den Gütern der Großgrundbesitzer: "Die ständische Gliederung hatte an Stelle des alten einfachen Gegensatzes von Freien und Unfreien begonnen. Eine in ihren einzelnen Stadien fast unmerkliche Entwicklung führte dahin, weil die ökonomischen Verhältnisse dahin drängten. Die Entwicklung der feudalen Gesellschaft lag in der Luft schon des spätrömischen Reiches."

Diese beiden Prozesse zusammen führten zur immer stärkeren Herausbildung einer arbeitsteiligen Deckung des Eigenbedarfs auf den großen Gütern, damit zu einem allmählichen Schwinden des Wirtschaftsverkehrs mit den Städten und einer immer stärkeren Naturalwirtschaft. Durch die staatliche Finanzpolitik, die diese Entwicklungen nur noch verstärkte, waren Beamtentum und Berufsheer zunehmend schwerer aufrechtzuerhalten und zu finanzieren. "Der Zerfall des Reichs war die notwendige politische Folge des allmählichen Schwindens des Verkehrs und der Zunahme der Naturalwirtschaft. Er bedeutete im wesentlichen nur den Wegfall jenes Verwaltungsapparats und damit des geldwirtschaftlichen politischen Überbaus, der dem naturalwirtschaftlichen ökonomischen Unterbau nicht mehr angepaßt war." In seinem abschließenden Abschnitt zog Weber ein Resümee der historischen Entwicklungen des Altertums, indem er das Verschwinden seiner entscheidenden Bestandteile konstatierte: des stehenden Heeres, des besoldeten Beamtentums, des interlokalen Güteraustauschs, der Stadt. Webers Fazit insgesamt lautete: "Die Kultur ist ländlich geworden."

Diese Entwicklung bedeutete in den Augen Webers den endgültigen Untergang der antiken Kultur und deren "Geistesarbeit" insgesamt. Mit einem pathetisch-sentimentalen Schlussbild endet sein Aufsatz: "Unwillkürlich wehmütig berührt uns das Schauspiel, wie eine scheinbar dem Höchsten zustrebende Entwicklung ihre materielle Unterlage verliert und in sich selbst zusammenbricht. Allein was ist es denn, was wir in diesem gewaltigen Vorgang vor uns sehen? In den Tiefen der Gesellschaft vollzogen sich und mußten sich vollziehen organische Strukturänderungen, die im ganzen doch einen gewaltigen Gesundungsprozeß bedeuteten. Die Einzelfamilie und der Privatbesitz wurden den Massen der Unfreien zurückgegeben; diese selbst aus der Situation des 'sprechenden Inventars' langsam wieder in den Kreis der Menschen hinaufgehoben, deren Familienexistenz das emporwachsende Christentum dann mit zähen moralischen Garantieen umgab [..]. Freilich sank zugleich ein Teil der freien Bevölkerung zu faktischer Hörigkeit, und die raffiniert gebildete Aristokratie des Altertums zur Barbarei herab. Der naturalwirtschaftliche Untergrund, den das Anschwellen der unfreien Arbeit der antiken Kulturentwicklung untergeschoben hatte, war zunächst immer weiter gewuchert, je mehr der Sklavenbesitz die Vermögen differenzierte, und hatte nach dem Übergang des politischen Schwergewichts von der Küste auf das Binnenland und nach dem Versiegen der Menschenzufuhr seine zum Feudalismus drängende Struktur auch dem ursprünglich verkehrswirtschaftlichen Oberbau aufgezwungen. So schwand die dünn gewordene Hülle der antiken Kultur, und das Geistesleben der okzidentalen Menschheit sank in lange Nacht. Sein Niedersinken gemahnt aber an jenen Riesen der hellenischen Mythe, der neue Kraft gewann, wenn er am Busen der Mutter Erde ruhte. [...] Erst als auf der Grundlage der freien Arbeitsteilung und des Verkehrs die Stadt im Mittelalter wieder erstanden war, als dann der Übergang zur Volkswirtschaft die bürgerliche Freiheit vorbereitete und die Gebundenheit unter den äußern und innern Autoritäten des Feudalzeitalters sprengte, da erhob sich der alte Riese in neuer Kraft und hob auch das geistige Vermächtnis des Altertums empor an das Licht der modernen bürgerlichen Kultur."

Die intensive Beschäftigung mit den sozio-ökonomischen Verhältnissen der Antike in den erwähnten Arbeiten trug Max Weber den Ruf eines Spezialisten für diesen Themenbereich ein. Dies wiederum führte dazu, dass man ihm die Betreuung des Artikels "Agrarverhältnisse im Altertum" im renommierten "Handwörterbuch der Staatswissenschaften" antrug. Offensichtlich beabsichtigte Weber ursprünglich zudem den Artikel zum Stichwort "Kolonat" zu schreiben, den dann jedoch Michael Rostowzew übernahm, der auch später eine umfassende Untersuchung zu diesem Thema vorlegte: "Studien zur Geschichte des römischen Kolonates. Erstes Beiheft zum Archiv für Papyrusforschung und verwandte Gebiete" (1910). Webers Beitrag liegt in drei Fassungen vor, das heißt, er schrieb ihn mit jeder Auflage in den Jahren 1897, 1898 und 1909 um, wobei sich der Umfang jedes Mal erheblich verstärkte. Von diesem Beitrag sagte Alfred Heuß: "[...] dem Inhalt nach die originellste, kühnste und eindringlichste Schilderung, die die Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung des Altertums jemals erfahren hat. Der Begriff 'Agrargeschichte' ist deshalb hier weit überschritten; es handelt sich um viel mehr, nämlich um eine Skizze der gesamten Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Altertums."

Betrachtet man die erste Fassung von 1897, so begegnen uns die meisten der bereits genannten Themen wieder. Eine interessante neue Note taucht jedoch auf mit dem von Weber gleich einleitend eingeführten Vergleich zwischen dem Okzident und den "asiatischen Kulturvölkern". Dieser Vergleich tritt mit diesem Aufsatz neben den bis dahin immer wiederkehrenden Vergleich zwischen Antike und Mittelalter und begegnet uns bekanntermaßen auch im späteren Werk Webers immer häufiger. Die Hauptunterschiede zwischen Okzident und "den Asiaten" sah Weber im Gemeineigentum an Boden (Mark, Allmende) und dem Privatbesitz der Herde ("der primitive Ausgangspunkt alles Feudalismus") im Okzident. Die Herausbildung des okzidentalen Feudalismus ist für Weber in dieser Fassung das entscheidende Unterscheidungsmerkmal zwischen beiden Kulturbereichen.

In seinen Ausführungen über das hellenische Altertum befasste Weber sich wieder mit den landwirtschaftlichen Produktionsweisen, der Familienstruktur und der Siedlungsweise. Auffallend ist dabei die starke Betonung der politisch-militärischen Entwicklungen und der städtischen Entwicklungen. Im Abschnitt über das römische Altertum bis zum Ende der Republik begegnen wir den vertrauten Argumenten aus der Habilitationsschrift, insbesondere der Betonung des "völlig mobilisierten privaten Bodenbesitzes", der die Schaffung eines "unerhörten agrarischen Kapitalismus" zur Folge hatte. Weber behandelte auch hier wiederum den "diametralen Interessengegensatz" zwischen dem städtischen Kapital, also den Sklavenbesitzern, und den Bauern, den er als "Kampf zwischen freier und unfreier Arbeit" bezeichnete. Der Sieg des städtischen Kapitals und die dadurch ermöglichte Herausbildung von Sklavengroßbetrieben schaffte in seinen Augen erst die "politische Grundlage des Cäsarismus".

Im Abschnitt über die Entwicklung in der Kaiserzeit wiederholte Weber seine Analyse des Untergangs der antiken Kultur, mit den Stationen der Einschränkung der Sklavenmärkte, Ausbildung einer ständischen Gliederung, Auflösung von Berufsbeamtentum und stehendem Heer und einem "Zerbröckeln" der Städte. Bei der Darstellung der Herausbildung ständischer Gliederungen unterschied Weber einerseits den Stand der immediatsteuerpflichtigen possessores und jenen der mediatssteuerpflichtigen coloni, wobei er von den possessores sagte, dass sie es gewesen seien, die am Schluss der Kaiserzeit auf dem Land "als alleiniger Träger desjenigen Maßes bürgerlicher Freiheit, welches die diokletianische Epoche noch kannte, erscheint".

Die Fassung in der zweiten Auflage von 1898 gleicht weitgehend der in der ersten Auflage, unterscheidet sich jedoch von ihr durch die Einbeziehung des vorderen Orients (Ägypten, Babylon, Assyrien). Insofern erscheint es editorisch nachvollziehbar, dass Jürgen Deininger sich dazu entschieden hat, als edierten Text diese zweite Fassung zugrunde zu legen und die Abweichungen gegenüber der ersten Fassung allein im textkritischen Apparat zu dokumentieren, auch wenn er selbst einräumt, dass diese Lösung "in manchem unbefriedigend" sei.

Die Ausweitung der Fragestellung und die Veränderung der generellen Ausrichtung von Webers Untersuchung wird am deutlichsten in der berühmt gewordenen, dritten Auflage des Handwörterbuches von 1909. Hier tritt uns nun der Weber nach "Objektivitätsaufsatz" und "Protestantischer Ethik" entgegen. Der Unterschied zwischen dem Weber der ersten und dem der dritten Auflage des Handwörterbuches liegt in einer Präzisierung der Fragestellung und in einer gründlicheren methodologischen Reflexion der Untersuchung. Dieser Text, der weit über einen Handwörterbucheintrag hinausging und die Dimensionen einer Monografie annahm, wurde, im zusammenfassenden Urteil seines Herausgebers Deininger, ein "umfassender, nicht zuletzt auch begrifflich-kategorial sorgfältig angelegter Strukturvergleich der wichtigsten Gesellschaften des Altertums und ihrer wirtschaftlichen Grundlagen vom Alten Orient bis zum römischen Reich unter dem Blickwinkel insbesondere von antiker 'Polis', 'Kapitalismus' und 'leiturgischem' Staat". Insofern ist es berechtigt, wenn Deiniger von ihm als dem unbestrittenen opus magnum spricht, das "den eindrucksvollen Höhepunkt von Max Webers Auseinandersetzung mit der antiken Welt als ganzer darstellt."

In seiner "Einleitung" zur dritten Auflage ordnete Weber seine Fragestellung wiederum in einen Vergleich des europäischen Okzidents mit dem Bereich ostasiatischer Kulturvölker ein, jedoch nunmehr unter Miteinbeziehung von Vorderasien. Dadurch gelangte er zu einer erheblich differenzierteren Sicht als in den vorangegangenen Untersuchungen. Jetzt ging es nicht mehr um eine einfache Gegenüberstellung nach dem Muster: hier Feudalismus, dort nicht, sondern um die genauere Unterscheidung von Gemeinsamkeiten, Ähnlichkeiten, Analogien und Verschiedenheiten: "Sowohl die ostasiatischen wie die altamerikanischen Kulturvölker kannten Einrichtungen, die wir ihrer Funktion nach als ganz zweifellos 'feudalen' Charakters betrachten, und es ist nicht einzusehen, warum nicht alle jene sozialen Institutionen, welchen die Herausdifferenzierung einer für den Krieg oder den Königsdienst lebenden Herrenschicht und ihre Sustentation durch privilegierten Landbesitz, Renten oder Fronden der abhängigen waffenlosen Bevölkerung zugrunde liegt, in den Begriff einbezogen werden sollten, die Amtslehen in Ägypten und Babylon ebensogut wie die spartanische Verfassung."

Aus solchen historischen Gemengelagen hob Weber im Wesentlichen zwei spezifisch okzidentale Formen heraus: zum einen die individualistische Form des Feudalismus und die spezifisch politische Form des "Stadtfeudalismus". Methodologisch von besonderer Bedeutung sind seine skeptischen und differenzierten Beurteilungen des komparativen Vorgehens, das wir als einen durchgehenden Strang in den späteren Arbeiten Webers kennen: "Aber diese Analogien mit mittelalterlichen und modernen Erscheinungen, scheinbar auf Schritt und Tritt vorhanden, sind zum nicht geringen Teil höchst unverläßlich und oft direkt schädlich für die unbefangene Erkenntnis. Denn jene Ähnlichkeiten können leicht trügerische sein und sind es tatsächlich nicht selten. Die antike Kultur hat spezifische Eigentümlichkeiten, welche sie von der mittelalterlichen wie von der neuzeitlichen scharf unterscheiden."

Als besonders prägnante Erläuterung dieses Gedankens sei auf Webers Ausführungen über die Nichtvergleichbarkeit des antiken Proletariats mit der "Arbeiterklasse" seiner Zeit hingewiesen. Diese Betonung der "Differenziertheit der Gebilde" und die Weber'sche Absicht, deren spezifische Eigenart, Eigentümlichkeit herauszuarbeiten, muss eingeordnet werden in das methodologische Konzept des "idealtypischen Vorgehens", das er in diesem Handwörterbuchartikel präzise charakterisiert. Diese sehr viel differenziertere Sichtweise führte Weber auch zur Korrektur seiner früheren Einschätzung der Sklavenproblematik, indem er eine vormals "zu niedrige Einschätzung der quantitativen Bedeutung der freien Arbeit" einräumte, das heißt insbesondere der freien Handwerker und der freien ungelernten Lohnarbeiter im Altertum.

Und hier nun begegnet uns auch die für Max Weber immer wieder zentrale Frage: "kennt das Altertum (in einem kulturhistorisch relevanten Maß) kapitalistische Wirtschaft?" Die Beantwortung dieser Frage ist naturgemäß von der Definition des Begriffs "Kapitalismus" abhängig: Für Weber bedeutete "Kapital" stets "privatwirtschaftliches Erwerbskapital", das heißt Güter, die der Erzielung von "Gewinn" im Güterverkehr dienen. "Jedenfalls ist also 'verkehrswirtschaftliche' Basis des Betriebs zu fordern." Unter diesem Aspekt betrachtete Weber dann auch den landwirtschaftlichen Fronhofbetrieb im Altertum und im frühen Mittelalter als ein "Mittelding": "er ist 'kapitalistisch', sofern für den Markt produziert wird und der Boden Verkehrsgegenstand ist, - nicht kapitalistisch, sofern die Arbeitskräfte als Produktionsmittel sowohl dem Kauf wie der Miete im freien Verkehr entzogen sind."

Mit dieser eigenständigen Bestimmung von Kapitalismus distanzierte sich Weber von der zu seiner Zeit allgemein üblichen Auffassung, die sich ausschließlich an der Betriebsform der großen kapitalistischen Dauerbetriebe orientierte, "weil sie es ist, welche die eigenartigen sozialen Probleme des modernen 'Kapitalismus' gebiert"; aus diesem Grund stellte auch die zeitgenössische Altertumsforschung die Existenz und Bedeutung "kapitalistischer Wirtschaft" in Abrede. Wenn man dagegen, wie Weber, "kapitalistische Wirtschaft" nicht auf eine bestimmte Kapitalverwertungsart festlegt, sondern diese Bezeichnung auch dort gelten lässt, "wo Besitzobjekte, die Gegenstand des Verkehrs sind, von Privaten zum Zweck verkehrswirtschaftlichen Erwerbes benutzt werden, - dann steht nichts fester als ein recht weitgehend 'kapitalistisches' Gepräge ganzer - und gerade der 'größten' Epochen der antiken Geschichte."

Diese starke These wurde von Weber im einzelnen zu belegen versucht, indem er die Bedeutung der Edelmetallvorräte in ihrer Stellung zu den Marktzentren herausarbeitete, die ökonomische Problematik der Sklavenarbeit analysierte, die Bedeutung der politischen Schicksale und Eigenarten der einzelnen Länder mit ihrer unterschiedlichen Ausbildung der Bürokratisierung betonte.

Nur als ein Beispiel sei angeführt, was er über das monarchische Regierungssystem in diesem Zusammenhang schrieb: "Die, für die Masse der Untertanen, so wohltätige Ordnung der Monarchie war eben der Tod der kapitalistischen Entwickelung und alles dessen, was auf ihr ruhte. Die Sklaverei als Trägerin kapitalistischen Erwerbes tritt dann weit zurück, die Neubildung privater mobiler Kapitalvermögen erlischt, da der Stimulus der Verwertungschancen unter das, bei der Konstitution des antiken Kapitals, unerläßliche Minimum sinkt, reglementierte und verwaltungsrechtlich gebundene, aber der privatrechtlichen Form nach 'freie', Arbeit tritt in den Vordergrund der ökonomischen Struktur. Wo überdies die Monarchie theokratischen Charakter annimmt, da kann sich auch der in solchen Fällen nie ausbleibende religiöse und staatsgesetzliche 'Schutz der Schwachen' [...] zu einer ziemlich festen Schranke kapitalistischer Menschenverwertung entwickeln." Gerade in diesem Zusammenhang verdient noch ein weiterer Punkt hervorgehobene Aufmerksamkeit, wenn Weber schrieb: "Andererseits fehlte jede ethische Verklärung der Erwerbsarbeit, zu der sich nur im Kynismus und in dem hellenistisch-orientalischen Kleinbürgertum leise Ansätze finden. Die Stütze, welche die Rationalisierung und Ökonomisierung des Lebens an der wesentlich religiös motivierten 'Berufsethik' der beginnenden Neuzeit fand, mangelte dem antiken 'Wirtschaftsmenschen'."

Nach seiner stark methodologisch orientierten und teilweise bereits zusammenfassenden "Einleitung" folgte erst der Hauptteil des Handwörterbuchartikels über "Die Agrargeschichte der Hauptgebiete der alten Kultur" mit material- und detailreichen Darstellungen der Agrargeschichte Mesopotamiens, Ägyptens, Israels, Griechenlands und Roms.

Im zusammenfassenden Abschnitt über die "Grundlagen der Entwickelung in der Kaiserzeit" führte Weber nochmals alle jene Elemente auf, die nach seiner Ansicht ursächlich für die Herausbildung eines okzidentalen modernen Kapitalismus waren. Das ist zum einen der "Siegeszug" der Polis durch die okzidentale Welt, der sowohl ökonomisch, gesellschaftlich, politisch als auch religiös bedingt und wirkungsvoll war. Daneben traten spezifisch rechtliche Unterschiede: "[...] die ganze spezifisch moderne kapitalistische Entwickelung, die des gewerblichen Kapitalismus, [knüpft an] an die von [...] jenen 'Industriestädten' geschaffenen Rechtsnormen, also an das, was der antiken Polis fehlt." Beim Vergleich des Bürgers der antiken Polis mit dem der mittelalterlichen Stadt betrachtete Weber den des Mittelalters in weit höherem Maß als homo oeconomicus: "Das Interesse der mittelalterlichen Bürgerschaft [...] wird und bleibt instradiert in der Richtung auf friedliche Erweiterung des [...] Warenabsatzes."

Das alleinige Ansammeln großer Vermögen im Mittelalter (Medici, Fugger) war nach Weber nicht das spezifisch Neue gegenüber dem Altertum, mit seinen Hammurabis und Crassus': "nicht hier, und nicht in der Frage nach der Art der Akkumulation der ersten großen Geldvermögen liegt das Problem von der Herkunft der Eigenart der spätmittelalterlichen und neuzeitlichen Wirtschaftsverfassung, schließlich auch: des modernen Kapitalismus, beschlossen". Und so formulierte Weber die beiden für ihn entscheidenden Fragen:

- "wie entwickelte sich im Mittelalter die Abnehmerschaft für die später kapitalistisch organisierten Gewerbe?" (Entwicklung des Marktes)

- "wie geriet das Verwertungsstreben des Kapitals in die Bahn der Schaffung derjenigen Organisationen 'freier' Arbeit, welche das Altertum nicht gekannt hat?" (Ordnung der Produktion)

Als seine eigene, zentrale Antwort auf diese beiden Fragen nannte Weber die Entwicklung des abendländischen Bürgertums. Diese im Gegensatz zum Altertum spezifisch okzidental-mittelalterliche Entwicklung sah Weber einerseits bedingt durch den Wechsel des geografischen Schauplatzes - vom Land zur Stadt - und zum anderen durch zwei große militär-technische Umwälzungen im Altertum: die Einführung des Pferdes und die Verwendung eiserner Waffen. Erst im Mittelalter kam es nach seiner Auffassung zur Herausbildung der Ritterheere, dadurch zur feudalen Gesellschaftsordnung mit ihrer Ablösung vom Landknechtsheer und der Bildung disziplinierter moderner Truppen. Alle diese Prozesse führten für Weber zu einem Sieg der modernen Staatsordnung.

Für das Altertum war es gerade die staatliche Organisation, die den sich entwickelnden Kapitalismus "langsam aber sicher [...] erstickt" hat. Als weiteren Grund, neben den genannten, führte Weber die politische Verankerung der "privaten Ausbeutung politischer Herrschaftsverhältnisse" an, die zu einer weitgehenden Bürokratisierung des staatlichen Lebens geführt hatte, welche ihrerseits die private ökonomische Initiative unterbunden hatte. Gerade diese letzte Überlegung ließ Weber prophetisch eine abschließende Parallelität zu seiner eigenen Zeit behaupten: "[...] während im Altertum die Politik der Polis den 'Schrittmacher' für den Kapitalismus bilden mußte, ist heute der Kapitalismus Schrittmacher der Bureaukratisierung der Wirtschaft. [...] Die Bureaukratisierung der Gesellschaft wird bei uns des Kapitalismus aller Voraussicht nach irgendwann ebenso Herr werden, wie im Altertum."

Die aktuelle Relevanz der hier knapp skizzierten Arbeiten Webers bedarf keiner besonderen Betonung: Die uns darin begegnende Frage nach der historischen Genese des modernen rationalen Betriebskapitalismus und seinen ökonomischen, gesellschaftlichen, politischen und normativ-ideologischen Voraussetzungen ebenso wie Auswirkungen ist von anhaltender und möglicherweise noch steigender, gesellschaftswissenschaftlicher Bedeutung. Dass Weber gerade in den zuletzt behandelten Untersuchungen eine, durch Studium und wissenschaftliche Forschung erarbeitete, "subtile Differentialanalyse" (Heuß) vorlegte, unterschied ihn auch von der Mehrheit seiner zeitgenössischen Kollegen. Das Hauptergebnis von Webers Arbeit war dabei, dass es in seinen Augen ebenso wenig sinnvoll war, die Existenz eines kapitalistischen Wirtschaftens im Altertum vollkommen zu leugnen, wie jedoch auch, den "antiken Kapitalismus" mit dem "modernen" einfach gleichzusetzen. Weber kam zum Ergebnis, dass es in der Antike sehr wohl eine Form kapitalistischen Wirtschaftens gegeben habe, die man jedoch am ehesten als "politischen Kapitalismus" bezeichnen sollte, das heißt einer Wirtschaftsform, der (noch) weitgehende Grenzen durch politische, ethische und "ideologische" Bedingungen gesteckt gewesen waren. Insofern ist es überaus plausibel, wenn das zusammenfassende Urteil des Herausgebers Jürgen Deininger lautet: "In gewisser Weise könnte man die 'Agrarverhältnisse' von 1908 als eine Art 'Programmschrift' für die Alte Geschichte des 20. Jahrhunderts als Sozial-, Wirtschafts- und Strukturgeschichte verstehen, auch wenn sie als solche nur begrenzte direkte Wirkungen aufzuweisen hatte."

Dass Deininger mit dieser Arbeit der Weber-Forschung im engeren Sinn einen unersetzbaren (Liebes-)Dienst erwiesen hat, steht außer Frage. Aber auch gerade auch jenseits der Weber-Philologie verdient dieser Band, zusammen mit dem vorangegangen über die "Römische Agrargeschichte", das engagierte Interesse einer allgemeinen Leserschaft. Nur wer der beschränkten Meinung ist, dass weder die Frage nach dem Untergang großer Imperien noch die Frage nach den Entwicklungsperspektiven des Kapitalismus im Zeitalter der Globalisierung von aktuellen Interesse sei, sollte die Texte des hier präsentierten Bandes nicht zur Kenntnis nehmen.

Wer sich jedenfalls mit den derzeit so populären Warnungen vor einem imperial overstretch großer Imperien, wie beispielsweise der USA mit ihrer Pax Americana, nicht abspeisen lassen möchte, kann aus Webers Arbeiten, ergänzt durch jene, auf die er sich stützt und jene, die von ihm ausgehend, seine Fragestellungen weiter behandelt haben, sehr viel lernen.


Titelbild

Max Weber: Zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Altertums. Schriften und Reden 1893-1908.
Mohr Siebeck, Tübingen 2007.
695 Seiten, 329,00 EUR.
ISBN-13: 9783161488009

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