Schlicht opportunistisch oder Wegbereiter feministischen Bewusstseins?

Ein von Susanne Schröter herausgegebener Sammelband fragt nach der Möglichkeit von „Geschlechtergerechtigkeit durch Demokratisierung“ in der islamischen Welt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als alle Welt vor rund zwei Jahren den „Arabischen Frühling“ begrüßte, erschollen durch so ziemlich sämtliche westliche Gazetten die Schalmeienklänge von Demokratisierung und Geschlechtlichehrgleichstellung in der islamischen Welt. Angesichts der Entwicklungen in Tunesien, Ägypten und Syrien werden jedoch inzwischen um einiges realistischere Trauergesänge angestimmt. Von Demokratisierung ist in diesen Ländern herzlich wenig und von Geschlechtergerechtigkeit schon rein gar nichts zu bemerken.

Die AutorInnen des soeben von Susanne Schröter herausgegebenen Sammelbandes, der unter der titelstiftenden Fragestellung „Geschlechtergerechtigkeit durch Demokratisierung?“ die derzeitigen „Transformationen und Restaurationen von Genderverhältnissen in der islamischen Welt“ beleuchtet, waren allerdings – zumindest hinsichtlich des vermeintlichen Gleichschritts voranschreitender Demokratisierung und zunehmender Geschlechtergerechtigkeit – schon um einiges früher skeptisch gestimmt.

Bekanntlich wurde die von Schröter in der Einleitung formulierte Frage, ob „die Partizipation von Frauen an Revolutionen“ bedeute, „dass sie die postrevolutionären Gesellschaften angemessen mitgestalten können?“ von der Geschichte schon zuvor nur allzu oft negativ beantwortete – von Nicaragua bis in den Iran. Und „dass Demokratisierung nicht automatisch zu einer geschlechtergerechten Ordnung führen muss, zeigt sich vor allem dort, wo die Demokratie starke islamische Erneuerungsbewegungen ermächtigte und islamistische Akteure in der Regierungsverantwortung stehen“, wie Schröter nüchtern konstatiert.

Geografisch behandeln die Beiträge des Bandes Länder aus dem gesamten islamisch geprägten Teil des Erdballs von Südostasien bis nach Nordwestafrika. Ebenso wie überall auf der Welt ist die „Auseinandersetzung um Frauenrechte“ auch und gerade in diesen Ländern „kein Nebenschauplatz genereller Umbrüche, sondern steht im Zentrum politischer, religiöser, sozialer und rechtlicher Debatten“.

Die Herausgeberin selbst etwa befasst sich gemeinsam mit Sonia Zayed mit dem Land, das die Umsturzbewegungen in diversen arabischen Ländern initiierte. Schon hier, in Tunesien, zeigt sich beispielhaft, dass Demokratisierung und Wahlen, aus denen Islamisten als Sieger hervorgehen, mitnichten zu einer Verbesserung der Situation der Frauen führen. Dabei „galt Tunesien im Hinblick auf Frauenrechte in den vergangenen Jahrzehnten als außergewöhnlich fortschrittliches islamisch geprägtes Land“, konstatieren die Autorinnen und meinen offenbar, dass es für ein islamisches Land in Sachen Frauenrechte außergewöhnlich fortschrittlich war. Denn im Vergleich mit dem ‚Westen‘ war es auch in seinen ‚feministischsten Zeiten‘ alles andere als fortschrittlich. Richtig aber ist selbstverständlich, dass die islamischen Sieger der Wahlen die Frauenrechte wo immer möglich noch weiter zurückdrängten.

Die Autorinnen vergleichen nicht nur die jüngste vorrevolutionäre Vergangenheit mit der Gegenwart, sondern bieten einen sehr informativen Abriss der Geschichte der Geschlechterordnung Tunesiens, die bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts „noch denkbar deprimierend“ war. Denn bis dahin wurden die Frauen „wie überall im Maghreb“, gerade mal als „ein für die Reproduktion notwendiges Übel“ hingenommen, das wenigstens als „wohlfeiles Mittel der Allianzbildung“ qua Heirat eingesetzt werden konnte. Diese sexistische Haltung sei „originärer Ausdruck der islamisch-tunesischen Identität“ gewesen, referieren Schröter und Zayed die Soziologin Mounira M. Charrad. Nicht so sehr die Kolonialmacht Frankreich, sondern erst Habib Bourguiba, der erste Präsident des im März 1956 unabhängig gewordenen Staates, steuerte dem entgegen, indem er etwa ein halbes Jahr nach der Unabhängigkeit „das in der arabischen Welt fortschrittlichste Personenstandsrecht“ einführte. Seit 1973 waren sogar Abtreibungen straffrei. In dieser Hinsicht hätte sich also tatsächlich so manches westliche Land Tunesien zum Vorbild nehmen können. Bourguiba, so die Autorinnen, „setzte eine Umwälzung in Gang, die man im besten Sinne als ‚Kulturrevolution von oben‘ bezeichnen muss“. Doch sollte sich „die Diskriminierung kopftuchtragender Frauen“ als „zweischneidiges Schwert erweisen“. Denn das religiös aufgeladene Tuch wurde zunehmend als „Symbol des islamischen Widerstandes“ eingesetzt. Dies allerdings erst unter Zine El-Abidine Ben Ali, der Bourguiba 1987 stürzte und ffortan auf eine Öffnung gegenüber den islamischen Kräften baute.

Heute, nach der ‚Revolution‘, setzt die regierende Ennahda-Partei offenbar auf die „sukzessive Islamisierung“ Tunesiens. Dies nicht etwa, weil sie von den noch um einiges extremistischeren Salafisten vor sich her getrieben würde. Vielmehr tun sie es sehr wohl aus eigenem Antrieb. Doch nicht nur Ennahda und Salafisten, auch „die städtischen Armen und die Landbevölkerung“ sind den Autorinnen zufolge „nach wie vor ihrer Tradition und einem extrem konservativen Islam verpflichtet“. Noch weit ernüchternder aber ist, „dass auch unter jüngeren gebildeten Tunesierinnen die Akzeptanz religiöser Lebensmodelle zunimmt“. Sollte es den islamischen „Hardlinern“ der Ennahda gelingen, „ihre Ideen in der neuen Verfassung festzulegen, dürfte dies für lange Zeit das Ende jeder deliberativen Kommunikation sein und sich das Rad der Geschichte für die Frauen um Jahrzehnte ‚zurückdrehen‘“, befürchten die Autorinnen. Doch nicht nur in Tunesien, in allen Ländern der – wie es auch bei ihnen so niedlich heißt – ‚Arabellion‘ „ermächtigt die Revolution radikal-islamische Kräfte“.

Julia Gerlach berichtet in ihrem Beitrag hingegen vom „Frühling der Frauen am Nil“. So jedenfalls der Titel ihres Beitrags, der letztlich allerdings doch deutlich macht, dass auch in Ägypten „der Trend zum Islam wenig Hoffnung auf mehr Frauenrechte in absehbarer Zeit macht“. Ihre Zusammenfassung der Geschehnisse vor der Parlamentswahl, also während der Zeit der ersten nachrevolutionären Militärherrschaft, führen noch einmal vor Augen, wie wenig Hoffnung oder gar Vertrauen in das Militär zu setzen ist, das Mubarak-Gegnerinnen gerne auf Demonstrationen festnahm, um sie mit sogenannten ‚Jungfrauentests‘ zu demütigen. Da mögen ihm heutige DemonstrantInnen nach der Festnahme Mursis noch so sehr zujubeln. Allerdings formuliert Gerlach auch schon mal etwas (zu) frivol. So etwa, wenn sie die ägyptische Aktivistin Hadir Faruk als „Cheerleaderin der Revolution“ apostrophiert.

Roswitha Badry begibt sich auf die Arabische Halbinsel und stellt die These auf, die aktive Teilhabe an den Erhebungen von 2011 habe „zumindest für einige Jemenitinnen eine (persönliche) Ermächtigung“ bedeutet. Doch konstatiert sie auch, „dass ein fundamentaler Wandel in der politischen Struktur wie Kultur (inklusive tatsächlicher sozialpolitischer Ermächtigung von Frauen) noch nicht in Sicht ist“.

Elham Manea wiederum erklärt ganz allgemein, „der arabische Staat“ sei in seiner Geschlechterpolitik weder patriarchal noch liberal“, sondern schlicht „opportunistisch“ und „machiavellistisch“. Daher habe er „die Frauenemanzipation immer dann gefördert“, wenn es ihm „opportun“ erschien. Das war dann allerdings ganz offenbar nur ausnehmend selten der Fall.

Die Journalistin Katajun Amirpur gewinnt hingegen sogar noch der „Islamischen Revolution“ im Iran positive Seiten ab. Zwar herrsche dort „Geschlechter-Apartheid“, doch habe sie „durchaus emanzipatorische Auswirkungen“ gehabt, denn „erst sie bereitete den Weg für ein öffentliches feministisches Bewusstsein“. Das erinnert denn doch auf fatale Weise an das Motto gewisser kommunistischer Kreise von ehedem, das da besagte, erst müsse es schlimmer werden, bevor es besser werden könne. Aber offenbar ist Amirpur gar nicht dieser Auffassung. Denn sie argumentiert, dass „schon bald nach der Revolution“ eine emanzipatorische Frauenbewegung entstanden sei, „die mit islamistischen Argumenten für Gleichberechtigung kämpfte“. So gelangt sie zu der These, „dass die heutige Frauenbewegung nicht nur trotz des Islams, sondern gerade wegen des Islams existiert“. Mag sein, aber ohne den Islam würde vielleicht eine ganz andere, weit emanzipatorischere Frauenbewegung in Iran dem Ziel der Geschlechtergleichheit schon sehr viel näher gekommen sein.

Sebastian Sons, der einzige Mann unter den Beitragenden, unterzieht als erstes – nämlich bereits im Untertitel – die für einen Wandel in Saudi-Arabien eintretenden Frauen einer Geschlechtsumwandlung und macht sie zu „Akteuren“. Entsprechend formuliert er denn auch im Text: „Frauen werden immer mehr zum politischen, wirtschaftlichen und reformerischen Akteur“. Ansonsten kommt er zu dem Schluss, dass sich in Saudi-Arabien derzeit ein „fundamentaler Wandel“ vollziehe. Außerdem hätten die Frauen des Landes schon „längst“ die „Vorteile der Geschlechtertrennung“ erkannt und nutzten sie. Dabei „bewegen sie sich in einem gesellschaftlich anerkannten Rahmen, indem sie keineswegs gegen patriarchalische Nomen verstoßen, sondern die oberflächliche Geschlechtertrennung anerkennen, um im Hintergrund Einfluss zu nehmen“. Ein Verhalten, das Sons für eine „zurückhaltende Art der Frauenbewegung“ hält. Schließlich vergisst er auch nicht, auf den „enormen psychologischen Druck“ hinzuweisen, unter dem die saudischen Männer stünden. Viele von ihnen fühlten sich „überfordert, unverstanden und isoliert“. So könnte man fast schon meinen, er halte seine Geschlechtsgenossen für die eigentlichen Opfer. Aber nein, „im saudischen Kollektiv“ sei Individualität von Männern und Frauen gleichermaßen „verpönt“.

Den Abschluss des Bandes bildet Nadja-Christina Schneider mit einem Beitrag über ein Land, dessen Behandlung in einem Band, der sich der „islamischen Welt“ widmet, auf den ersten Blick fehl am Platz zu sein scheint. Dem ist jedoch mitnichten so. Denn schließlich leben in Indien nicht weniger als 145 Millionen MuslimInnen.

Mag man auch mit etlichen Analysen, Standpunkten und Einschätzungen der AutorInnen nicht einverstanden sein, so spricht der Informationsreichtum ihrer Aufsätze doch für deren Lektüre. Und die Validität der zentralen These mehrerer Beitragender, „dass Demokratisierung nicht zwingend zu mehr Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern führt“, liegt auf der Hand.

Titelbild

Susanne Schröter (Hg.): Geschlechtergerechtigkeit durch Demokratisierung? Transformationen und Restaurationen von Genderverhältnissen in der islamischen Welt.
Transcript Verlag, Bielefeld 2013.
324 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783837621730

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