Das Bild soll mit aller Macht über den Betrachter kommen

Wie die amerikanische Moderne abstrakt wurde, zeigt die Ausstellung „Von Hopper bis Rothko“ in Potsdam

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Drei Gemälde scheinen die Eckpfeiler der Sammlung amerikanischer Malerei der Phillips Collection in Washington, D.C. zu bilden, die gegenwärtig im Museum Barberini in Potsdam (bis 3. Oktober 2017) gezeigt wird: Thomas Eakins’ Porträt der in Nachdenklichkeit versunkenen Miss Amelia van Buren (1891), einer vormaligen Studentin des Künstlers, das mit Eakins’ Reflexionen über das eigene Leben und Werk verbunden ist, Edward Hoppers Sonntag (1926). das einen Mann zeigt, der auf den Stufen seines Ladens inmitten einer menschenleeren Straße sitzt – auf der Schwelle vom Innen- zum Außenraum – und Jackson Pollocks Komposition (um 1938-1941). Auf diesem Bild wirbelt ein ununterbrochener Fluss von Zeichen und Schwingungen um ein imaginäres Zentrum und dehnt sich allmählich zu den Rändern hin aus. Hier sind die Ursprünge von Pollocks „All-over“-Stil, der als bemerkenswerteste Innovation in der Malerei seit Pablo Picassos und Georges Braques analytischen kubistischen Bildern von 1911 gilt.

Innerhalb von fast 50 Jahren stellte der Kunstkritiker und Mäzen Duncan Phillips eine Sammlung amerikanischer Kunst vom Impressionismus bis zum Abstrakten Expressionismus zusammen, die Verbindungen zwischen Kunstwerken quer durch Zeiten und Geografien aufzeigen sollte. Landschaftskunst, Porträtmalerei, Stadtlandschaft und Farbfeldmalerei werden in exemplarischen Bildern vorgeführt. 1926 sah der Sammler sein Museum als ein Laboratorium der Moderne an, als eine „Experimentierstation“, damit konnte er höchst ambitionierte Arrangements zwischen Figuration und Abstraktion ausloten, die auch für die Potsdamer Ausstellung „Von Hopper bis Rothko. Amerikas Weg in die Moderne“ prägend sind.

Zu den ersten amerikanischen Malern, die sich die Techniken und Themen des französischen Impressionismus aneigneten, gehörten Childe Hassam, Theodore Robinson, John Henry Twachtman sowie Julian Alden Weir. Die Maler schilderten zunächst die schroffe Ostküste Neuenglands, bis durch den Ausbau des Eisenbahnnetzes auch der Westen des Landes bis zur Pazifikküste erschlossen wurde. Die Urgewalt der Natur der neuen Heimat hatte für die noch junge Nation im 19. Jahrhundert auch identitätsstiftende Wirkung. Paul Dougherty und Rockwell Kent galten als direkte Erben von Winslow Homers heroischem Realismus. Nach dem Ersten Weltkrieg betonte Kent in seinen Gemälden die elementare Geometrie der Natur: kantige Strukturen, Konturen und kalte Farben deuten auf die harten Lebensbedingungen hin (Rio Azopardo, 1922). Dagegen setzte Marsden Hartley sein Naturerlebnis in farbenprächtig gemusterte Bildteppiche um (Bergsee. Herbst, um 1910). Harold Weston wiederum, der sich mit dem Werk Vincent van Goghs auseinander gesetzt hatte, ließ in seine abgelegenen Landschaften die physischen Wahrnehmungen von Topografie, Wetter und wechselndem Licht einfließen (Winde. Upper Ausable Lake, 1922).

Bei den amerikanischen Künstlern des 19. Jahrhunderts war die Gesellschaft in dem Maße verschwunden, wie die Natur sich ausgebreitet hatte. Die Gefühle näherten sich einer Art von Trancezustand – dem Nullpunkt der Versenkung. Es bestand mehr als eine nur oberflächliche Ähnlichkeit zwischen den lichterfüllten Flächen von Meer und Himmel in einem Seestück von Arthur G. Dove (Wasser ziehende Sonne, 1933) und den schwebenden farbigen Rechtecken, die bei Mark Rothkos Bildern der 1960er-Jahre übereinander geschichtet sind (Ohne Titel, 1968). Beide Werke entstanden aus dem gleichen transzendentalen Impuls, der Art, wie Amerikaner schon seit jeher ihre Landschaft erlebten.

Dieser Transzendentalismus, der in Weite und Klarheit und in überraschenden Nebeneinanderstellungen von Nah und Fern deutlich wird, hat sich bis in die Kunst des frühen 20. Jahrhunderts erhalten. Seine bedeutendste Interpretin war die amerikanische Malerin Georgia O’Keeffe. Sie malte riesig vergrößerte Blumen, deren (Blüten-)Blätterformen die ganze Leinwand ausfüllen und die Weite der Landschaft selbst verkörpern (Große dunkelrote Laubblätter auf Weiß, 1925). Sie hatte eine Vorliebe für Bilder von lichterfüllten, unbegrenzten Räumen, die eigentlich schon abstrakt, aber doch noch als Landschaft – in der Trennung zwischen Himmel und Erde – zu erkennen sind (Kirche in Ranchos Nr. II, NM, 1929). Auch Augustus V. Tack strebte – seiner transzendenten Weltanschauung entsprechend  - mit rhythmischen Farben und Formen nach einer Sichtbarmachung seiner mystischen Naturerfahrung (Sehnsucht, 1931).

Neben die Darstellung der erhabenen, überzeitlichen Natur trat die Schilderung der zeitgenössischen städtischen Lebensweise. Robert Henri prägte in New York nach der Jahrhundertwende eine ganze Generation amerikanischer Realisten. Sie betrachteten die Stadt und ihre Bewohner mit den Augen von Reportern, brachten Alltagserfahrungen und Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten auf die Leinwand. Edward Hopper zeigte enge Bildausschnitte, in denen der Blick durch die Architektur versperrt ist (Einfahrt in die Stadt, 1946). Charles Sheeler verband fotografische Schärfe mit starkem Frontallicht, um Gestalt und Gehalt zu eingeebneten Texturen aus Licht und Dunkel zu abstrahieren (Wolkenkratzer, 1922). Stefan Hirsch thematisierte in seinen Gemälden von Fabrikstädten die Anonymität und Kälte industriellen Lebens (Fabrikstadt, um 1925).

Es waren schließlich Pollocks „All-over“-Bilder, die das Wiedererwachen des transzendentalen Impulses in Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg am deutlichsten zeigten. Wie Wassily Kandinsky sah Pollock die Kunst als eine Heraufbeschwörung von „Grundrhythmen“ des Universums und ihren unbestimmten, aber vorstellbaren Beziehungen zu Geisteszuständen (Komposition, um 1938 bis 1941). Er fand einen Weg, wie man die metaphysische Sehnsucht der amerikanischen Romantik mit einem spezifisch modernen Stil verbinden konnte. Mit dem atmosphärischen Raum seiner „All-over“-Bilder, den verschwenderischen Energiewirbeln und dem scheinbar freien Lauf seiner optischen Felder beschwor Pollock eine typisch amerikanische Landschaftserfahrung, die aus seinem kulturellen Erbe als amerikanischer Maler der 1950er-Jahre stammte.

Die Landschaft als ein Fantasie-Arkadien blieb Helen Frankenthalers vorherrschendes Thema (Bergschlucht, 1965); in ihren Titeln finden sich oft Anklänge an das Paradies und den Garten Eden. Andere Künstler übernahmen von ihr die Technik des Einfärbens, nicht aber ihre Themen. Auf ihren Bildern durfte nur die Farbe der Handlungsträger sein. Morris Louis (Nummer 182, 1961) und  Kenneth Noland (April, 1960) wollten eine Oberfläche schaffen, die zugleich unpersönlich und ganz und gar dekorativ – im Sinne von Henri Matisse – war: Sie sollte großartig sein und das Lebensgefühl steigern, aber keinen Bezug zu den wechselnden Umständen des Lebens haben. Hier gab es nichts mehr als Farbe, die das Gewebe durchtränkte – vollkommen flächig auf flächigem Grund und von aller Mehrdeutigkeit befreit. Sam Francis trug seine Farben nass auf die Leinwand auf und ließ sie dann in Rinnspuren nach unten laufen. Es ergaben sich besondere Wirkungen durch das Ineinanderlaufen, das Zerfließen der einen Farbe in die andere und das Erstarren (Blau, 1958).

Bei Robert Motherwell und Richard Diebenkorn haben wir es mit symbolistischen Entsprechungen zu tun, in denen der Farbfleck und die Konstruktion, ohne beschreiben zu wollen, eine Harmonie und Genauigkeit erreicht, die eine Parallele zu den Freuden und Genüssen dieser Welt ist. In kühner Weise vermischte Diebenkorn Anklänge an die Realität mit einer ganz sparsamen, quasigeometrischen Zeichnung – daraus entstand seine Ocean-Park-Serie. Sie gehört zu den gelungensten Landschaftsmeditationen in der Malerei seit Claude Monets Seerosen. In Ocean Park Nr. 38 (1971) wird die Sinnenfreude Matisses durch eine stark fühlbare Instabilität eingeschränkt, eine gleichsam tektonische Verwerfung findet hier statt. Auch Motherwell schöpfte aus kubistischen Collagen und Matisses Arbeiten genaue Entsprechungen von Klang, Farbe, Gefühl und Assoziation (Wer liebt, glaubt, 1962). Er entdeckte in der vergeistigten Sinnlichkeit der modernen französischen Meister eine berauschende Freiheit.

Mit der kontemplativen Farbmalerei der 1960er-Jahre – Farbräume, in die der Betrachter förmlich hineingezogen werden soll –, mit Josef Albers, Helen Frankenthaler und Mark Rothko, endet die beeindruckende Ausstellung. Op-Art, Pop-Art, Fotorealismus, sowie Pattern Painting werden nicht mehr mit einbezogen.

Was die Ausstellung visuell zeigt, wird in dem sie begleitenden Katalog durch Studien vertieft, die Längs- und Querverbindungen herstellen, die Rezeption europäischer Kunst durch die amerikanische Moderne erläutern, den Blick auf bestimmte Sujets wie die amerikanische Landschaftsmalerei richten oder einzelne Künstler und Werke genauer ins Visier nehmen. Die Beiträge gehen auf ein internationales Symposium vom November 2016 zurück, das in Vorbereitung auf die Ausstellung im Museum Barberini gehalten wurde. Susan Behrends Frank, Kuratorin an der Phillips Collection und zugleich der Potsdamer Ausstellung, geht auf die Geschichte der Phillips Collection ein. Zwischen den beiden Weltkriegen waren Phillips und sein Museum die maßgeblichen Verfechter der amerikanischen Moderne. Denn erst 1929 wurde das Museum of Modern Art in New York und 1931 das Whitney Museum of American Art eröffnet. Phillips zeigte Werke der amerikanischen Moderne gleichrangig mit der europäischen Kunst, er ging von einer Verwandtschaft der Temperamente aus, die Künstler verschiedener Zeiten und Nationen miteinander verbindet. Mit seinen Erwerbungen – vor allem von Hauptwerken lebender amerikanischer Künstler – und Ausstellungen konnte er kühn experimentieren und ungewöhnliche Verbindungen aufzeigen.

Susanne Scharf  untersucht die Rezeption des französischen Impressionismus durch amerikanische Maler um 1900 und beschreibt, wie diese ihre skeptische Haltung innerhalb weniger Jahre aufgaben und sich der impressionistischen Malweise zuwandten. Der amerikanische Luminarismus mit seinen Lichteffekten galt manchen schon als Vorläufer des Impressionismus. Viele amerikanische Maler und Malerinnen verbrachten den Sommer auf dem Land in Frankreich. In Giverny, wo sich Monet 1883 niedergelassen hatte, bildete sich eine regelrechte amerikanische Künstlerkolonie. Ebensolche entstanden dann auch in den USA. Auch wenn sich der Impressionismus in der amerikanischen Kunstszene um die Jahrhundertwende durchsetzte, so war es erst eine Gruppe von Künstlern der nächsten Generation, die Maler der Ashcan School (Ascheimer-Schule) – so wurden sie genannt, weil sie auch die „schmutzigeren“ Seiten New Yorks darstellten –, die sich, vom Impressionisten Edgar Degas angeregt, dem urbanen Leben in allen seinen Schattierungen  zuwandten.

Corinna Thirolf spürt der Rezeption der amerikanischen Landschaft in der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Ausdruck einer autonomen, spezifisch amerikanischen Bildsprache nach. Georgia O’Keeffe, Walter de Maria, Agnes Martin, Vija Celmins – um nur einige zu nennen – verfochten, so legt die Autorin dar, eine Renaissance der amerikanischen Kunst, die auf emotionaler Intensität und einer Verbindung mit der Natur beruhte, in der sich von der Landschaft ausgehend die Positionierung der Künstlerpersönlichkeit äußerte.

Sylvia Yount spricht über den „kompromisslosen Realisten“ Thomas Eakins, der es verstand, die moderne seelische Befindlichkeit seiner Modelle – so auch in dem Porträt Miss Amelia van Buren -  in einem Zeitalter gesellschaftlicher Umbrüche und Ängste einzufangen. Alexia Pooth beschäftigt sich mit Masden Hartley, der zu den ersten Protagonisten der Abstraktion in den USA gehört und der wesentlich zum Austausch unter den Künstlern in Europa und den USA beitrug, während sich Ortrud Westheider, die Direktorin des Museums Barberini, dem Werk Edward Hoppers und vor allem dem Bild Sonntag zuwendet. Sie sieht auch hier die rahmende Architektur, die den Menschen bedrängt, als dominant an. Das Licht fällt ein wie auf einer Bühne, Sonntag erinnere an den bühnenartigen Bildaufbau der Renaissance, so Westheider.

Besonders hervorzuheben ist der von Susan Behrends Frank und Miriam Häßler kommentierte Katalog der ausgestellten Werke, der nicht nur die Dramaturgie der Ausstellung erläutert, sondern zugleich eine kurzgefasste Geschichte der amerikanischen Moderne vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1960er-Jahre ist. Eine Chronik „Die amerikanische Moderne im Spiegel der Phillips Collection“, die Künstlerbiografien (beide von Susan Behrends Frank) und eine Auswahlbibliografie schließen den so großartig illustrierten Band ab, der gleichermaßen zum intensiven Betrachten wie zum Lesen einlädt.

Titelbild

Ortrud Westheider / Michael Philipp (Hg.): Von Hopper bis Rothko. Amerikas Weg in die Moderne.
Prestel Verlag, München 2017.
248 Seiten, 39,95 EUR.
ISBN-13: 9783791356921

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