Geistliche Literatur in einer erstaunlichen Bandbreite

Volker Honemann und Nine Miedema erlauben in ihrer Festschrift für Rudolf Suntrup einen Einblick in die Weiten religiöser Schriften

Von Ruth IsserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ruth Isser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bei geistlicher Literatur des Mittelalters denkt man gerne und leicht an Gebet- und Stundenbücher, Predigten oder liturgische Texte. Dieser Sammelband zeigt ein sehr viel weiteres Spektrum an geistlicher Literatur. Er gewährt Einblick in geistliche Aspekte der Spruchdichtung und des Rechtsschrifttum des 12. und 13. Jahrhunderts, in Legendendichtung und Erzähl- und Traktatliteratur des 14. und 15. Jahrhunderts und in geistliches Theater und religiöse Lyrik des 17. Jahrhunderts. Die Beiträge vermitteln aber nicht nur eine Bandbreite an unterschiedlichen geistlichen Textsorten aus mehreren Jahrhunderten, sondern überschreiten auch den deutschen Sprachraum durch die Behandlung von lateinischen, deutschen, niederländischen, schottischen und französischen Texten. Weiters werden diverse, interdisziplinär angelegte Blickwinkel eingenommen.

Der Band beginnt mit einer kurzen Einführung zum Thema der Festschrift, zur Werkreihe Medieval to Early Modern Culture/Kultureller Wandel vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit und zur Person Rudolf Suntrups durch die Herausgeber*innen Volker Honemann und Nine Miedema. Darauf folgt der erste Beitrag zu Sangspruch, Minnesang und religiöser Lyrik durch Tomas Tomasek. Er widmet sich darin den Anfängen der mittelhochdeutschen Lyrik unter soziographischen Gesichtspunkten und er thematisiert die Annäherung von Minnesang an religiöse Lyrik, die Anfänge des Sangspruchs, die Geburt des Lyrikers und den Wandel des Lyrikerbildes. Tomasek gelingt es damit, den Lesenden einen umfangreichen und zugleich spezifizierten Einblick in die Lyrik des deutschen Mittelalters zu geben.

Darauf folgt – wenn auch dieses Thema für einen Sammelband mit dem Augenmerk auf geistlicher Literatur etwas verwundern mag – ein interessanter Beitrag zu Zahlen in Text und Bild des Sachsenspiegels Eikes von Repgow durch Dagmar Hüpper. Hierbei lenkt Hüpper den Blick auf Zahlen im alltagsweltlich-pragmatischen Kontext. In diesem Zusammenhang wird klar, dass durch die Illustrationen in Bilderhandschriften den Text erweiternde Informationen über den Inhalt der Rechtstexte und zu Rechtsgewohnheiten der Zeit vermittelt werden.

Anschließend finden sich drei Beiträge mit unterschiedlichen Fragestellungen zu Heiligenlegenden. Den Anfang macht Hanno Rüther, der die Handlungsenden und Textschlüsse verschiedener Fassungen deutschsprachiger Viten des heiligen Thomas Becket analysiert. Sabine Grieser schließt mit einem Beitrag zu heiligen Helden in Legenden des Konrad von Würzburg an. Dabei problematisiert sie die Unterscheidung zwischen weltlichen und geistlichen Helden. Den dritten Beitrag gestaltet Maryvonne Hagby zu Literarisierung und Instrumentalisierung von Heiligenlegenden in der Epik des Mittelalters am Beispiel des Wilhelm von Wenden Ulrichs von Etzenbach.

Volker Honemann und Gunhild Roth beschäftigen sich mit der Chronik des St. Clarenklosters zu Weißenfels. Neben dem Inhalt, der im Groben von der Gründung des Klosters und dem geistlichen Leben hochgestellter Frauen, die sich für ein Leben in der Stiftung entschieden haben, erzählt, werden auch textkonstituierende Elemente herausgearbeitet.

Es folgt ein Beitrag zur erfolgreichsten religiösen Reformbewegung im westlichen Europa des späten Mittelalters: die Devotio moderna. Anne Bollmann problematisiert darin den Umgang mit der Mystik innerhalb dieser Frauengemeinschaften. Sie zeigt, dass die Traumerscheinungen sich auf das Alltagsgeschehen im Konvent beziehen und lehrhaften Charakter haben.

Der achte Beitrag behandelt die mittelniederdeutsche Übersetzung der Epistola contra detractores monachorum des Dirc van Herxen. Friedel Helga Roolfs zeigt dabei anschaulich, wie erst durch diesen Handschriftenfund im Pfarrhaus Roxel ein weiterer volkssprachiger Textzeuge des behandelten Traktats identifiziert werden konnte. Weiters konnte ermittelt werden, dass beide Übersetzungen von der gleichen Abschrift abhängen und dass Dirc van Herxen selbst seinen Traktat in die Volkssprache übertragen hat.

Das niederdeutsche Beichttraktat Licht der Seele aus der Lübecker Offizin von Bartholomäus Ghotan ist Mittelpunkt des Beitrags von Falk Eisermann. Eisermann gibt mit diesem einzelnen Druckwerk Einblick in die deutschsprachige Inkunabelüberlieferung. Weiters gelingt es ihm, seine Arbeitshypothese, dass das Licht der Seele, wie andere frühe volkssprachige Drucke, nicht nur für eine anonyme Öffentlichkeit, sondern auch für den Klerus publiziert wurde.

Nikolaus Henkel beleuchtet in seiner Auseinandersetzung Autorschaft im frühen Buchdruck. Dafür analysiert er Sebastian Brants Fehlerverzeichnis zum Druck der Varia Sebastiani Brant Carmina. Dadurch wird es möglich, den Willen des Autors und seine Mitwirkung an der Gestaltung der Druckausgabe nachzuvollziehen.

Ein weiterer Beitrag widmet sich der Ablassbulle Inter curas multiplices zum Jubeljahr 1500. Nine Miedema geht dabei darauf ein, dass Papst Alexander VI. nicht nur politisch verwerflich gehandelt hat, sondern eben auch den Aufgaben der Amtskirche nachkam. In der analysierten Bulle fällt dabei vor allem die Betonung der Reue und Beichte auf, die dem Erwerb der Ablässe als wichtigste Bedingung vorausgehen müssen. Inwiefern Alexander VI. selbst seinen eigenen Ermahnungen entsprechend lebte, lässt Miedema dahingestellt. Neben einer aufschlussreichen Analyse des Inhalts, der Form und des Paratexts stellt sie im Anhang eine Edition und eine neue Übersetzung der behandelten Bulle zur Verfügung.

Die folgenden beiden Auseinandersetzungen behandeln religiöse Lyrik aus Schottland und emblematische Sinnkonstruktion bei Georgette de Montenay. Alasdair A. MacDonald gelingt es dabei auf spannende Weise herauszuarbeiten, wie vielfältig und dynamisch schottische Lyrik in der Vormoderne auftaucht. Nicht selten ändert sich der Inhalt – verschiedenen Ursachen verpflichtet – mit jeder neuen Kopie. Dietmar Peil wiederum deckt die Bezüge der Emblemes ou devises chrestiennes zur Bibel auf und zeigt, dass genauso auch allegorische Emblemtypen bei der Begründerin der religiösen Emblematik Georgette de Montenay auftauchen.

Heinz Meyer beschäftigt sich mit Karl dem Großem als Figur innerhalb von Jesuitendramen in Darbietungen von Schultheatern in Osnabrück und Münster. Damit kann er bestätigen, dass die Biographie Karls für die Aufführungen uninteressant war. Mehr tritt er als Repräsentant heilsgeschichtlicher Ordnungen und ihrer Bedeutung für die Gegenwart auf.

Was bleibt, sind zwei Beiträge zu Henric Piccardt von Arjo Vanderjagt und zur Rezeption und Transformation des Kantatenzyklus Membra Jesu nostri Arnulfs von Löwen bei Dietrich Buxtehude von Franziska Küenzlen. Den Abschluss des Sammelbands bildet ein umfangreiches Schriftenverzeichnis der Werke Rudolf Suntrups.

Im Gesamten vermittelt dieser Band also eine umfangreiche und spannende Behandlung geistlicher Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit unter verschiedensten Blickwinkeln und Fragestellungen. Empfehlenswert ist die Festschrift für all jene, die sich bereits intensiv mit dieser Thematik auseinandergesetzt haben, da die einzelnen Beiträge doch auch einiges an Vorwissen abverlangen. Des Weiteren unterscheiden sich die in chronologischer Reihenfolge angeordneten Auseinandersetzungen thematisch relativ stark, so dass der gemeinsame rote Faden allein in der sehr grob gehaltenen Rahmensetzung von geistlicher Literatur liegt. Insofern handelt es sich bei dieser Festschrift also um nicht allzu einfache Kost, was die Qualität des Werks aber nicht mindert.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Nine R. Miedema / Volker Honemann (Hg.): Geistliche Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Festgabe für Rudolf Suntrup.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 2013.
300 Seiten, 54,95 EUR.
ISBN-13: 9783631625354

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