Beziehungen mit Happy-End

John Irving überrascht mit Schriftstellern, Squash und Sex

Von Hanna ChristiansenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hanna Christiansen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit seinem neuen Roman "A Widow for One Year" steigt John Irving aus den literarischen Tiefen, die er mit "A Son of the Circus" erreicht hatte, wieder hervor. Verloren sich in letzterem die Charaktere und Handlungsstränge in einem Erzählwust, der den locker-beschwingten Erzählgestus Irvings vermissen ließ, so findet Irving mit seinem neuen Roman zu alter Souveränität zurück.

Wie auch in seinen anderen Büchern breitet John Irving in "A Widow for One Year" menschliche Beziehungen mit all ihren Tragödien, ihren komischen und ernsten Seiten vor dem Leser detailliert aus. Novum dabei ist, daß es sich bei den Protagonisten diesmal vornehmlich um Schriftsteller oder Personen aus deren Umfeld handelt.

Im Zentrum des Romans steht Ruth Cole: erfolgreiche Schriftstellerin, Tochter von Ted Cole, einem erfolgreichen Kinderbuchautor und Illustrator, und Marion Cole - Schriftstellerin aus Verzweiflung. Anhand des Schriftstellermotivs entwickelt Irving die unterschiedlichen Beziehungen, in denen die Figuren zueinander stehen. Zum Beispiel wird das konfliktreiche Verhältnis zwischen Vater und Tochter im Roman nicht direkt ausgetragen, sondern über ihre Konkurrenz im sportlichen und schriftstellerischen Bereich. Während Ted Cole seiner Tochter beim Squash noch überlegen ist, ist Ruth längst eine sehr viel erfolgreichere Autorin als ihr Vater. Und als Ruth diesen endlich auch beim Squash bezwingt, erspielt sie sich damit eine emotionale Überlegenheit, die sie gleichzeitig aus dem bis dahin bestehenden psychischen Abhängigkeitsverhältnis von ihrem Vater befreit.

Eine weitere Beziehungsdeterminante des Romans sind die diversen sexuellen Abenteuer der Personen. Auch wenn Irving dabei auf bizarre Unfälle à la Garp verzichtet, stehen die Figuren ihren Romanvorgängern rein sexuell gesehen in nichts nach. Nicht nur treiben es 16jährige mit Enddreißigern, und auch die über 70jährigen beiderlei Geschlechts kommen hier noch völlig ohne Viagra aus, auch tummeln sich Irvings Figuren einmal mehr äußerst munter im Rotlicht-Milieu. Allerdings erfährt man fast mehr über die Ursprungsländer der illegal eingewanderten Prostituierten als über sexuelle Abnormitäten. Die baseballharten Brüste eines ecuadorianischen Transvestiten bilden dabei schon fast den Höhepunkt.

Trotz dieser etwas redundant wirkenden Sexlastigkeit des Romans erzählt Irving mit viel Charme und Witz und gewinnt den Alltäglichkeiten des Lebens und auch dem weniger Alltäglichen mit seinem Blick fürs Detail neue Perspektiven ab. Ungewöhnlich für Irving ist das Happy-End. Starben in "The World According to Garp" liebgewonnene Figuren über das ganze Buch hinweg, und muß "A Prayer for Owen Meany" mit dessen Tod enden, so überrascht hier die relative Langlebigkeit der Figuren. Auch wenn der Irving gewöhnte Leser durch die vorangegangenen Romane auf plötzlich eintretende Katastrophen bestens vorbereitet ist, sie geradezu antizipiert, stört das allgemeine Glück am Ende des Romans nicht. Im Gegenteil: Die glücklichen Wendungen im Buch setzen einen neuen Akzent innerhalb des Irvingschen Œuvres. Und solange dieser Akzent nicht ins Konventionelle überzuschwappen droht, hat sich Irving eine weitere Erzähldimension zueigen gemacht.

Titelbild

John Irving: Witwe für ein Jahr. Aus dem Amerikanischen von Irene Rummler.
Diogenes Verlag, Zürich 1999.
768 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-10: 3257062001

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