Auf der Straße nach Süden
Und wieder ist Dave Eggers unterwegs, diesmal im Straßenbau eines vom Bürgerkrieg geplagten Entwicklungslandes
Von Sascha Seiler
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDass Dave Eggers sich in seinen Romanen oft brandaktuellen Themen annimmt und diese mit Hilfe einer oft kläglich konstruierten literarischen Fiktion seinen Lesern meinungsstark darlegt, sollte mittlerweile bekannt sein. Fast zeitgleich zu Die Parade, das in den USA 2019 veröffentlicht wurde, erscheint in Deutschland auch sein aktuellstes Buch, Der größte Kapitän aller Zeiten, eine infantile, misslungene Parabel auf die Trump-Präsidentschaft. Umso größer also die Überraschung, dass Eggers mit diesem Buch über den Sinn und Zweck von Entwicklungshilfe sein wohl bester Roman gelungen ist, auch wenn er sich recht großzügig bei mehreren literarischen Vorbildern bedient hat.
Eggers wäre nicht der Schriftsteller, der er nun mal ist, wenn nicht auch dieser Text in Form einer Parabel daherkommen würde. Wir befinden uns in einer nicht allzu fernen Zukunft in einem namenlos bleibenden Entwicklungsland, das gerade einen langen und blutigen Bürgerkrieg hinter sich hat. Dieser wurde dank eines Waffenstillstands zwischen der Regierung, die in der Hauptstadt im reichen Norden residiert, und den Rebellen aus dem armen Norden beendet. Nun hat sich ein reicher Industriestaat bereit erklärt, dem verarmten Land zu helfen, den Frieden gewissermaßen zu zementieren, indem es zwei Arbeiter und eine futuristische Wundermaschine schickt, um eine das Land von Süden nach Norden durchlaufende, asphaltierte Straße zu bauen. Dies geht dank der Maschine sehr schnell, denn diese bedarf nur eines Fahrers, der die abgesteckte Strecke abfährt, alles andere – Zementmischung, Pflasterung, Glättung bis hin zu den Mittelstreifen, macht diese in einem Wisch alleine. So können pro Tag und ohne viel Aufwand mehrere Dutzend Kilometer Straße gebaut werden. Der zweite Mann indes ist nur dafür da, mit einem Quad vorauszufahren und die Wegstrecke von Hindernissen freizuhalten. Die Männer dürfen ihre Namen nicht verraten, auch untereinander nicht, sondern nur Zahlen tragen. Vier und Neun, so nennen sich die beiden Protagonisten, dürfen auf keine Weise, auch nicht mit Gesten, mit den Einheimischen kommunizieren, geschweige denn Essen oder Geschenke annehmen.
Nun treffen mit dem erfahrenen, pflichtbewussten Fahrer Vier und dem lebenslustigen Hallodri Neun, der gleich in der ersten Szene von Vier mit einer einheimischen Prostituierten erwischt wird, zwei unterschiedliche Charaktere aufeinander. Der überkorrekte Vier ist schnell genervt von dem ständig mit den Einheimischen plaudernden Neun, der gerne auch mal die Dorfschönheit verführt, sich die Nächte um die Ohren schlägt und erst am nächsten Morgen am Rastplatz auftaucht. Allerdings hat Vier den Auftrag, die Straße möglichst schnell zu bauen, der Terminplan ist eng, da die Regierung am Tag der geplanten Fertigstellung eine Parade über die neue Verbindungsstrecke plant. Neuns Arbeit erscheint ihm zudem nicht allzu wichtig, da das befriedete Land seltsam gleichgültig auf den Straßenbau reagiert und es erst gar nicht zu den befürchteten Erpressungsversuchen und Gewaltandrohungen kommt. Doch irgendwann verschwindet Neun spurlos und wird schließlich todkrank bei Vier abgeliefert. Und nun beginnen die Probleme…
Eggers hat, wie der Klappentext bereits etwas leichtfertig verrät, eine Parabel darüber geschrieben, ob Entwicklungshilfe die Mühe überhaupt wert ist, oder, das füge ich jetzt hinzu, ob sie nur ein Rädchen im globalen Ausbeutungssystem ist, bei dem die Schuldigen nicht nur auf Seiten der Industrieländer zu finden sind und das Opfer letztlich immer die Bevölkerung ist. Das ist eine letzten Endes mal wieder recht einfältige Message, aber da Eggers seine Geschichte in Form einer surrealen Dystopie entwickelt, ist sie nicht uninteressant. Die Parade bedient sich recht großzügig sowohl bei Cormac McCarthys Roman The Road als auch bei Paul Austers The Music of Chance, wobei immer auch der Geist Franz Kafkas durch die Seiten weht. Und auch wenn man den finalen Twist irgendwann unweigerlich kommen sieht, ist er doch eine sehr böse Überraschung, die meilenweit von einem utopistischen Ende à la The Circle entfernt ist.
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