Humor muss nicht sauber und politisch korrekt sein
Ein Gespräch mit dem Comic-Zeichner Ralf König
Von Sascha Seiler
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseRalf König ist einer der bekanntesten Comic-Zeichner Deutschlands. Seit den 80er Jahren beglückt König die Welt mit seinen berühmt gewordenen Knollennasen und er hat dabei weit über die Community hinweg auf ungemein humorvolle Weise ein starkes Bewusstsein für das Leben Homosexueller in Deutschland geschaffen. Seine ersten Comics bewegten sich noch fernab des Mainstream in der schwulen Subkultur, doch Anfang der 1990er Jahre begannen seine Werke im Rowohlt Verlag zu erscheinen. Richtig berühmt wurde König durch die Verfilmung seines Comics Der bewegte Mann durch Sönke Wortmann, einen der erfolgreichsten deutschen Filme der 90er Jahre. Seine wohl nachhaltigste Kreation ist aber das schwule Langzeit-Pärchen Konrad & Paul, ersterer ein feinsinniger, im Grunde recht spießiger und häuslicher Intellektueller (und studierter Pianist), letzterer ein sexbessener Freigeist, der keine Party (und sexuelle Aktivität) auslässt. Während der Corona-Krise begann König, auf seinen Social Media-Kanälen seinen Followern zu zeigen, wie Konrad & Paul durch die Krise kommen; ein wunderbares Projekt, das nun in Buchform vorliegt. Doch sah sich Ralf König in den letzten Jahren auch verstärkt Anfeindungen ausgesetzt, seine Comics seien sexistisch, frauenfeindlich und letztlich auch xenophob. Dabei arbeitet der Zeichner nur wie jeder guter Satiriker, mit gängigen Klischees, indem er sie überhöht und damit sichtbarer erscheinen lässt. Über all das sprach Ralf König mit Sascha Seiler in einem sehr offenen Gespräch.
literaturkritik.de: Ihr Comic Vervirte Zeiten spiegelt ja das Leben während der Pandemie bzw. des ersten großen Lockdowns wider. Wie wichtig war es Ihnen auch für sich selbst, diese Art Tagebuch zu führen?
Ralf König: Ich habe den ersten Lockdown als unglaublich entspannend empfunden. Das kann ich fast nicht ohne schlechtes Gewissen sagen, weil ich ja weiß, dass da draußen viel Stress war, um Gesundheit, um Existenzängste, um Klopapier. Aber ich wohne allein, habe keine Kinder, die nicht in die Schule konnten, und konnte weiter meine Arbeit tun. Es war Frühling und in dieser anstrengenden Kölner Innenstadt war endlich mal Ruhe, keine gröhlenden Leute, keine Autos, Köln war wie ein Luftkurort! Ich hatte plötzlich nichts auf dem Kalender, keine Lesung, kein Festival, alles fiel aus, auf unbestimmte Zeit. Das war besser als Urlaub! Und ich war selbst verblüfft, wie schnell meine Kreativität in Gang kam. Es war wirklich eine der produktivsten Phasen meines Lebens. Ich war frei, keine Verpflichtungen, kein Abgabetermin, da kriegte die Phantasie gleich Flügel.
literaturkritik.de: Sie haben ja selbst im Vorwort zu dem Band geschrieben, dass Sie kein großer Fan von Gratis-Kunst sind, aber trotzdem die Strips über die sozialen Medien dann verbreitet haben. Was führte Sie hier zu einem Umdenken?
König: Wir saßen in diesen Wochen alle in einem Boot und erlebten mit diesem ‚Zuhause bleiben‘ und ‚Abstand halten‘ alle das Gleiche. Ich hatte zu Corona anfangs auf Facebook nur zwei, drei Cartoons gepostet, aus meiner Ratlosigkeit heraus, und dann kam sofort unerwartet begeisterter Zuspruch. Das hat mein Dopamin getriggert, ich fing dann an, täglich diese kleinen Comicstrips zu posten, in denen ich erzählte, wie Konrad und Paul die Krise erleben. Und dann habe ich Rowohlt gefragt, ob daraus nicht schließlich mein nächstes Buch werden könnte, und zu meiner Überraschung haben sie die Idee gut gefunden. Mir war nicht klar, dass diese Online-Präsenz ein gewaltiger Werbeträger ist. Ich dachte, wenn die Leute das alles schon von Instagram kennen, kauft kaum noch einer das Buch. Aber das Gegenteil ist der Fall. Ich habe mich also schnell mit reichlich Papier und Stiften eingedeckt und bin sehr genüsslich in Klausur gegangen.
literaturkritik.de: Wie haben Sie selbst diese frühe Zeit der Pandemie erlebt, auch diese ganze Absurdität, die plötzlich über uns kam?
König: Ich hatte wenig Angst, mich zu infizieren. Vielleicht kommt das daher, dass meine Generation in den 80er und 90er Jahren eine erheblich grausamere Krankheit erleben musste. Ich habe im Supermarkt versucht, Abstand zu halten, und war sonst ohnehin meistens in meiner Wohnung allein, ohne mich aber isoliert zu fühlen. Ich habe mit Alleinsein sowieso wenig Probleme. Aber ich hatte 2020 mein vierzigjähriges Comic-Zeichner-Jubiläum, das hätte ich gern mit Lesungen zelebriert, oder meinen 60. Geburtstag, den ich unter normalen Umständen wohl auch dicker gefeiert hätte. Ansonsten… ja, das mit dem Klopapier und den Nudeln war schon bizarr und ich verstehe es heute noch nicht.
literaturkritik.de: Das muss gleichzeitig für einen Comic-Autor ein Geschenk sein, oder?
König: Klar, und weil meine Figuren um Konrad und Paul längst eingeführt waren, konnte ich ohne Probleme in die Vollen gehen. Da ist Pauls alter Vater im Altenheim oder Konrads Freundin Brigitte und die doofe Schwester von Paul und alle hatten ihr Ding mit Corona. Ich habe da quasi nur zugeguckt.
literaturkritik.de: Comicfiguren haben ja meist die Angewohnheit, nicht zu altern… Konrad und Paul (und ihre Freunde) tun das aber. War es für Sie ein natürlicher Schritt, ihre Figuren mit Ihnen altern zu lassen? Was halten Sie im Allgemeinen von alterslosen Comic-Figuren?
König: Ich habe selbst ein schwieriges Verhältnis zum Älterwerden, so richtig erfreut bin ich über manches nicht. Dieser allmähliche körperliche Niedergang ist nun mal nicht sexy. Ich bin ein sehr sexueller Mensch, immer gewesen, und ich komme nur schwer damit klar, dass man in meinem Alter nicht mehr flirtet und auch gar nicht mehr die Lust und Energie hat, heiße Liebesnächte zu zelebrieren. Ich nehme das so hin und guck mir das so an. Und klar ist das auch für die Comics ein Thema für mich, ein Riesenthema sogar! Ich habe ein ganzes Buch darüber gezeichnet, Herbst in der Hose, da werden Konrad und Paul älter und sind in den Wechseljahren. Ich dachte damals, die Leute wollen das gar nicht so genau wissen, das Buch wird ein Flop. Aber im Gegenteil, ich hatte damit die Leser, die in den 90ern meine Bücher mochten, wieder im Boot. Uns alle beschäftigt das eigene Älterwerden, machen wir uns nichts vor. Da tut etwas Humor offenbar gut. Comicfiguren, die nicht altern, machen auch wenig Entwicklung durch. Das ist ok, aber die Peanuts zum Beispiel kamen nie in die Pubertät. Sehr schade.
literaturkritik.de: Was ich in Vervirte Zeiten ungemein gelungen finde, ist die Fokussierung auf Teilaspekte des Lebens, die plötzlich aufgrund des Mangels an menschlicher Interaktion, aber auch an Reizen, plötzlich zentral werden, wie eben der attraktive Filialleiter vom REWE, der sich ja wie ein Leitmotiv durch die Geschichten zieht… weil man eben nirgends mehr hin kann. Letztlich ist das bei allem Humor ziemlich bedrückend, oder?
König: Soweit habe ich bei dem Filialleiter gar nicht gedacht. Ich habe eigentlich sowieso wenig an Dramaturgie gedacht, weil ich mich bei Facebook auch von den Kommentaren leiten und inspirieren ließ. Klar war, dass Paul im Frühling an irgendeinen geilen Kerl gerät, erst recht, wenn zuhause bleiben und Abstand halten angesagt ist. Und dann gingen die Leser voll auf diesen Filialleiter ab, der unglaublich gut aussieht, den ich aber nie zeige. Da lag im Frühling ja nicht nur das Virus in der Luft, sondern auch Lust und Liebe. Jeder und jede stellte sich den eigenen Filialleiter vor. Und es gab den Mann tatsächlich, in meinem REWE-Laden gegenüber. Ein echter Hingucker. Für mich jedenfalls. Das war lustig, die Jungs fotografierten heimlich die gutaussehenden REWE-Mitarbeiter in den Kölner Fillialen, um mich zu fragen, ob der das ist.
literaturkritik.de: Viele von uns dachten ja, jetzt ist alles vorbei. Tatsächlich ist es aber wieder losgegangen. Bleibt Ihnen da der Humor irgendwann auch im Halse stecken, oder sind Ihre Geschichten auch für Sie ein Weg, weiter mit der Situation klarzukommen?
König: Die Geschichten sind immer ein Weg für mich, mit dem Leben klarzukommen, ob Pandemie oder nicht. Klar vergeht mir auch mal der Humor. Derzeit im dunklen November und in der vierten Welle zum Beispiel finde ich die Lage gar nicht mehr entspannt. Auch ich bin nicht mehr so ganz gut drauf wie während des ersten Lockdowns, aber mir hilft das Zeichnen.
literaturkritik.de: Wie sehen das ihre Freunde und Bekannten aus der Homosexuellen-Szene… sehen die auch in diesen Geschichten ihre neue Realität getroffen?
König: Ich glaube, das hat weniger mit homosexuell oder nicht homosexuell zu tun. Meine Buchleser und auch die auf Facebook sind sehr gemischt. Die Geschichten haben wohl ein hohes Identifizierungspotential. Weniger Ahnung habe ich allerdings von den Zuständen in den Familien, wo Kinder dabei sind und Ängste wegen des Berufslebens, oder der Lage in Arztpraxen etc. Da waren vielleicht einige Buchkäufer enttäuscht. Vervirte Zeiten geht um Corona, ja, aber ich bin immer Ralf König mit meinem schwulen Blick auf die Dinge.
literaturkritik.de: Sie sind – noch vor Corona – auch ein Opfer der derzeit grassierenden identitätspolitischen Debatten geworden, ihre Comicdarstellungen, die meines Wissens jahrzehntelang niemanden gestört haben (im Gegenteil), wurden plötzlich stark kritisiert. Wie gehen Sie damit um, immerhin haben Sie nach der Meinung vieler Leserinnen und Leser ungemein viel Positives für das Bild von Homosexuellen in Deutschland bewirkt.
König: Ach, ich war nach den Transphobie-, Rassismus- und Dickenfeindlich-Vorwürfen um mein Wandbild in Brüssel ein paar Tage irritiert, weil ich in meiner schwulen Promi-Blase gar nicht mitgekriegt habe, was sich da gesellschaftlich zusammenbraut. Ich sehe das inzwischen pragmatisch, da kommen neue Generationen, die sehen Dinge, die wir früher nicht gesehen oder nicht so wichtig genommen haben. Transsexualität zum Beispiel kommt bei mir in den Comics kaum vor. Ich habe immer das gezeichnet, was ich erlebe, beobachte oder was mich beschäftigt und wovon ich etwas Ahnung habe. Ich sehe mich ohnehin nicht als queeren Aktivisten oder so etwas. Wenn meine Comics über vierzig Jahre etwas bewirkt haben, freut mich das. Aber mein Ziel war nie, aufzuklären, sondern gute Comics zu schreiben und zu zeichnen. Ich bin Comicautor und wäre das wohl auch, wenn ich heterosexuell wäre. Ich habe ein Bauchgefühl, was im Humor geht und was nicht. Transphobe und rassistische Inhalte fielen mir wohl gar nicht erst ein. Ich bin offen für Kritik und geänderte Sichtweisen, aber ich zeichne die Tunten und Drag Queens so, wie ich sie seit Jahrzehnten erlebe, ich war ja selbst mal Tunte auf schwulen Bühnen. Die, die mir Transphobie vorwerfen, sind jung, die haben bestimmt noch nie ein Buch von mir gelesen, die wissen nicht, wofür ich seit vierzig Jahren stehe. Und darum nehme ich die Kritik auch nicht mehr so wichtig, ich bin 60 und mache weiter mein Ding. Ich bestehe auf meine gewachsene Sicht auf die Welt, auch wenn so was typischerweise ein alter weißer Mann sagt.
literaturkritik.de: Interessant fände ich in diesem Zusammenhang, auf Corona und auf Identitätspolitik bezogen, ob Sie sich in ihrer künftigen Arbeit von möglichen „Tabus“ beeinflussen lassen, ob Sie das jetzt immer im Hinterkopf haben, wenn Sie schreiben und zeichnen, oder ob Sie das ausblenden?
König: Wenn ich ängstlich alles darauf abklopfen würde, ob jemand beleidigt oder verletzt sein könnte, müsste ich den Griffel zur Seite legen. Gerade Cartoon und Comic braucht Überspitzung und sogar Grenzüberschreitung. Ich liebe South Park, immer noch, oder die Comics von Reiser oder Phillipe Vuillemin. Ich liebe es derb und klug und pornografisch und geschmacklos und witzig! Und ich bin froh, dass ich schwul bin, da fällt der ganze Geschlechterkrieg thematisch weitgehend weg. Bei mir treiben es Männer mit Männern, das vereinfacht vieles. Es ist ein Jammer, dass heute darauf hingewirkt wird, dass Humor sauber und politisch korrekt sein soll. Es ist nicht nur ein Jammer, das ist ein Irrtum! Da war erst Religion das große Tabu und nun ist es schleichend wieder der Sex. Vielleicht müssen wir jetzt wieder eine Weile durch biedere Zeiten, aber ich wette, dann kommt aus irgendeiner Ecke der schmuddelige Undergroundcomic wieder hoch.
literaturkritik.de: Und natürlich: Werden uns Konrad und Paul auch weiter durch die Krise begleiten?
König: Oh ja, ich bin seit drei Wochen wieder fleißig dabei, tägliche Strips auf Facebook und Instagram zu posten. Vervirte Zeiten, Teil 2, sozusagen. Anlass war das neue ABBA-Album, das erste nach vierzig Jahren. Der Auslöser ist bei mir anscheinend immer etwas fundamental weltbewegendes, ob Corona oder ABBA! Und nun bin ich wieder dran mit Konrad und Paul und es macht mir und den Leuten gleich wieder Spaß! Das ist viel für mich in diesem kalten grauen Winter.
literaturkritiuk.de: Wie gefällt Ihnen denn das neue ABBA-Album?
König: Ich finde es sehr, sehr schön, nur etwas zu kurz. Es berührt mich eigentümlich, das war halt der Soundtrack meiner Kindheit und Jugend und klingt heute noch genauso. Nur das mit den „Abbataren“ ist doof. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, in einem Saal irgendwelchen Hologrammen zuzujubeln.
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