Kranker Shit!

Birte Müllers Kindersachbuch „Wie krank ist DAS denn?!“ über grausige Krankheiten lässt es krachen, eitern und schmerzen

Von Laslo ScholtzeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Laslo Scholtze

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schnupfen oder schnöde Bindehautentzündung, dazu gäbe es wahrscheinlich nicht sehr viel zu sagen. Kriegt man, hat man, nervt, geht wieder weg. Aber da gibt es ja noch andere Kaliber: Pest, Pocken, Tuberkulose & Co.; Krankheiten, die das Antlitz von Epochen geprägt haben: Ein Drittel von Europas Bevölkerung dahingerafft – die Pest. Theologisch missverstanden als Gottesstrafe für Aussätzige – Lepra. Den Körper innerhalb von Stunden letal dehydrierend – Cholera. Krankheiten, an denen sich Sozial- und Medizingeschichte erzählen lässt.

Birte Müller, Autorin von temperamentvoll-farbenfrohen Kinderbüchern, unter anderem über ihre eigene Familie, in der es „Down-Syndrom, Prinzessinnen-Syndrom und andere schwerst-mehrfach normale Zustände“ gibt, hat sich solche Rockstars unter den Krankheiten gegriffen, neben anderen, und ein Kindersachbuch dazu geschrieben. Yannick de la Pêche steuert die Illustrationen bei: morbid, schnörkellos, cool.

Die Auswahl der Krankheiten versteht man nicht ganz, braucht man auch nicht. Da findet sich Historisches (Skorbut) neben Zeitlosem (Grippe), Parasitäres (Würmer) neben Banalem (Fußpilz) und Emotionales (Depression) neben hierzulande quasi Ausgerottetem (Tollwut). Insgesamt 14 schlimme oder zumindest eklige Krankheiten. Und schließlich auch noch ein Kapitel über Corona, das ob seiner Aktualität nicht recht ins Muster passt.

Viel logischer als dieser wilde Mix – „Ich habe mir einfach ein paar besonders spannende, bekannte, tödliche oder eklige Krankheiten herausgesucht“, sagt Birte Müller – ist der Aufbau der meisten Kapiteln: Erreger, Symptomatik, pathologische Prozesse und Therapie werden kenntnisreich, aber kompakt abgehandelt. Ebenso die soziale Bedeutung und der Umgang mit den Erkrankten, schließlich die historische Entwicklung, das naturwissenschaftliche Verständnis und die Entwicklung effektiver Medikation beziehungsweise schlichter Hygieneregeln.

Es geht in diesen Texten nicht um Exaktheit, nicht um Nachwuchswissenschaft. Wie krank ist DAS denn?! ist kein Was ist was. Energiegeladen, rotzfrech und mit viel Neugier schreibt Birte Müller auf ihren Gegenstand los, in etwa so unbefangen wie man sich ihre junge Leserschaft vorstellt. Sie streut Anekdoten ein, reichlich Witze, wird beim Thema psychische Krankheiten auch mal persönlich. Und dort, wo Erwachsene den verklemmten oder neunmalklugen Erklärbär mimen, wird ihr Buch einfach noch eine Prise derber. Das klingt dann zum Beispiel so:

Die Pest ist so ziemlich die ätzendste Krankheit, die es jemals in der Menschheitsgeschichte gab. Eigentlich ist es eine Rattenkrankheit, und im Mittelalter, als die Leute in den großen Städten noch keine Mülleimer kannten und auf die Straße gekackt haben, da war alles voll mit Ratten.

Das hilfreiche Glossar im Anhang des Buches heißt „What the fuck ist eigentlich…?“. Und zudem lebt Birte Müller ausgiebig ihr fragwürdiges Faible für Arztwitze aus: 

Die Ärztin beim Ultraschall zu einer Schwangeren: „Ihr Kind ist etwas anders, es ist Hermaphrodit“. Fragt die Frau: „Ein waaaas?“. Antwortet die Ärztin: „Na ja, es hat einfach die Merkmale eines Mannes und einer Frau!“ Ruft die Frau: „Es hat also einen Penis UND ein Gehirn?“

Sind Krankheiten denn jetzt witzig? Keinesfalls. Aber wie alles, was Angst macht, lässt sich ihre Existenz mit Humor bisweilen besser ertragen. Staunen, Mitleid, Grusel, all das darf Platz haben bei diesem Thema. Unbefangen und unangestrengt der Ton der Autorin, eine Wissensvermittlerin auf Augenhöhe. Lehrreich, aber nicht lehrerhaft. Bravo.

Titelbild

Birte Müller: Wie krank ist DAS denn?! Gruselige Krankheiten von früher und heute.
Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2021.
131 Seiten , 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783954702503

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