Es brennt in Belfast

Jan Carsons Roman „Firestarter“ scheitert an der (nord)irischen Geschichte

Von Karl-Josef MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karl-Josef Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 11. Juli 1690 besiegelten die Feuer der Protestanten das Ende des unabhängigen katholischen Irland, indem sie den feindlichen britischen Schiffen den Weg auf die Insel wiesen. Vor fünfundzwanzig Jahren wurde das sogenannte Karfreitagsabkommen unterschrieben, um den Konflikt zwischen Nordirland und Irland zu schlichten. Seitdem Großbritannien die EU verlassen hat, sind die Errungenschaften dieses Abkommens erneut in Gefahr, denn die Republik Irland gehört weiterhin der EU an, wohingegen Nordirland als Teil Großbritanniens angesehen werden muss. Wir können die Abgründe dieses Konfliktes hier nur andeuten und verzichten darauf, in die Details zu gehen; zu groß wäre die Gefahr, die hochkomplexen historischen Zusammenhänge falsch darzustellen.

Jan Carsons Roman Firestarter spielt im Sommer 2014. Die deutsche Ausgabe belässt es insofern bei dem englischen Originaltitel The Firestarters, indem sie darauf verzichtet, ‚Firestarter’ mit Brandstifter zu übersetzen.

Große und immer größere Feuer müssen her, um in der Nacht vom 11. auf den 12. Juli an den Sieg über Irland zu erinnern – bis heute. Dabei werden gerne auch irische Flaggen verbrannt, es gilt, den ‚Feind‘, die irischen Katholiken in Nordirland wie in Irland selbst, zu demütigen. Das Karfreitagsabkommen hat die Troubles, wie die militanten Auseinandersetzungen euphemistisch genannt werden, besänftigt, aber nicht aus der Welt geschafft. Knapp dreieinhalb Jahrhunderte sind vergangen, doch die damalige Schlacht am Boyne will scheinbar nicht enden.

Ein aktuelles Romanthema, leider. Doch was macht Jan Carson daraus? Ihr Täter, der Sohn eines ehemals militanten protestantischen Nordiren, zündet nicht die aufgetürmten Holzstapel an, sondern Häuser, und brüstet sich damit im Internet. Der Vater hat alles in seiner Macht Stehende getan, um das Karfreitagsabkommen mit Leben zu erfüllen, indem er seinen Kindern eine friedliche Kindheit bereitet hat. Doch Mark, sein Ältester, ist der Gewalt verfallen. Nicht weil seine Umwelt ihn prägt, sondern weil er von sich aus „böse“ ist: „Die Erkenntnis trifft ihn jetzt. Er ist kein Apfel von seinem Stamm. Keine böse Saat. Keine Wiedergeburt. Mark ist aus sich selbst heraus ein Ungeheuer.“

Ja, das Karfreitagsabkommen hat die Troubles gezähmt, und nein, es gibt ihn immer noch, den Hass zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen Iren und Nordiren, der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch.

Wir fragen uns, was die Autorin damit bezwecken möchte, diesen Hass dem absoluten und nicht ableitbaren, weil quasi genetisch bedingten Bösen zuzuschreiben, anstatt nach seinen historisch-politischen Ursachen Ausschau zu halten.

Neben dem Brandstifter gibt es eine weitere zentrale Figur, die ebenfalls das absolut Böse verkörpert: eine Sirene. Nein, sie hat keinen Fischschwanz, aber sie hat die Fähigkeit, Männer hörig zu machen durch ihre Stimme. Eine Femme fatale mit einer Vorliebe für Salzwasser in der Badewanne.

Ihr Opfer, ein Arzt, zeugt mit ihr ein Kind. Es wird ein Mädchen. Wenn es die Eigenschaften seiner Mutter geerbt hat, wird seine Stimme wie die der Mutter Unheil anrichten. Da die Mutter das Neugeborene beim Vater zurücklässt, sieht dieser sich vor die Aufgabe gestellt, die Welt vor dieser Brut zu schützen. Und weil er es nicht übers Herz bringt, das Kind zu töten, beschließt er, ihm die Zunge operativ zu entfernen. Alles liegt bereit zur Operation, wir befinden uns auf der vorletzten Seite des Romans, als eine Silbe alles verändert:

Eine Silbe.

‚Da.‘

Die Aussicht, dass noch unendlich viele Silben folgen werden.

Der Plan ist gescheitert, die kommende Femme fatale zeigt ihre Macht. Odysseus war klüger: ‚Ich hätte mir die Ohren verstopfen sollen, aber es ist zu spät.‘

Und dann konfrontiert uns die Autorin noch mit Menschen, denen Flügel gewachsen sind, einem „Jungen mit Rädern an den Füßen“, einem „Mädchen, das ab und zu ein Boot ist“, einer „Tagesvampirin“ und schließlich einer Frau, die alles, was sie anfasst „in Weihnachten verwandelt“.

In der Literatur sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt, doch es will uns nicht gelingen, den Konstrukten Carsons eine irgendwie geartete literarische Qualität zu attestieren. Es verbietet sich, an Gregor Samsa auch nur zu denken.

Zudem ist der Text von Vergleichen aller Art geradezu überfrachtet. Auch muss alles haarklein erklärt werden, die eigene Phantasie darf man bei der Lektüre getrost ausschalten.

Zum Abschluss eine Anmerkung zur Übersetzung. Wir haben das englische Original nicht vorliegen, dennoch stellt sich die Frage, wie mit dem generischen Maskulinum in einer Übersetzung aus dem Englischen umgegangen werden sollte. Einige Beispiele:

„Ich stehe gerne in der Schlange neben den anderen Einkaufenden.“

„Jedes zweite Fenster ist beschlagen: Körperwärme und Feuchtigkeit kondensieren auf der kalten Scheibe. Die Kellnerinnen und Kellner sind noch gestresster als sonst.“

„Nachdem sie sie im Laden gemieden hatten, warteten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dem Parkplatz auf sie (…).“

Andererseits ist an anderer Stelle lediglich von Politikern die Rede und nicht von Politikerinnen und Politikern.

Der Gebrauch gendergerechter Sprache in einer Übersetzung aus dem Englischen erscheint uns problematisch, denn damit wird unterstellt, dass dies dem Sinngehalt und der Absicht des Originals entspricht. Dabei geht es nicht darum, ob Jan Carson in einem auf Deutsch geführten Interview aus Überzeugung beispielsweise von ihren Leserinnen und Lesern anstatt von ihren Lesern sprechen würde. Es geht vielmehr um die Frage, ob diese Art der gendergerechten Übersetzung der inneren Logik des fiktiven Textes und der Absicht der Autorin angemessen ist.

Titelbild

Jan Carson: Firestarter. Roman.
Aus dem Englischen von Stefanie Schäfer.
Liebeskind Verlagsbuchhandlung, München 2023.
384 Seiten , 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783954381579

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