Lauter Geburtsstunden
Hugo Perls erinnert sich in „Warum ist Kamilla so schön?“ an künstlerisch bewegte Zeiten im frühen 20. Jahrhundert und versucht zu erklären, warum das Geheimnis der Schönheit nicht zu erklären ist.
Von Nora Eckert
Hugo Perls (1886 – 1977) war vieles in seinem Leben:
Ich war gezwungen, in drei Ländern zu leben. Ich hatte nach- und nebeneinander drei Berufe. Das Studium der Rechte machte aus mir einen preußischen Assessor, die Liebe zur Kunst einen Sammler und für viele Jahre einen Händler. Und eine gewisse Sucht oder Neugier des Verstandes machte mich zum Schriftsteller.
Als Jurist war er im Reichsamt des Innern und im Auswärtigen Amt angestellt, als Kunstliebhaber war er zugleich Förderer und unterhielt eine Zeitlang eine Kunstgalerie in Berlin. Ab 1931 lebte er in Paris und beschäftigte sich intensiv mit dem Werk des griechischen Philosophen Platon, woraus auch Publikationen entstanden. 1941 schließlich emigrierte er in die USA und lebte bis zu seinem Tod in New York. Der hier zu besprechende Band, der erfreulicherweise jetzt in einer Neuausgabe vorliegt, erschien zuerst 1962 und stellt ein in jeder Hinsicht faszinierendes Zeitdokument dar.
Perls hat aus nächster Nähe den Aufstieg all jener Künstler miterlebt, die wir heute als die Vertreter der „klassischen“ Moderne kennen und die in der Wahrnehmung Perls eine, wenig überraschend, männerdominierte Welt war, in der Frauen hauptsächlich eine dekorative Rolle einnahmen – sehr oft natürlich als Bildmotiv, als Geliebte oder Ehefrau. Vorweg genommen sei also: Wer die Frau in der Kunstgeschichte sucht, geht bei Perls leer aus. Was den Wert seiner Erinnerungen freilich nicht schmälert.
Einen besonderen Reiz des Buches sehe ich neben der Zeitzeugenschaft und dem oft sehr privaten und deshalb intimen Blick hinter die Kulissen von Kunst und Kunstmarkt, wenn mal eben Henri Matisse oder Pablo Picasso um die Ecke kommen, vor allem in Perls unprätentiösem erzählerischem Talent, seinem Sinn für Witz, gepaart mit einer unaufdringlichen Ironie. Seine Schilderungen sind lebendig und entfalten ein reiches Detailwissen. Erstaunlich immer wieder die sachlich kaum nachvollziehbaren Wellenbewegungen beim Marktwert von Kunst. Gestern gefeiert, heute verramscht oder umgekehrt, gestern übersehen, heute die Jagd danach. Bizarr auch das Thema der Fälschungen. Und um ein Beispiel für Perls Ironie zu geben, sei diese Geschichte wiedergegeben. Es geht, wenn man so will, um die Attestierung der abstrakten Plastik als Kunst:
Bis zu Brancusi war Plastik ungefähr das, was sich der amerikanische Zolltarif darunter vorstellt: etwas, das ohne Weiteres als ‚Nachahmung der Natur‘ eines Menschen, eines Vogels angesehen werden konnte. Doch war der amerikanische Richter von Brancusis Kunst begeistert, und nach zweijährigem Prozess war es seiner Beredsamkeit zu danken, dass Brancusis Werk als ‚Kunst‘, deshalb zollfrei anerkannt wurde.
Und obwohl Perls inmitten der Moderne lebte und sie zusammen mit zahlreichen anderen Multiplikator*innen, wie wir heute sagen würden, popularisierte, blieb er stets kritikfähig und in seiner Kritik mitunter kompromisslos. So lesen wir beispielsweise über die Architektur des New Yorker Guggenheim Museums, entworfen von keinem Geringerem als der Architektur-Legende Frank Lloyd-Wright:
Leider wirkt das zirkusartige Gebäude inmitten der nicht schönen, aber vornehmen Fifth Avenue wie eine Kohlrübe auf einem Kaviarbrötchen. Im Innern geht von der Kuppel bis zum Erdgeschoss eine Riesenrampe, und auf ihr hängen oder stehen die Bilder. Wer nicht schwindelfrei ist, sieht nichts.
Besonders lesenswert fand ich Perls Erinnerungen an Edvard Munch – wie überhaupt alle künstlerischen Nahsichten in dem Buch. In Erinnerung blieb lange Zeit die Affäre Munch, als 1892 eine ihm gewidmete Ausstellung in Berlin wegen massiver Publikumsproteste abgebrochen werden musste. Mehr als drei Jahrzehnte sollten vergehen, bis die Berliner Nationalgalerie ihm 1928 eine große Ausstellung widmete und diesmal mit Erfolg. Perls lernte als junger Mann den Künstler persönlich kennen und besuchte ihn in Norwegen. „Munch war ein herrlicher Mann! Sein Äußeres zeigen die Selbstporträts aus allen Zeiten seines Schaffens. Man sieht den Bildern nicht an, dass Munch imstande war, herzlich zu lachen.“
Die Berlinische Galerie zeigt aktuell eine große Schau zum Thema „Edvard Munch: Zauber des Nordens“, in der vor allem auch die vielfältigen Beziehungen zwischen dem Künstler und Berlin thematisiert werden. Perls Schilderungen seines Besuchs bei Munch in Norwegen liefern dazu eine wunderbare Ergänzung, weil sie den Menschen fassbarer und den Künstler lebensnäher erscheinen lassen.
Lesenswert sind auch Perls Kommentare zum Kommen und Gehen in der Kunstgeschichte. Der spanische Künstler Zuloaga gibt dafür ein schönes Beispiel. Perls nennt ihn „Malerfürst“, der sich selbst in der spanischen Tradition von Greco, Velazquez und Goya sah und um 1900 eine Zeitlang in Mode war. Perls meint, Zuloaga sei der Beweis dafür, dass technisches Können allein noch keinen Künstler mache: „Offenbar wusste er noch nicht, dass in den außerspanischen Ländern der Geschmack sich bereits gegen ihn wandte und eine Reihe seiner großen Bilder aus deutschen Museen nach zehnjähriger Depotverbannung ihren Weg zurück nach Spanien genommen hatten.“ Wer sich darüber ein eigenes Urteil bilden will, hat übrigens Gelegenheit in der Kunsthalle München eine umfangreiche Retrospektive des Spaniers zu besichtigen.
Nicht unerwähnt seien Perls‘ Porträts von Kunstsammlern und -händlern. Der Autor gibt in diesem Zusammenhang eine besondere literarische Empfehlung, indem er auf Honoré de Balzacs Roman Cousin Pons verweist – auch so ein Porträt eines „Originals von Sammler“. Bei Perls finden wir die Namen von Ambroise Vollard, Paul Cassirer und Max Friedländer. An Vollard rühmt Perls dessen Überlegenheit, „weil er einen natürlichen Enthusiasmus für die Kunst hatte, wie es nur wenigen gegeben ist“.
Cassirer attestiert er in seiner Rolle als Verkäufer „Schauspieltalent“ und Friedländer nennt er eine Legende, der zwar einfach in seinen Ansprüchen gewesen sein soll, ansonsten aber heikel war und mit Kollegen wollte er am wenigsten zusammen sein. Friedländer lebte als Jude seit 1939 in den Niederlanden. Auf Perls Nachfrage, wie es ihm dort gehe, antwortete er: „Großartig, die Holländer lachen über meine ältesten Geschichten.“ Er soll, so berichtet Perls, unter Görings Schutz gestanden haben, „der immer noch hoffte, Friedländer würde eines Tages doch seine ‚Sammlung‘ katalogisieren“. An dieser Stelle sei auf zwei weitere Publikationen hingewiesen, die beide im Schweizer Nimbus Verlag erschienen sind: Von Julius Meier-Graefe Kunst Kulissen Ketzereien. Denkwürdigkeiten eines Enthusiasten und von Ottfried Dascher Es ist was Wahnsinniges mit der Kunst – das Buch widmet sich dem Sammler, Kunsthändler und Verleger Alfred Flechtheim.
Bliebe noch die Frage, was ist schön? Perls fand seine Antwort bei Platon, womit er nebenbei bestätigt, dass Tautologien die besten Erklärungen liefern: „Der schöne Gegenstand sei schön, weil er an der Idee der Schönheit teilhabe.“ Oder vielleicht hilft die Weisheit von Max Friedländer weiter: „Die Wahrheit ist verwickelter als der Irrtum.“
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